ArchivKonzerteLive

Amon Amarth / Carcass / Hell

9.12.2013 Helsinki

Ein Montagabend nach einem langen Arbeitstag und Eiseskälte draußen verlocken nicht gerade dazu, das Haus zu verlassen. Aber das Paket, das in der Kaapelitehdas geboten wurde, war unwiderstehlich. Kein Wunder, dass die alte Kabelfabrik rappelvoll war: drei internationale Acts, von denen schon jeder für sich alleine ein würdiger Headliner wäre.

Die erste Band war Hell – einer der Höhepunkte beim Hammer Open Air vor ein paar Monaten, aber noch beeindruckender auf einer großen Bühne in einer dunklen Halle. Sie begannen so früh (19:00 Uhr), dass ich den Anfang verpasste, und ihr Slot war leider allzu kurz, aber Theaterprofi David Bower und seine Genossen machten den Mangel an Quantität durch makellose Qualität wett.

Nach dem letzten Refrain von „On Earth As It Is In Hell“ verschwand Bower hinter einer der Dekowände, während sein Bruder Kev die Gitarre gegen die Keyboards eintauschte und Schlagzeuger Tim Bowler das Tempo abrupt verlangsamte und nahtlos in die ersten Takte von „Blasphemy And The Master“ überging. Mit entblößtem Oberkörper und Peitsche in der Hand kehrte der Sänger zurück, um das dramatische Intro zu deklamieren, gipfelnd in dem Aufschrei „Oh Satan, I beseech thee to have mercy on my soul!“ Das ganze siebenminütige Opus magnum war Metaldrama vom Feinsten, einschließlich Selbstgeißelung und Exorzismus. Es folgte „Something Wicked“ vom neuen Album und das aufmunternde „The Quest“, aber danach war es leider schon Zeit für „die letzte Predigt dieser Tour“, wie David „Save Us From Those Who Would Save Us“ passenderweise ankündigte. Der Song begann ohne die Nachrichtenzitate der Albumversion direkt mit dem Gitarrensolo, aber der Refrain ließ auch so keinen Zweifel daran, worum es geht.

Unter den drei Bands des Abends waren Carcass diejenige, die sich am seltensten in diesen Breiten blicken lässt. Obwohl die Wiedervereinigung in der Band laut Jeff Walker einige finnische Väter hat, hatten die Briten sich seit dem Tuska 2008 nicht mehr hier blicken lassen. Besagten Festivalgig habe ich in guter Erinnerung, aber damals wurde in hellem Sonnenschein die Vergangenheit gefeiert, während diesmal die Promotion eines der besten neuen Alben von 2013 angesagt war. Wobei die alten Sachen durchaus nicht vernachlässigt wurden; trotz der begrenzten Zeit gelang es der Band, ihre gesamte Karriere abzudecken.

Die Anfangstage waren durch „Genital Grinder“ vertreten, inklusive bedrohlich tiefer Growls von Bill Steer. Dessen Gitarre hätte im übrigen ruhig ein bisschen deutlicher zu hören sein dürfen, aber alles in allem war der Sound für Kaapelitehdas in Ordnung. Die Halle wurde nicht als Konzertsaal gebaut und stellt für jeden Soundtechniker eine Herausforderung dar. Das Licht war für alle drei Bands super. Etwas überflüssig wirkten Carcass‘ Videoleinwände, welche die meiste Zeit über im Bühnennebel verschwanden. Nur während „Corporal Jigsore Quandary“ gab’s einigermaßen deutlichen Einblick in offene Leichen, aber minimale Ablenkung von der Musik selbst war nur von Vorteil. Nach „This Mortal Coil“ stellte Walker die beiden neuen Mitglieder vor, und sie konnten sich nicht über mangelndes Willkommen beschweren. Ben Ash lieferte nicht nur einen soliden Job als Ersatz für Michael Amott an der Gitarre, sondern überzeugte auch mit seinen Moshkünsten. Der Set endete allzu früh mit einem großartigen „Heartwork“ und einem kleinen Gruß an die Headliner des Abends. Wäre toll, Carcass bald als Hauptact wiederzusehen, aber bis dahin freue ich mich erstmal auf ihren Besuch beim Tuska nächsten Sommer.


Amon Amarth haben Finnland deutlich öfter besucht als Carcass und ihr aktuelles Album folgt vertrauten Pfaden, ohne spektakuläre Überraschungen zu bieten – aber sie liefern immer eine gute Show, und dieser Abend war keine Ausnahme. Johan Hegg war charmant wie eh und je, und sein Finnisch wird immer besser. Der überschwengliche Gruß ans Publikum vor „Death In Fire“ klang in jeder Hinsicht ehrlich, und wer hätte seiner Behauptung widersprochen, dass Helsinki der perfekte Ort für den Abschluss der Europatour sei… Die Schweden hatten schon immer ein Händchen für attraktives Bühnendesign und übertrafen sich mal wieder selbst, speziell mit den Runensteinen​​, die während „Runes To My Memory“ zu beiden Seiten der Bühne erschienen. Da die Lautstärke vor der Bühne für finnische Clubstandards etwas arg hoch war, sah ich mir den Großteil der Show aus dem Bierbereich hinter dem Mischpult an. Von hinten zu sehen, wie Hunderte von Leuten im Gleichtakt mit Hegg zu „Varyags of Miklagaard“ auf und ab hüpften, war nicht ganz unbeeindruckend.

Zum Ausgleich folgte danach eine der langsamsten und massivsten Nummern des Abends, „The Last Stand Of Frej“ vom vorletzten Album „Surtur Rising“. Surtur erschien wenig später selbst, genau genommen in Form des Album-Artworks als dramatische Hintergrundkulisse zu „Destroyer Of The Universe“. Zur Zugabe „Twilight of the Thunder God“ kam Johan Hegg mit einem gewaltigen Thorhammer in der Faust auf die Bühne. Da ich nur wenige Tage zuvor den neuen Thor-Film gesehen hatte, kam ich nicht umhin, gewisse Parallelen zwischen Amon Amarths Interpretation der nordischen Mythologie und derjenigen von Marvel/Disney zu bemerken. Aber wen stört’s. Das Erbe der Wikinger lebt, es ändert nur seine Form. Die besten Geschichten sorgen zu jeder Zeit für gute Unterhaltung, egal ob am Kamin an einem dunklen Winterabend anno 1013 oder auf der Kinoleinwand tausend Jahre später. Mit der passenden Musikuntermalung kommen sie erst recht gut rüber – und Amon Amarth, ungeachtet aller Klischees und Vorhersehbarkeit, zählen immer noch zu den Besten ihres Genres.

Hell set:
The Age of Nefarious
On Earth as It Is in Hell
Blasphemy and the Master
Something Wicked This Way Comes
The Quest
Save Us From Those Who Would Save Us

Carcass set:
Buried Dreams
Incarnated Solvent Abuse
Unfit for Human Consumption
This Mortal Coil
Cadaver Pouch Conveyor System
Genital Grinder / Exhume to Consume
Corporal Jigsore Quandary
Captive Bolt Pistol
Ruptured in Purulence
Heartwork

Amon Amarth set:
Father of the Wolf
Deceiver of the Gods
Death in Fire
Free Will Sacrifice
As Loke Falls
Runes to My Memory
Varyags of Miklagaard
The Last Stand of Frej
Guardians of Asgaard
Shape Shifter
Warriors of the North
Destroyer of the Universe
Cry of the Black Birds
War of the Gods
Encore:
Twilight of the Thunder God
The Pursuit of Vikings

Tina Solda

tina@stalker-magazine.rocks - Konzert- und Festivalberichte, Fotos, Interviews - - - Bevorzugte Musikrichtungen: melancholischer Death-, unkonventioneller Black-, melodischer Doom-, dramatischer Folk- und intelligenter Paganmetal (Schwerpunktregionen: Island, Finnland & Norwegen) - - - Sonstige Interessen: Gitarre, Bücher, Bier, Kino, Katzen.