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Flat Earth: Rund um die Welt

Die All-Star-Band Flat Earth mit Ex-Mitgliedern von Amorphis und HIM – Niclas Etelävuori (Bass), Anttoni „Anthony“ Pikkarainen (Vocals), Mikko „Linde“ Lindström (Guitar), Mika „Gas Lipstick“ Karppinen (Drums) – hat klarerweise bereits einiges Aufsehen erregt. Und wir erwischten Niclas und Anthony in bester Laune kurze Zeit vor der Veröffentlichung ihres Debütalbums „None for One“. Und beide entpuppten sich als ziemlich gesprächig – wes ja bei Finnen nicht so selbstverständlich ist – und auch kreativ, was spontane Slogans betrifft… 

Meine erste Frage liegt auf der Hand: Euer Debütalbum kommt am 9. November raus – also was können Fans von dem Album erwarten?
Niclas: Alles –
Anthony: – und wenn man an die Singles denkt, nicht viel.
Niclas: Yeah. Alles und nichts gleichzeitig … aber es gibt eine Menge Rock’n’Roll auf dem Album, und wir packen es seitlich an, von Osten nach Westen, von Süden nach Norden …
Anthony: … yeah wir nehmen die Seitentreppe, die Treppe vorne und dann die hinten, so geht es.
Niclas: … und dann verschwinden wir durch die Hintertür.
Anthony: Yeah. 11 Tracks, und dann nichts wie ab durch die Hintertür (Reporter kichert)
Im Ernst, was vom Album zu erwarten ist … diese 11 Songs unterscheiden sich stilistisch total. Wir haben ein paar langsame Balladen-ähnliche Songs, dann waschechte Rock’n’Roll Riff-orientierte Tracks und dazwischen auch Progressive Sachen. Echt schwer zu sagen was wem gefällt und wie und wo…
N: Es gibt eine breite Palette an Farben und Stimmungen
A: Yeah hoffentlich findet da jeder was für sich aus diesem Bündel an Tracks
N: Sack voller Tracks
A: (lacht) SACK voller TRACKS!

Eine weitere Frage, die wohl jeder stellt – wie habt ihr einander kennengelernt? Kennt ihr euch von früher, habt ihr mal gemeinsam gejammt – und  (zu Niclas) es war Deine Idee, diese Band zu gründen?
N: Yeah, Linde und Gas kenne ich seit 20 Jahren, und ich habe mit Gas 8 Jahre gemeinsam in einer Band gespielt (Kyyria, Anm. d. Red), und ich war mal Lindes Gitarrentech, als er anfing, also …
A: (lacht) yeah, du hast das gar nicht wirklich erwähnt!
N: … und Linde erinnert sich nicht mal mehr daran (Gelächter). Also, ich kenne die alle seit Jahren und es war daher eine logische Lösung, da sie ohnehin nicht wirklich viel zu tun hatten. Dann kam Anthony durch unsere gute Freundin Silke dazu – und seitdem sind wir ein zusammengeschweisstes Pack!
A: Ein Pack! (fast wörtlich ROTFL) OK da kann ich fortsetzen: Wir unterhielten uns darüber und ich fragte ihn (wendet sich an N.) dasselbe, wie kamst du auf die Idee, Linde zu fragen. Und dann kam die offensichtliche Antwort – wenn du an eine Band denkst, die nur einen Gitarristen hat und du willst, dass dieser Gitarrist einen unmittelbar wiedererkennbaren Sound hat – an wen denkst du da in Finnland? Wie viele Namen fallen dir da ein? Yeah – also warum fragen wir ihn nicht einfach?  Und Jackpot, wir konnten ihn sogar kriegen.
N: Ein Segen.
A: Wir sind gesegnet.

Und die nächste Frage, die sich aufdrängt, woher stammt der Bandname, gibt es da eine Story?
A: Das war ein ziemlich übler Prozess – ich versuchte, mit coolen Worten anzukommen, kombiniert mit noch cooleren Worten, und wenn du so denkst – das geht gar nicht. Denn da gibt es viel zu viele Möglichkeiten, nicht wahr?

Yeah …
A: … daher versuchst du dich in einen anderen Bewusstseinszustand zu verwetzen und Worte fließen zu lassen, um Ergebnisse zu erhalten. Das Wort Earth fiel mir dann einfach ein, und dann versuchte ich es mit was zu kombinieren, kam irgendwie auf  „flan“ und das ist ja nicht mal ein Wort, aber mir gefiel der Klang des Wortes, und als ich auf  „Flat Earth“ kam, erkannte ich: Hey, das ist doch diese Flache-Erde-Theorie, oder? Und dann fielen mir Schlagzeilen ein, die ich mal gelesen hatte über den NBA Spieler Shaquille O’Neal, dass er mal meinte, seiner Meinung nach sei die Erde flach. Und dann blieb ich einfach dabei, schon weil ich ein großer Fan von Kobe Bryant und den Lakers bin und er da ja auch spielte, also habe ich  Shaq auch oft Spielen gesehen. Und ich bin mir nun nicht sicher, ob er Witze machte, aber dass er die Möglichkeit hat, so frei zu denken – und ich mochte diese Idee, die ist so Punk Rock. Wenn du glauben kannst, dass die Erde flach sei, dann kannst du sie dir auch viereckig vorstellen…
N: … dann kann es eines Tages auch eine Pyramide sein
A: Yeah Pyramid Earth …

Gibt ja auch eine „hohle Erde“ Theorie – dass wir auf der Innenseite einer Hohlkugel leben… 

A: … und nun fehlt uns nur noch eine Theorie, all diese Theorien zu vereinen.

Yeah! (Gelächter)
A:  Dann dachte ich zuerst, der Name ist echt schlecht, aber ich behielt ihn erstmal im Hinterkopf, denn ich wusste, dass ich der Band ein paar Vorschläge machen musste, nur musste ich sie vorher ein bisschen beschwipst machen… Ich hatte einen anderen Namen damals, wo ich annahm, dass er eher genommen würde. Aber am nächsten Morgen, als wir aufwachten und diese zwei Möglichkeiten hatten, riefen wir Silke an (die Band-Promoterin, Anm. d. Red.) „Hey wir haben zwei Namen“ und sie war sofort für „Flat Earth!“ Alles klar, Sache gegessen!

Wie lange hat es gedauert, den ersten Song zustande zu kriegen – ging es schnell, oder war das ein schmerzhafter Prozess? 
N: Es ist immer so wie ein Messer, dass dir einer in den Leib stößt und dann umdreht, wieder rauszieht und dann nochmal zusticht – du weisst nie, wie es ausgeht. Aber es ist unterschiedlich, manchmal dauert es nur ein paar Minuten, manchmal Tage, Wochen. Sogar Jahre. Das weißt du nie. Manchmal kommt ein Song sofort daher, das passiert aber nur selten. Meistens ist es ein monatelanger Prozess und du musst im Wald spazieren gehen und so.
A: Und ich würde sagen, die Essenz eines Songs ist nicht dasselbe wie der komplette oder fertige Song. Denn wenn du Zeit hast und den Song unvollendet lässt, wird der sich mit der Zeit weiterentwickeln. Du musst einfach hier und da noch etwas basteln… aber du (zu N.) hattest schon 7 Demos fertig, als wir uns das erste Mal trafen und ich glaube, nach nur ein paar Wochen hatten wir daraus fünf oder sechs fertige Songs gemacht (N. stimmt zu). Wenn man das als den ursprünglichen Songbastelprozess bezeichnen kann, dann war der gar nicht schmerzhaft.
N: Es war „fast as a shark“

Das bedeutet, die meisten Songs stammen von dir …
N: Zunächst mal, als wir anfingen mit der Band, aber dann brachten auch die anderen was ein. Von mir sind  70 % oder 50 %. Anthony hat all die Vocals gemacht … yeah, wir mussten ja wo anfangen… Und es lief gut. Wir haben schon angefangen, Ideen für das nächste Album auszutauschen.
A: Wenn du kollektiv so an Songs arbeiten kannst, dann hast du vier Bandmitglieder und alle können einbringen, wie sie Songs strukturieren wollen. Ich glaube, es passiert nicht so oft, dass die Chemie zwischen Bandmitgliedern so gut passt, sodass unbewusst auf dieselben Ziele hingearbeitet wird. Und es ist noch immer das erste Album. Wenn wir auf diese Art weitermachen können, bin ich schon gespannt, wie das nächste Album ausfallen wird, wo wir alle erstmal von Null anfangen.
N: Yeah, wir haben unterschiedliche Arbeitsweisen ausprobiert und so lange gebastelt, bis alle zufrieden waren.
A: Yeah genau, und mit dem schon fertigen Material von Dir für uns  wurde es irgendwann überflüssig nachzudenken, was denn nun von wem stammte  …
N: … udn wir hatten  Hiili (Hiilesmaa) als Produzenten …
A: … yeah genau, er mischte da ebenfalls mit …
N: … alles ging durch den Fleischwolf, jeder Song wie ein großes Stück Fleisch, erstmal durch den Wolf drehen …
A: … und dann verpacken
N: und manchmal noch mit Salz und Pfeffer würzen.

Wie arbeitet ihr denn konkret – heutzutage ist es ja nicht mehr das „gemeinsam im Proberaum“ sondern eher über das Internet (da ja nur zwei Bandmitglieder in Helsinki wohnen)?  
N: So gut wie alles läuft bei uns über E-mail. Linde hat sein Haus und Gas auch, wo sie ihren Kram haben und dort zu Hause an Songs arbeiten können …
A: … und ich habe nun dein Studio!
N: … yeah, meine Sachen .. (Gelächter) Wegen der Distanz zwischen unseren Wohnorten kann sich auch jeder die Zeit nehmen, die er braucht, um erstmal einen Song zu bearbeiten und dann den nächsten.

Also kein Jammen im Proberaum mehr… gibt es im Vergleich noch andere große Unterschiede zu früher und euren ersten Bands als Teenager und wie ihr nun mit dieser Band arbeitet?
N: Tja, die ersten Bands waren „Erstmal Rumprobieren“
A: … es gibt effektivere Arbeitsmethoden …
N: … alles wird erstmal ausprobiert, und heute wissen wir schon, was man nicht probieren sollte und was schon. Außerdem ist es netter im Proberaum, wenn es tatsächlich was zu proben gibt. Aus nur mal Krachmachen kommt selten was Schönes raus – es ist einfach leichter, schon einen Plan zu haben, ehe man probt (Gelächter).

Weil du ein Studio erwähnt hast – in eurem  Video „Blame“ ist die gesamte Band live im Studio zu sehen; habt ihr also echt was live im Studio aufgenommen?
A: Nein, das war alles gestellt  (lacht)
N: Aber wir haben in diesem Studio aufgenommen …
A: … wir mussten effizient arbeiten, um Footage mit der gesamten Band im Studio zu kriegen…
N: … aber wir hatten einen eigenen Tag für diese Filmaufnahmen. Du kannst nicht wirklich filmen, wenn da ein Schlagzeug aufgenommen wird – da kann die Kameraperson schnell wo dranstoßen, und die Aufnahme ist im Arsch.
A: Yeah, das wäre also NICHT effizient, also macht es keinen Sinn. Wir haben jetzt so viel Video-Material für zwei weitere Songs.

Übrigens, Anthony, ich nehme mal an, du schreibst alle Texte  (A. bestätigt es) – also woher holst du dir die inspiration für die Texte?
A: Ich warte normalerweise so lange, bis mich was stimuliert, warte auf einen Aussichtspunkt, um mir Ideen anzusehen. Für mich ist das ein Prozess der Katharsis, ich schreibe immer über Sachen, die mich mitnehmen, entweder Beziehungen, die Wirtschaft, Kultur, Politik,  Philosophie, Releigion – all diese Themen, die ich in einem normalen Gespräch nicht diskutieren kann. Das verwende ich für Texte, so verarbeite ich negative Gedanken, intensive negative Gedanken, die ich loswerden muss. Es ist fast wie ein Gespräch mit einem Wesen, wo ich meine Sorgen ausdrücke und so eine neue Sichtweise kriege. Das bewahrt mich auch davor durchzudrehen und so kann ich es schaffen, ausgewogen zu bleiben. Das ist also die Inspiration

Ist es immer die Melodie, die zuerst kommt, oder kommt auch manchmal der Text früher? 
A: Sehr selten kommt der Text zuerst, denn ich gehe das Singen dadurch an, dass ich mich auf die Melodie und den Klang konzentriere. Ich klammere mich nicht an Worte. Ich hab lieber schwer verständliche Texte und eine tolle Melodie als einen lyrischen Ausgangspunkt und dann eine weniger beeindruckende Melodie. Ich nehme für gewöhnlich die Idee für eine Melodie her und machen dann die Sounds dazu, bis irgendwie Worte auftauchen, die zu den Sounds und in den Fluss und den Rhythmus passen. Dann sehen ich Strukturen, nehme mehr Worte dazu, bis sich eine Geschichte ergibt. Was sage ich da im Unterbewusstsein, welche Worte benutze ich für die Melodie, für den Rhythmus? Das ist ein Prozess… (fängt an zu lachen) und das ist eine miese Antwort.

Nein, gar nicht, ich glaube, ich verstehe, was zu meinst… Ihr habt alle so viel Erfahrung auf dem Buckel, durch Ausprobieren, Erfolg und weniger Erfolg – ist das nun schwieriger mit einer All-Star-Band oder leichter? 
N: Ich weiss nicht – es ist nicht leichter, aber weil die gesamte Musikszene nicht mehr so groß ist wie früher, die Finanzen, die Plattenverkäufe – es gibt nicht mehr so viele Plattenläden, das alles macht es schwieriger. Andererseits, was die Auftritte und das Spielen betrifft, das haben wir natürlich lange Zeit gemacht und kriegen das wohl auch gut hin, egal was passiert. Da gibt es andere moderne Herausforderungen.

Das bringt mich auf eine andere Frage – eure Platte erscheint bei Drakkar, ausgenommen jedoch Finnland, da habt ihr eure eigene Plattenfirma  Suur Etiket. Warum habt ihr euch entschlossen, eine eigene Plattenfirma zu gründen, und wer von euch leitet die? 
N: Es gibt einen Vorsitzenden und eine Geschäftsleitung, und wie ich schon sagte, es gibt nicht mehr so viele Plattenläden, und wir kommen da mit einem einfachen Anruf mit ins Angebot, also warum sollten wir einen Vermittler bezahlen?
A: Yeah das wäre völlig unsinnig.

Klar, daran hab ich gar nicht gedacht!
N: So viel passiert heutzutage ohnehin  online
A: Und Finnland ist unser Hauptmarkt, aber das bestärkt nur die Entscheidung, dass wir es lieber selbst machen sollten, denn dann haben wir auch die vollständige Kontrolle.

Hat denn jeder bestimmte Aufgaben in der Plattenfirma?
(Silke im Hintergrund „Nico macht alles“ – alle lachen)
A: … und wir nicht so viel….
N: Der Vorsitzende deligiert die Aufgaben an alle anderen
A: Ja genau (lacht)
N: Der Mann mit den Sitzen, mit allen Sitzen … (Gelächter)

Euch stehen einige Gigs in Finnland bevor und das Album kommt bald raus – gibt es noch weitere Pläne für die nahe Zukunft, Festivalgigs oder so?
N: Yeah, wir wollen mit Flat Earth rund um die Welt kommen!

(allgemeines schallendes Gelächter)
A: Das Interview ist beendet!

Ja stimmt, dieses Statement ist so genial, das kann man nicht mehr toppen … danke für das Interview, und bis bald bei einer eurer Shows

Textphotos: K. Weber
Bandphoto: AJ Savolainen

Klaudia Weber

Rücksichts- und gnadenlose Diktatorin, kniet vor mir! Anders gesagt: Chefredakteurin, Übersetzerin, Webseiten- und Anzeigenverwaltung, also "Mädchen für alles" - - - Schwerstens abhängig von Büchern (so ziemlich alles zwischen Herr der Ringe und Quantenphysik) und Musik, besonders von Metal finnischer Prägung. Weiters Malen, Zeichnen, Film, Theater... also könnt ihr mit einer vielseitigen Website rechnen. Mag.phil., zwei in 5 Jahren parallel abgeschlossene Vollstudien (English & American studies, Medienkommunikation) und stolz darauf, denn als Mädel aus einer Arbeiterfamilie in einem erzkonservativ-katholischen Land ging das nur dank Stipendium und etwas später im Leben als andere....