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Jalometalli 2014

8.-9.8.2014 Oulu, Messuaukio, Finland

Freitag
(Interaktive Fotogalerie am Textende )
Anderslautenden Vorhersagen zum Trotz war das Wetter in Oulu genauso genial wie seit Wochen in Helsinki, wie ich beim Verlassen des Zuges am Freitagnachmittag erfreut feststellen durfte. Wegen der mehr als siebenstündigen Fahrt verpasste ich die ersten paar Bands, kriegte aber noch den Schluss von Dark Angel mit, als ich auf dem Gelände ankam und die Lage peilte.

Die zwei Hauptbühnen waren gegenüber voneinander aufgebaut, hinzu kam noch eine kleine Bühne ein Stück abseits. Dazwischen standen ein paar Verkaufszelte mit guter Auswahl an Blackmetal-Vinyl. Weniger gut sah es in Sachen Verpflegung aus – der einzige Anbieter hatte laut Speisekarte nur Fleischgerichte im Programm, und das Zeug habe ich seit mehr als drei Jahrzehnten nicht mehr angerührt. Ärgerlich, aber andererseits war ich nicht für kulinarische Erlebnisse hergekommen, sondern wegen der Musik.

Selbige wurde als nächstes von High On Fire dargeboten, und ich schwöre bei Thor dem Donnergott, dass sie die lauteste Band waren, die ich je auf einem Festival gehört habe. Keine Ahnung, wie es physisch möglich war, aber ich hatte wörtlich das Gefühl, dass mir die aus den Subwoofern dröhnenden Bässe die Kehle zuschnüren würden. Zu allem Überfluss stellte ich fest, dass meine Ohrstöpsel zu Hause liegengeblieben waren, weswegen ich nach kürzester Zeit aus dem Fotograben floh. Wobei die Tätowierungen des Sängers durchaus fotogen waren – über seine Stimme kann ich dagegen nichts aussagen, weil sie im Drum-Bass-Brei vollkommen unterging. Ebenso die Gitarre.
Provisorische Ohrstöpsel mussten her, und meine Suche nach Papierservietten führte mich zurück an das Imbisszelt. Zugegebenermaßen war der Duft äußerst verlockend, und nach der langen Zugfahrt hatte ich in der Tat Kohldampf, also fasste ich mir ein Herz und fragte nach einer Veggie-Portion. Überraschung, Überraschung – sie hatten tatsächlich eine Pfanne mit tierleichenfreier Paella, sie wurde bloß nirgendwo beworben. Manche Leute haben echt keinen Sinn für Marketing, dabei schmeckte die reichlich bemessene Portion verdammt genial. Mit meinem Teller setzte ich mich auf dem Rasen vor der kleinen Bühne, wo Woland gerade anfingen.

Schade, dass der übermächtige Lärm von der Hauptbühne es fast unmöglich machte, sie überhaupt zu hören, aber was ich ausmachen konnte, war schön melodischer Black Metal, sehr nach meinem Geschmack. Dazu muss ich sofort sagen, dass sich die Lautstärkebalance im Laufe des Wochenendes zunehmend verbesserte und die anfänglichen Probleme nachvollziehbar waren: in den vergangenen Jahren hatte Jalometalli auf dem Teatria-Gelände stattgefunden, aber da der legendäre Club einem Wohnungsbauprojekt zum Opfer gefallen war, musste ein Ersatz gefunden werden, und der erste Tag an einer neuen Location ist immer eine Herausforderung.

High On Fire mögen nur laut gewesen sein, dafür waren Loudness Feuer und Flamme – und hatten auch keine Soundprobleme. Die Veteranen aus Japan waren zum ersten Mal überhaupt in Finnland, und ihr Auftritt kann den Jalometalli-Veranstaltern als kulturelle Großtat angerechnet werden. Vom Opener „Crazy Nights“ an war es offensichtlich, dass ihr legendärer Status nicht allein auf ihrer langen Geschichte beruht. Das alte Material klingt immer noch frisch, aber die neuen Songs brauchen sich auch nicht zu verstecken, und die Liveshow war perfekt. Sänger Minoru Niihara hatte das Publikums voll im Griff – der Chorgesang zu „Heavy Chains“ war beeindruckend – und Akira Takasaki machte seinem Ruf als ultimativer Gitarren-Samurai alle Ehre, als Beispiel sei das rasante Solo in „The Stronger“ genannt. Ein besonders treuer Fan in der ersten Reihe hatte sogar eine Gitarren-Replika mit Takasakis Konterfei auf der einen Seite und der Aufschrift „Loudness at Jalometalli“ auf der anderen dabei. Der Set war nicht nur unter historischen Gesichtspunkten gut zusammengestellt, sondern auch unter dramaturgischen. Uptempo-Nummern dominierten insgesamt, wurden aber effektiv mit ruhigeren Momenten ausgeglichen, wie der Über-Ballade „So Lonely“.

Gleich zu Beginn des Sacred Reich -Gigs drückte Sänger Phil Rind sowohl Loudness als auch Dark Angel seine Wertschätzung aus. Es dauerte zwar etwas, bis die Mehrheit von der einen Bühne zur anderen herübergekommen waren, aber beim zweiten Song „Love … Hate“ gingen die Leute schon recht gut ab. Das war allerdings schon das letzte, was ich von dieser Band mitkriegte, denn Algazanth fingen fast zeitgleich auf der kleinen Bühne an.

Die hatte ich gerade erst beim Steelfest im Frühjahr verpasst, wo sie mitten am Tag gespielt hatten, und da sie selten genug auftreten, wollte ich sie mir dieses Mal nicht entgehen lassen. Zum Glück waren sie besser zu hören als Woland vor ihnen, und der Sound war überwiegend okay, wobei Keyboards und Leadgitarre immer noch arg leise waren. Dafür kam der tiefe Cleangesang von Thasmorg gut genug rüber, um den erforderlichen Kontrast zu seinen Growls zu bilden, und seine Stimme ist eine der größten Stärken von Algazanth.
Der wahre König under den Vokalhelden des Tages stand natürlich bereits im Voraus fest.

King Diamond bot eine ebenso perfekte Show wie letztes Jahr beim Tuska. Apropos Tuska-Vergleiche: eine der Bands, die ich dieses Jahr am meisten erwartetet hatte, waren letztendlich eher enttäuschend gewesen, und zwar Dimmu Borgir, bei denen die Theatralik stark auf Kosten der musikalischen Spannung ging. King Diamond bewies im Gegensatz dazu, dass es durchaus möglich ist, eine durchgestylte Theateraufführung zu bieten und gleichzeitig ordentlich Arsch zu treten. Natürlich war auch die geisteskranke Großmutter mit von der Partie, die diesmal nicht nur bei „Welcome Home“ auf der Bühne herumspukte, sondern außerdem bei „Cremation“ in der Zugabe eine ordentliche Bestattung erhielt. Im Hauptset fanden sich traditionsgemäß auch zwei Merciful Fate-Nummern wieder, „Evil“ und „Come To The Sabbath“. Die übrigen Bandmitglieder einschließlich des neuen Bassisten Pontus Egberg machten ihre Sache anständig, obwohl sie sich natürlich mit Statistenrollen begnügen mussten, während Oulu sich kurzfristig in eine absolute Monarchie verwandelte.
Der Abend war danach jedoch noch nicht zuende, obwohl eine Mehrheit des Publikums sich nach King Diamond auf den Heimweg machte. Selbst schuld – Kuolemanlaakso zu verpassen, würde ich unter Freunden nicht empfehlen.

Die Jungs aus Kuopie gehören zum Besten, was der finnischen Doom Metal aktuell zu bieten hat, und sind einer der wenigen Vertreter des Genres, die auf Finnisch singen. Abgesehen davon, dass sie ein größeres Publikum verdient gehabt hätten, war das Timing jedoch perfekt, denn mit ihrem Gig brach die Dunkelheit herein. Manche Bands funktionieren einfach am besten, wenn es dunkel ist, und wenn „Verihaaksi“ vielleicht ein wenig zu getragen war für diejenigen, die zu jenem Zeitpunkt gegen die Müdigkeit ankämpften (ich liebe den Song, hatte jedoch in der Nacht zuvor nur eine Stunde geschlafen…), so folgte mit „Me vaellamme yössä“ direkt eine der flottesten Nummern, die diese Band im Programm hat. Kuolemanlaakso waren zwar nicht der eigentliche Headliner des ersten Jallometalli-Tages, bildeten jedoch einen hervorragenden Abschluss.

Samstag

Statt den Rest der Nacht alkoholvernichtenderweise in der Innenstadt zu verbringen, joggte ich erstmal noch einige Kilometer – woran freilich eher Oulus unterentwickelter Nachtbusverkehr schuld war als mein sportlicher Ehrgeiz – und ging dann direkt ins Bett. Was hatte den positiven Effekt hatte, dass ich Insomnium am frühen Samstagnachmittag hellwach und ohne dicken Kopf zu verfolgen imstande war.

Wobei ich mich frage, womit um alles in der Welt die Jungs es eigentlich verdient haben, anscheinend immer mitten am Tag und bei Regenwetter auf die Bühne gejagt zu werden. Ohne Scheiß, wir hatten den heißesten Sommer seit Jahrzehnten mit quasi nonstop Sonnenschein von Ende Juni bis fast Mitte August – bis auf den Tuska-Sonntag und den Jalometalli-Samstag, wo es jeweils bei Insomnium anfing zu schiffen. Gerechtigkeit ist in dieser Welt wohl zuviel verlangt. Zum Glück hielt sich die Nieselei zu jenem Zeitpunkt noch in Grenzen, richtig nass wurde es erst später. Dass noch nicht so viel Volk da war, hatte überdies den seltenen Vorteil, dass es ein Leichtes war, nach Verlassen des Fotograbens einen guten Platz vorne in der Mitte zu bekommen und beim Moschen ausreichend Bewegungsfreiheit zu genießen. Letzteres wusste ich besonders bei „Ephemeral“ und „Unsung“ zu schätzen. Die Songauswahl war weitgehend identisch mit der vor ein paar Wochen, aber diesmal markierte „Promethean Song“ nicht den Schluss, sondern es folgten noch zwei weitere Favoriten – „Mortal Share“ und „One For Sorrow“. Wunderschön!

Jalometalli ist eines der Festivals, die ich schon seit Jahren mal sehen wollte, aber in der Vergangenheit gab es immer zu viele konkurrierende Veranstaltungen, die nicht gar so weit weg waren. Dieses Jahr war das Billing jedoch so stark, dass es keine Ausreden mehr gab. Trotzdem ging das Wochenende ohne ärgerliche Überschneidungen vonstatten: Die Bands, die gleichzeitig spielten, waren jeweils unterschiedlich genug voneinander, um verschiedene Geschmäcker zu bedienen. Ranger beispielsweise – die erste Band auf der anderen großen Bühne – waren eine sichere Wahl für alle, die auf klassischen Heavy und Thrash Metal stehen, aber kein großer Verlust für mich, die ich mir stattdessen Behexen auf der kleinen Bühne gab.

Sie waren einer der besten Black Metal-Acts des Wochenendes und sahen im Übrigen auch so aus. Unmittelbar nach Insomnium wirkte ihre Show freilich etwas arg statisch. Dies galt auch für das Publikum; erst das schnellere „Under The Eye Of Lord“ in der zweiten Sethälfte brachte etwas Bewegung in die Menge. Zu diesem Zeitpunkt traf ich eine Freundin, die sich darüber beschwerte, dass sie nirgendwo eine Tasse Kaffee kriegen konnte – ein enormes Versäumnis seitens der Organisatoren, vor allem am Samstag angesichts der kühleren Temperaturen und der Tatsache, dass Leute am zweiten Tag eines Metalfestivals dazu neigen, müde und verkatert zu sein. Ich für meinen Teil hatte allmählich Hunger, wollte aber nicht schon wieder dasselbe essen wie tags zuvor, und da es auf dem Festivalgelände keine Alternative gab, unternahmen wir gemeinsam einen Ausflug zum Supermarkt. Der war zwar nicht weit weg, aber als Ortsunkundige verliefen wir uns auf dem weitläufigen Ouluer Sportkomplex erstmal, mit dem Resultat, dass wir von Uncle Acid & The Deadbeats so gut wie nichts mitbekamen.

Deren psychedelisch angehauchter Hardrock hätte freilich eh besser zum Sonnenschein des Vortags gepasst.
Am Samstag regnete es praktisch ununterbrochen, und zum Abend hin immer stärker. Ich dusche äußerst ungern in Klamotten, aber solange Omnium Gatherum spielten, war mir das Wetter herzlich egal. Bloß was zum Teufel hatte eine von Finnlands derzeit führenden Bands auf der Minibühne zu suchen?

Auf der großen unterhielt zum selben Zeitpunkt ein obskures Duo aus Deutschland eine Handvoll Unverzagter (im Netz gepostete Fotos nähren den Verdacht, dass ich beileibe nicht die einzige war, die noch nie von Mantar gehört hatte), während der Sechser aus Kotka kaum mehr Bewegungsfreiheit hatte als sein Publikum – der Rasen, auf dem ich tags zuvor so entspannt gepicknickt hatte, war jetzt knüppelvoll bis ganz hinten zum Bierbereich. Und die Stimmung dürfte die beste des ganzen Tages gewesen sein, kein Wunder angesichts der Entertainerqualitäten von Jukka Pelkonen. Es ist nicht leicht, Saitenzauberer Markus Vanhala die Schau zu stehlen, aber der Lockenkopf am Mikro schien sich wirklich jedem Zuschauer 150% persönlich zu widmen, und seine Hingabe wurde in gleicher Weise belohnt. Das Line-up hatte sich leicht verändert, seit ich die Band zuletzt gesehen hatte: am Schlagzeug saß diesmal Toni Paananen (Malpractie, To/Die/For), der aber anscheinend nur Vaterschaftsvertretung für Jarmo Pikka machte. Der Schwerpunkt lag – zu Recht – auf den beiden jüngsten Alben, und von den ersten Takten von „Luoto“ bis zur epischen Schlussnummer „Deep Cold“ war kein einziger Durchhänger festzustellen.

Bei einem Metalfestival in Nordfinnland würde man nicht unbedingt erwarten, dass zwei Hauptacts desselben Tages aus der Schweiz stammen, aber in diesem Fall handelte es sich um zwei unbestrittene Klassiker. Samael legten mit „My Saviour“ einen starken Einstieg hin, Vorphs sparsame Bühnengestik wurde effektiv von Energiebündel Mas kontrastiert, der samt seinem Bass auf der Bühne herumhüpfte wie ein Flummi. Der Auftritt war insgesamt solide, auch wenn er etwas hinter dem Clubgig im Nosturi vor ein paar Jahren zurückblieb. Kann freilich sein, dass mein Eindruck von den Wetterverhältnissen negativ beeinflusst wurde. Würde mich irgendwie interessieren, ob die Aufnahme von „Rain“ in die Setliste vorab geplant oder Ausdruck spontaner Ironie war…

Wie dem auch sei, zu diesem Zeitpunkt offenbarte sich das wahre Genie der Veranstalter. Genau in der Mitte zwischen den offenen Betonflächen vor den beiden Hauptbühnen war ein riesiges Zelt mit auf nahezu voller Breite offenen Seiten aufgebaut, von dem aus es möglich war, trockenen Hauptes das Bühnengeschehen zu verfolgen. Auch die sinnvoll am vorderen und hinteren Ende platzierten Schankbereiche waren jeweils etwa zur Hälfte überdacht. Kvelertak lieferten den passenden Soundtrack für eine verdiente Bierpause, und nachdem ich bereits den ganzen Tag auf den Beinen gewesen war, war ich für die in ausreichender Zahl vorhandenen – und vor allem trockenen! – Sitzbänke ausgesprochen dankbar.

Meine Versöhnung mit dem Regenwetter war nicht von Dauer, aber die Schuld ist der Gegenseite zuzuschieben: ich hatte gerade angefangen, Testament zu fotografieren – normalerweise ein Heidenspaß, denn Chuck Billy und seine Mannen verstehen sich auf den Flirt mit der Kamera – als ich feststellen musste, dass das Display meiner Nikon den Dienst verweigerte. Da ich somit meine Einstellungen nicht mehr kontrollieren konnte und überdies keine weiteren Schäden riskieren wollte, zog ich mich unter das Dach zurück, um wenigstens die Musik genießen zu können, aber zugegebenermaßen entfiel der Großteil meiner Aufmerksamkeit auf den Versuch, die Kamera wieder trocken und funktionstauglich zu kriegen. Leider blieb der Erfolg in letzterer Hinsicht aus, so dass ich von Triptykon nur schnell ein paar Blindschüsse auf gut Glück zwecks Illustration dieses Berichts machte und mich ansonsten komplett auf die Show konzentrierte.

Und die war auch ohne Fotos unvergesslich, um nicht zu sagen magisch. Schon der Anfang war monumental, es ging direkt mit dem hypnotischen „Black Snow“ los. Apropos Niederschlag, mittlerweile goss es wie aus Kübeln. Aber irgendwie unterstrich das eher die Atmosphäre als ihr einen Abbruch zu tun, der Regen wirkte wie das i-Tüpfelchen auf der düsteren Schwere der Musik und den nicht weniger finsteren Texten von Tom Fischer. In der Setliste waren auch seine früheren Bands berücksichtigt – Celtic Frost mit „Circle Of The Tyrants“ und Hellhammer mit „Messias“ – was jedoch eher ein Gefallen für die Fans der ersten Stunde war als eine künstlerische Notwendigkeit. Triptykons eigenes Material ist bei weitem stark genug, um keine Unterstützung aus der Vergangenheit zu benötigen, und ein Headliner-Clubgig in absehbarer Zukunft wäre eine gute Tat. Ein einstündiger Festivalgig reicht nicht so ganz für eine Band, deren Songs bis zu zwanzig Minuten dauern, wie die bedrohlich-langsame Schlussnummer „The Prolonging“. Danach war ich fast erleichtert, dass der Regen eine gute Ausrede bot, auf eventuelle Aftershow-Gigs in der Innenstadt zu verzichten – nach Triptykon hätte alles Weitere eine Antiklimax bedeutet…

photos: Tina Solda
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Tina Solda

tina@stalker-magazine.rocks - Konzert- und Festivalberichte, Fotos, Interviews - - - Bevorzugte Musikrichtungen: melancholischer Death-, unkonventioneller Black-, melodischer Doom-, dramatischer Folk- und intelligenter Paganmetal (Schwerpunktregionen: Island, Finnland & Norwegen) - - - Sonstige Interessen: Gitarre, Bücher, Bier, Kino, Katzen.

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