Metal für Kinder: Der Krieg der Dinosaurier
Es war einmal in Finnland… da hatte jemand eine verdammt gute Idee – zeitgemässe Kinderlieder, genauer gesagt Rock/Heavy Metal für ganz kleine Fans zu machen. Klar, da freuen sich auch Metal-Eltern, dass es weniger nervende Alternativen zu Schlumpf oder Schnappi gibt – zum Beispiel knuddlige Dinosaurier namens Muffi Puffi, Milli Pilli, Komppi Momppi und Riffi Raffi. Warum diese gleich in doppelter Ausführung existieren und warum sich diese „Zwillinge“ namens Hevisaurus und SauruXet nicht wirklich grün sind, könnt ihr hier nachlesen.
Genannte Acts sind jedoch nicht die einzigen auf diesem neuen, rapide expandierenden Genre, das in der Metal-Nation Finnland klarerweise schnell popuulär wurde. Schwierig zu beurteilen, wer nun wirklich diese Idee zuerst hatte…
Ob Erfinder oder „nur“ Pioniere, die finnischen Musiker Jaakko Halttunen und Marko Skou machten sich jedenfalls schon im Jahr 2000 daran, “zielgruppengerechte Rockmusik“ zu schreiben. Beide arbeiteten damals in einem Kinderhort und waren vom Angebot an Kinderliedern nicht gerade überwältigt. Kurzerhand wurde da Motörheads Killed By Death umgetextet zu “Kilpailu” (Wettkampf) und kam bei einer Feier im Hort zur Aufführung. Ermutigt durch das positive Feedback kam es zu weiteren kindgerechten Adaptionen von Heavy-Klassikern (u.a. Iron Maiden, Judas Priest) und dann 2004 zur Gründung einer amtlichen “Metal-für-Kinder” Band:
Moottörin Jyrinä (www.moottorinjyrina.com).
Schliesslich wurden eigene Power-Metal-orientierte Songs mit pädagogisch angehauchten Texten geschrieben und traten auch live auf. Es dauerte allerdings noch einige Jahre, bis die “Motor-Donner” Debut-CD auf den Markt kam. Kürzlich wurde CD Nr. 2 „Metallimyrski“ (Metal-Sturm) veröffentlicht, dazu ein Video – zum Thema „Die dummen Erwachsenen“ – die immer nur grimmig dreinschauen, wenn sie abends von der Arbeit kommen und anscheinend vergessen haben, wie man spielt und Spass hat: http://www.youtube.com/watch?v=sBtoNgxxpes
Die Autorin dieser Zeilen war bereits in Versuchung, diese Band ihren finnisch-unkundigen Metal-FreundInnen unterzujubeln – mit „on aika mennä nukkumaan“ (wörtlich: „Es ist Zeit zum Schlafengehen“) hat die Band nämlich einen echten Ohrwurm geschaffen, wo nur vom Text her klar wird, dass es sich um ein Kinderlied handelt… http://www.youtube.com/watch?v=h2EBZzF0bOE (Anm: auf der EP „Nupit Luoteeseen“ wurde nun auch eine deutsche Version unter dem Titel „Schlafenszeit“ veröffentlicht).
Bei ihrem Label VL-Musiikki finden sich weitere Acts, wie die 2007 gegründeten, eher Punk-Rock orientierten Jytäjyrsijät („Getreidefresser“) – bezogen auf die Ratten, die als Band-Maskottchen das CD Cover zieren, die Musiker treten allerdings – wie die bereits genannen Mottörin Jyrinä – als „sie selbst“ auf. Die Texte konzentrieren sich auf Lebensmittel und Essgewohnheiten („Ketchup aufs Brot“) – und auch sonst scheint die Truppe recht „verfressen“ zu sein, seht euch nur mal deren Myspace-Friends an: www.myspace.com/jytajyrsijat.
Nicht ganz so „Rock-orientiert“ geht es bei Vokki-Myyrät (in etwa „die schnurrenden Maulwürfe“) zu, denn sie bleiben bei traditionellen akustischen Instrumenten und Spielmanns-Wurzeln, um überlieferte finnische Kinderliedern etwas moderner zu interpretieren (www.vokki.com).
Geradezu kometenhaft zum (finnischen) Marktführer im neuen Genre “Power Metal für Kinder” stiegen die 2008 gegründeten Hevisaurus auf, wo alle MusikerInnen in Saurierkostümen auftreten – und daher auch beliebig besetzt werden können. Die offizielle Bandgeschichte beginnt vor 65 Mio Jahren, als Herra Hevisaurus (Tyrannosaurus Rex, vocals), Milli Pilli (Triceratops, keyboard), Komppi Momppi (Apatosaurus, drums), Riffi Raffi (Dragon, guitar), Muffi Puffi (Stegosaurus, bass) in einem magischen Berg eingefroren und schliesslich 2009 durch einen Blitzschlag wiedererweckt wurden. Die Texte der Songs handeln von Dinosaurern, Märchenfiguren, Superhelden oder lästigen Hausaufgaben. Zum Konzept gehören auch hochkarätige GastmusikerInnen im Studio (u.a. Apocalyptica, Children Of Bodom, Stratovarius, Sonata Arctica, Finntroll oder HIM) und bei Konzerten (Review HIER) Sorge dafür zu tragen, dass es bei maximal 85 Dezibeln bleibt.
Nach ihrem Live-Debut im September 2009 ergatterten die Saurier einen Deal mit Sony BMG, veröffentlichten kurz darauf danach das erste Album und traten in einem Kindermusical im Peacock Theater Helsinki auf. Die zweite CD “Hirmuliskojen Yö” (Die Nacht der schrecklichen Echsen) stürmte sofort die finnischen Charts und wurde Jahres-Verkaufsschlager Nr.2, nur Jenni Vartiainen setzte 2010 ein paar mehr Tonträger ab. Hevisaurus kriegten einen Emmi (= finnischer Musikpreis), und Konzerte sind ohnehin immer in Nullkommanix ausverkauft. Das neueste Album „Räyh!“ scheint an den Erfolg anzuschliessen. www.hevisaurus.com
Aber wo (viel!!) Rubel rollt, können Konflikte nicht ausbleiben. Ilkka Mattila, Helsingin Sanomat, berichtete am 8.8.2011 ausführlich über diesen tragikomischen Dinosaurier-Krieg.
Dieser Artikel kurz zusammengefasst: Ursprünglich haben sich Mirka Rantanen, Nino Laurenne (Thunderstone-Musiker) und Pasi Heikkilä (Produzent, u.a. Ari Koivunen) diese „Heavy-Band für Kinder in Saurierkostümen“ einfallen lassen. Rantanen (auch als Drummer Komppi Momppi tätig) und Laurenne sind auch Teilhaber der Firma Helsinki Pump Production, welche Hevisaurus verschiedenen Plattenfirmen anbot. Ein Deal mit Sony Music kam zustande, die Namensrechte blieben bei Helsinki Pump. Als nun die zweite CD einschlug wie eine Bombe, wollte Rantanen – als Hauptsongwriter und Erfinder des Konzepts – den Vertrag neu verhandeln, die Rechte an Hevisaurus aber auf keinen Fall aufgeben. Weshalb er sich zuerst mit Helsinki Pump überwarf – welche dennoch mit Sony einen weiteren Vertrag machten. Der Konflikt verlagerte sich also zur Plattenfirma – welche lieber mit Laurenne und Heikkilä sowie den neuen Teammitgliedern Olavi Tikka und Lordis Tomi Putaansuu weitermachte. Rantanen wiederum konnte die Hevisaurus-Live MusikerInnen für seine Seite gewinnen – und kreierte den „Zwilling“ SauruXet, nur der Sänger heisst hier Herra Saurus.
Sony schaltete das Gericht ein, es kam zur Beschlagnahme der Originalkostüme bei Rantanen… denn der Vertrag liefe mit Helsinki Pump Productions, welche auch die Marke Hevisaurus angemeldet hätten. Als Franchise – dass es also zugleich mehrere Versionen gibt – wäre allerdings kein Problem für Sony, oder SauruXet als Cover-Band zu erachten. Rantanen hingegen sieht sich als Erfinder und Entwickler des Hevisaurus-Konzepts auch als Inhaber der Rechte – die er keinesfalls abtreten will. Der Rechtsstreit könnte sich bis zu 2 Jahren hinziehen, obwohl – so bemerkt der HS-Artikel-Autor – es Kindern und Eltern eigentlich egal ist, wer sich wirklich hinter den Kostümen verbirgt.
Die Geschichte aus Sicht Rantanens lässt sich auch hier (in Englisch) nachlesen.
SauruXet haben nun ebenfalls gerade ihr Debutalbum „Saurusplaneetta“ (Saurier-Planet) via Leka Prod./Playground Music herausgebracht, die gleich auf Platz 2 der Charts kam und wohl ebenso erfolgreich ist wie der „Zwillingsact“. Bei SauruXet wird die Hintergrundgeschichte – als Minihörspiel – auf „Saurier im Weltall“ ausgerichtet, die Musik bleibt im Bereich „Power Metal“ mit an Märchenthemen angelehnte Texte. Der Sänger – Herra Saurus“ – hat eine etwas höhere und klarere Stimme als Herra Hevisaurus, was – zumindest für mich – der einzige wahrnehmbare Unterschied ist. www.sauruxet.com
Der Krieg der Dinosaurier tobt weiter, vorwiegend in den Rechtsanwaltskanzleien. Nur gelegentlich wird er zwischen den Acts direkt ausgetragen, und wirkt dann etwas kindisch – da sieht man den Spruch „Räyh!“ (in etwa „Holterdipolter!“) als Slogan auf Sauruxet-Konzertplakaten, wurde aber auch der Titel des dritten Hevisaurus-Albums …
Wie reagiert nun die kleinen Fans auf den Split? Werden sich Sauruxet- und Hevisaurus-Fans a la „East Coast vs. West Coast Rapper“ bekriegen, im Kindergarten gegenseitig mit Schnullern oder Lego-Klötzchen bewerfen, drohen Tretroller-Wasserpistolen Drive-By-Shootings?
Nunja, höchst unwahrscheinlich.
Foto: Kimmo Rantala, aufgenommen bei einem Hevisaurus-Konzert
Bisher beobachtete Reaktion der Zielgruppe (Elviira 4, Schwester Hertta 19 Monate): egal, welche Band gespielt wird, die Begeisterung ist ungebrochen, zumindest bei gemütlich groovendem Mid-Tempo Power-Metal. Obwohl Elviira findet, dass Herra Hevisaurus die bessere Stimme hat, kann sie auch bei konkreter Nachfrage keinen Favoriten benennen. Hertta kann leider noch nicht sprechen, aber auch sie scheint keine der Bands zu bevorzugen.
Versuchen wir also, das Positive daran zu sehen – durch mehrere Anbieter gibt es mehr Auswahl und die Gefahr eines Monopols (EINE Band, EINE Plattenfirma) sowie endloser Wiederauflage derselben Idee, derselben Musik wird abgewendet. Die Zielgruppe bzw. deren Eltern haben öfter und mehr Gelegenheit, einschlägige Konzerte zu besuchen (und die Ticketpreise dürften bei mehr Angebot auch in erträglichem Rahmen bleiben). Die Nachfrage ist zweifellos noch immer im Aufwärtsttrend, und die finnischen Kinder-Metal-Acts sollten sich Wege über die Grenzen der Heimat bzw. der finnischen Sprache hinaus überlegen.
Erste Ansätze gibt es ja schon (wie oben erwähnt), ausserdem zeigen sich schon in deutschsprachigen Landen ähnliche Entwicklungen, wie etwa die deutsche Rock-für-Kinder-Band Randale. Eine gezielte Kampagne über Metal-Magazine oder Shows bei einschlägigen Sommerfestivals (Stichwort Wacken) könnte das schon eine internationale (finnische) Metal-für-Kids-Welle auslösen. Denn nicht zu vergessen – es sind ja nach wie vor die Eltern, die derartige CDs kaufen – und die dürften auf alle Fälle auf „Schlaflieder a la Europe“ und rockende Saurier abfahren…
(UPDATE: Der Rechtsstreit wurde mittlerweile zu Gunsten von Hevisaurus entschieden, Sauruxet gibt es nicht mehr. Anm.d.Red.)
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.