The Ocean @ On the Rocks Helsinki
4. 12. 2024
Ich erinnere ich mich noch gut an meine erste Begegnung“ mit The Ocean im Jahr 2007 – genauer gesagt mit ihrem frisch erschienenen Album Precambrian, dessen spektakuläres, im wahrsn Sinne des Wortes vielschichtiges Cover mich neugierig genug machte, den Verkäufer im Plattenladen um eine Hörprobe zu bitten. Ein paar Takte des ersten Tracks genügten: Ich kaufte das Album auf der Stelle und bin seitdem Fan. Tolles Artwork und von der Erdgeschichte inspirierte Albumthemen sind Markenzeichen des Berliner Musikerkollektivs geblieben. Das kreative Team um Gitarrist/Songwriter Robin Staps hat sich im Laufe der Jahre ständig verändert, daher war die Ankündigung, dass die aktuelle Mini-Tour den Titel „End of an Eon“ tragen würde, um die Auflösung der aktuellen Besetzung zu signalisieren, eine ziemliche Überraschung. Eine eher unwillkommene, wenn sie bedeutet, dass sich das am zweitlängsten dazugehörende Bandmitglied, der charismatische Sänger Loïc Rossetti, von seinen Mitstreitern trennen wird – und umso dankenswerter daher, dass eine dieser letzten paar Shows in meiner Heimatstadt stattfand.
Zweifellos bezog sich der Tourname auch auf den musikalischen Inhalt; der Abend fasste die jüngste Albumtrilogie zusammen, die von unserem andauernden geologischen Äon inspiriert ist. Der erste Teil war das letzte Jahr erschienene Holocene in voller Länge der zweite enthielt Highlights von Phanerozoic I: Paleozoic (2018) und Phanerozoic II: Mesozoic/Cenozoic (2020). Der kompakte Club war rappelvoll und hatte keinen Fotograben, aber selbst von vorne in der Mitte wäre es kaum möglich gewesen, ordentliche Fotos der Bandmitglieder zu machen, die größtenteils durch Rauch und Gegenlicht verborgen waren. Stattdessen war das visuelle Herzstück der Show die faszinierende Animation der mandala-artigen Albumgrafiken. Der Sound war kristallklar und die dynamische Bandbreite dieser vielseitigen Band wurde in unverfälschter Dramatik präsentiert. Anscheinend hat Keyboarder Peter Voigtmann die Band bereits verlassen, aber seine Lücke wurde von zwei Gastmusikern an Trompete und Posaune gefüllt, die sich nahtlos ins Ganze ein fügten. Loïc sang leidenschaftlich und hingebungsvoll; so brutal einerseits seine Growls klingen, so hat im Gegenzug seine Cleanstimme etwas wunderbar Tröstendes. Und glücklicherweise hatte ihm niemand gesagt, dass Crowdsurfing in Finnland normalerweise verboten ist.
Die Aufteilung in zwei Sets mit einer kurzen Pause dazwischen funktionierte gut, da Holocene ein kompaktes, leicht zugängliches Album ist, das sich gut für eine Livedarbietung als Ganzes eignet, während Phanerozoic I&II komplexer und weitschweifiger sind. Vielleicht ist ersteres im Grunde als eine Art Epilog des vorhergehenden Duos zu verstehen, wenn man sich die geologische Zeitskala vor Augen führt, auf der das gegenwärtige Holozän nur die letzte Epoche des Känozoikums darstellt – weniger als zwölftausend Jahre des insgesamt schon über 500 Millionen Jahre andauernden Phanerozoikums. Aber wie dem auch sei, obwohl der zweite Set etwas weniger Hitpotenzial hatte als der erste, ging das Publikum durchgehend voll mit. Fulminanter Abschluss war das von einem regelrechten Strobogewitter untermalte „Pleistocene“, aber die Jungs kamen natürlich nochmal für eine Zugabe zurück und rundeten den exklusiven Gig mit emotionalen Darbietungen von „Triassic“ und „Jurassic/Cretaceous“ ab. Was auch immer die Zukunft für The Ocean bereithält, ich wünsche ihnen alles Gute und freue mich schon auf die nächste Ära der Bandgeschichte.