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Spinefeast 2006

20.-21.10.2006, Nosturi, Helsinki, Finland

Interaktive Fotogalerie am Textende

Die Festivalsaison ist seit einiger Zeit gelaufen, Grund genug, sich auf Spinefeast zu freuen. Finnlands Talenteschmiede Spinefarm herrschte zwei Tage lang im Nosturi, mit 10 Bands und vollem Haus am zweiten Abend.

Spinefeast begann gemütlich, geriet zum Ende hin aber aus den Fugen. Wie immer eine beeindruckende Schlange lang vor Konzertbeginn (20 h) und „ausverkauft“-Schilder in der Nosturi Lobby. Du solltest dir also rechtzeitig Tickets sichern und dieses Event auf keinen Fall verpassen – was die vielen internationalen Gäste dieses Jahr bewiesen.
Diesmal gabs dazu noch eine „high tech“ Komponente, das gesamte Event wurde online übertragen (http://www.neoarena.fi). Andererseits wurde Fotografieren durch diese neuen Einrichtungen erschwert und war stellenweise nur vom Publikum aus möglich. Extreme Bedingungen für die Fotografen, fast wie auf einem Schlachtfeld.


Photo: Julia Sheremetyeva

Freitag: Neugeborene
Spinefeast entpuppte sich am ersten Tag als so eine Art ganz genießbarer Snack, der aber nicht mehr Lust auf das Hauptgericht machte. Der erste Tag stellte hauptsächlich die frisch unter Vertrag genommenen Bands vor und gab ihnen eine Chance, neu Fans zu gewinnen und sich als würdige Spinefarm Erwerbungen zu erweisen. Wohl nicht geplant war der Besucherrekord bei der dritten Band, die Menge wurde bei der vierten merklich dünner und verschwand beim Headliner fast völlig. In den Pausen sah der Saal sogar noch leerer aus – keiner weiß, wohin all die minderjährigen Metaller verschwanden, hoffentlich machten wenigstens die Merchandise Stände im ersten Stock gutes Geschäft.

Malummeh
Diese aggressive und wütende Teenage-Band fand ich sehr verstörend. Die Musik scheint das Produkt einer schwierigen Kindheit und ungelöster seelischer Konflikte zu sein, leidenschaftlich-bösartige Art der Darbietung – die Kids haben wohl hart an diesem Angepisst-sein-Image gearbeitet.


Photo: Julia Sheremetyeva

Militär-Tarnoutfit und kiloweise Ketten sind aus diesem Metal Genre ebenfalls nicht wegzu denken.
Malummehs Sound basiert auf Hochgeschwindigkeit, Headbangen dazu wäre Selbstmord – ebenso was die Wortfrequenz betrifft, ein brutal gegrunzter Todeswunsch, das Resümee eines dornenreichen Lebens, und das innerhalb von drei bis vier Minuten. Der Opener war schon so nervenzerfetzend, dass du hinterher ein paar Schaps brauchtest, um dich wieder zu beruhigen.

Noumena
Was für ein wundervoller Name und eine tolle Überraschung! Ohne ihre Musik zu kennen, nahm mich schon der klangvolle Name gefangen, der wohl nicht auf heavy Growls hindeutete. Und meine Intuition sollte mich nicht trügen!

Wieso hat Spinefarm sie nicht schon viel früher gesignt? Noumena ist ein Juwel, das noch etwas Schliff braucht hinsichtlich Image (ein wichtiges Kapitel im „Handbuch für junge Bands“: das eigene Merchandise auf der Bühne zu tragen ist nicht cool!) und Headbanging (bitte im Takt mit der Musik und nicht wie Wasser-aus-den-Haaren-Schütteln), aber alles in allem eine höchst beeindruckende junge Band mit vielversprechendem Potential. Wenn ich an Spinefeast ´04 zurückdenke, mit den frischen, unbekannten und unschuldigen Kiuas, die bald darauf höchst gefragt waren, scheinen Noumena nun auf demselben Weg zu sein. Sänger Antti Haapanen hat was, eine tolle Bühnenpräsenz, sehr kraft- und ausdrucksvoll. Dazu kommt noch Charisma, wohlstrukturierte Melodien auf Heavy-Basis, tiefer Gesang von klar bis rauh – sämtliche Komponenten einer Metal-Erfolgsformel sind klar vorhanden.
Mit Backvocal-Gastsängern Hanna Leinonen und Tuomas Tuominen wurde die Ballade „Slain Memories“ sehr berührend – Liebe auf den ersten Ton! Zumindest beim nächsten Track wurden auch andere aufmerksam und richteten ihre Aufmerksamkeit weg von ihren Drinks und eher auf die Bühne. Und bei der geringen Besucherzahl und dem mangelnden Bekanntheitsgrad der Band hieß es schon einiges, dass heftig applaudiert und nach Zugabe verlangt wurde!

Kalmah
Dieses Genre hat in Finnland die meisten Anhänger – Melodic Death Metal Musiker können keine Fehler machen, wenn sie Alexi Laiho und Petri Lindroos gut studiert haben. Weil Kalmah live eher eine Rarität sind, wurde diese Performance sehnsüchtig erwartet, und diese Band brach den Merchandise-Rekord.

Kahlma Shirts und Anstecker, wohin man auch blickte. Obwohl einige von Marko Snecks Ablösung am Keyboard enttäuscht waren, waren Kalmah doch die Gewinner des Abends. So viel Andrang bei einer Band, die in Helsinki nicht so bekannt ist, das kann einen Headliner schon neidisch machen. Bald konnte auch Herr Lindroos höchstpersönlich unter den Bangern in vorderster Reihe gesichtet werden! Kein Wunder, dass Kalmah die einzige Band des Abends mit andauernden Rufen nach Zugabe blieb.

Nine
Spinefarm hat dieses Jahr nicht nur vielversprechende neue Talente erworben, sondern auch die Metalfühler über die Grenzen nach Schweden ausgestreckt. Der dritterAct mit aggressiven Grunz-Death, das wurde schon etwas mühsam. Eine Überdosis sehr ähnlicher Stile, obwohl ansonsten Nine wohl eine gute Liveband abgeben.


Photo: Julia Sheremetyeva

Fronter Benjamin hat sich offensichtlich in dieser Band selbst verwirklicht, agiert lebhaft und agil, kommuniziert mit dem Publikum und hat zwischen den Tracks immer was zu sagen. Mit einem selbstgebauten Rednerpult verschuf sich der Sänger noch mehr Gehör. Nur als Nine endlich den letzten Song versprachen, schienen sie noch zwei mehr zu spielen. Irgendwie eine sehr lange Show… beim Abgang versprachen Nine, bald wieder hier zu spielen, ob du es willst oder nicht, Nine werden nicht ruhig bleiben.

Swallow The Sun
Sie haben schon immer ihre Magie auf die Zuhörer wirken lassen, aber heuer wurden sie selbst mit Wundergaben belohnt! Ein neuer Deal mit Finnlands renommiertestem und profitabelstem Label, toller Sponsordeal mit Finnlands führender Alternativ-Modemarke Backstreet (www.backstreet.fi), ein neues Album „Hope“ als die am sehnsüchtigsten erwartete Veröffentlichung in diesem Winter – die Jungs haben sich diese Geschenke redlich verdient, und dabei ist es noch gar nicht Weihnachten! Was sie nicht verdienten, war der fast völlig geleerte Nosturiclub, als ihr Set anfing. Wie kann ein Festival ausverkauft sein und dann nur noch 30 Leute im Saal haben? Obwohl sie später meinten, dass sie nicht gut vorbereitet waren und nur eine Handvoll Proben vorher hatten, war davon nichts zu merken. Professionell und emotional wie immer, wurde STS von ihren alten Anhängern gefeiert und beeindruckten einige neue. Mikkos neuer sexy Bondage-Look hinterläßt ebenfalls starke visuelle Eindrücke, zusätzlich zu den musikalischen.

Neben den Klassikern „Through Her Silvery Body“ und „Descending Winters“ gabs auch neues „No Light, No Hope“, „Don´t Fall Asleep“ und „Justice of Suffering“ – Herzen brechende Musik, die Hoffnung gibt und Trost, fast besser, dass die meisten schon weg waren, also war die Atmosphäre richtig intim, eine Stunde verstrich wie im Flug und die Band verließ die Bühne so leise wie sie gekommen waren. Ein paar „Swa-llow-the-Sun“-Rufe, und die materialisierten sich wieder wie aus dem Nichts, wie ein Nebel, spielten das beliebte „Deadly Nightshade“ und beschlossen damit den Abend.

Samstag: Finnische Herzensbrecher A-Z
Wenn es auch Ville Valo und Jonne Aaron an diesem Abend geschafft hätten, das Traum-Line-Up wäre komplett gewesen! Ansonsten gab es so gut wie alles fürs Auge, was auch erhöhte Herzfrequenzen und Kreischanfälle im Großteils weiblichen Publikum auslöst: dunkler Goth Jami mit Katzenschnurren-Gesang (End Of You), heißer Metaller J.P. mit wilden Tänzen (Charon), düster-verführerisches Johnny Depp-Double Mika (Entwine), freundlich lächelnder Blondie Emppu (Brother Firetribe) – da musste man doch einfach an diesem Samstag im Nosturi sein!

Collarbone
Beim Thema des Abends fiel diese Band völlig aus dem Rahmen. Was klang wie Emo-Alternative Rock von einem sonnigen US-Strand war ungewöhnlich (unpassend?) inmitten der Düster-Acts und verwirrend fürs Publikum. Collarbone hatte seine Fans, zumindest den Kids gefiel die stark US-beeinflusste junge und showorientierte Band.

Sicher was für jüngere und noch unentschlossene Hörer, aber irgendwie kriegte ich dabei Bam Margeras Bild nicht aus dem Kopf. (Vielleicht zu große Vorurteile gegenüber westlichem MTV). Ein guter Track ist „Seafarer´s Song“ – schnell und treibend, gerade richtig als Warm-Up! Aber warum tragen Newcomer so gerne ihr eigenes Merchandise auf der Bühne? Wirklich un-cool!

End Of You
Das muß ja köstlich sein, wenn es schon „Yummy“ heißt! Eigentlich ist der Name Jami, aber die finnische Aussprache klingt wirklich wie „yummy“, kein Scherz! Viele ausländische Fans kamen nur wegen dieser Band und daher ziemlich aufgedreht, als sie auf die Bühne kam. Das zweite Set der Nacht, aber bereits dichtes Gedrängel und euphorische ohrenbetäubende Rufe.

Markenzeichen Nadelstreifanzug (aber seltsamerweise nur ein schwarzer Handschuh, rechts) und tiefe Stimme, mit einem wohl naturgegebenen katzenhaften Charakter, leidenschaftlicher Ausdruck und sehr spirituelle (oriental-meditativ-atmosphärische) Melodien – End Of Vou haben sicherlich in der kurzen Zeit ihres Bestehens ihren individuellen Stil entwickelt. Allerdings ab und zu etwas langweilig, und ich bin nicht sicher, ihr Album zur Gänze anhören zu können; live jedoch zeigt sich Yummy seines leckeren Namens würdig.

Entwine
Um ehrlich zu sein, hatte ich schon etwas den Glauben an diese Band verloren, wenn ich ihre frühen Tage mikt dem neuen Stil und Image vergleiche, etwas enttäuschend. Wahrscheinlich hat das auch Mika Tauriainen, hochgestylt wie immer, mitgekriegt, da er wieder zu den düsteren Looks zurückgekehrt ist (danke, Johnny Depp, für die Inspiration). Dieses Jahr riskierte er nicht, ins Publikum zu springen wie als Headliner beim Feast vor zwei Jahren. Sein typischer Tanz ist geblieben, allerdings weniger Wodka und etwas mehr Charme, was die Mädels zum Seufzen brachte. Als zusätzliche Würze kam der aufstrebende Star Jules Näveri (Profane Omen, Misery Inc.) für zusätzliche Growls bei „Twisted“ auf die Bühne – ein origineller und einprägsamer Act!

In kurzen 30 Minuten spielten Entwine alle ihre Up-Beat Tracks von allen vier Alben, und auch wenn du sie nicht oft hörst oder gar nicht kennst – magischerweise kannst du sie alle sofort mitsingen – eine Band, mit der man sich sofort verbunden fühlt!

Brother Firetribe
Karikaturisten hätten hier jede Menge Inspiration! Mit ständigem Lächeln ist Emppu Vuorinen alleine schon ein wandelnder Glücksbringer, und begleitet von einigen ebenso gut gelaunten Metallern liefert der fröhliche Haufen eine Jahresration an Glückshormonen! Kein Wunder, Emppus neue Schöpfung ist inoffiziell als Joke-Metal bekannt und zog so eine Menge Aufmerksamkeit auf sich. Emppu könnte in einem Glam Punk Act spielen, nur ein Augenzwinkern, und die Menge rastet aus!

Wer wäre nicht gerne er in diesem Moment? Und da war er, präsentierte all seine Tricks und Posen, genoss die Aufmerksamkeit als Hauptattraktion des Abends. Unangenehm für den Rest der Band, drehte sich doch alles um Grinse-Blondie in diesem Set. Besonders der Sänger wirkte, als wäre er nicht wirklich von dieser Situation begeistert. Aber was kann man da machen?

Charon
Wenn vor Jahren JP nicht glücklicherweise von seinen derzeitigen Bandkollegen in den jetzt so populären Suomi-Act aufgenommen worden wäre, hätte er sicher eine unbezahlbare Karriere im Go-Go-Tanzen gemacht! Der Kerl hat all die Dehnbarkeit, Bewegungen und ungebremste Energie für die „Stange“ (fürs Mikrofon), die sofort auf die Menge vor ihm übergeht! Das nächste wäre für den ohnehin schon aufgedrehten verschwitzten Sänger gewesen, seine Krawatte abzunehmen und sie über dem Kopf zu wirrrbeln… rrrrr… Die Energie war enorm, und im Nosturi wurde es so heiß, dass die Fenster anliefen – und dass ein paar Ladies im Hintergrund zu einem Gefecht mitten zwischen den Zuhörern angestachelt wurden. Die Jungs genossen es natürlich, all die Wut und Bösartigkeiten, Haarereißen und Schlagen zu sehen, aber der Grund des Kampfes kam zurück und beendete das Ganze, die Aufmerksamkeit konnte sich wieder Richtung Bühne wenden…

Die Band hatte ihre Hits ausgewählt und klugerweise das Klischee „Little Angel“ weggelassen, was Langzeithörer sicherlich wahrnahmen und zu schätzen wussten. Mit all dem Energieschub trieb JP das Programm etwas zu zügig voran, „Ride On Tears“ geriet etwas zu schnell an diesem Abend, einer der wenigen Fehler, die diese Band jemals live macht, also verzeihlich. JP war der einzige, der das Publikum in die Band integrierte, sprang in die vorderen Reihen, und der Abschluss-Song wurde gemeinsam zelebriert – und obwohl der Sänger sofort im Wald weiblicher Hände verschwand, endete Spinefeast für alle ohne Verletzungen und höchst zufriedenstellend!

Fazit:
Leider, so ein lang erwartetes Wochenende endete viel zu schnell und, so schien es, sehr früh. Eine Minute noch Bangen zu Charon, und dann – Lichter gingen an, bohrten sich in die Augen und vertrieben dich aus dem Haus. Das zerstörte einiges an Atmosphäre. Taxis waren um die Zeit fast unmöglich zu kriegen, also bewegte sich eine Schlange von Metallern weg vom Nosturi… so endete die heurige finnische Festivalsaison. Der erste Tag war unterdurchschnittlich, wegen schlechten Besucherzahlen und indifferenten Publikum, und der zweite Tag war etwas Über-Drüber wegen Publikumsandrang und Hyper-Stimmung. Aber insgesamt war Spinefeast ein Erfolg! Wir danken den Veranstaltern und Kollegen für dieses unterhaltsame Event, tolle Musik und die Unterstützung, besonders bezüglich Fotos – das machte uns die Arbeit einfacher!
photos: Julia Sheremetyeva, Sandy Mahrer

text: Marina Sidyakina, translation: Klaudia Weber

Contributors

Sandy Mahrer

Fresh Act Redakteurin, Reportagen, Reviews, Fotos - - - Favorisierte Musikrichtungen? - Hard Rock, Heavy Metal und Pop-Rock, etc. Weniger Death, Black, Grind Core