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In Flames: Im Hier und Jetzt Leben

Seit 1990 prägen In Flames das Sub-Genre Melodic Death Metal. Die fünf Musiker aus Göteborg in Schweden veröffentlichten im September 2014 ihr neues Studioalbum “Siren Charms”. Nun touren sie durch Europa und legten glücklicherweise auch einen Stopp in Hamburg ein. STALKER interviewte ihren Sänger, Anders Friden, direkt vor der Show.

Was führte zu der Entscheidung euer neues Album in Deutschland zu produzieren?
Ein Jahr vor der Aufnahme war ich in Berlin. Ich arbeite für eine Plattenfirma in Schweden, die Razzia Records heißt. Wir hatten gerade eine A&R-Konferenz wegen dem Label und Mick Ilbert war mit dabei. Er arbeitet als Ton-Ingenieur im Hansa Studio und hat schon einige Jobs für das Label mit anderen Künstlern gemacht. Da ich ein Musikfan bin, wollte ich schon lange mal ins Hansa Studio. Also riefen wir an und fragten, ob wir im Studio vorbei schauen könnten und er sagte „ja“. Als ich dort war dachte ich nur, dass es hier einfach perfekt ist. Ein sehr guter Ort für die Aufnahmen. Der Sound ist perfekt, hinzu kommt die Geschichtsträchtigkeit. Ich schloss mich mit den anderen Bandmitgliedern kurz und die Sache war abgemacht.

Was beeinflusst euch am meisten wenn ihr eure Lieder schreibt? Ist dort eine Entwicklung beim Inhalt der Lyrics vom eher Politischen in früheren Tagen zu mehr persönlichen Eindrücken dieser Tage erkennbar?
Es braucht seine Zeit um herauszufinden wer man ist. Ich sehe ich die Welt heute aus einem anderen Blickwinkel, da ich mittlerweile Kinder habe. Das ändert die Sichtweise auf die Dinge die mich umgeben. Es geht nicht mehr um mich sondern um die Kinder und wie sie aufwachen. Aber ich denke, dass ich sehr kritisch beobachte was in der Welt vor sich geht. Es ist einerseits meine persönliche Meinung, andererseits verwende ich in meinen Texten häufig Metaphern. Ich hoffe, dass meine Fans Bezug zu meinen Texten finden. Auf ihre eigene, persönliche Weise.
Ich möchte niemandem das Denken abnehmen und meinen Fans vorgeben, was sie bei den Texten und Songs zu empfinden haben. Das würde den persönlichen Bezug zu Nichte machen. Ich habe zwar eine bestimmte Meinung, aber die kann sich auch ändern.

Reist du gerne? Sind die Eindrücke, die man auf Reisen sammelt, auch eine Quelle der Inspiration? Wie z.B. neue Rhythmen und Klänge aus exotischen Ländern.
(Lacht) Nein, ich bin die meiste Zeit mit der Band unterwegs. Wenn ich zu Hause bin dann möchte ich auch zu Hause sein. Ich denke, meine Familie findet das nicht so cool, denn sobald ich wieder da bin wollen sie natürlich mit mir in den Urlaub fahren. Vor ein paar Wochen war ich mit meiner Tochter in der Türkei. Es war fantastisch, dass wir zusammen etwas Zeit nur für uns hatten.
Auf Tournee sind wir permanent auf unterwegs. Ab und zu können wir für eine Woche nach Hause. Dann bin ich froh über mein eigenes Bett, mein eigenes Badezimmer und meine eigene Küche.

Was ist denn mit eurem In Flames-Studio?
Das besitzen wir nicht mehr. Wir haben es vor ca. 2 Jahren verkauft.

Und wo probt ihr dann?
Wir proben nie. Wir gehen ins Studio und komponieren unsere Stücke vor Ort. Wir jammen nicht zusammen. Natürlich haben wir zu Beginn unserer Bandgeschichte geprobt aber nun machen wir das nicht mehr. Wenn wir unsere Stücke im Studio aufgenommen haben fangen wir an sie zu üben, für die Live-Auftritte. Und dann geht´s ab auf die Bühne. Die Bühne ist quasi unser Proberaum.

Wie unterschiedlich gestaltet sich das Songwriting ohne Jasper Stromblad?
Es ist nicht viel anders. Wir sind nun zwei Leute anstatt drei. Es war nicht so, dass er früher alles alleine komponiert hat. Nun machen das halt Björn und ich. Wir haben die gleiche Einstellung und die gleiche Herangehensweise. Früher hat Jasper uns die Sachen auch nicht vorgegeben. Sondern wir waren alle im Songwriting-Prozess involviert.
Jeder in der Band hat seine Stimme und sein Veto. Wir veröffentlichen nichts, womit nicht auch alle einverstanden sind. Zu Früher gibt es keinen großen Unterschied.

Fans der frühen Stunden von In Flames kritisieren manchmal die simplere Struktur eurer neuen Songs. Wie kommt es zu dem Songwriting?
Ich weiß was du meinst. Sicherlich gibt es Leute, die unsere Musik nicht so sehen, wie wir sie derzeit sehen. Aber da kann ich nichts dran ändern. Ich würde mich niemals für jemand anderen verbiegen. Es sind die fünf Bandmitglieder, die entscheiden, in welche Richtung es gehen soll und wie es klingen soll. Na gut, ein bisschen auch die Produzenten, die das Album aufnehmen. Aber das ist es auch. Keine Plattenfirma, kein Fan wird mir jemals sagen, was ich zu tun habe. Bitte versteht mich nicht falsch. Ich liebe meine Fans! Sie haben mir so viel gegeben. Ich darf die Welt bereisen und dabei die Musik spielen, die ich liebe. Das ist großartig! Die Frage höre ich nicht zum ersten Mal. Die Frage kommt eigentlich immer, bei jedem Album. Seit ich in der Band spiele musste ich das jeweils neue Album gegenüber dem alten verteidigen. Das war bei “Whoracle” gegenüber “The Jester Race” so, bei “Colony“ gegenüber “Whoracle”, und dann bei “Clayman”… Das war so bei jedem Album. Aber wir werden immer das machen, was wir denken machen zu müssen. Wir beschreiten unseren eigenen Pfad. Und wenn du es magst: Super. Und wenn nicht: es gibt genügend andere Musik da draußen… Anstatt mit uns unzufrieden zu sein, weil wir vielleicht nicht exakt so klingen wie du es von uns erwartest… “Siren Charms” ist genau das, wie wir Metal Musik als In Flames heute, im Jahr 2014, sehen. Wir wollten nichts anderes machen. Das ist genau das, wie wir uns es vorgestellt hatten.

Sind die überwiegend clean gesungenen Vocals Teil dieser Entwicklung?
Wenn ich die Musik höre, spricht sie zu mir, auf eine ganz bestimmte Weise. Das ist vergleichbar mit, wie kann ich das ausdrücken, wie, wenn jemand mir ein Bild gibt und sagt, ich solle es zu Ende malen. Dann werde ich meine eigene Farbpalette und meine eigenen Pinsel verwenden um das Bild zu fertig zu stellen. Auf meine Weise. So wie ich denke, wie es sein soll. Und genauso verhält es sich auch mit der Musik. Der Klang meiner Stimme auf diesem Album ist genau das, was mir die Musik sagte, wie es zu sein hat. Ich liebe Screaming. Auf der Bühne, verdammt nochmal, liebe ich es! Ich habe Leute vor mir, die direkt zurück schreien. Die Resonanz der Fans versprüht eine ganz eigene Energie auf der Bühne. Anders als ein totes Mikro im Studio. Meine Stimme ist mein Instrument und ich möchte auf meinem Instrument besser werden und mich weiterentwickeln. Ich möchte neue Techniken und Klänge erforschen. So wie die Leute mit ihren Instrumenten, den Gitarren, dem Bass und den Drums. Die wollen auch auf ihren Instrumenten besser werden. Außerdem möchte ich nicht immer das Gleiche machen. Wir machen nun schon seit über 20 Jahren Musik. Das ist eine lange Zeit. Man muss sich mal vorstellen, man müsste für die Zeit immer nur das gleiche Gericht essen, jeden Tag… Ich denke, dass die Leute um uns herum sofort erkennen würden, wenn wir nicht zu hundert Prozent hinter den Dingen stünden und auch stolz drauf wären. Wenn wir die Dinge nur so machten, wie es andere von uns verlangten. Ich bin mir sicher, unsere Band hätte nicht für eine so lange Zeit bestanden. Wir müssen an das glauben, was wir tun, denn wir sind die, die damit leben oder untergehen. Wir sind die, die damit jede Nacht auf der Bühne stehen.

Auf Open Airs wird der Sound manchmal zum Teil weggeweht. Ist es schwer elektronische Elemente in Live-Musik zu benutzen?
Das sollte keinen Unterschied machen. Wenn es live gespielt wird geht der Sound, wenn Du den Knopf drückst, immer noch durch alle Geräte und raus. Die Lautstärke muss erhöht werden, das ist alles. Ich denke nicht, dass das schwierig ist und es funktioniert bei unserer Musik bestens. Diese Frage ist neu, die hab ich noch nie gehört. Schauen wir es uns mal heute Abend an und sehen, ob Du nach der Show immer noch so denkst.

Ihr verwendet auch elektronische Elemente in euren Songs. Drum-Loops und Klänge vom Synthesizer. Ist es angedacht, diese in Zukunft auch live zu performen? Vielleicht sogar durch ein permanentes sechstes Bandmitglied?
Nein. Wir benutzen kein Keyboardern in dem Sinne, dass richtige Melodien gespielt werden. Es sind halt wirklich nur Drum-Loops und rhythmische Elemente. Also eher Sounds und keine ganzen Melodien … Wir fünf sind sehr eng und ich sehe nicht, dass dort noch Platz für ein sechstes Bandmitglied wäre. Das wäre zu viel.

Welche Schaffensphase in eurer Bandgeschichte war, für dich persönlich, die interessanteste?
Dass wir alle immer noch zusammen spielen ist fantastisch. Es ist der Wahnsinn, dass es uns möglich war elf Alben rauszubringen. Das ist viel mehr als ich mir jemals erträumt habe als ich Teil der Band wurde. Unglaublich, wie weit wir gekommen sind. Ich genieße das Jetzt. Wenn ich zurück blicke, mache ich das mit großartigen Erinnerungen und einem Lächeln auf den Lippen. Aber ich möchte vorwärts. Alles, was wir in der Vergangenheit machten, führte zu dem hin, was wir heute machen. “Siren Charms” würde nicht so klingen wie es klingt, wäre da nicht unsere Geschichte. Ich weiß nicht, ob das die Frage beantwortet. “The Jester Race” war das erste In Flames-Album, bei dem ich mitwirkte. Von daher ist es natürlich etwas Besonderes für mich. Aber zurzeit bin ich absolut stolz auf “Siren Charms”. Ich finde wir haben ein höllisch gutes Album gemacht. Richtig gut gelungen! Würde ich hier sitzen und sagen, „Okay, die letzten fünf Alben waren nicht so toll, „Clayman“ war mein persönliches Highlight und nun mache ich den Quatsch aus anderen Gründen. Eigentlich bin ich damit nicht so glücklich.“ Ich glaube, dann ist es an der Zeit aufzuhören. Dann gibt es keinen Grund es weiter zu machen. Dann würde ich lieber vor meiner Glotze sitzen, wenn die ganze Sache nur noch belastend wäre. Es wäre sehr hart für mich, wenn ich es nicht mehr genießen würde auf Tour zu sein, zu spielen und die Fans zu treffen. Ohne Leidenschaft und ohne Gefühl ist es an der Zeit zu gehen. Ich liebe alle Alben und lebe im Hier und Jetzt.

Hast du ein persönliches Lieblingslied?
Von unseren? Von komplett allen Liedern? „Come Clarity“ bedeutet eine Menge für mich weil ich es für meine Tochter schrieb als sie geboren wurde. Dies ist erst die vierte Show unserer Tour und es macht mir großen Spaß unsere neuen Stücke zu spielen. Einfach aus dem Grund, da wir sie noch nicht so häufig gespielt haben. Ich könnte nicht behaupten, dass “Only For The Weak” bei jedem unserer Auftritte mein Lieblingssong ist. Wir spielen den Song auf fast jedem Konzert, seit „Clayman” rauskam. Es gibt auch Phasen, da fahre ich total darauf ab unseren alten Sachen auf der Bühne wieder neue Leben einzuhauchen. Beispielsweise von dem Album “Lunar Strain” die Songs “Behind Space” oder “Clad In Shadows”. Aber es ist halt stimmungsabhängig und kann sich jede Nacht ändern. Das hängt nicht zuletzt auch von den Reaktionen der Fans ab.

Hörst du eure eigene Musik?
Natürlich zum Üben. Für diese Tour musste ich mir auch eine Menge älterer Stücke anhören. Wir hatten sie seit vielen Jahren nicht mehr gespielt und ich musste mir die Texte wieder neu in Erinnerung rufen. Das ist eigentlich der Hauptgrund, warum ich unsere eigene Musik höre. Ich höre sie nicht zur Unterhaltung. Wenn man seine eigenen Stücke schreibt und auch aufnimmt, muss man sich eine Menge Mixe sehr intensiv und mehrmals anhören und auf jede Kleinigkeit bei jedem Instrument achten. Das ist sehr anstrengend. Daher kann ich unsere eigene Musik nicht so genießen wie die von anderen Bands.

Vielleicht auch, weil man über Sachen stolpert, die man im Nachhinein anders gemacht hätte?
Ich würde niemals etwas veröffentlichen, mit dem ich nicht absolut glücklich bin. Wir sind von unserer Arbeit 100%ig überzeugt und zufrieden, bevor wir etwas an die Plattenfirma geben. Sonst wäre es sinnlos. Aus diesem Grund kann ich auch sagen, dass ich sehr glücklich bin, mit allem was wir bis jetzt gemacht haben. Es war immer das Bestmögliche, das wir in jenem Moment machen konnten.

Würde man einen Blick auf die Play List in deinem Music-Player werfen, was würde man entdecken? Was hörst du zurzeit?
Nicht was du erwartest. Ich habe einige Sachen auf meinem Handy, die würden dich wahrscheinlich überraschen. Ich habe alles. Von “Cannibal Corpse” bis “Nine Inch Nails”, “Depeche Mode”, “Testament”, “Megadeth”. Ich habe eine Menge Neues, aber auch viel Altes. Richtig harte Musik und richtig softe Sachen.

Vielen Dank für deine Zeit und Geduld für das Interview und viel Glück mit eurer Show heute Abend!

Autor: Falko Nik, Photos: In Flames

GastmitarbeiterInnen / guest contributions

Reguläre GastmitarbeiterInnen u.a. Melanie Kircher, Tatjana Tattis Murschel, Grit Kabiersch, Marina Minkler, Maria Levin, Jasmine Frey, Nina Ratavaara, Elvira Visser, John Wisniewski