The 69 Eyes: Keine Souvenirs aus Disneyland
Das neue Album „Angels“, gleich nach Erscheinen Spitzenreiter der finnischen Charts, die US Tour gerade abgeschlossen – Gründe genug für STALKER, in Helsinki ein Treffen mit The 69 Eyes Schlagzeuger Jussi 69 zu arrangieren, ehe die Band wieder auf Achse ist, diesmal in Europa.
Und trotz Stress mit Interview- und Fototerminen zeigt er sich gut gelaunt und schwelgt mit uns gerne in ein paar Erinnerungen.
Die erste Frage betrifft natürlich das neue Album „Angels“. Was ist anders, was ist neu, deiner Meinung nach?
Schau das Cover an, nichts ist anders. (Gelächter) Nein, der Unterschied sind vielleicht die viel schnelleren Songs, weil wir eben nach dem „Devils“-Album so lange auf Tour waren. Wir haben in 17 Ländern gespielt, waren pausenlos auf Achse. Und in Live-Situationen willst du wirklich lieber abrocken und schwitzen und schnelle Rock-Songs spielen. Wir hatten diesen Vibe im Hinterkopf, als wir die Songs für „Angels“ schrieben. Und was ist neu? Etwas ist neu, die erste echte Ballade „Star Of Fate“, sowas wie eine richtige Ballade haben wir noch nie gemacht. Und ich würde nicht behaupten, dass wir uns selber neu erfunden haben, nein, und es ist auch nicht das ultimativ perfekte 69 Eyes Album, aber wir werden immer besser, perfekte 69 Eyes-Hymnen wie „Never Say Die“ zu schreiben. Ich würde sagen, dass es „Lost Boys“ näher steht als den düsteren Gothic-Songs, die wir geschrieben haben.
Wie ist es so mit Hiili Hiilesmaa und Johnny Lee Michaels zu arbeiten (die Produzenten des „Angels“- und des „Devils“-Albums, Anm. d. Red.)?
Sie sind wie Tag und Nacht! Total! Hiili arbeitet gerne tagsüber, Johnny fängt nicht vor 22 Uhr an. Hiili hält sich strikt an Zeitpläne, und wenn ich länger als eine Stunde und sechs Minuten für einen Drumtrack brauche, meint er „Hey, es muss was weitergehen!“, und so ist es auch. Bei Johnny könntest du sechs Monate brauchen, wenn er nicht zufrieden ist, er schert sich einen Dreck um Zeitpläne und Deadlines. Er ist der Künstler, Hiili ist der Produzent, das ist der Unterschied. Aber du brauchst beide, denn wenn wir alle diese Künstlernaturen wären, käme wohl nie wieder ein 69 Eyes Album zustande … (lacht)
Diese Ballade, die du bereits erwähnt hast, „Star Of Fate“ mit Chor und so, wie kam das zustande?
Johnny hatte die Idee und fand auch die perfekte Mannschaft, um diesen Track einzusingen, und ich weiß gar nicht mehr, wie viele Leute das waren… Wir hatten sowas im Hinterkopf wie den Soundtrack für Peter Pan (lacht), etwas, das sich für einen Animationsfilm eignen würde, Peter Pan mit Ennio Morricone Western-Musik…
Apocalyptica sind außerdem bei „Ghost“ zu hören, wieso das? Weil ihr befreundet seid?
Wegen dem Song. Ich hatte schon beim letzten Album „Devils“ vorgeschlagen, sie als Gastmusiker einzuladen, für den epischen Song “Sister Of Charity”. Ich spielte das Demo Eicca von Apocalyptica vor und meinte „ihr müsst hier unbedingt den Streicherpart übernehmen“, und Eicca, der Vollprofi, meinte nur, „hey, was ihr braucht sind Geigen, und wir spielen Cello“, und ich war nur „huch, naja, woher soll ich das wissen“ (lacht). Naja, der Punkt ist, dass wir jetzt nicht unbedingt Apocalyptica dabei haben wollten, sondern dass der Song eben Cellos benötigt. Und wenn du Cellisten als Gastmusiker brauchst, dann willst du natürlich Apocalyptica haben, denn sie sind die besten.
Gerüchteweise sollt ihr ja nun in den USA populärer sein als im eigenen Heimatland. Stimmt das, von eurer Sicht aus?
Keine Ahnung, wir kamen erst letzte Woche von der Tour in den USA zurück, und das war die längste, die wir je gemacht haben, sechseinhalb Wochen. Und was Popularität betrifft, das interessiert mich einen Scheiß. Ich meine, wir sind ja nicht mal annähernd auf dem Level – ich hasse dieses Wort übrigens – von Children Of Bodom oder HIM. Keine Chance. Aber wir haben gerade soviel Glück, um in den USA zu touren und dort so viele Fans zu haben, dass wir von Texas über Kanada nach Miami reisen können. Und davon haben wir ja immer geträumt, und nicht davon, prall gefüllte Bankkonten oder Charts-Spitzenpositionen zu haben. Natürlich ist auch das geil, wäre natürlich toll, aber unser Rock´n´Roll-Traum war immer, auf Tour zu sein und aufzutreten. Und neue Erfahrungen halten auch frisch.
Also wie war die Tour mit Cradle Of Filth?
Sie war toll. In Gedanken bin ich noch immer bei dieser Tour. Ich bin nun seit einer Woche in Finnland und bin nächste Woche schon wieder unterwegs… es war toll. Wir waren an so vielen Orten, wo wir noch nie waren, weder als Band noch als Tourist. Ich war noch nie in Miami oder Texas oder New Orleans oder Kanada. Wir spielten da auch überall, sieben Shows in Kanada, es war toll. Ja, und es war schon eine Überraschung, dass es überall, in jeder Stadt, Leute mit 69 Eyes Tattoos und sowas gibt. Einfach toll, und mein persönlicher Höhepunkt war es, die Helden meiner Kindheit zu treffen, wie Phil Lewis von den L.A.Guns oder Pantera-Schlagzeuger Vinnie Paul, auch ein großer 69 Eyes Fan. Er hat E-mails geschrieben, und endlich konnten wir uns treffen und abfeiern, es war toll, und was Metal-Schlagzeug betrifft, ist er Gott! Er hat mir auch seine typische Schlangenhaut-Snaredrum überlassen… wir trafen Glenn Danzig, er schlug eine gemeinsame Tour vor. Wir hatten eine Release-Party in New York, wo Leute von Type O Negative und Slipknot hinkamen, einfach aufregend. Und das ist viel wichtiger als Chartplätze oder Tantiemen (lacht).
Passierte etwas Ungewöhnliches während dieser Tour?
Einmal ging schon das Intro los, das heisst, nur zehn Sekunden Zeit, um auf die Bühne zu gehen, und jemand tippte mir auf die Schulter, es war der Bassist von Aerosmith, Tom Hamilton, er fragte mich, ob er ein Foto mit mir machen konnte. Und ich meinte nur, „hey, das sollte genau andersrum sein“ … (lacht), das war echt ungewöhnlich! Was noch? Naja, der Fahrer hat versehentlich die Tasche mit all meinen Hüten und Souvenirs, die ich für meine Freunde gekauft hatte, weggeworfen, bin deswegen noch immer sauer… aber das ist das einzig wirklich Schlimme, was passiert ist… Oh ja, es war auch ungewöhnlich, sowohl in Disneyland als auch in Disneyworld zu spielen! Das ist für mich sicherlich mit Abstand am komischsten! Aber wenn es jemanden gibt, der sowohl in Disneyland als auch Disneyworld auftritt, wer sonst als The 69 Eyes…
Sind Fans in den USA anders als in Europa?
Ich glaube, sie sind etwas aufgeschlossener. In Europa ist es so, wenn du Fan einer bestimmten Band bist, dann ist alles andere Schrott, du hasst alle anderen Bands außer dieser einen. In den Staaten kannst du auf Hip Hop stehen und AFI und die 69 Eyes und Slipknot, und niemand findet was Abartiges dabei. Aber natürlich will ich nicht behaupten, dass alle so sind… Fans dieser Legenden, wie etwa den Rolling Stones, die interessiert es sicher überhaupt nicht, wer da als Opener spielt.
Aber für euch als Opener für Cradle Of Filth klappte alles ohne Probleme?
Absolut! In fast jedem Interview werde ich gefragt, wie es so war, denn „ihr seid ja so verschieden“, und angeblich sind sie ja Black Metal. Aber ich glaube nicht, dass sie satanistische, Kirchen verbrennende norwegische Black Metaller sind (Gelächter), sie sind eher MTV-freundlich Image-bewusst, so ähnlich wie Marilyn Manson, schau dir nur mal ihre Fotos oder T-Shirts an. In diesem Sinne sind wir einander, in der Szene, die wir vertreten, ähnlich, und wenn du dir Danny Filth-Fansites ansiehst, findest du Danny Filth-Fotos neben Fotos von Brandon Lee, Ville Valo und auch Jyrki 69. In diesem Sinn sind wir nicht so verschieden, dieses Art von Gothic und das Drumherum um die Band, wie aus einem Film… Ich erinnere mich an das Helldone-Festival, ich signierte den Arm eines Mädels, das ein 69 Eyes Tattoo hatte, und sie trug ein Cradle Of Filth-T-Shirt. Dann wusste ich, dass alles klar gehen wird… wir kriegten einige Mittelfinger, aber damit hatten wir gerechnet. Womit wir nicht gerechnet hatten, waren die vielen 69 Eyes Shirts im Publikum. Es war fast 50:50 ihre Fans und unsere. Und außerdem sind sie echt nette Jungs, wir sind seit 10 Jahren befreundet und wollten schon immer gemeinsam auf Tour, und jetzt hat es endlich mal geklappt!
Naja, da gibt es diesen Comic „Zombie Love“ aus Jyrkis Feder, haben die andere Bandmitglieder Nebenbeschäftigungen, von denen wir bisher nichts wussten?
Nicht wirklich. Bazie produziert einige kleinere Bands, Demos und so. Jyrki und ich spielen gerne Djs, und Archie steht auf Motorräder, das ist alles.
Und Jyrki ist noch immer aktiv als Unicef-Botschfter des guten Willens?
Ja. Gelegentlich. So wie er es sieht, ist er immer bereit, wenn der Ruf von Unicef kommt.
Weißt du vielleicht, ob er bei seinen Reisen durch Afrika für Unicef sowas wie einen Kulturschock kriegte?
Ja, aber im positiven Sinn, denn er kam das erste Mal aus Afrika mit dem fast vollständigen Konzept für das „Devils“ Album zurück, und Songs wie “Hevioso” handeln zur Gänze von Afrika. Naja, wie Fans wohl wissen, holt er sich die Inspiration von Reisen und aus Filmen, das ist alles. Jetzt reist er noch viel mehr als vorher, was gut für die Band ist (lacht).
Erlebst du sowas wie umgekehrten Kulturschock, wenn du von einer Tour wieder nach Finnland zurückkommst, findest du etwas an deinem Heimatland irritierend und störend?
Ich glaube, dafür gibt es das perfekte Beispiel. Als ich im Flugzeug saß und von der Tour zurück nach Finnland flog, kriegte ich eine finnische Zeitung, und auf der Titelseite der größten finnischen Tageszeitung war eine Umfrage, die man mit Ja oder Nein per SMS oder E-Mail beantworten konnte: „Ist es OK, stolz auf das zu sein, was man macht, egal was es ist?“ Und diese Einstellung war sowas wie „willkommen zu Hause“ (Gelächter). Hier wird jeder, der mit irgendwas irgendwie Erfolg hat, gehasst. Und wenn jemand es schafft, egal ob mit Musik oder Handys, sind Leute stolz, „wir haben es immer gewusst“. Aber wenn dieselben Leute in der nächsten Woche alles den Bach runtergehen lassen, heißt es dann „klar, wir haben es immer gewusst, das sind Loser und Clowns, die nichts zustande kriegen“. Und es geht nicht darum, arrogant oder ein angeberisches Arschloch zu sein, „ich bin der beste, ich bin so toll“. Aber wenn du schon so lange hart an etwas arbeitest und endlich Erfolg damit hast, egal was es ist, ist es verboten, sich nur darüber zu freuen. Du solltest in der finnischen Kultur ungefähr diese Einstellung haben „Ich bin eh total Scheisse, alles nur purer Zufall“. Das ist immer wieder ein Kulturschock, wenn ich nach Hause komme.
Was inspiriert dich, sind es eher Alltagserlebnisse oder Reisen?
Beim Reisen kriegst du diese seltsamen Adrenalinschübe, sodass du weder Kater noch Müdigkeit fühlst. Und wenn, dann nicht so richtig. Wenn du zu Hause wärst und nichts tust, wirst du träge und kriegst nichts mehr auf die Reihe, aber wenn du reist und neue Orte siehst, nonstop, kriegst du davon diese seltsame Energie…
Als ob du ständig auf der Flucht wärst…
Naja, so ungefähr… ich hab schon einige Jahre lang nicht mehr so viel Zeit am Sofa vor dem Fernseher verbracht. Ja, das gibt dir Energie, die Fähigkeit, die Augen offen zu halten, und da meine ich nicht Sightseeing, sondern alles… du hörst Musik anders, sei es Jazz oder Blues, wenn du wirklich in Bourbon Street in New Orleans bist, du verstehst, worum es eigentlich geht. Und Musik ist ein gutes Beispiel, du hörst Hip Hop anders, wenn es in L.A. aus einem riesigen Hummer dröhnt, als wenn derselbe Song aus deinem I-Pod kommt, im Februar in Helsinki, mitten im Schnee… da interessiert dich (singt) „California“ oder sowas absolut nicht…
Im Rückblick auf deine Karriere und alles, gibt es etwas, das du in der Vergangenheit anders machen würdest, wenn du die Chance hättest?
Nein. Du lebst und du lernst, und du lernst von Fehlern. Ich habe einige gemacht, aber es gibt nichts, was ich bedauere.
Welchen Ratschlag würdest du einer Newcomerband geben, was ist deiner Meinung nach das wichtigste?
Versucht ja nicht, dem gerade aktuellen Trend, was gerade cool ist, hinterher zu hecheln, denn dafür seid ihr immer ein oder zwei Jahre zu spät dran. Und der Trend ist Geschichte, und ihr steht als Idioten da. Macht was immer ihr auch machen wollt. Der Vorteil, den wir hatten, war, dass wir so völlig unmodern gegen jeden Trend waren, so eine falsche Band zur falschen Zeit, damals waren gerade Nirvana und Pearl Jam das Riesending. Als wir machten, was wir so machen, lachten uns alle aus, „diese Kerle sind so lächerlich“, aber das wurde unser Vorteil, dass wir nicht so klangen wie diese 2500 Pearl-Jam-Möchtegern-Bands…
Vielleicht noch was dazu, deine Meinung zur Popularisierung von Heavy Metal in Massenmedien, wie etwa Idols oder Eurovisions-Songcontest. Und das passiert hauptsächlich in Finnland.
Finnland ist eine Metal-Nation, und so war es schon immer. Einige meiner Freunde, in den USA oder wo auch immer, sie glauben mir gar nicht, dass unsere Charts so aussehen: Children Of Bodom Nummer 1, Iron Maiden Nummer 2, Manowar Nummer 3…
Genau das gefällt mir an Finnland…
Es ist komisch. Und was Idols betrifft, das interessiert mich einen Scheiß (Gelächter)
Kannst du zum Abschluss noch ein bisschen deine Bandkollegen beschreiben, was du nett oder störend an ihnen findest?
Timo-Timo ist ein Punkrocker, er kümmert sich einen Dreck um irgendwas. Archie ist ein Biker, er kümmert sich nen Dreck. Jyrki ist hyperaktiv und kümmert sich um alles. Bazie scheint der Stille zu sein, aber er tut am meisten für die Band und mischt gerade Liveaufnahmen ab, er arbeitet nonstop Tag und Nacht. Nicht dass wir das nicht tun würden, aber er ist besonders involviert, was Albumtracks und Abmischen betrifft, er schläft nie. Jyrki schläft auch nie (lacht). Und ich bin das beste Klischeebeispiel für Rock-Schlagzeuger, ich merke mir nichts, richte nur Chaos an und ich glaube, ich bin auch hyperaktiv. Und laut! Und chaotisch!
Meiner Meinung nach ist Hyperaktivität für einen Drummer nicht wirklich schlimm…
Ja, glaube ich auch.
Danke fürs Interview, und viel Glück für die Tour!
Autor: Text: Klaudia Weber, Denis Nazarenko, Photos: Denis Nazarenko
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