Interviews

Avatar: Hoch lebe der glorreiche König

Demnächst machen sie die USA mit ihrem Metal-Zirkus der skurrilen Art unsicher, den man keinesfalls verpassen sollte. Ab Juni/Juli sind Avatar aber wieder auf europäischen Bühnen unterwegs – checkt schon mal die Tourdaten! Nach einer entspannten Nacht in Los Angeles fand Sänger und Front-Faktotum Johannes Eckerström Zeit, noch schnell ein paar Fragen zu beantworten.

Wie kommt es, dass du, obwohl du jetzt in Helsinki wohnst, mit deiner Band nicht öfter in Finnland spielst?

Wo die Bandmitglieder wohnen, hat wenig damit zu tun, wo sie die meiste Aufmerksamkeit bekommen. Ich versuche jedoch, ganz praktisch, uns hier zu promoten. Zum Beispiel bin ich vor dem Konzert im Nosturi in der Stadt rumgerannt und habe Poster aufgehangen. Dabei habe ich Jester Race angehört und das hat mich daran erinnert, dass ich genau dasselbe in Göteborg gemacht habe, als ich 17 war. Das war ziemlich toll. Was man jedoch sagen kann, ist, dass nach vielen Fehlschlägen in Finnland es sich langsam so anfühlt, als würde für uns endlich eine Tür aufgehen und dass es dieses Mal nicht so lange dauern wird, bis wir zurückkehren. Was die Leute betrifft, mit denen wir arbeiten, dann kann ich sagen: wir sind endlich in Finnland angekommen.

Ich war überrascht von deiner Liebeserklärung an Helsinki bei eurer letzten Show in Finnland im Februar. Warum magst du deine neue Heimatstadt mehr als deine alte? (In meinem Fall ist es sehr einfach zu erklären, ein weiblicher Metalhead ist immer noch sehr exotisch in einem österreichischen Städtchen in den Alpen…)

Ich wollte die beiden Städte gar nicht vergleichen und sagen, dass ich die eine mehr mag als die andere. Aber ich kann sagen, dass ich mich hier in Helsinki sehr schnell sehr wohl gefühlt habe, dank der neuen Freunde, die ich getroffen habe, und der Stadt im Allgemeinen. Es ist auch wahr, dass ich den Eindruck habe, dass Metal in Finnland generell eher zum Alltag gehört als anderswo – das ist immer noch so.

Meine Beschreibung deines Bühnen-Charakters war etwa so: eine Mischung aus The Joker, ES-Clown und Horror-Zirkusdirektor. Stimmst du mir da zu und woher stammt deine Inspiration für diesen Charakter wirklich?

Wenn man das, was ich darstelle, als Charakter bezeichnet, was ich selbst nicht wirklich mache, dann sind diese drei Beispiele ganz sicher Teil der Melange. Man könnte vielleicht noch die Typen von Clockwork Orange hinzufügen und Freddy Mercury, Rob Halford und noch ein paar mehr. Die Inspiration für das, was ich tue, kommt aber eher aus dem Profi-Wrestling. Die Rolle, die man erschafft, ist nicht anderes als eine überzeichnete Version von einem selbst. Es geht wirklich nur darum, die Songs zu reflektieren, und die Songs beleuchten gewisse Eigenschaften von mir und uns und verleihen bestimmten Gefühlen Extra-Gewicht. Wenn ich mich verkleide, dann nur deshalb, weil ich etwas kommunizieren will.

Warum habt ihr einen Song auf Deutsch aufgenommen und wird es davon mehr geben?

Zuerst haben wir für “Black Waltz” einen auf Schwedisch aufgenommen und mit dem deutschen Song haben wir die Tradition einfach fortgeführt. In beiden Fällen hat es damit angefangen, dass wir mit einem Song nicht weiter kamen, aber wussten, dass er etwas brauchte. Wir wussten nur nicht was. Die Sprache zu wechseln, eröffnete für uns die Möglichkeit, Ausdruck und Einstellung zu ändern. Außerdem hat es Spaß gemacht, mit meiner Mutter an einem Death-Metal-Song zu arbeiten.

Wie hälst du deine Stimme in Form, vor allem auf so einer langen Tour?

Tatsächlich ist es auf einer langen Tour sogar einfacher, weil deine Tage um die Performance herum organisiert sind. Abgesehen von den üblichen Übungen, ist das Rezept eigentlich recht simpel: genug trinken, Cardio-Workout, richtiges Aufwärmen und schlafen.

Der Film “The Legend of Avatar Country” – wie weit seid ihr mit dem Projekt, wann kommt der Film raus?

Wir arbeiten daran, dass er nach dem Sommer rauskommt. Alle Drehs, außer einer kurzen Szene, sind letztes Jahr gemacht worden. Editing und die Greenscreens zum Leben zu erwecken, hält unser kleines Team (eigentlich nur einer – Johan Carlén) derzeit beschäftigt.

Ich hatte den Eindruck, eure ganze Live-Show folgt einer gewissen Handlung – stimmt das?

Nicht wirklich. Die Geschichte ist rein musikalisch und emotional. Wir investieren ziemlich viel Zeit darin, herauszufinden, wie wir am besten von Punkt A nach Punkt B kommen und es ist in Kapitel aufgeteilt, aber es ist nicht an einer bestimmten Story festgemacht, im Sinne von Texten und Handlung.

Das Konzept des Avatar Country, was hat dich dazu inspiriert?

Seine glorreiche Majestät der König. Avatar Country ist für einige Jahre ein gut gehütetes Geheimnis gewesen; und der Grund, warum wir dachten, dass die Zeit gekommen ist, es zu enthüllen, war, dass die Welt nun dafür bereit schien. Letztendlich ist es für uns eine tolle Möglichkeit, etwas rauszubringen, das eine sehr positive Sache ist – im Gegensatz zu den Sachen, die wir sonst machen.

Avatar Country scheint nicht allzu weit weg von so manchen politischen Situationen in der echten Welt (leider) – dein Kommentar dazu?

Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Frage richtig verstanden haben. Wenn es um eine Botschaft geht: der König sagt, er liebt dich und er will, dass du Erfolg hast, wer auch immer du bist und wo du dich aufhälst. Wir reden selten über Politik. Wir sagen offen, dass wir vegan leben und auf der Seite der LGBT-Community stehen, wir sind für Toleranz und eine Form von Humanismus. Aber wenn in Schweden Wahl ist, dann wählen die meisten von uns verschiedene Parteien. Speziell auf diesem Album gibt es natürlich eine große Portion Satire hinsichtlich Propaganda, Zensur und totalitärem Führungsstil. Da kommt man nicht dran vorbei, wenn man Songs über einen glorreichen Anführer schreibt. Wir haben uns jedoch entschieden, uns etwas zurückzuhalten, denn das, was in der Welt passierte, als wir das Album geschrieben und aufgenommen haben, hätte sicher bedeutet, dass es etwas zu aktuell und zu sehr mit einer bestimmten Zeitperiode in Verbindung gebracht worden wäre. Aus diesem Grund haben wir eine Botschaft der Toleranz und des Spaßes mehr in den Mittelpunkt gestellt, als wir ursprünglich geplant hatten.

Was kamt ihr auf eure Kostüme und Make-Up, hat jeder seinen eigenen Stil kreiert oder ist es Teil eines Gesamtkonzepts, das sich nur eine Person ausgedacht hat?

Über das Make-Up habe ich schon viele, viele Male geredet. Die kurze Version ist: wir hatten Glück, als wir uns überlegten, was ich für das “Black Waltz”-Musikvideo machen sollte. Es hat Klick gemacht und wir wussten, wir hatten endlich herausgefunden, wie unsere Musik aussieht. Alles andere war Teamarbeit und ein evolutionärer Prozess, immer mit dem Ziel im Kopf, unsere Musik genauestens zu repräsentieren.

Also möchte keiner von euch im echten Leben erkannt werden?

Der Zug ist längst abgefahren. Wir haben keine Bühnennamen. Wir sind, wer wir sind, und auf diese Weise wollen wir uns ausdrücken.

Was macht ihr denn im echten Leben – wie anders sind eure Jobs im Vergleich zum Avatar Country/Rock’n’Roll Lifestyle?

Tatsächlich kommen wir endlich dahin, dass wir das Ganze Vollzeit machen können. Ich weiß nicht, ob ich bei irgendeinem von uns sagen könnte, er hat einen Rock’n’Roll-Lifestyle. Bei einem normalen Job ist eher so, dass du eine Arbeit machst, die dir jemand anderes gegeben hat, und die Arbeitszeiten sind kürzer. Ich habe immer versucht nur solche Arbeit zu machen, in der ich etwas Wertvolles, etwas Sinnvolles gesehen habe. Ich habe viel mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet, auch mit älteren Menschen. Die Grundstimmung ist offensichtlich sehr verschieden, aber das Gefühl, einen guten Job zu machen und etwas, das sinnvoll ist, ist dasselbe.

Wenn du mit einem Künstler, tot oder lebendig, an einem neuen Album oder Live-Show arbeiten könntest, wer wäre das?

Ich würde wissen wollen, wie George Martin damit umgegangen wäre, eine Metalband zu produzieren.

Wie sieht bei euch ein normaler Tag im Studio aus?

Wir haben es uns zum Prinzip gemacht, viel mit verschiedenen Produzenten zu arbeiten und daher gibt es eigentlich nicht diesen typischen Tag für uns. Sobald wir im Studio sind, arbeiten wir als Team. Das ist vielleicht der rote Faden.

Habt ihr bestimmte Routinen, und probt ihr mehr, bevor ihr ins Studio geht? Oder fallen euch neue Sachen erst im Studio ein, wie spontan ist euer Arbeitsprozess?

Mit der Zeit, glaube ich, haben wir gelernt, unseren Instinkten mehr zu vertrauen und im Studio spontaner zu sein. Aber wir versuchen, die Songs so weit wie möglich fertig zu haben, bevor wir ins Studio gehen. Proben werden vorher definitv hochgefahren. In einer perfekten Welt, wenn es die Zeit erlaubt, wollen wir unseren Kram im Schlaf spielen können. Wir haben ein gewisses Level erreicht, bei dem sich die Routinen mit dem Projekt ändern. Routine für das Schreiben, Routinen fürs Aufnehmen und Touren. Das hängt alles vom Projekt ab.

Wie hat sich euer Leben in den letzten fünf Jahren verändert?

Abgesehen davon, dass ich in ein neues Land gezogen bin, würde ich sagen, die Band beansprucht mehr Zeit und wir haben die Möglichkeit, ihr auch mehr Zeit zu geben.

Was war die absurdeste Sache, die der Band passiert ist (auf Tour, bei einem Festival)?

Natürlich können und werden ständig verrückte Sachen passieren, wenn man so viel reist wie wir. Aber dafür muss man nicht in einer Band sein. Die merkwürdigste Sache, wenn man mal darüber nachdenkt, ist, dass am Ende unseres Arbeitstages die Leute applaudieren. Nur wenige Menschen machen diese Erfahrung so wie Künstler. Krankenschwestern und Lehrer, Fabrikarbeiter und Busfahrer gehen in völliger Stille in den Feierabend. Es ist absurd, wie wir auf ein Podest gestellt werden für das, was wir machen, aber das ist eben so in diesem Metier und manchmal macht das auch Spaß.

Falls ihr grad auf Tour seid, wo and in welchem Zustand bist du heute morgen aufgewacht?

Ausgeschlafen in einem Hotel in L.A. Wir haben unseren Flug gestern verpasst und sind hier für 24 Stunden hängen geblieben.

Wie sieht bei euch ein typischer Tag auf Tour aus? Habt ihr überhaupt Zeit zum Sightseeing oder ist eure ganze Zeit mit Interviews und Ähnlichem vollgestopft?

Gegen Ende des Album-Zyklus gibt’s normalerweise weniger Pressearbeit. Hauptsächlich nutze ich meine freie Zeit fürs Work-out und Telefonate nach Hause. Alles andere ist nebensächlich, aber wir versuchen, uns Dinge anzuschauen und den Tagen einen Sinn zu geben. Das ist unser Leben und man kann nicht einfach alles anhalten, nur weil man auf Tour ist. Das Leben ist dafür zu kurz.

Wie groß ist eure Tour-Crew, wer ist alles dabei?

Tour-Manager, Front-of-house, Licht-Techniker, Stage-Manager, Gitarren-Techniker, Techniker für die Akustik und das Schlagzeug, Merchandise-Manager … ich glaube, das war’s.

Habt ihr einen Song, den ihr schon so oft gespielt habt, dass ihr keine Lust mehr habt, ihn zu spielen, aber spielen müsst, weil es euer “Smoke on the Water” ist?

Nein. Wir stehen aber auch noch keine 40 Jahre auf der Bühne. Abgesehen davon, bei der Live-Show geht es um eine Beziehung zum Publikum und diese Art von Songs sind live immer magisch.

Ihr spielt in dieser Konstellation (fast) seit 2003 – wie kriegt ihr es hin, besonders auf Tour, euch nicht auf den Keks zu gehen?

Ich glaube, wir sind alle so entschlossen, diese Band voranzubringen, dass, wenn es Konflikte gab, wir einfach durchgepowert haben. Die Zeit hat uns zusammengeschweißt. Wir sind miteinander gewachsen.

Und zum Abschluss: Kann Metal die Welt retten?

Nein, aber er könnte den perfekten Soundtrack liefern. Außerordentliche Menschen können die Welt retten und Metalheads sind normalerweise ziemlich cool.

Bandphotos: Johan Carlén, Klaudia Weber

Contributors

Klaudia Weber

Rücksichts- und gnadenlose Diktatorin, kniet vor mir! Anders gesagt: Chefredakteurin, Übersetzerin, Webseiten- und Anzeigenverwaltung, also "Mädchen für alles" - - - Schwerstens abhängig von Büchern (so ziemlich alles zwischen Herr der Ringe und Quantenphysik) und Musik, besonders von Metal finnischer Prägung. Weiters Malen, Zeichnen, Film, Theater... also könnt ihr mit einer vielseitigen Website rechnen. Mag.phil., zwei in 5 Jahren parallel abgeschlossene Vollstudien (English & American studies, Medienkommunikation) und stolz darauf, denn als Mädel aus einer Arbeiterfamilie in einem erzkonservativ-katholischen Land ging das nur dank Stipendium und etwas später im Leben als andere....