Pain of Salvation / Anneke van Giersbergen / Árstíðir
Nach dreiwöchiger Tour quer durch Europa, erreichten Pain of Salvation am vergangenen Sonntag Essen, im Gepäck ein original 70iger Jahre Wohnzimmer als Bühnendekoration und als Begleitung Anneke van Giersbergen undÁrstíðir. Sie luden uns ein zu einem Abend unter Freunden mit akustischer Musik, und ich ahnte schon: dies würde etwas Besonderes werden. Zugegeben, dieses letzte Konzert der Tour stimmte mich etwas melancholisch, waren mir doch die Bands über die vergangenen Wochen in 6 Konzerten ans Herz gewachsen. Tatsächlich blieb an diesem Abend kaum ein Auge trocken – selten habe ich bei einem Konzert so viel gelacht.
Am Anfang schaltete Pain of Salvation Sänger Daniel Gildenlöw das Licht ein und erklärte mit ein paar einführenden Worten, was uns an diesem Abend erwartete. Eine Zeitreise und das Entwirren von Erinnerungen, bis – ähnlich wie bei Demenz – nur die Brühe übrig bleibt, die unseren Kern ausmacht. Es klingelte und herein kamenÁrstíðir, ließen sich nieder und stimmten gemeinsam mit Daniel „Road Salt“ an.
Danach hatten die Isländer das Publikum für sich und schlugen uns mit verträumten Melodien aus Gitarren, Klavier, Geige und Cello in ihren Bann. Scheinbar mühelos beherrschten sie dabei ihre Instrumente und wirklich jeder von ihnen kann singen, egal ob erste Stimme oder Harmonien. Dem Zauber von Árstíðirs Musik konnte sich auch an diesem Abend kaum jemand entziehen und spätestens bei dem a capella Stück „Þér ég unni“ hatten sie das Publikum auf ihrer Seite.
Lustig wurde es, als sie Anneke van Giersbergen auf die Bühne baten und statt dessen Gustaf Hielm von Pain of Salvation erschien, bauchfrei vors Mikrofon trat und mit verstellter Stimme sprach. Konsequenterweise nahm Anneke kurz darauf seinen Platz am Bass ein. Unter viel Gelächter wurde dann doch wieder getauscht und „Everwake“ von Anathema gespielt. Das kraftvolle „Shades“ und das ruhige „Tárin“ bildeten den Abschluss von Árstíðirs Set, bevor sie unter großem Beifall die Bühne verließen. Ich war sicher nicht die einzige im Saal, die gerne noch mehr gehört hätte.
Anneke van Giersbergen blieb und sprach ein Lob für die Isländer aus, bevor sie ihr Set mit dem The Gathering Song „My Electricity“ begann. Ihre schöne Stimme lud direkt zum weiterträumen ein, begleitet allein von ihrer Gitarre. Vor der Hauptband des Abends gönnte sie uns allen noch mal eine Pause zum Durchatmen und einfach nur zuhören. Sie blieb allerdings nicht ohne Unterstützung, sondern holte für „4 Years“ Karl James Pestka und Hallgrímur Jónas Jensson von Árstíðir zurück auf die Bühne. Für das Cindy Lauper cover „Time after Time“ waren es Daníel Auðunsson, Gunnar Már Jakobsson und Jón Elísson. Wer sich nur aber darauf eingestellt hatte, einer ruhigen Ballade zu lauschen, bekam an diesem Abend etwas ganz Anders geboten: Während des Songs schlichen sich nach und nach alle anderen Musiker des Abends hinter Anneke auf die Bühne und fingen an, diese mit Besen zu bearbeiten. Unser kollektives Gelächter machte es schwer, den Song zu Ende zu bringen.
Anschließend wurde es wieder ruhiger, zum Zuhören und Genießen. Die Musik wurde vom Publikum positiv aufgenommen, die Stimmung war insgesamt gut und bei dem Dolly Parton cover „Jolene“ ließen sich sogar fast alle im Saal zum Mitsingen animieren. Am Ende ihres gelungenen Auftritts bekam Anneke den wohlverdienten Applaus. Auch von ihr hätte ich gerne noch das eine oder andere Stück gehört.
Pain of Salvation, die Headliner des Abends, fingen ganz ruhig mit dem neuen Song “Falling home” an, bewegten sich von dort in die Vergangenheit und wurden dabei auch lauter. Ich kann nicht wirklich behaupten mich in der Diskografie dieser Band auszukennen, aber was sie an diesem Abend spielten, war grandios. Genau die richtige Mischung unterschiedlicher Songs, um mich und alle anderen im Publikum restlos zu begeistern, alles dargeboten in entspannter Wohnzimmer Atmosphäre.
Vor dieser Tour hatte ich mit ein Akustik Konzert ja eher nur mit Gitarren und vielleicht Bass vorgestellt, lernte aber schnell, dass dabei auch durchaus Klavier und Drums zum Einsatz kommen können. So war es nicht von Nachteil, dass ich Pain of Salvation vorher nicht kannte und so manche Überraschung erlebte. Egal was sie spielten, die Schweden waren einfach brilliant. Besonders im Gedächtnis geblieben ist mir dabei das eindringliche “Ashes” – mir fehlen immer noch die Worte. Das war jedoch beileibe nicht das einzige Highlight des Abends. Egal ob Covers wie Dios “Holy Diver” oder eigene Songs wie “To the Shoreline” oder “Spitfall”, Gitarrist Roger Öjersson, Basser Gustaf Hielm, Pianist Daniel Karlsson und Drummer Léo Margarit rafen immer genau den richtigen Ton. Dass Daniel Gildenlöw ein Ausnahmesänger ist, muss eigentlich nicht extra erwähnt werden.
Natürlich hatte sie auch hin und wieder Gäste auf der Bühne, manchmal ordnungsgemäß durch Klingeln angekündigt. Aber auch öfter einfach so. Für den Kris Kristofferson Song “Help me make it through the night”, saßen Daniel und Anneke gemütlich auf dem Sofa im hinteren Bereich der Bühne und es hätte so romantisch werden können, wenn sich nicht plötzlich Ragnar Ólafson von Árstíðir mit blonder Langhaarperücke als weitere „Sängerin“ dazugesellt hätte. Den dreien gebührt ein großes Lob dafür, dass sie den Song nicht komplett verlacht haben. Überhaupt sollten Balladen an diesem Abend nicht ungestört gesungen werden. Später, bei „Second Love“ legte sich Gunnar Már Jakobsson im Schlafanzug auf´s Sofa und konnte einfach nicht mehr schlafen.
Viel zu Lachen gab´s auch bei “Disco Queen“ mit Verkleidungen und Tanzeinlagen all derer, die gerade nicht singen mußten. Trotz aller Späße wurde an diesem Abend die Musik nicht vergessen. Im Gegenteil, sie wurde sogar unvergesslich. Bei ruhigeren Stücken wurde gelauscht, nur um dann bei den schnelleren kräftig mitzusingen und zu tanzen. Das Wohnzimmer rockte und das Publikum rockte mit.
Der Zugabenteil begann mit „Dust in the Wind“ von Kansas in der wohl besten Version, die ich je gehört habe. Bei “Chain Sling“ gab es dann kein Halten mehr und beim letzten Song “1979“ wurde auf und vor der Bühne noch einmal richtig gefeiert. Das Konzert endete mit Danksagungen an alle Beteiligten und Musikern, die sich in den Armen lagen. Hier waren offensichtlich Menschen zusammengekommen, die sich gut verstanden und für alle hieß es jetzt Abschied nehmen. Ich persönlich bin glücklich, dass ich dabei sein durfte.