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Midgardsblot Metal Festival 2016

Jeder von uns hat die eine oder andere vernünftige Angewohnheit, aber langfristiges Vorausplanen zählte eigentlich noch nie zu den meinigen. Als jedoch Midgardsblot die ersten vier Bands für 2016 ankündigte, dauerte es keine Stunde, bis Norwegian Air sich über mein Geld freuen durfte. Fast acht Monate im Voraus, jawohl, aber schon angesichts dieser ersten Ankündigung war mir klar, dass ich jenes noch weit entfernte Augustwochenende an keinem anderen Ort des bekannten Universums würde verbringen wollen, und mit dem Näherrücken des Sommers wurde das Line-Up sogar noch besser.

In die Vorfreude auf das Festival mischten sich jedoch leise Zweifel angesichts einiger Diskussionen in der diesbezüglichen Facebook-Gruppe (der im übrigen für ihre Hilfsbereitschaft und nette Atmosphäre ein Riesenlob gebührt): ein Großteil der Leute schien mehr wegen des Wikinger-Reenactments zu kommen als wegen der Bands. Wäre eine simple Metallerin wie ich – gewandet in Jeans und Bandshirts, mit der Bierdose in der Hand anstatt eines stilechten Trinkhorns und abgesehen von meiner Kamera vollkommen unbewaffnet – möglicherweise komplett fehl am Platze?
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Zum Glück erwiesen sich meine Bedenken als unbegründet. Als wir unser Zelt auf dem malerischen Campingplatz aufgeschlagen hatte, einem Hain von alten Bäumen direkt zwischen dem Strand und den alten Wikingergräbern am Dorfrand von Borre, fühlten meine Freundin und ich uns bereits wie zu Hause. Die Festivalbühne selbst war gut zehn Fußminuten entfernt auf der Nordseite des Midgard-Museums, neben der riesigen Gildehalle. Diese aufwendige Rekonstruktion eines Wikinger-Langhauses, dessen Überreste auf dem Gelände gefunden worden waren, war das wahre Herz von Midgardsblot, aber die große Hauptbühne war direkt daneben. Die Eröffnungsritual am Donnerstag fand auf dem Hof dazwischen statt und wurde von dem Schamanenduo Folket Bortafor Nordavinden durchgeführt, das im Laufe des Wochenendes auch für einen Teil der musikalischen Unterhaltung in der Halle zuständig war. Zwar war die Zeremonie ein wenig zu sehr New-Age-meets-LARP für meinen Geschmack, aber selbstverständlich opferte auch ich den alten Göttern eine Kelle Blut (nicht mein eigenes, und ob es echt war, weiß ich nicht), und sicherheitshalber auch etwas Bier (mein eigenes, und echt war es auf alle Fälle). Leider versäumten wir es, das Opfer am folgenden Abend zu wiederholen, sonst hätten uns die Götter sicherlich auch am Samstag den Regen erspart.
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ZUR FESTIVAL FOTOGALERIE ÜBERSICHT

So richtig los ging das Festival dann am Freitag, der auch zum größten Teil den Segen der Asen genoss. In der strahlenden Morgensonne nahm ich zuerst ein Bad im Meer (es hätte auch kostenlose Duschen gegeben, in der Turnhalle irgendwo auf der anderen Seite des Dorfs, aber der Strand neben dem Campingplatz war erheblich verlockender als der Gedanke an einen frühmorgendlichen Fußmarsch) und nahm dann an einigen altnordischen Leibesübungen teil …

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(Foto: Christina Dimitrova)

… bevor im Auditorium des Midgard-Museums der akademische Teil des Festivals anstand. Der Vortrag über nordische Kultur im norwegischen Black Metal enthielt keine wirklich keine neuen Informationen für mich, aber die folgende Podiumsdiskussion mit Festivalorganisatorin Runa, Enslaved-Boss Ivar und zwei Forscherinnen war sowohl interessant als auch unterhaltsam.

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Unterhaltung boten auch Trollfest, die erste Band, die ich auf der Hauptbühne sah, aber sie als interessant zu bezeichnen, wäre aus meiner Sicht doch etwas arg übertrieben. Sie waren aber eh schon fast am Ende angelangt, als ich ankam, und was von ihrem Set noch übrig war, sah ich mir von der Schlange vor dem Bierzelt aus an. Während ich meinen Durst stillte, tobte vor der Bühne eine Wikingerschlacht, bei der Berserker und Schildjungfern es krachen ließen, bis zum Schluss nur noch ein Krieger auf den Beinen war.
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Die Bühne selbst wurde währenddessen klargemacht für die nächste Kraftdemonstration im Wikingerstil. Bei dieser gab es freilich keine Verlierer: Skálmöld sind eine der besten Live-Bands, die ich je gesehen habe, was sowohl den mitreißenden Songs zu verdanken ist als auch der unbändigen Energie und positiven Ausstrahlung sämtlicher Bandmitglieder. Der Set bestand nur aus altem Material, wobei aber jedes Album zu etwa gleichen Teilen vertreten war. Um ehrlich zu sein, hatte ich sehr gehofft, etwas von der demnächst erscheinenden neuen Studioplatte zu hören – wenn schon nicht das thematisch passende „Miðgarður“, dann doch zumindest die Single „Niðavellir“ – aber die Band war ohne Keyboarder Gunnar gekommen und seine Vertreterin Helga, die Schwester von Snæbjörn und Baldur, war zu kurzfristig eingesprungen, um auch noch die neuen Songs zu lernen. Dem kleinen Manko zum Trotz war dieser Gig mein persönliches Highlight des Festivals, und ich bin nun erst recht gespannt auf die demnächst anstehenden Clubgigs.
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Nach Skálmölds Melodiefeuerwerk, dargeboten von drei Gitarren (plus Keyboard) und sechs Stimmen, wäre es wohl jedem Duo schwer gefallen, Eindruck zu schinden, und auch den legendären Inquisition gelang es nicht so ganz. Womit ich ihre Leistung nicht schmälern will, sie legten einen soliden Gig hin und klangen um einiges massiver, als sie aussahen. Aber es gibt nun mal natürliche Grenzen dafür, was man mit einer Gitarre und einem Drumkit anstellen kann, und nach einer Weile wurden sie mir schlicht und einfach zu repetitiv.
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Repetitiv ist wohl das letzte Attribut, das irgendjemand im Zusammenhang mit Enslaved verwenden würde, aber bei dieser Gelegenheit setzten sie sich selbst eine Grenze: aus Anlass des 25-jährigen Bandjubiläums spielten sie fast ausschließlich Songs aus ihrer Frühzeit, bis hin zu „Allfǫðr Odinn“ von der allerersten EP. Ein nettes Geschenk an die Fans der ersten Stunde, aber ich selbst stehe eigentlich vor allem auf das Schaffen der letzten zehn Jahre und war daher ganz dankbar, dass zumindest die beiden ersten Alben der heutigen Bandbesetzung, „Isa“ und „Ruun“, in der Setliste vertreten waren. Aber auch wenn ich mir eine etwas andere Songauswahl gewünscht hätte, genoss ich die Darbietung von der ersten bis zur letzten Minute, und das nicht nur in musikalischer Hinsicht…
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Nach einer Pause von etwa einer Stunde kehrten die Enslaved-Jungs auf die Bühne zurück, aber diesmal zusammen mit ihren Kollegen von Wardruna. Gemeinsam spielte das umfangreiche Ensemble Skuggsjá, das einstündige Werk, das Ivar von Enslaved und Einar von Wardruna zum 200. Jahrestag der norwegischen Verfassung im Jahr 2014 komponiert und in diesem Sommer als Album veröffentlicht hatten. Ich hatte Skuggsjá letztes Jahr auf dem Roadburn-Festival gesehen und war damals schon fasziniert gewesen, aber in dieser perfekten Umgebung unter dem von hohen Bäumen und der prachtvollen Silhouette der Gildehalle eingerahmten Nachthimmel war das Erlebnis noch hypnotischer, um nicht zu sagen magisch.
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Wie auch schon am Tag zuvor klang der Abend am großen Lagerfeuer auf dem Rasen zwischen Strand und Campingplatz aus. Ich erinnere mich zwar nicht an spezifische Einzelheiten, aber die Gruppe war groß und international, die Stimmung bestens und der Alkohol floss reichlich. Dennoch war ich am nächsten Morgen erstaunlich fit, und als ich auf Facebook die Bitte der Midgardsblot-Crew um Bargeldverwendung zwecks Beschleunigung des Bierausschanks bemerkte, beschloss ich, mich auf den nicht ganz ungefährlichen Weg ins Dorf zu machen (Bürgersteige sind im ländlichen Norwegen dünn gesät…) und einen Geldautomaten zusuchen. Gab es aber leider nicht, und die als hilfsweiser Bankschalter ausgewiesene Kasse im Supermarkt konnte mit meiner finnischen Visa-Karte nichts anfangen. Am Ende zahlte ich meinen Gerstensaft dann doch wieder in Plastik, aber anscheinend waren andere Leute bei der Zahlungsmittelbeschaffung etwas erfolgreicher gewesen, jedenfalls kamen mir die Schlangen an den Biertheken tatsächlich etwas kürzer vor.

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Bevor ich mich auf das eigentliche Festivalgelände begab, sah ich mich in dem gegenüberliegenden Wikingerlager um, das ein ziemlich wesentliches Element von Midgardsblot darstellt. In den meisten Zelten wurde Handgemachtes alle Art feilgeboten, von Seife und Süßigkeiten bis zu Kesseln und Musikinstrumenten, die westliche Ecke war dagegen für Geselligkeit und Kampftraining reserviert.

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Aber zurück zum musikalischen Teil des Tages, der in meinem Fall mit zwei Vertretern des klassischen norwegischen Black Metal startete. Die erste Band Blot war die melodischere der beiden und sagte mir um einiges mehr zu, aber auch die Lokalmatadoren Kirkebrann brauchten sich nicht zu verstecken. Etwas unausgereift noch, aber es muss ja auch nicht alles poliert und produziert klingen.
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Ich schenkte mir die zweite Hälfte des Kirkebrann-Gigs, um nur ja nicht Ivar Bjørnson in der Gildehalle zu verpassen, wo der Enslaved-Gitarrist über seinen Werdegang als Songwriter berichtete. Der Mann ist nicht nur ein außergewöhnlicher Komponist, sondern auch ein begnadeter Erzähler, und ich hätte mir gewünscht, er hätte seine Riff-Demonstrationen etwas knapper gehalten und dafür den Schwänken aus seiner Jugend mehr Zeit gewidmet. Diese war leider viel zu schnell um, und eh man sich’s versah, waren von draußen schon die ersten Töne des nächsten Band zu hören.
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Ivar Bjørnson

Diese Überschneidung war etwas ärgerlich, da es sich um die Band handelte, auf die ich mich an diesem Tag am meisten gefreut hatte, aber zum Glück verpasste ich nur die ersten zwei oder drei Minuten. Die Rede ist von Hamferð, deren elegante Anzüge sich nicht weniger stark vom allgemeinen Stilmix bei Midgardsblot abhoben als ihr getragener, aber intensivst melodischer Doom. Ich liebe diese Band ganz einfach, und angesichts dessen, wie selten die Jungs außerhalb der ihrer färöischen Heimat auftreten, ist es mir völlig unbegreiflich, warum ihnen nur ein halbstündiger Slot zugestanden worden war. Sie ließen sich jedoch nicht nehmen, das Beste daraus zu machen. Jeder der vier Songs ging mitten ins Herz, insbesondere die Schlussnummer „Harra Guð titt dyra navn og æra“. Ein Psalm aus dem späten 17. Jahrhundert mag eine ungewöhnliche Wahl für ein so rundum heidnisch geprägtes Festival sein, aber das Gefühl der Vergänglichkeit, das in diesem Lied zum Ausdruck kommt, ist universell und die Trauer und Trost zugleich vermittelnde Melodie weckt Emotionen, die älter sind als jede Religion. Gänsehaut pur.
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Nach Hamferð klangen Månegarm wie Partypop, aber irgendwer im Obergeschoss war offenbar nicht in Stimmung und verdarb den Spaß mit einem kräftigen Wasserschwall aus dem himmlischen Eimer. Obendrein war am Samstagnachmittag an der Bar in der Gildehalle ausnahmsweise mal Met zu haben, ein Grund mehr, reinzugehen und sich an das wärmende Feuer zu setzen. Jepp, richtig gelesen – in der Mitte des Holzgebäudes war eine offene Feuerstelle, aber die Halle war so hoch und breit, dass die lokale Brandschutzbehörde offenbar nicht mehr Grund zur Beanstandung gefunden hatten als seinerzeit die Erbauer des Originals.
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Melechesh hatten ein bisschen mehr Glück mit dem Wetter, und ihr energischer Auftritt wurde alsbald mit einem rasanten Wikinger-Moshpit belohnt. Soweit ich erkennen konnte ohne Schwerter und Äxte, aber Helme und Kettenhemden wurden allemal auf ihre Tauglichkeit geprüft. Was die Band selbst angeht, weiß ich immer noch nicht so recht, was ich von ihnen halten soll. Mehr Kebabmelodien seitens der Leadgitarre und etwas abwechslungsreicherer Gesang würden Melechesh ohne Zweifel auf meine Favoritenliste katapultieren, aber bis auf weiteres sie sind mir einfach nicht spannend genug.
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Um so mehr nach meinem Geschmack waren Tsjuder, die ich beim Tuska im Juli zum ersten Mal überhaupt gesehen und auf Anhieb für sehr geil befunden hatte. Das Trio blickt auf eine längere Geschichte zurück als die beiden anderen Blackmetal-Acts des Tages zusammengenommen, und sie zögerten nicht, dem Nachwuchs zu zeigen, wo die Kirche br… äh, der Hammer hängt. Zudem klangen sie erheblich differenzierter als beim Tuska, wo sie auf der neuen Zeltbühne gespielt hatten, deren Sound eher breiig gewesen war. Das Zeltdach hätten wir freilich auch beim Midgardsblot gebrauchen können, denn bei Tsjuder regnete es erneut wie aus Kübeln. Glücklicherweise erwischte ich einen Platz unter dem Dachvorsprung der Gildehalle, von wo aus ich eine gute Sicht auf die Bühne hatte ohne nass zu werden. Kurz gesagt, kein Grund zur Klage.
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Leider war dieser Platz nicht mehr frei, als ich nach der Pause vor dem Headliner wieder aus der Halle kam, und so gerne ich Wardruna gesehen hätte, war ich doch eindeutig nicht wasserfest genug gekleidet, und der Regen ließ während des gesamten Gigs nicht nach. Wie viele andere versuchte ich, aus der Türöffnung heraus einen Blick auf die Bühne zu erhaschen, gab es aber bald dran ging stattdessen wieder hinein, wo ich den Rest des Abends mit mit Freunden am Feuern saß und einheimischen Trinkliedern lauschte. Was vermutlich ohnehin näher an der der typischen Abendunterhaltung des Durchschnittswikingers war, und zudem ein perfekter Abschluss für ein Festival, dem das seltene Kunststück gelang, grandios und gemütlich in einem zu sein. Ich hoffe, dass Midgardsblot nie zu groß und zu kommerziell wird, auch wenn die Barkeeper gut daran täten, im nächsten Jahr mehr Met bereitzuhalten. Zumindest genug, um den Wettergott jeden Tag durch ein kleines Opfer milde zu stimmen…
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Fotos: Tina Solda (soweit nicht anders vermerkt) – Mehr Bandfotos gibt’s hier

Tina Solda

tina@stalker-magazine.rocks - Konzert- und Festivalberichte, Fotos, Interviews - - - Bevorzugte Musikrichtungen: melancholischer Death-, unkonventioneller Black-, melodischer Doom-, dramatischer Folk- und intelligenter Paganmetal (Schwerpunktregionen: Island, Finnland & Norwegen) - - - Sonstige Interessen: Gitarre, Bücher, Bier, Kino, Katzen.