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Amoral: Schnapp dir den Teddybär

Amoral haben soeben eine umfangreiche Jubiläumstour in Finnland angekündigt, gefolgt von einer Eurotour zusammen mit Dark Tranquillity. Wir haben uns beim Tuska Open Air mit mit Ben Varon zusammengesetzt, um mehr über die anstehenden Shows, das neueste Album Fallen Leaves & Dead Sparrows und das allgemeine Befinden der Band zu erfahren…

Mal wieder beim Tuska – wie ist das Feeling?
Macht immer wieder Spaß, echt. Mein Lieblingsfestival – ich komme seit 1999 und ich glaube, ich habe kein einziges Tuska verpasst. Damals war es noch ein ganz kleines Festival. Nightwish spielten, und kaum jemand kannte sie, war lustig. Und es wird einfach immer besser und besser. Die Sonne scheint, gute Bands spielen, wozu meckern?

Euer letzter Gig im Nosturi war quasi ein historischer Überblick. Was ist heute angesagt, die gleiche Linie?
Im Prinzip ja, haben wir beschlossen, das Thema fortzusetzen. Unser Debütalbum ist dieses Jahr zehn Jahre alt, deswegen riefen wis [Originalsänger] Niko wieder an und fragten, ob er auch Tuska mit uns machen würde. Und er direkt, „na klar!“ Wir werden morgen mit ein paar Songs vom neuen Album loslegen und dann mit einem Medley vom ersten Album und zwei anderen Songs mit Niko abschließen.

Aber Ari ist dieses Mal hoffentlich nicht krank…?
Ich hoffe nicht, bei ihm weißte nie! Aber nein, er wird die letzten paar Songs zusammen mit Niko singen.

Erzähl uns ein bisschen über das letzte Album und sein Konzept…
Nun ja, wir haben uns zum ersten Mal in der Geschichte dieser Band entschlossen, ein Konzeptalbum zu machen. Das ergab sich eher versehentlich – wir hatten ein paar Songs und probierten mit verschiedenen Ideen herum, als wir auf einmal eine Art roten Faden aus bestimmten Themen und Melodien bemerkten und uns überlegten, das irgendwie weiterzuspinnen. Ab da begann ich beim Texten, gezielt Ideen im Hinblick auf eine durchgehende Geschichte zu sammeln. Nachdem wir uns auf das Albumkonzept geeinigt hatten, begann ich, an die Sache heranzugehen wie an ein Filmdrehbuch. Ich schrieb Ideen auf, Themen, Songfragmente, und überlegte mir eine sinnvolle Reihenfolge. Und ich machte mir Notizen, wo eventuell noch eine Szene oder ein Teil der Geschichte fehlte. Es war ziemlich cool, wir haben sowas noch nie gemacht.

Früher haben wir immer einfach nur Songs geschrieben, und wenn wir zwölf Stücke zusammen hatten, haben wir ein Album aufgenommen. Aber diesmal wussten wir, dass wir zum Beispiel eine bestimmte Art von Song an siebter Stelle brauchten. Es war schon etwas seltsam für uns. Ich bestellte – fast wie bei Mc Donalds! – bei Masi, „könntest du’ne Instrumentalnummer schreiben, die hier passen würde? Und ich will, dass sie einen Sturm ähnelt, sie sollte wie ein elektrisches Gewitter anfangen und dann in so einen melodischen Part übergeht…“ Und er hatte Spaß an der Herausforderung. Ich ließ ihn machen, und er mit kam mit dieser tollen Idee zurück, die sich zu dem entwickelte, was auf dem Album zu hören ist. Es war wirklich cool, und ich denke, wir werden versuchen, es beim nächsten Mal ähnlich zu machen. Also wieder mit bestimmten Vorgaben arbeiten. Es ist nämlich auch in gewisser Weise befreiend: du brauchst nicht jedesmal überlegen, mach ich dies oder mach ich das, sondern kannst dich auf eine Sache konzentrieren und das Beste daraus machen.

Heißt das, ihr arbeitet schon am nächsten Album?
Ja, jetzt schon. Das war nicht einmal geplant. Wir hatten vor, erstmal Pause zu machen und ein bisschen zu touren. Aber ich glaube, ich habe schon 60 Minuten neues Material beieinander, und das meiste davon dürfte auf dem nächsten Album landen. Wenn du dich inspiriert fühlst, solltest du einfach alles aufschreiben und aufnehmen, bevor die nächste Durststrecke kommt und dir nichts mehr einfällt.

Wie teilst du dir das Songwriting mit Masi auf?
Auf Fallen Leaves & Dead Sparrows ist ziemlich viel von ihm. Er kam mit einer Menge Ideen und Riffs an, und einige Stücke haben wir beide zusammen geschrieben. Ich weiß nicht, wie es im Moment aussieht, denn ich schreibe gerade dieses ganze Zeug, bisher sind alle Sachen für das nächste Album von mir, und er dagegen ist dran von wegen „weiß nicht recht, fühl mich nicht inspiriert“ und so weiter. Aber das ist okay, zumindest ist einer von uns produktiv. Aber auf alle Fälle ist es mit Masi so, dass ich ihm einen Song bringen kann, praktisch ein fertiges Demo, und er macht etwas daraus, was doppelt so gut ist. Er kommt mit der perfekten Idee für eine Kontermelodie an oder schlägt vor, „versuchen wir’s doch mal mit dem und dem Riff“, und es klingt direkt viel besser. Das ist das Coole an dieser Band, Ari singt etwas und es ist viel besser, als ich es mir vorgestellt hatte, oder ich schlag Juffi etwas an den Drums vor, und er arbeitet damit und macht etwas Besseres daraus. Durch den Sound der Band wird der Song doppelt so gut, wie ich ihn alleine hingekriegt hätte.

Wie seid ihr auf die Story von Fallen Leaves & Dead Sparrows gekommen?
Lass mich überlegen… es fing an, bevor ich eine Ahnung oder Vision davon hatte, was ich wollte. Ich war am herumnudeln und Ideen aufschreiben, und mein dreißigster Geburtstag stand bevor, was mich in eine gewisse Panik versetzte (lacht). Was einer Menge Leuten bekannt vorkommen dürfte, bin ich mir sicher. Für mich ist es ziemlich hart, und ich bin froh, allmählich darüber hinweg zu kommen.

Wart ab, bis du vierzig wirst!
Ja, das wird ein ganz neues Album!

Wird nicht Masi demnächst vierzig?
Ja, das war lustig: als Masi meine Texte durchging, meinte er direkt, „geht mir ähnlich, bloß zehn Jahre später!“ Er hat ähnliche Gedanken. Aber das Älterwerden macht mir ganz schön zu schaffen, und dazu kommt die ganze Nostalgie, du klammerst dich an Dinge aus der Vergangenheit, als ob dein Leben davon abhinge. Wie ein Kind, das seinen Teddybär an sich drückt und nicht loslassen will, kommen viele Menschen nicht von ihrer Jugend los und halten sich an Dingen oder Erinnerungen aus der Vergangenheit fest. Und irgendwie begann ich darüber nachzudenken.. Ich hab kein Problem mit Nostalgie und weiß sie durchaus zu schätzen, aber wenn es zu viel wird und dich davon abhält, Neues zu probieren, wenn du nur in die Vergangenheit blickst statt nach vorn, dann ist es natürlich eine negative Kraft in deinem Leben. Für die Story begann ich zu überlegen, was wohl passieren würde, wenn sich jemand entscheiden würde, auf die Zukunft zu verzichten und sich stattdessen auf die Vergangenheit zu konzentrieren und nur noch in ihr zu leben, und wie sich das schließlich rächen könnte – was eben auch am Ende passiert. Es steckt also eine Menge Wahrheit bzw. reale Gefühle und Ereignisse in der Geschichte, aber sie ist fiktiv. Es klingt dramatischer als es ist. Ich bin nicht so depressiv wegen meinem Alter! (lacht) Und wie ich schon sagte, ich bin eh schon allmählich darüber hinweg. Ich denke, 31 wird viel einfacher sein als 30!

Wo wir gerade beim Thema sind, haben die Altersunterschiede innerhalb der Band irgendeinen Einfluss auf die interne Dynamik?
Ist das so viel? Pexi ist der jüngste und er ist, glaub’ ich, Jahrgang ´87. Dann kommen Ari, ´84, ich und Juffi, ´85, und Masi, ´76… aber wir merken das nicht so. Wir sind eigentlich alle dieselbe Sorte Idioten. Je älter man wird, desto weniger spielt es eine Rolle, ob einer 40 ist und der andere 25. Es fällt nicht auf, und Masi ist auch nicht viel schlauer als wir, obwohl er älter ist.

Warum ist eigentlich Silver damals ausgestiegen?
Ich denke – ich bin mir nicht sicher, da müsstet ihr ihn fragen, denn er hat sich nie groß dazu geäußert. Aber es war einfach nicht mehr so sein Ding, also die neuen Sachen, die wir ausprobierten. Ich glaube, er wollte – zumindest damals, denn jetzt spielt er in Shear, die haben auch melodischen Gesang – aber damals hätte er eher bei den Death Metal-Growls bleiben wollen.

Und ihr habt vor, in der momentanen Richtung weiterzumachen?
Ich denke schon, ja. Wobei die Entwicklung uns bei jedem Album natürlich erschien, ohne dass wir zwanghaft etwas versucht hätten. Aber dieses Mal war es meines Erachtens eine kluge Entscheidung, mich auf die Stärken der Band konzentrieren, anstatt von der Band zu verlangen, die Musik zu spielen, die mir gerade zufällig einfällt. Wenn ich vielleicht gerade Bock auf Sachen à la Skid Row hab, heißt das noch lange nicht, dass die zu Aris Gesang oder Juffis Drumstil passen würden. Wenn ich an unsere schnellen Nummern denke, zum Beispiel den ersten und letzten Song von Show Your Colors, die schon progressiver und melodiöser waren, das passt viel besser zu uns. Und dann vor allem „Beneath“, also der Titelsong – wir waren uns alle einig, dass das unser Ding ist, dass wir so am besten klingen und dass wir uns auf diese Richtung konzentrieren wollten. Das haben wir dann auch gemacht. Und ich denke, zumindest das nächste Album wird eine sehr natürliche Fortsetzung zu Fallen Leaves & Dead Sparrows darstellen. Nicht so ein großer Sprung, wie es Show Your Colors damals war!

Was hörst du eigentlich zu Hause so ?
Ich versuche wirklich, alles Mögliche zu hören. Ich mag heutzutage eine Menge Zeug aus den Siebzigern. Ich sammele seit einiger Zeit Vinyl, alte Scheiben von Elton John, Camel und anderen Progbands, Free… ich hab Free jetzt erst entdeckt und frage mich, wie es kommt, dass mir nie jemand von dieser Band erzählt hat. Okay, ich kannte „All Right Now“, aber ich wusste nie, von wem das ist. Diese Musik atmet, der Bass ist laut, kann man kleine Fehler zu hören – irgendwie finde ich das faszinierend. Ich bin mir sicher, dass das eine Gegenreaktion darauf ist, wie perfekt in unserer Zeit alles ausgefeilt ist, auf volle Lautstärke gemastert und mit zu vielen Informationen in der Musik, im negativen Sinne. Die Musik der siebziger Jahre ist im Vergleich dazu sehr entspannend. Und einige alte Favoriten hab ich immer wieder auf dem Plattenteller, von Michael Jackson bis Gamma Ray. Was neue Sachen angeht, ist die neue Mastodon wieder verdammt gut, vielleicht eine ihrer besten bisher.

Wie sehen eure Pläne für den Rest des Jahres aus, spielt ihr noch mehr Nostalgie-Shows?
Die restlichen Gigs des Jahres werden in Finnland – wo wir so lange spielen können, wie wir wollen – etwas anders aussehen als in Europa, wo wir begrenzte Spielzeit haben. In Finnland werden wir bei allen Shows das neue Album von Anfang bis Ende spielen, gefolgt von ein paar älteren Songs am Ende, die sich wohl von Gig zu Gig etwas unterscheiden werden. In Europa haben wir nur 50 Minuten, das reicht nicht für das Album. Außerdem wäre es ein bisschen schwierig, das Klavier und die ganzen akustischen Gitarren mitzuschleppen. Stattdessen spielen wir eine abgespeckte Version des Albums plus ein paar alte Stücke. Zumindest in Finnland werden wir nach Möglichkeit auch das erste Album berücksichtigen, denke ich, denn es macht Spaß und ist gerade zehn Jahre alt geworden.

Ihr seid ein paar Mal in China aufgetreten, wie war das?
Das war wirklich gut. Vor allem das zweite Mal, letztes Jahr. Wir spielten auf zwei großen Festivals, und vor allem in Peking waren zehntausend Leute da – das größte Publikum, das wir je hatten. Es war unglaublich, wo kamen die bloß alle her?

Gibt es da wirklich eine große Metalzene, oder sind die Leute nur allgemein an Bands aus dem Ausland interessiert?
Ich weiß nicht. Bei den Festivals war es ziemlich voll, und wir waren eine der letzten Bands auf der Hauptbühne. Ich bin sicher, die Mehrheit hatte keine Ahnung, wer wir waren, und kamen nur aus Neugier. Aber die Atmosphäre war super, in den vorderen Reihen waren auf jeden Fall Metalheads. Aber ich bild’ mir deswegen nicht ein, wir hätten zehntausend Fans in Peking. Die meisten waren nur das reguläre Festivalpublikum. Aber eine lustige Erfahrung war es allemal!

Und welche Bands wirst du dir hier auf dem Tuska geben?
Je nachdem, wie ich Zeit hab – den Rest von Bodom, Carcass und Dimmu – Carcass hab ich noch nie gesehen, die will ich nicht verpassen, das neue Album ist genial. Und vor allem Emperor am Sonntag ist ein Muss! Die hab ich auch noch nie live erlebt, und sie bedeuteten Juffi und mir in jungen Jahren ziemlich viel.

Vielen Dank – und lass uns rausgehen zu Bodom!
Jep, let’s go!

http://mainpages.amoralweb.com/

 

Tina Solda & Cynthia Theisinger

Contributors

Tina Solda

tina@stalker-magazine.rocks - Konzert- und Festivalberichte, Fotos, Interviews - - - Bevorzugte Musikrichtungen: melancholischer Death-, unkonventioneller Black-, melodischer Doom-, dramatischer Folk- und intelligenter Paganmetal (Schwerpunktregionen: Island, Finnland & Norwegen) - - - Sonstige Interessen: Gitarre, Bücher, Bier, Kino, Katzen.