Alcest / Hexvessel / The Fauns
25. Januar 2014, Korjaamo, Helsinki, Finnland (Fotos von Tina Solda auf Flickr)
Korjaamo ist einer der weniger bekannten Konzertsäle von Helsinki, und eigentlich alles andere als ein Rock-Club. Die Lokalität liegt auf dem Gelände eines der städtischen Straßenbahndepots und ist in erster Linie ein Museum für historische Straßenbahnen – das älteste Ausstellungsstück wurde in seinen aktiven Zeiten von 1 PS gezogen. Bei Konzerten verschwinden die alten Schätzchen diskret hinter einem schwarzen Vorhang versteckt, aber ein verstohlener Blick hinter selbigen lohnt sich. Außerdem beherbergt der Korjaamo-Komplex eine Sushibar, ein Café, eine Galerie und eine Buchhandlung, kann sich also guten Gewissens als eines der Kulturzentren des Stadtteils Töölö bezeichnen. Auf dem Konzertprogramm stehen nur selten Rock oder Metal, aber wenn doch, dann meist Bands der genreübergreifenden Sorte wie z.B. Agalloch, oder in diesem Fall Alcest.
Die erste Vorgruppe war The Fauns aus England. Sie legten gerade los, als wir kamen, offenbar mit einem Instrumentalstück. Als ich mich freilich der Bühne näherte, stellte ich fest, dass in Wirklichkei beide Frontleute sangen, wenn auch fast unhörbar. Da die Band mir völlig unbekannt war und laut eigener Aussage zum ersten Mal überhaupt in Finnland gastierte, kann ich nicht sagen, ob einfach nur der Mix schlampig war oder ob der Effekt möglicherweise gewollt war. Ich vermute ersteres, aber andererseits erschien mir Alison Garner als so ziemlich der schüchternste Mensch, den ich je am Mikro einer Rockband gesehen habe, sodass es vielleicht einfach ihr Stil ist, sich hinter massiven Gitarrenwällen zu verstecken. Die Musik war im übrigen etwas zu abwechslungslos für meinen Geschmack – als Hintergrund durchaus genehm, aber ein bisschen mehr Spannung und ein paar Ecken und Kanten würden nicht schaden. Allemal kein schlechter Auftakt für das zu erwartende Bankett musikalischen Slowfoods, aber als Headliner kann ich sie mir bis auf weiteres nicht vorstellen.
Hexvessel hatte ich auch noch nie live gesehen, aber zumindest kannte ich ihre Alben und hatte eine Vorstellung davon, was mich erwartete. Oder auch nicht. Ihr Studiomaterial erinnert mich an den Hippie-Folk meiner prämetallischen Jugend, und entsprechend war ich auf eine Runde zartnostalgischer Klänge à la Caravan, Ultimate Spinach, Affinity oder Incredible String Band vorbereitet. Völlig unvorbereitet dagegen war ich auf die dynamische Intensität und schiere hypnotische Power, die das Quintett auf die Bühne brachte. Die krasseste Überraschung war, wieviel besser Mat McNerney live singt als auf Platte. Das mantramäßige „I Am The Ritual“ stieß in ganz neue Sphären vor, und das sich allmählich immer weiter steigernde „His Portal Tomb “ war einfach nur genial. Kimmo Helén wechselte immer wieder zwischen Keyboards, Trompete und Geige, um dem Sound noch ein paar mehr neue Facetten hinzuzufügen. Marja Konttinen war nicht mit von der Partie, aber Mat sang ihr zu Ehren „Woman Of Salem“; zuvor widmete er „Unseen Sun“ Helsinki. Glücklicherweise war der Titel nicht mehr so passend, wie er es Anfang des Monats gewesen wäre, als unsere Stadt tatsächlich für zwei Wochen die Sonne nicht sah…
Nach dem überragenden Set von Hexvessel kamen die Headliner Alcest erstmal etwas antiklimaktisch daher. Los ging es mit den ersten beiden Tracks vom neuen Album, dem ich irgendwie nicht so viel abgewinnen kann wie den früheren Werken von Neige & Co. Mit fünf von acht Stücken gaben sie den Großteil der Scheibe zum Besten, und ab „L´ éveil des Muses“ kam ich so allmählich rein – vielleicht hab ich sie einfach noch nicht oft genug gehört. Wie dem auch sei, ein bisschen einseitig wirkte die Songauswahl allemal, zumal es lange Zeit so aussah, als ob wirklich nur Material der beiden Alben gespielt würde. Das letzte Mal hatte ich Alcest beim Tuska gesehen, als nachmittäglicher Festivalgig ein perfektes Chillout-Stündchen. Aber diesmal handelte es sich um einen Samstagabend und Mitternacht war längst vorbei. Umso willkommener nach der ganzen – stimmungsvoll blau untermalten – Beschaulichkeit war das kurz vor Schluss gespielte „De Lumière percées“, eine mit regem Beifall belohnte Reminiszenz an die Metal-Wurzeln der Franzosen.
Als Alcest von der Bühne gingen, war es halb zwei, aber im Korjaamo sehe ich mich nicht dazu berechtigt, über späte Spielzeiten zu meckern, da der Laden nur fünf Minuten zu Fuß von meiner Wohnung entfernt liegt. Von mir aus könnten dort insofern ruhig mehr Gigs stattfinden, zumal mit ähnlich attraktiven Line-ups. Extrapunkte für Hexvessel – klare Überraschung des Abends!