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Barren Earth, Red Moon Architect, Oceanwake

2.4.2015 Helsinki, Nosturi, Finnland

Sagt was ihr wollt über den allgemeinen Zustand der Welt, aber was den Schwermetallsektor betrifft, scheint mit dem Frühjahr 2015 eine neue Glanzzeit angebrochen zu sein, wobei besonders der März in die Geschichte eingehen mag. Mit Neuheiten der Spitzenklasse u.a. von Enslaved, Nightwish und Moonspell wäre es wahrlich keine leichte Aufgabe gewesen, das Album des Monats zu wählen – aber dank der neuen Scheibe von Barren Earth löste sich dieses Problem in Wohlgefallen auf. Die Vorstellung des neuen Sängers Jón Aldará (auch für seine Arbeit mit den färöischen Doomstern Hamferð bekannt) beim Tuska-Warmup letzten Sommer hatte die Erwartungen in schwindelnde Höhen geschraubt, und doch gelang es On Lonely Towers, sie noch zu übertreffen. Da ein Großteil des Albums unter ausgiebigen Jamssessions live im Studio aufgenommen worden war, bezweifelte ich nicht, dass die Jungs das komplexe neue Material genauso selbstbewusst auf der Bühne rüberbringen würden, und genau das taten sie.

Leider und unverdienterweise war das Nosturi bei weitem nicht ausverkauft, dafür war ausnahmsweise der Schankbereich bis direkt vor die Bühne erweitert. Von diesem ungewohnten Layout profitierten insbesondere die beiden ersten Bands, da die Leute sie sich tatsächlich aus der Nähe ansahen und nicht bloß von der Bar am anderen Ende des Raumes aus mit halbem Ohr hinhörten. Von Oceanwake bekam ich nur die letzten paar Minuten mit, dafür aber den kompletten Set von Red Moon Architect.

Trotz Vorabempfehlungen war ich von ihrer Bühnenleistung leider nicht ganz überzeugt. Das Material war überwiegend langsamer Doom à la Shape of Despair, aber ziemlich generisch und nicht abwechslungsreich genug, um mehr als eine halbe Stunde lang spannend zu bleiben. Etwas seltsam wirkte außerdem, dass sich das Vokalistenduo die Gesangsparts zwar ziemlich gleichmäßig teilte, aber nur einer der beiden vorne am Bühnenrand stand und somit immer leicht fehl am Platz wirkte, wenn er gerade nichts zu verlauten hatte. Ich könnte mir Red Moon Architect gut zu später Stunde auf einer kleinen Festivalbühne oder beim Aftershow-Club vorstellen, aber das Anheizen ist offenbar weniger ihre Stärke.


Foto Tina Solda

Barren Earth

Die Stimmung, die den Opener nicht zu schaffen gelang, war bei den ersten Klängen des Piano-Intros „From The Depths Of Spring“ auf Anhieb da. Der Albumreihenfolge gemäß folgten „Howl“ und „Frozen Processions“, womit sich wohl auch die letzten Publikumszweifel hinsichtlich der Fähigkeiten des neuen Frontmanns erledigten. Die Nachfolge von Mikko Kotamäki ist beileibe kein Job für Weicheier, aber Jón bringt nicht nur die Growls mit mindestens derselben Intensität rüber, sondern fügt obendrein dem Clean-Register neue Klangfarben von nahezu opernhafter Dimension hinzu. Seine Bandkollegen ergänzten reihum die Stimmenpalette mit ihren Backing-Harmonien, zum Beispiel in der Strophe von „Flicker“ oder dem Refrain von „The Leer“. Zwischen diesen beiden Songs wendete sich Jón erstmals ans Publikum verkündete, dass Helsinki rapide auf dem Weg sei, eine seiner weltweiten Lieblingsstädte zu werden. Hoffen wir mal, dass er sich künftig entsprechend oft hier blicken lassen wird…

„Set Alight“ begann mit leisen Tönen, bevor das ganze Feuerwerk überschwenglicher Melodien losbrach, wobei ich mir freilich gewünscht hätte, dass der Mann am Mixer seinen Einsatz nicht ausgerechnet bei Kasper Mårtensons Keyboardsolo verpasst hätte, welches fast völlig unterging. Von diesem kleinen Ausrutscher abgesehen war die Balance zwischen den Instrumenten jedoch den ganzen Abend über nahezu perfekt. Sogar die tiefen Frequenzen waren frei von jeder Matschigkeit und schmeichelten dem nuancierten Spiel von Oppu Laine, dessen Bass des Öfteren eine führende Rolle übernahm – als Paradebeispiel sei die Wah-Melodie im Vers von „A Shapeless Derelict“ genannt.

Obwohl das neue Album Barren Earths bisherige Werke gleich in mehrfacher Hinsicht übertrifft, bleibt deren Qualitäts nach wie vor unbestritten, und es war bei aller Verständlichkeit ein bisschen schade, dass die Setliste nur einen Song von The Devil ´s Resolve enthielt. Laut Jón war „The Rains begin“ für die Damen und das anschließende „Cold Earth Chamber“ (vom Debütalbum) für lebensmüde alte Männer. Mir waren beide recht, auch wenn ich mich der ersteren Gruppe nur bedingt und der letzeren schon gar nicht zugehörig fühle. Den nächste Song hätten sie dafür direkt mir widmen können, so sehr liebe ich die Nummer. So oft ich „On Lonely Towers“ in den letzten Wochen gehört habe, kriege ich doch immer wieder eine Gänsehaut dabei, und nicht nur bei bestimmten Gesangsstellen, sondern auch bei einigen Instrumental- und insbesondere Gitarrenpassagen.

Moment mal – bin ich mit meinem Bericht wirklich bis hierher gekommen, ohne Sami Yli-Sirniö und Janne Perttilä auch nur zu erwähnen? Das geht ja wohl gar nicht. Ich sollte die Genialität dieser Herren nicht ohne weiteres für selbstverständlich halten, nur weil ich es kann… Das Gleiche gilt natürlich auch für Marko Tarvonen, obwohl seine besten Momente gerade bei diesem Song mit einem ekstatischen Gitarrensolo und nahezu herzzerreißendem Gesang konkurrieren mussten. Das Zwölf-Minuten-Epos demonstrierte neben der emotionalen Tiefe auch die schiere Breite von Jóns Stimmlage, die fast drei Oktaven umfasst. Und ja, das hohe C# kam klar und sauber.

Selbst wenn die Show nach diesem Song zu Ende gewesen wäre, hätte sie praktisch nichts zu wünschen übrig gelassen. Aber wie schon auf dem Album folgte noch „Chaos The Songs Within“, ein weiteres Highlight, dessen Berücksichtigung absolut gerechtfertigt war. Und als Fan der ersten Stunde war ich natürlich mehr als happy, dass als Zugabe meine alte Lieblingsnummer „Floodred“ herhalten durfte. Der heimliche Klassiker erinnerte mal eben daran, dass Barren Earth schon zum Zeitpunkt ihres ersten Demos eine der besten Bands des Landes waren. Umso unglaublicher erscheint es, wie krass sie sich seitdem noch verbessert haben.

Mehr Fotos: http://www.eurynomes-photos.com/barrenearth_020415.html

Set:
From The Depths Of Spring (Intro)
Howl
Frozen Processions
Flicker
The Leer
Set Alight
A Shapeless Derelict
The Rains Begin
Cold Earth Chamber
On Lonely Towers
Chaos the Songs Within
Encore:
Floodred

Tina Solda

tina@stalker-magazine.rocks - Konzert- und Festivalberichte, Fotos, Interviews - - - Bevorzugte Musikrichtungen: melancholischer Death-, unkonventioneller Black-, melodischer Doom-, dramatischer Folk- und intelligenter Paganmetal (Schwerpunktregionen: Island, Finnland & Norwegen) - - - Sonstige Interessen: Gitarre, Bücher, Bier, Kino, Katzen.

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