Blind Guardian – Der Ritt auf der Bombe
Kürzlich berichteten wir über das Blind Guardian Konzert in Oberhausen, bei dem die Band ihren Klassiker „Imaginations From The Other Side“ in voller Länge aufführte. Grund genug, Rhythmus Gitarrist Marcus Siepen bei der Show im holländischen Rijssen erneut zu stalken.
Euer Tour-Zyklus zu „Beyond the Red Mirror“ ist weitestgehend abgeschlossen. Wie lautet dein Fazit?
„Es war die längste und eigentlich auch erfolgreichste Tour, die wir bislang gemacht haben. Wir haben in Ländern gespielt, in denen wir bisher nicht waren und es hat höllisch viel Spaß gemacht. Wir waren jetzt zum ersten Mal in Taiwan und Weißrussland und auch in Südamerika in ein oder zwei neuen Ländern. Wir sind jetzt seit 21 Monaten unterwegs und freuen uns jetzt aber auch langsam auf das Ende.“
Gibt es Songs auf „Beyond…“, die ihr gerne live umgesetzt hättet, bei denen es jedoch gehapert hat?
„Theoretisch würde ich jeden Song von dem Album gerne mal live spielen. Wir haben 5 Songs eingeprobt und auch live gespielt. Zu mehr reichte die Zeit im Vorfeld leider nicht. Ich glaube aber auch, dass fünf neue Songs im Set reichen. Wir müssen ja auch die Klassiker spielen und spielen gerne den oder anderen Song, der schon länger nicht mehr im Set war. Unsere Shows sind mit 2 bis 2,5 ja recht lang, aber irgendwann ist dann auch einfach diese Zeit um.“
Du hast bei unserem letzten Interview angekündigt, dass ihr auch einige Raritäten in euren Set aufnehmen werdet. Ich habe dich in dem Interview auch gebeten, deine Lieblingsstücke von euren bisherigen Alben zu benennen. Du hast dann Stücke wie ‚Follow the Blind‘, ‚Noldor‘ und ‚Battlefield’ genannt, die ihr alle bislang mehr oder weniger nie gespielt habt. Wäre es nicht eine Option gewesen, diese Stücke in euren Set aufzunehmen?
„Ja, eine Möglichkeit wäre das schön gewesen. Zwei der Stücke hatten wir anfangs auch in unserem Probeset. Wir bringen Songs aber nur dann live, wenn wir der Meinung sind, dass wir sie auch zu 100% umsetzen können. Bei ‚Battlefield‘ ist es zB so, dass sie unglaublich schwer umzusetzen ist. Im Gesang sind unglaubliche tonale Sprünge von extrem hoch nach extrem tief. Deswegen können wir die Nummer auch nicht einfach tiefer spielen, um die Höhen zu entschärfen, denn dann wären die tiefen Parts nicht singbar. Wir würden Song gerne spielen, kriegen ihn bislang aber nicht umgesetzt. ‚Noldor‘ haben wir früher gespielt, genauso wie ‚Follow the Blind‘, das wir 1989 ein Mal live gespielt haben. Ist ein paar Jahre her, haha! Das wären natürlich alles Möglichkeiten gewesen, aber, wie gesagt, haben wir ein Zeitproblem. Wir haben für diese Tour 45 Songs geprobt, von denen 18 bis 19 pro Abend bringen können. Mehr als 45 Songs im Aufgebot zu halten, halte ich für Blödsinn.“
Seit der „A Night at the Opera“-Tour arbeitet ihr live mit einem Keyboarder…
„Nein, seit „Imaginations from the Other Side“ sogar schon.“
Das war mir neu. Wieder was dazu gelernt. Aufgrund der vielen orchestralen Passagen bei euren neueren Songs macht das ja auch sehr viel Sinn. Aber was hat der gute Mann bei euren älteren Stücken eigentlich zu tun?
„Der singt Chöre mit und wackelt mit dem Kopf, haha! Viel mehr hat er da eigentlich nicht zu tun. Bei Song wie ‚Welcome to Dying‘ wird nichts vom Keyboard gespielt.“
Ihr habt zweifellos einige unverzichtbare Klassiker unter euren Songs. Glaubst du, dass aktuelle Songs auch eine realistische Chance haben, jemals Klassiker zu werden?
„Da sehe ich gar kein Problem. Es hat mich z.B. sehr überrascht, wie unsere neuen Songs direkt aufgenommen wurden. Normalerweise ist die Resonanz auf neue Songs immer etwas schlechter als bei den Klassikern. Erst bei der nächsten Tour können sie dann mithalten. Songs wie ‚Prophecies‘ oder ‚The Ninth Wave‘ sind aber von Anfang an genauso abgefeiert worden wie die Klassiker. Das waren sozusagen „Instant Classics“, die sich nicht viel tun von den älteren Songs.“
Die Frage hat einen Hintergrund: Es gibt wenige Songs der letzten Alben, die sich über mehrere Touren in euren Sets gehalten haben.
„‚And Then There Was Silence‘ ist so eine Ausnahme, nur der hat natürlich den Nachteil, dass er direkt 3 andere Plätze in der Setlist blockiert. ‚Tanelorn‘ und ‚Sacred Worlds‘ haben wir schon länger im Set, wobei letzterer auch recht lang ist. Es gibt also einige Songs, die wir vielleicht nicht bei jeder Show spielen, aber sehr, sehr häufig. Auch ‚Wheel of Time‘ spielen wir recht oft.“
Trotzdem gibt es einen Unterschied zwischen unverzichtbaren Songs wie ‚Nightfall‘, ‚Mirror Mirror‘ und ‚The Bard’s Song‘, die ihr jeden Abend bringt.
„Wir haben auch schon Shows ohne ‚The Bard’s Song‘ gespielt. Auch ‚Valhalla‘ haben wir schon öfter rausgeschmissen. Natürlich haben Songs wie ‚The Bard’s Song‘ und ‚Mirror Mirror‘ ein anderes Level als die meisten anderen Songs. Trotzdem bin ich der Meinung, dass eine Setlist auch ohne diese Songs bestehen kann. Wir haben solche Songs teilweise weggelassen, aus welchen Gründen auch immer. Dann siehst du im Publikum immer ein paar Fragezeichen, aber es funktioniert trotzdem.“
Lass uns noch einen Moment bei euren Klassikern bleiben: Ihr habt zuletzt „Imaginations From the Other Side“ komplett live gespielt. Warum habt ihr euch für dieses Album entschieden?
„Die Idee hatten wir im Vorfeld unserer 2. US Tour zu „Beyond the Red Mirror“. Nach Ende 2015 waren wir im Herbst 2016 nochmal in den USA auf Tour und wollten dabei einen anderen Set spielen als bei der Tour zuvor. Wir haben dann verschiedene Optionen diskutiert. André und ich hatten dann die Idee die „Imaginations…“ zu spielen. Da „Imaginations…“ die Vorgeschichte zum neuen Album enthält, passt es vom Konzept her. Zum anderen hat das Album ungefähr 20 jähriges Jubiläum. Dazu kommt, dass die Idee relativ kurzfristig umsetzbar war, da wir alle Songs schon mal im Set hatten und sie deshalb relativ schnell abrufen konnten. Uns gefiel die Idee und die Resonanz war extrem positiv. Ab dem Zeitpunkt als wir es angekündigt haben, bin ich mit Nachrichten bombardiert worden. „Ihr müsst eine Welttour damit machen!“ oder „Ihr müsst unbedingt auch da und da spielen!“ Also schien die Idee nicht ganz blöd zu sein. Ich muss auch sagen, dass es sehr viel Spaß das Album an einem Stück zu spielen. Da war ich im Vorfeld etwas skeptisch, aber das Album hat einen sehr guten Flow und macht von der Dynamik her sehr viel Spaß und es funktioniert. Die Resonanzen sind super, egal wo wir es bislang gespielt haben.“
Bei eurem Konzert in Oberhausen standen auffallend viele Kameras vor und auf der Bühne. Mir scheint, dass wir bald mit einer „Imaginations form Oberhausen“-DVD rechnen können…
„Nein, haha! Wir hatten ein Kamera-Team da, haben da aber bislang keinen konkreten DVD-Release geplant.“
Was habt ihr mit den Aufnahmen vor?
„Wir haben über die Jahre sehr viel Material gesammelt, was sicherlich irgendwann verwerten werden. In welcher Form kann ich aber noch nicht sagen. Wir haben sehr viel Audio-Material. Alle Shows aus 2015 und 2016 haben wir aufgenommen und wir werden noch weitere Shows aufnehmen. Im nächsten Jahr, 2017, wird definitiv ein Livealbum erscheinen. Wir haben aber wesentlich mehr Aufnahmen in der Tasche, als auf diesem Livealbum erscheinen werden. Es kann nie schaden, Material in der Hinterhand zu haben. Für was auch immer. Irgendwann wird dann auch sicherlich wieder eine DVD oder BluRay von uns kommen, von welcher Show auch immer. Dazu kann ich noch nichts sagen, weil wir uns da auch noch keine Gedanken zu gemacht haben.“
Gerade an der DVD-Front habt ihr euch bislang sehr rar gemacht.
„Dafür haben wir mit der Gold, haha! Das hat sich bewährt! Wir bringen immer erst was Neues raus, wenn das vorherige Gold hat, haha! Nein, im Ernst: Die Aufnahmen auf unserem eigenen Festival für unsere DVD liefen damals super. Wir konnten dort im Grund machen was wir wollten, da das ganze Festival auf uns zugeschnitten war. Solche Möglichkeiten hast du nicht einmal, wenn du Headliner in Wacken bist, weil du immer Kompromisse eingehen musst. Insofern hatten wir damals absolut perfekte Voraussetzungen. Wir werden mit Sicherheit irgendwann eine neue DVD machen, aber wir werden abwarten bis alles passt.“
Also bedarf es wieder eines eigenen Festivals!
„Das wäre eine Option. Da könnten wir wieder tun und lassen was wir wollen, haha!“
Kannst du schon Details zu dem kommenden Livealbum verraten?
„Logischerweise wird es nur Stücke enthalten, die wir auf dieser Tour gespielt haben. Wir haben einen Pool von etwa 28 Songs ausgewählt. Charly (Bauerfeind, Produzent von Blind Guardian) sitzt gerade im Studio und mixt die Stücke. Es werden sicherlich nicht alle Stücke auf der Platte landen, denn das wird nicht passen. Wir wollen natürlich möglichst viel unterbringen, was auf den bisherigen Livealben nicht vertreten ist. Die endgültige Songauswahl steht aber noch nicht. Nach dem Mischen werden wir mal schauen, wie wir den besten Flow zusammenbasteln können. Veröffentlicht wird das Album auf jeden Fall im nächsten Jahr. Da hat sich Hansi in einem Interview mal mit den Jahren vertan. Sie wird also definitiv nächstes Jahr veröffentlicht.“
Ihr betreibt sehr viel Aufwand indem ihr jede Show mitschneidet. Die einzige andere Band, die mir einfällt, die derart viel Aufwand betreibt, sind Metallica. Die hingegen veröffentlichen jede Show dann als Download. Wäre das auch eine Option für Blind Guardian?
„Wir haben überlegt, ob wir einige komplette Shows als „offiziellen Bootleg“ oder so veröffentlichen. Da müssen wir abwarten, wie es klingt, wenn alles fertig gemischt ist. Die eine oder andere Show war so gut, dass wir sie eigentlich so veröffentlichen könnten. Die Option besteht, ob wir es tun werden, wissen wir aber noch nicht.“
Seit etwa 10 Jahren sitzt Frederik nun hinter dem Schlagzeug. In wie fern hat sich euer Zusammenspiel und Songwriting dadurch verändert?
„Wir sind deutlich präziser geworden. Das klingt nach Klischee, aber unser Zusammenspiel war noch nie so gut, wie es zurzeit ist. Frederik hat viele Kernelemente, die zu unserem Sound gehören, übernommen, bringt aber trotzdem immer seine persönliche Note ein. Er ist eigentlich der perfekte Mann für die Band gewesen, sowohl vom Spielerischen als auch menschlich. Es läuft alles so perfekt und die Stimmung war noch nie so gut in der Band wie zurzeit. Wenn du 20 Monate zusammen auf Tour bist, muss es aber auch passen. Abgesehen davon, dass ich mich jetzt darauf freue, wieder mehr Zeit mit meiner Familie zu verbringen, hätte ich absolut kein Problem damit, die nächsten 20 Monate mit dem Haufen weiter zu touren.“
Kommen wir zu einem unerfreulichen Thema: Vor etwa einem Jahr gab es in Paris einen Anschlag auf ein Rock-Konzert.
„Wir haben selber ein paar Monate zuvor in der Halle gespielt.“
Welchen Einfluss hat dieses Ereignis auf euch wenn ihr Liveauftritte absolviert.
„Keinen. Bei meinem täglichen Leben spielen solche Überlegungen keine Rolle. Wenn so etwas passiert, dann passiert es. Ob ich mir im Vorfeld Sorgen mache oder nicht, ändert daran nichts. Warum soll ich mich also verrückt machen und in Angst leben? Ich glaube nicht, dass wir eine typische Zielscheibe für irgendwelche Terroristen wären. Natürlich kann es sein, dass es uns trotzdem erwischt, weil irgendjemand irgendein Rockkonzert sprengen will. Wir sind aber auch ständig in Fliegern unterwegs. Der Vogel kann auch immer abstürzen. Du kannst aber auch einen Autounfall haben, dir kann ein Dachziegel auf den Kopf fallen. Da denke ich echt gar nicht drüber nach. Bislang ist nie was passiert. Wobei: Wir hatten mal einen Platten am Nightliner und diverse Motorschäden in den USA.
Über Terror mache ich mir da keine Gedanken. Wir hatten allerdings mal eine Show in Russland, bei dir konkret betroffen waren. Wir haben vor etwa 10-15 Jahren mal in Moskau gespielt. Während die Vorgruppe spielte, saßen wir im Backstage. Nach etwa 15 Minuten stellten wir fest, dass gar keiner mehr spielte. Unser Monitormann hat dann nachgesehen und festgestellt, dass die ganze Halle leer war. Vorher waren da noch 6000 Leute drin. Nun war sie aber leer und das KGB suchte eine Bombe. Es gab wohl einen Anruf mit einer Bombendrohung für das Konzert und das KGB hat dann die ganze Halle evakuiert, nur wir durften den Backstage nicht verlassen. Wäre eine Bombe hochgegangen, hätte die uns natürlich im Backstage erwischt, weshalb wir sehr begeistert waren. Es wurde dann aber keine Bombe gefunden und wir haben die Show dann noch gespielt. Die Situation war, logischerweise, eine andere, weil es ja einen konkreten Verdacht bei einem unserer Konzerte gab. Ansonsten mache ich mir da aber wirklich keine Sorgen. Ich wüsste auch nicht warum.“
Zumal die Terroristen dann auch ihr Ziel erreicht hätten.
„Klar. Das Ziel von Terror ist es, Angst zu säen. Ich habe aber auch keine Angst, wie Dimebag (Darrel, ermordeter Gitarrist von Pantera) über den Haufen geschossen zu werden.“
Zum Abschluss noch ein schöneres Thema: Im letzten Interview hast du den Whisky Glenlivet 15 Jahre empfohlen. Welchen empfiehlst du dieses Mal?
„Glenlivet 18 Jahre, haha! Ich kann auch den Glenfiddich 18 Jahre empfehlen. Im Gegensatz zu dem 12- und 15jährigen finde ich den richtig gut. Ein etwas ausgefallener Tipp wäre der Chivas Brothers Royal Salute Rubin Edition. Der ist scheiße teuer, aber unglaublich lecker. Ich hab den mal von meinen Schwiegereltern bekommen, weil die den nicht trinken wollten. Aber wir wollten! Der ist aber nichts für jeden Tag, aber sehr lecker!“
Photos: Timo Päßler