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Apocalyptica (Teil 2): „Wir müssen das tun, was wir für richtig halten“

Nach dem ersten Gespräch in Philadelphia haben Apocalypticas Perttu Kivilaakso (siehe Teil 1) und ich es geschafft, eine zweite “Sitzung” in den dichten Tagesplan zu quetschen, kurz bevor Perttu sich auf den Auftritt der Tour mit Sixx.A.M. in Silver Spring vorbereiten musste, da wir leider vergessen hatten ein Auge auf die Uhrzeit zu haben.

Du hast gestern erwähnt, dass du wusstest, dass ihr diesen tollen amerikanischen Klang haben werdet… wieso ist diese Art von Klang so positiv? Zuvor hattet ihr einen “finnischen” Klang mit diesem dunkleren Einschlag…
Oh okay, ich verstehe…Ich, oder wir, denke, dass wir nicht so viel darüber nachdenken, was finnischer oder schwedischer Klang ist, für uns – wie ich dir zuvor erzählt habe – ist es das Gefühl, Musik zu machen, und wenn wir die Lieder fertig haben, dann machen wir es wieder, klangweise. Und für uns, ich denke nicht, dass wir wirklich darüber nachdenken oder etwas planen, wenn es darum geht wie „es klingt irgendwie finnisch“ oder irgend so etwas. Es ist eher der Fall, dass wir versuchen, die bestmögliche Musik zu machen. Und ich bin zum Beispiel sehr empfindlich, wenn es um meinen puren und akustischen Klang geht, den der muss einfach der beste der Welt sein, natürlich. (grinst) Also in diesem Sinn ja, es ist eine delikate Angelegenheit, aber das gilt auch für die Verzerrungen – oftmals geht das Hand in Hand mit der Arbeit, die der Produzent macht, weil er eine Vision hat und es auch damit zusammenhängt, wie er die Musik angeht, welche Amps man benutzen sollte – klar hängt es auch davon ab. Und es ist ein bekannter Fakt, dass es in den USA eine gewisse Ästhetik für Verzerrungen und sowas gibt, aber wir haben jetzt nicht wirklich darüber nachgedacht „lasst uns ein Album machen, in Amerika, und lasst und auch amerikanisch klingen“ – das war nicht der Sinn. Der Sinn und Zweck war, dass wir mit Nick Raskulinecz arbeiten, von dem wir wussten, dass der einige der besten Metal Alben und wirklich tolle Sachen gemacht hat in den letzten zehn Jahren. Daher denke ich, dass eher das das Gefühl war – okay, lasst und das nun in den USA machen.

Der finnische Klang… wir sind darin nicht wirklich talentiert, sogar… Ich würde sagen, dass es Scheiße klingt. In vielerlei Hinsicht. All die Alben, die wir in Finnland gemacht haben klingen schlecht, und jetzt wo wir ein bisschen mehr Geld hineingesteckt haben und eine große Produktion daraus gemacht haben, klingt es einfach besser. Und meine Reaktion – eigentlich meine zweite Reaktion als ich die finalen Songs von Greg Fidelman zuhause gehört habe… meine erste Reaktion war, dass ich nicht glauben konnte, dass das wirklich wir sind – weil es einfach so gut klang. Es war, als würde ich mir Metallica anhören. Ich kann nicht glauben, dass unsere Gruppe, wir sind kleine Jungs von weit weg, aus einem kleinen Land, ohne Erwartungen. Und eines Tages bekommen wir ein Produkt, das sich anfühlt wie eine Jerry Bruckheimer Filmproduktion – die größte auf der Welt. Die Qualität, und ich rede nicht nur über den – egal wie man es nennen mag – bombastischen Klang, oder die Verzerrung, den amerikanischen klang, das ist nichts für uns. Die Qualität – so, wie es aufgenommen wird und dann gemischt wird – ist unglaublich. Man kann alle Noten einfach perfekt hören, und dazu hatten wir vorher leider nie die Chance. Wenn wir selbstkritisch sind, war es bisher auf unseren Aufnahmen so, dass die Töne recht matschig waren, besonders wenn wir noch Verzerrungen hinzugefügt haben, wir hatten immer Probleme damit, dass man auch wirklich alles hört.

In diesem Sinne ist das Album also das mit der besten Qualität, weil man alle hören kann: man hör den Bass, man hört die Riffs, man hört das Leadcello die ganze Zeit, dann der Gesang und all die Schlagzeug-Teile. Das ist etwas, was wir zum Beispiel in Finnland nicht haben. Und das war meine erste Reaktion: Ich kann nicht glauben, dass das unsere Band ist und dann dachte ich mir so – ich kenne den Song, das…wow. Das klingt wie mein Cellospiel und ich habe angefangen zu weinen, weil… Ich bin irgendwie die ganze Zeit nur am Weinen. (lacht) Aber ja, es ist ein tolles Gefühl, dass das erste Album so geklungen hat und jetzt klingen wir halt so, und wir sind durch all das durgegangen und haben hart gearbeitet, haben nach dem perfekten Klang gesucht, das war eines unserer Mottos für die Aufnahmen. Wir haben den perfekten Klang gesucht. Und selbst haben uns keine Sorgen über Dinge gemacht, über die sich viele unserer Hörer den Kopf zerbrechen – Ich weiß, dass sich viele Sorgen machen, dass die Celli wie Gitarren klingen. Aber ich kann das nicht hören. Ich denke, dass sie verdammt weit vom Gitarrenklang entfernt sind. Es ist nur eine Frage davon…na ja, sie klingen halt wie sehr verzerrte Celli…

Vielleicht weiß aber nicht jeder, wie ein Cello mit sehr viel Verzerrung noch klingen kann…
Absolut. (nickt) Aber die einzige Antwort, die einzige relevante Antwort ist die Gleiche, wie wenn wir komponieren: wenn wir produzieren, wenn wir im Studio sind, wenn wir nach dem Sound suchen und darüber nachdenken, können wir nichts anderem folgen als unserem eigenen Gefühl. Wir können uns nicht den Kopf darüber zerbrechen „Wie klangen wir vor 20 Jahren? War es ein rauerer seltsamer finnischer Celloklang?“ – das funktioniert so nicht, weißt du. Es ist wirklich genau wie beim Komponieren. Wir müssen das tun, was sich zu diesem Zeitpunkt am Besten anfühlt, und der nächste Schritt bringt uns dann immer weiter. Dieses Mal hatten wir eine sehr klar Vision, und das sogar schon bevor wir uns auf einen Produzenten und Mischer geeinigt hatten. Wir hatten das Gefühl des Energie-Levels des Albums, dass es irgendwie trocken und sehr präsent sein muss, klangweise. Wann immer man beginnt, sich das Album anzuhören, muss es sofort da sein. Wir haben uns da auf Musik wie von System of a Down, oder wie die Red Hot Chili Peppers, bezogen – eine solche Musik; wir wussten, dass wir einen solchen klang haben wollten. Wir sollten nicht in diese Richtung des klassischen amerikanischen Klangs gehen, der für mich aus sehr vielen Verzögerungen und einem schwimmenden Klang besteht, weißt du. Wir haben also versucht, eben diesen typischen amerikanischen Rock-Klang zu vermeiden.

Ich denke, dass zum Beispiel das „Apocalyptica“-Album, unser 5. Album, doch einen recht amerikanischen Rock-Klang hat, und zwar in dem Sinne, dass wir alle Riffs 16 Mal eingespielt haben, es haben also 16 Eiccas zur gleichen Zeit gespielt. Wir haben daher in manchen Stücken mehr als 100 Cellos gehabt. In „Farewell“ haben ich alleine schon 60 Teile gespielt – manchmal gab es 4 Bass-Zeilen und 16 Riff-Zeilen. Und wenn man sich dann den Mix anschaut, all dies macht es so weit entfernt, weil einfach so viel zur gleichen Zeit passiert – wie bei einem Symphonie-Orchester. Es ist massiv, aber es schlägt dir nicht wirklich entgegen. Ich denke eher, dass das der amerikanische Klang ist, daher habe ich angefangen den Leuten aufzuzeigen, dass wir jetzt meiner Meinung nach wesentlich finnischer klingen als auf den vorhergehenden Alben, weil wir es anders angegangen sind. Dieses Mal wollen wir nicht Overdubs nutzen, wir wollten einen klaren Klang haben, und natürlich gibt es ein paar Lieder, wo wir mehr Tracks und Teile brauchten, aber wir haben nie zuvor ein Album gemacht, wo es nur 3 Celli gab, also 3 Tracks.

Waren es daher dann bei allen Liedern nur jeweils drei Celli, oder gibt es auch da Ausnahmen?
Ja… Es gibt Momente, die wirklich ruhiger sind, dann sind da Zeiten wo wir etwas Großes machen wollte, aber ich kenne den Gedanken nicht wirklich – ich habe mir nie darüber Gedanken gemacht „Aus welchem Land kommt dieser Klang?“ Es geht eher darum, dass Apocalyptica versuchen, den eigenen inneren Klang zu finden, und natürlich ist es logisch, dass die Ästhetik für all diese Entertainment-Sachen auf der ganzen Welt unterschiedlich ist, aber ich bin einfach überwältigt, dass wir mit so guten amerikanischen Leuten zusammenarbeiten konnte, und manchmal denke ich sogar, dass es das erste Album ist, mit dem ich wirklich zufrieden bin.

Also warst du das vorher nicht – oder nur wenn du zurückschaust
Natürlich wenn man zurückblickt. Wir müssen immer mit dem Niveau, das wir angepeilt haben, zufrieden sein, und natürlich sind all unsere Albums auch unsere Babies. Selbst bei „Shadowmaker“ haben wir nach einem Monat oder so bemerkt „oh okay, da hätten wir vielleicht dies und dies anders machen können“, aber so ist es halt, wie es läuft. Man arbeitet auf etwas hin, und dann gibt es diesen Moment, wo man es aufnimmt und dann bleibt es auch so. Und daher sind wird auch auf die ersten Albums stolz, was irgendwie witzig ist, weil es so offensichtlich ist, dass wir von diesem schrecklichen knackigen Sound weggekommen sind… aber auch da hatten wir schon Attitüde, und das ist auch etwas wichtiges in der Musik. Es geht nicht nur darum wie es klingt, sondern auch die Seele der Musik ist wichtig – und das ist das, was wir finden wollen.

Eine klare Vision zu haben wie das Album klingen soll – ist das etwas Positives oder verkompliziert es vieles auch unnötigerweise?
Ich denke, dass es uns geholfen hat, weil wir wussten, was unser Ziel ist. Als wir begonnen haben, diese Stücke zu komponieren, und als ein paar erste Lieder fertig waren, wie „“Till Death Do Us Part” und “Shadowmaker”, und auch „Riot Lights“ war recht früh fertig – wenn wir uns also das erste Mal dieser Songs angenommen haben, haben wir sehr viel darüber diskutiert, was denn die Identität des Albums sein sollte. Wir müssen immer wissen, was die Persönlichkeit des Albums ist, bevor wir anfangen daran zu arbeiten. Und es war uns sehr bewusst, was wir wollten, und zum Beispiel war Metallica´s „Death Magnetic“ einer unserer Hauptinspirationen, wenn es um den Klang geht – das Album wurde von dem gleichen gemischt, von Greg Fidelman. Und er war auch unser größter Wunsch, was eine Zusammenarbeit betrifft, auch wenn wir nicht wussten wie es wäre – wir hatten nur gehofft, dass wir jemanden finden, der gleich gut ist und für das Album arbeiten könnte. Und es ist verrückt, dass es am Ende dann doch so war, dass es Fidelman ist. Wir wussten, dass wir die gleiche Art von Energie haben wollten, wie wenn wir live spielen, weil wir bemerkt haben, dass es das Beste ist, was Apocalyptica zu bieten haben. Und wir haben für das gleiche gesucht, diese Live-Energie, für all die Albums an die ich mich erinnere – wir haben immer wieder versucht, das gleiche mit jedem Album zu erreichen, dass wir die Live-Performance versuchen aufzunehmen, und dieses Mal haben wir uns wirklich darauf konzentriert.

Zum Beispiel habe ich für viele Soli nur einen Versuch bekommen, ich musste es einfach hinbekommen – klar konnte ich es noch einmal machen, wenn ich es total vergeigt hatte – aber an sich war es das Gefühl, dass wenn du ein schnelles Lied spielst, und das vor allen Leuten, dann spielst du es vor Millionen an Leuten. Und das ist es auch. Ich war nervös. Ich habe mich für all diese Momente im Studio genau wie vor Live-Auftritten vorbereitet. Ich habe mir sogar meine Auftrittskleidung angezogen, nur für die Jungs. Ich wollte das Gefühl haben, hier im Studio zu sein, vor den Mikrofonen aufzutreten, vor den Jungs hinter dem Glas aufzutreten und zu denken „Das ist der wichtigste Auftritt überhaupt“, weil es das verdammte Lied ist, was auf dem Album landet. Ich kann es nicht ungeschehen machen oder habe auch keine zweite Chance am nächsten Abend, vielleicht in einer anderen Stimmung. Das war also wirklich aufregend und zumindest in meinen Teilen gibt es daher viel von dieser Zerbrechlichkeit, die eben von dem Gefühl kommt dass Nick, unser Produzent, wirklich wollte, dass wir vor ihm auftreten. Das gleiche galt auch für Franky. Es war eine krasse Sache für ihn, weil Nick wollte, dass er einen ganzen Song performt, und dann wieder und wieder und wieder. Daher musste er sich wirklich reinhängen weil Nick einfach nicht optimieren und stimmen gehen wollte, daher musstest du einfach den perfekten Take hinbekommen, weil dass die Magie ist. Und ich hoffe, dass man genau solche Elemente eben auf dem Album hören kann. Also ja, es ist eine super amerikanische finnische deutsche Kombination wenn es um den klang geht. (grinst)

Du hast gesagt, dass ein Album eine Persönlichkeit braucht – geht dies in die Richtung eines klaren Konzepts oder eines Konzeptalbums?
Für uns ist das Album ganz klar ein Konzeptalbum, weil ich denke, dass es wohl das erste Mal in unserer Karriere ist, dass wir uns über das Artwork, die Cover-Fotos, Titel, Songnamen und all das schon während der Kompositions-Zeit Gedanken gemacht haben. Also schon ungefähr vor einem Jahr. Wir wussten also schon, wie das Album aussehen sollte und dass wir mit diesem gewissen Gefühl flirten wollten…“Shadowmaker“, als wir dieses Lied hatten, da wussten wir, dass es die Identität ist, die Persönlichkeit. Wir wollen eine Geschichte erzählen, über die Leute hinter uns, die Unternehmen, die großen Elemente. Diese Dinge, die das Leben eines Individuums eben nicht mehr individuell machen. Ich denke, dass ich meine Dinge gut im Griff habe und dass ich einen tollen Job habe und entscheiden kann, was und wann ich Dinge mache, aber das ist eine Illusion. Alles ist eine verdammte Illusion, und es gibt immer irgendwo ein paar Schatten und das geht auf eine persönliche aber auch globale Ebene. Wir wollen mit dieser Idee ganz stark flirten – all das Artwork handelt davon: das dominante und zerbrechliche Mädchen, das mit sich kämpft, und all die Songtitel und viele der Lyrics flirten mit dieser Idee.

Die Persönlichkeit eines Albums, die kam sehr stark davon, wie wir dachten, dass es klingt, von der Zeit wo wir uns die Musik im Proberaum angehört haben. Oft versucht man, die Alben-Identität und Persönlichkeit zu finden, bevor man wirklich daran arbeitet, weil das einfach hilft, den Rest des Materials zu erschaffen, und für uns war das interessant. Es war interessant, weil wir eine Geschichte zu erzählen hatten, eine musikalische Geschichte, und ich denke dass das Produkt sogar symphonisch ist oder aber zumindest, dass es sich gut verbindet. Und wie ich im ersten Teil des Interviews gesagt habe, konnten wir mit Franky zusammen proben, er war immer da und daher war es leicht, die Gesangs-Stücke, wo der Gesang zwar da ist, aber vielleicht nicht mal der Hauptteil, zu balancieren. Und in manchen Teilen, manchen Liedern haben wir den Gesang wie eine Instrumenten-Spur behandelt oder halt als Teil der gesamten Gruppe. Zum Beispiel „Shadowmaker“, natürlich sind die Strophen und der Refrain sehr gesangs-lastig, aber all die Mittelstücke mit dem Shouting und dem Gesang a la System of a Down, da ist der Gesang wie ein Instrument von uns. Das ist, wie es sich anfühlt.

Ich habe mir oft anhören müssen “oh, Lyrics, sie schränken mich in meiner Vorstellungskraft so ein”, wenn es darum geht, wie man ein Lied interpretiert…
Oh ja. Das verstehe ich. Aber ich bin zum Glück immer so ignorant, dass ich mich nicht für die Lyrics interessiere. Ich habe nicht die geringste Ahnung, worum es in „Slow Burn“ geht. (lacht) Ich selbst war nie wirklich an Lyrics interessiert. Es ist lustig und auch nur mein ganz persönlicher Geschmack, und schon das teilt die Band auf, aber ich höre mir ja auch nicht Slayer so an, dass ich auf die Lyrics achte und den tiefen Sinn suche… Ich liebe Black Metal, und manchmal gibt es derartige Liedtexte, die ich wirklich nicht mal lesen wollen würde, aber es ist halt leichter, wenn es in Norwegisch gesungen wird und man das eh nicht versteht (lacht), zumindest ohne Übersetzer. (lacht) Aber ich kann die Einwände verstehen. Die Stärke von instrumentaler Musik sind diese unbeschränkten Möglichkeiten, sich eigene Bilder auszumalen im Kopf, und ich stimme zu, weil ich mir oftmals das Gleiche wünsche. Und aus diesem Grund würde ich auch nie aufhören, instrumentale Musik zu machen, aber ein cooles Beispiel ist „Come back down“ – ich finde, das Lied hat wirklich tiefgründige Lyrics von Frankys Vergangenheit. Er ist da wirklich sehr tief in einer Stimmung drin, und das war zum Beispiel eben ein Lied, das Franky gemacht hat. Wir haben ein bisschen mit dem Lied herumgealbert, aber ich konnte nicht wirklich etwas für´s Lead Cello finden, daher haben wir entschlossen „okay, wir haben jetzt einen Typen, der sogar für den vorherigen Avengers Film Musik komponiert hat, und für Sons of Anarchy, also coole Musik gemacht hat – lassen wir es ihn versuchen“. Und dann hat er die Lyrics und die Gesangs-Parts für „Come back down“ erarbeitet, und die Geschichte ist wirklich fesselnd. Ich liebe den Mittelteil, wo er mit tiefer Stimme spricht. Es ist wirklich tiefgründig.


Also ja, es schränkt einen schon ein, aber trotzdem, sollten wir keine Lieder mehr mit Gesang machen, weil wir Angst davor haben, dass es das Vorstellungsvermögen von den Leuten einschränken könnte? Wohl kaum. Ich glaube immer noch ganz fest daran, dass wir nichts anderes machen können als das, was wir spannend finden. Aber als wir dieses Album aufgenommen haben, da haben wir einiges realisiert, und wir wussten natürlich, dass wir mehr Gesang haben werden als je zuvor, statt vier Liedern sind jetzt sieben, oder so – ich weiß es nicht genau. Das ist offensichtlich, aber wir wollten – im Vergleich – die instrumentalen Passagen einfach epischer haben, als wir sie vorher hatten. Und daher habe ich das Gefühl, dass die instrumentalen Teile des Albums sehr bedeutsam sind und für uns selbst, wenn wir uns das Album anhören – natürlich haben wir es tausend Mal schon gehört – wenn wir es uns in seiner Gesamtheit anhören, dann ist es verdammt brillant im Sinne davon, dass man auf einmal realisiert, dass der Gesang schon total lange weg war, und wenn er dann wieder auftaucht, spürt man immer noch diese Verbindung. In diesem Sinne fühlt es sich für mich immer noch wie ein Cello-fokussiertes Album an.

Wie war es denn mit diesem Album – wie habt ihr die Reihenfolge der Songs bestimmt?
Die Reihenfolge zu bestimmen ist wie eine Setliste aufzustellen. Ich liebe es, Setlisten zu schreiben und bin auch meistens derjenige, der vorschlägt, was wir jeden Abend spielen, aber es muss halt doch einen Zusammenhang haben. Es muss etwas sein, das auch ein paar Überraschungen inne hat – wie zum Beispiel der Beginn von „Reign of Fear“, so brutal. Es ist wie in einem Bereich, wo das Chaos herrscht, und das nachdem wir Franky mit „Cold Blood“ und „Shadowmaker“ erst einmal vorgestellt hatten; „Shadowmaker“ ist einer der coolsten Tracks auf dem Album. Danach kommt dann, denke ich zumindest, „Slow Burn“, was eine logische Weiterführung ist von der Welt, die wir mit „Not Strong enough“ schon aufgebaut hatten, und „Faraway Vol. 2“ passt da auch rein, „Bittersweet“ auch, und „SOS“ ist definitiv einer dieser Songs – eine starke Rockballade mit Gesang. Also „Slow Burn“ ist so ein Song und es fühlte sich einfach so an, als würden wir an dieser Stelle eine große Ballade brauchen, und dann alles mit „Reign of Fear“ zerstören, weißt du. Und dann geht es weiter mit „Hole in my Soul“, es ist schön, wir werden den spielen, jetzt wo das Album auch veröffentlicht ist – jetzt können wir endlich alles spielen. Aber ja, die Tracklist zu bestimmen ist, als würde man versuchen, die perfekte Reise zu bauen aus den Elementen, die man hat, eine Art kulinarische Reise. Wir geben euch Emotionen für eine gewisse Zeit, und dann von Zeit zu Zeit überraschen wir euch irgendwie, versuchen aber auch nicht zu sehr zu springen. Ich denke, dass mit den letzten Alben hatten wir öfters das Problem, dass die Stimmung einfach zu sehr springt. Und in diesem Sinne ist es jetzt so viel leichter, Musik zu machen mit einer Stimme, man hat nicht mehr das Gefühl, dass man immer jemanden total neues und neue Elemente vorstellen muss. Das war uns wichtig, eine gute und solide Aufnahme zu machen mit all den genannten Dingen, und dass dies auch so eingefangen wird.

Es ist eines der Dinge von Apocalyptica, die ihr am meisten liebt – wir sind auf der Bühne und man hat ein bisschen Angst, was wohl passieren wird. Ich hoffe, dass ich zum Beispiel…Ich denke gerne, dass meine Bühnenpersönlichkeit einem Akrobaten entspricht in dem Sinne, dass man nie weiß, was als nächstes kommt. Wir hoffen, dass wir solche Elemente auch für dieses Album haben kreieren können, dass da etwas Angst ist, aber wir selbst waren uns dem bewusst. Wir machen uns natürlich Sorgen um den Zustand der Welt und das reflektieren die Lyrics und Liedtitel und alles auch…Wir wollten ein Album kreieren, von dem wir hoffen – wenn man es sich anhört, denkt man an die eigenen Schattenbringer. Jeder muss sie einfach haben. Jede verdammte Person, jeder hat etwas was hinter ihnen lauert, Vergangenheit oder aber auch Zukunft – und niemand kann dem völlig aus dem Weg gehen. In diesem Sinne ist es kein philosophisches Album, aber irgendwas in die Richtung schon.

Und besonders wenn wir durch all die Tracks gehen, „Hole in my Soul“ und was zum Teufel kommt danach? „Riot Lights?“ Nein? „House of Chains“ war es, genau. “House of Chains” kommt danach, und dann kommt erst “Riot lights”, “Come back down”, “Sea Song”…Aber “Sea Song”, “Till death do us part” und “Dead Man´s Eyes” waren mein Fokus, um ehrlich zu sein, besonders mit “Dead Man´s Eyes“, als ich den Jungs die Melodie vorgestellt hatte, wussten wir, dass es der Abschluss des Albums sein muss – danach kann man einfach kein Lied mehr setzen. Und das kam auch als bindendes Element für das Album, „Seed of Chaos“ hat die gleichen Noten, und auch das Outro von „Riot Lights“ erinnert daran. Wir haben diese sehr starke Melodie immer wieder ein bisschen verändert und sie in einer anderen Art und Weise präsentiert, aber wir dachten dass es wichtig sei, und dass es cool sei, mit so etwas zu flirten, und wenn die Melodie dann als solche kommt, fühlt sie sich schon bekannt an.

Und einmal mehr, ich kann nur Musik machen, an die ich glaube und die ich liebe, und dann muss es Leute geben, die sich genau so wie ich lieben, denn ich kann nicht die einzige Person sein, die diese Art von musikalischer Seele hat…mein Fokus lag auf „Till death do us part“ und ich hatte immer das Gefühl, dass beide Songs zusammengehörten, als Paar, stimmungstechnisch. Und dann „Sea Song“ – ich denke, dass es ein sehr interessantes Lied ist. Wenn wir sagen würden, dass wir ein eher, na ja, nicht aggressives aber ernsthaftes Album hatten, und das zu manch einer Zeit brutal ist…aber „Sea Song“ ist einer der seltsamsten Apocalyptica Lieder bisher, weil es einfach etwas komplett anderes ist vergleichen mit dem, was wir bisher gemacht haben, aber so ist es eine gute Überraschung, und dann dieser Dubstep-Beat…wir haben echt über solche Elemente nachgedacht und haben gedacht, dass es am Ende doch perfekt ist. Die ganze Bedeutung des ganzen Endes, vom Beginn an von „Till death do us part“ – es folgen danach noch 20 Minuten an Musik. Es ist verrückt. (lacht)

Aber, egal, dann haben wir – und das kommt nur von meiner verdammten Liebe für Fantasy, weil ich dieses “Return of the King” ähnliches endlose Ende haben wollte – ich habe den Jungs gedroht, ich habe gebettelt, ich habe geweint, ich habe sie bedroht, dass es einfach sein muss “Leute, ihr müsst es einfach verstehen, dass `Till death do us part` und `Dead Man´s Eyes` einfach das perfekte Ende für das Album sind“ (imitiert Weinen). Ich liebe es…jeder hat so seine Vorlieben, und manchmal muss man dafür dann auch kämpfen, um erhört zu werden, weißt du. Aber es ist aufregend. „Dead Man´s Eyes“, das war definitiv klar, dass das der letzte Song sein würde, und das gilt auch für unsere Auftritte, das steht auch schon fest, zumindest wenn wir jetzt Headliner Shows spielen, wie vor ein paar Tagen (Clifton Park/Albany, USA). Es ist einfach ein perfektes Ende, und „Dead Man´s Eyes“ ist auch ein Beispiel von der Zusammenarbeit mit Franky. „Lasst uns mal versuchen, da Gesang hinzuzufügen“ – und ich hatte dieses Gefühl, dass ich sagen wollte, dass ich nach Hause komme, dieses Gefühlt eben. Daher haben wir uns mit Franky über die Story unterhalten und er hat dann die Lyrics gemacht, haben sie dann zusammen verfeinert und all sowas, und da war es wirklich gut, einen Muttersprachler dabei zu haben. Wenn wir die instrumentalen Stücke und Lieder mit Gesang vergleichen, bin ich mir sicher, dass niemand – ich hoffe das zumindest – wirklich sagen kann, dass er „Dead Man´s Eyes“ wirklich hasst, um ein Beispiel zu nennen. Ich glaube sehr stark daran, dass es einer dieser Lieder ist, die jeder liebt, hätten wir es also als instrumentales Lied lassen sollen? Wieso nicht. Aber Franky´s Stimme ist einfach verrückt. Sie ist heilig. Wir haben so eine großartige und einmalige Chance, richtig coole Musik dank Franky und seiner gesanglichen Möglichkeiten aufzunehmen, und “Dead Man´s Eyes“ ist einer dieser coolen Lieder. Auch hat es sich einfach richtig angefühlt, dass wir sehr viel Gesang hatten und dann das Ende mit diesem „I´m coming home“ Gesang eingeläutet haben. Es hat sich einfach richtig angefühlt. Wir müssen die Dinge tun, die sich richtig anfühlen, eher als die, die sich falsch anfühlen.

DANKESCHÖN
Ich persönlich würde gerne ein immens großes Dankeschön an Apocalypticas Tourmanager Erik weitergeben, der dieses Interview nicht nur durch das Hineinquetschen in die Tage möglich gemacht hat, sondern jedes kleine bisschen während meiner Zeit in der USA möglich gemacht hat.
Und natürlich geht auch ein „Dankeschön“ an Perttu Kivilaakso für die Anfrage, dieses Interview zu führen.

(alle Fotos: C. Ullmann)

Carina Ullmann

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