Blaakyum – Fresh Act August 2016
Unser neuer Fresh Act Blaakyum stammt aus Beirut, Libanon – aus einer Gegend, wo es Metalfans bzw. MusikerInnen alles andere als leicht haben… Hier könnt ihr nachlesen, was offizielle Medien gerne verschweigen, was sie als Kulturschock empfanden, was ihnen Angst macht und was sich im Underground des Mittleren Ostens so abspielt.
Hallo Jungs, ich bin durch Zufall in euren Tuska-Gig gestolpert und war begeistert – aber ich weiss gar nichts über euch, und ich vermute, der Lesergemeinde geht es ebenso. Also könnt ihr euch bitte kurz vorstellen: wer seid ihr, wie habt ihr einander kennengelernt, wer hatte die Idee, eine Band zu gründen, und war es schwierig, Bandmitglieder zu finden?
Bassem Deaïbess: Hallo, vielen Dank, dass du bei unserem Gig warst! Wir sind ganz normale Jungs mit etwas weniger normalen Leben Die Bandgeschichte ist zu lang und ich will nicht mit Details langweilen. Ich gründete die Band 1995, ehe es soziale Medien gab, daher war es ein spannendes Abenteuer, Bandmitglieder zu finden. Mein Nachbar und ich wollten eine Band gründen und suchten Mitglieder; mein Nachbar erinnerte sich an einen Klassenkameraden, der auf Metal abfuhr und Gitarre spielen lernte, also nahm er Kontakt auf, und so lernten wir Jad Nohra kennen, er wurde Mitbegründer und Lead Gitarrist der Band. Ein paar Wochen später fanden wir einen Drummer namens Jean Saad kurz vor unserem ersten Gig in einer Kirche! Und dann kam einer meiner Brüder, Samer Deaïbess, am Bass dazu… das war die Originalbesetzung. Seitdem hat Blaakyum bis 2001 fünf Mal die Besetzung geändert, ehe ich aufgab.
2007 formierte sich die Band neu mit neuen Musikern. Einer davon ist Basser Rany Battikh, welcher neben mir das am längsten aktive Mitglied der Band ist. Von 2007 bis 2016 gab es ebenfalls viele Wechsel im Line-Up. Das ist nicht einfach und gar nicht lustig, eine Metal-Band in einem Land wie dem Libanon zu sein, das sich am absteigenden Ast befindet. Diese Formation auf unserem aktuellen Album Line Of Fear war: Rany Battikh – bass, Jad Feitrouni – drums, er kam Jänner 2009 dazu, Rabih Deaïbess – lead guitar, und er ist auch mein jüngerer Bruder, der 2012 einstieg, und ich. Wir haben auch Elie Abou Abdo an der Tabla (libanesisches Percussion-Instrument), der 2015 als Session-Musiker dazukam. Leider musste Jad Feitrouni die Band verlassen, da er nach Kanada auswanderte, und wurde durch Hassan Kheder ersetzt, der aus Saudi-Arabien stammt und kürzlich in den Libanon gezogen ist. Auch Rany Battikh kann aufgrund seiner sporadischen Arbeitszeiten und Vorbereitungen für seine Hochzeit derzeit nicht mit uns auftreten. Pierre Le Port, der unlängst aus Frankreich in den Libanon gezogen ist, kam erst vor ein paar Monaten dazu. Diese Besetzung war auch beim Tuska Open Air zu sehen.
In der Vergangenheit war es einfacher, Musiker zu finden. Nun ist es wie Wasser in einer Wüste suchen!
Wie wurdet ihr Metalfans und wann wurde die Entscheidung getroffen, Musiker zu werden – durch einen bestimmten Song oder eine Band?
Bassem Deaïbess: Musik war immer Teil meines Lebens, dank eines visionären Vaters, der mich mit klassischer Musik aufwachsen liess und meine Phantasie anregte. Als Teenager interessierte mich Pop und Breakdance, und ich kam durch Libanons öffentliches Radio auf Metal, ehe diese Musik ab Mitte der 90er verboten wurde. Ich hatte gerade begonnen, Gitarre zu lernen, und es ist wohl überflüssig zu erwähnen, dass ich keine Ahnung hatte, wie man zu dieser Musik tanzen sollte!! (Gelächter) Ich habe es probiert, ob du es glaubst oder nicht, jedoch ohne Erfolg; und ich konnte auch nicht die Popmusik, die ich mir gerne anhörte, auf der Gitarre spielen, das funktionierte irgendwie nicht!
Dank meiner Cousins und der Lehrkraft für Französisch wurde ich auf den rechten Pfad gelenkt. Zunächst durch Bodycount, da ich damals noch auf Rap und HipHop stand, und es war ein netter Übergang von Pop zu den Scorpions. Dann kaufte ich mir meine allerersten Metal-Cassetten, ein Double-Tape namens Lose Your Illusion I und II, und Metallicas Black Album und AC/DCs Ballbreaker. Ein paar Monate später sah ich eine Les Paul Gitarre zum Verkauf ausgeschrieben bei einem Schneider!! Eine billige Marke, aber ich musste die haben. Ein typischer Traum eines Noch-Teenagers und aufstrebenden Musikers: ich wollte eine Band gründen. Einen Sänger zu suchen kam nicht in Frage. Wo ich lebte, war ich weit und breit der einzige Rocker. Also fing ich selbst an zu singen.
Ich kann nicht sagen, ob es ein bestimmter Song oder eine Band war, die mich zum Musiker-Dasein inspirierten. Ich hatte schon in jungen Jahren mit künstlerischen Auftritten zu tun, da ich Tanzshows an meiner Schule organisierte. Es ist einfach so, dass Metal es schaffte, meine tiefsten Gefühle anzuregen, was vorher keine andere Musik geschafft hatte… ausser Klassik. Ich wollte einfach nicht der breiten Masse folgen. Metal wurde ein Mittel, mich auszudrücken, in einem ultra-christlich-konservativen Umfeld. Obwohl ich damals bekennender Christ war, empfand ich Metal als die Brise kritischen Denkens, das in unserem Erziehungssystem und unseren traditionellen sozialen Normen fehlte. Ich fühlte mich im Metal richtig zu Hause.
Rabih Deaïbess: Die Tatsache, dass mein Bruder die Band Blaakyum gründete, als ich 6 war, veranlasste mich dazu, selbst ein Metalhead zu werden, und es war hauptsächlich das Symphony X Album Divine Wings of Tragedy, das mich inspirierte, eine Band zu gründen.
Hassan Kheder: Ich kriegte das Spiel “Guitar Hero” und “Rock Band” in die Finger, als ich 12 war. Als ich das Spiel bewältigt hatte, auch im härtesten Level an den Drums, war ich bereits mit Bands wie Metallica und Iron Maiden vertraut. Und ich sah mir jedes einzelne Drum-Video an, das ich nur auf YouTube finden konnte. Ich war fasziniert. Ich bettelte dann bei meinen Eltern um ein Schlagzeug, und sie kauften mir ein elektronisches Kit. Ich fing selbst an zu lernen, da es ja keine Schlagzeuglehrer in Saudi-Arabien gibt. Und mich interessierten die härteren Bands immer mehr.
Was bedeutet der Bandname, gibt es eine Story dazu?
Bassem Deaïbess: Ich glaube, ich war 14 oder 15, als ich auf den Namen kam, also noch ehe ich die Band gründete. Ein Teil hat mit dem Bezug zum Christentum zu tun… ein weiterer ist es, dass ich schon immer gerne mit Formen spielte, die sich in Laute umsetzen lassen, dass etwas also gut aussieht und klingt! Dann auf Metal zu stehen und die Farbe Schwarz, die ich elegant und gepflegt finde – ich kombinierte beides, Schwarz (Black) und -ium, die Endung, die für Metall-Elemente in Chemie benutzt wird, wie etwa Uranium. ”Blackium” fand ich nicht so toll, BLAAKYUM hatte mehr Symmetrie und Ausgewogenheit, sah cooler aus und… und so weiter
Was macht ihr ”im richtigen Leben” – da ich ja mal annehme, dass ihr, wie die meisten MetalmusikerInnen auch, nicht davon leben könnt?
Bassem Deaïbess: Ich studierte Psychologie und habe nun meine Studien wieder aufgenommen, da ich einen Doktortitel machen will. Aber ich habe in diesem Feld nie gearbeitet oder habe es wirklich vor. Ich will allerdings Forscher werden, denn der wissenschaftliche Aspekt daran interessiert mich mehr als eine Praxis aufzumachen. Ich hatte viele Jobs im Laufe der Jahre, ich besass eine eigene Metal-Bar von 2006-2009, davor arbeitete ich als VJ in Clubs und dann war ich auch Rock Performer bei einem prestigeträchtigen Club/Venue/Label namens Music Hall Beirut. Aber das wirkte sich schlimm auf meine eigene Band aus, da ich vertraglich gebunden war und es mir nicht erlaubt wurde, ausserhalb von Venue/Label Events aufzutreten. Also kündigte ich! Das war 2011, und danach beschloss ich, niemals wieder einen Job anzunehmen, der die Band behindern würde. Das ist nicht einfach, aber ich komme durch! Manchmal gebe ich Musik- oder Gesangsunterricht, aber mein Haupteinkommen derzeit kommt vom Artikelschreiben und Privatunterricht geben.
Rabih Deaïbess: Ich manage ein Pub im Libanon, ich gebe Musik- und Gitarrenunterricht und ich bin der Präsident einer gemeinnützigen Organisation, die sich um syrische Flüchtlinge kümmert.
Hassan Kheder: Ich habe gerade angefangen, an der Universität zu studieren.
Wie hat sich euer Stil entwickelt, was sind die Haupteinflüsse?
Bassem Deaïbess: Zunächst stand ich auf Heavy Metal, wie Metallica, Iron Maiden, Judas Priest, Warrior, Guns N’ Roses, AC/DC, Manowar, und Dream Theater und Symphony X. Nachdem sich Blaakyum 2001 auflöste, sang ich in einer Coverband namens Communion, welche meine Ohren öffnete für Classic Rock und Hard Rock, Black Sabbath, Deep Purple, Whitesnake, Kingdom Come… etc. Nachdem ich Blaakyum wiederbelebte, war ich ein fanatischer Thrash und Heavy Metal Hörer, aber als ich älter wurde, und wütender, wurden Death Metal, Technical Death, Black Metal und Grind/Death Teil meiner täglichen Listeningsessions. Natürlich war Klassik stets mein Fave, und moderne Klassik oder was man als Filmmusik kennt. Ich mag auch Worldmusic, ethnische Musik, hauptsächlich keltisch und europäisches Mittelalter, vielleicht weil ich eine Zeitlang ein Riesen-Powermetal-Fan war. Klassische arabische Musik und jene aus dem mittleren Osten, besonders aus Andalusien, die wir Mouwashahat nennen, traditionelle kulturelle Musik aus Regionen wie Kodoud Halabia, und unsere eigene Fairuz und Al Rahbani Musik, ebenso wie links-politische orientalische Musik wie Marcel Khalife… ich meine, ich könnte endlos weitermachen… was Metal betrifft, heute kann ich wohl sagen, dass meine Haupteinflüsse Onslaught, Testament, Overkill, Sodom, Kreator und Cryptopsy sind.
Rabih Deaïbess: Mein Stil entwickete sich von Alternative zu Rock zu Metal, obwohl ich als Symphony X Fan anfing, aber als ich älter wurde, ging es eher in die Richtung von Creed, Stained, und ähnliche Alternative Bands, während mein Liebling war und noch immer Led Zeppelin ist, Pantera war die Band, die mich wieder zum Metal brachte und besonders zum Thrash.
Hassan Kheder: Die Bands, die mich interessierten, waren sehr unorthodox. Sie sind Teil der Avant-garde Crossovers vieler verschiedener Metal-Genres, sehr technisch und ziemlich abartig, und Meshuggahs Tomas Haake war ein wichtiger Einfluss für mich. Obwohl ich mir auf YouTube viele Drum-Videos ansah, probierte ich nie diese Drum-Lehrvideos, ich zog es vor, es selbst über Ausprobieren zu erlernen. Daher habe ich wohl einen eigenen Stil entwickelt, mit allen Vor- und Nachteilen.
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Welche MusikerIn / Band ist in eurem Land am populärsten, und welchen Stil haben sie? Ist as für euch ”Musik, die in der Hölle gespielt wird”, oder findet ihr diese US Radio Pop Sachen noch schlimmer, bzw. die europäische Schlager / volkstümliche Musik (könnt ja mal googlen und reinhören)? ?
Bassem Deaïbess: Ich hab die volkstümliche Musik gecheckt! Schlimm, aber nur halb so schlimm wie unser eigener Arabischer Pop. JA, die populärste Musik hier ist ”Musik, die in der Hölle gespielt wird”. Widerlich, talentlos, hohle, idiotische Musik genannt Arabischer Pop. So wie die verabscheuungswürdige Elisa, die wertlose Haifa Wehbe, die mehr wegen ihrer widerlichen Titten verehrt wird als ihre nicht-existente Gesangsstimme; Najwa Karam, die eine unglaubliche Stimme hat, aber die idiotischten Texte zu der talentlosesten Recycling-Musik singt, und der unbrauchbarste Form von Entertainment. Daher nein, US Pop oder zentraleuropäische Schlager sind vergleichsweise weniger schmerzhaft, aber nur wenn wir Mainstream R&B auslassen, der mindestens eine ebenso grosse Schande der Menschheit ist wie Arab-Pop, und auch wenn wir künstlich erzeugte Töne, die manche Musik nennen, ausschliessen, so wie Justin Bieber und One Direction, die sich gerade aufgelöst haben, hoffentlich für immer.
Ich weiss ja fast nichts über die Metalszene im Mittleren Osten, ausser dass du Riesenprobleme kriegen kannst als Metalfan (was mir Leute, die von dort stammen, erzählten), oder Probleme, die Bands kriegen können (etwa Swallow The Sun, die plötzlich nicht mehr in Dubai auftreten durften), und was in Sam Dunns Dokumentation ”Global Metal” gezeigt wurde.
Bassem Deaïbess: Ehrlich gesagt, Swallow the Suns Probleme in Dubai rührten daher, dass ein neidischer Promoter die Behörden einschaltete, sich als besorgter Elternteil darstellte und behauptete, Swallow the Suns Texte würden die “nationale Moral” missachten. Aber abgesehen davon war Saxon die einzige Metalband, die nicht in Dubai spielen durfte, damals in der Desert Rock Festival Ära, und das war wegen deren Song Crusader, der als beleidigend für den Islam empfunden wurde. Ansonsten sind Iron Maiden, Metallica, Black Sabbath, um nur einige zu nennen, in Dubai aufgetreten, Maiden öfter als nur einmal, Megadeth, Machine Head… alle konnten ohne Probleme nach Dubai kommen. In der Tat ist Metal in Dubai freier als anderswo im Mittleren Osten. Andererseits werden die Metalheads in Ägypten in letzter Zeit am härtesten unterdrückt. Der Libanon machte schwere Zeiten durch, besonders während ”Aktion Scharf gegen Metal”, was zweimal geschah, 1996 und 2002, und die letzte Attacke passierte 2012, die aber nicht so lange dauerte wie die ersten beiden Wellen.
Das syrische Regime liess nach 2003 das Beil sausen auf die Metalszene, ganz nach dem Vorbild im Libanon, aber nicht weil die Musik als ”satanistisch” abgestempelt wurde, sondern weil sie ”zu sehr die amoralische westliche Kultur propagiert” … was auch immer dieser Unsinn bedeuten soll.
Auch Marokkos Metalszene war in den 90ern der Verfolgung ausgesetzt, wurde aber von der gebildeten Bevölkerungsschicht und Journalisten unterstützt – nicht so wie im Libanon und Ägypten, wo es die Journalisten waren, die diese Hexenjagd anzettelten. Im Libanon sind die Dinge niemals gewiss. Wir hatten diese beiden Attacken auf die Szene, welche diese von einer ziemlich grossen zu einer sehr kleinen reduzierte, die ums Überleben kämpft. Aber der schlimmste Ort ist wohl Saudi-Arabien, gefolgt vom Iran. In Syrien und im Irak ist alles so ziemlich kaputtgegangen, also kann ich nicht mehr viel dazu sagen, aber im Irak wurden einige Metalheads hingerichtet, weil sie der Hexerei beschuldigt waren. Ähnliche Dinge passierten im Iran und in Saudi-Arabien, aber sowas steht ja nie in den Nachrichten, besonders nicht in den Vereinigten Emiraten, wo ja die Verbreitung derartiger Informationen nicht gestattet wird.
… im Irak wurden einige Metalheads hingerichtet, weil sie der Hexerei beschuldigt waren…
Wie ”gefährlich” ist es denn, ein Metalhead in Beirut zu sein? Du hast ja in der Bandbiografie erwähnt, dass du gleich 2x im Knast warst – hat sich an der Lage was verbessert, oder steht man als Metalfan in deinem Land noch immer mit einem Fuss im Gefängnis? Wie ”Underground” ist die Metalszene in deiner Heimat?
Bassem Deaïbess: Die Situation im Libanon ist definitiv besser als vorher, ich kann nicht sagen, ob der Grund dafür ist, dass die Metalszene wesentlich geschrumpft ist bis hin zu dem Punkt, wo uns die Leute gar nicht mehr wahrnehmen, oder weil einige Leute nun mehr Vernunft im Schädel haben. Aber wie der 2012 Massacore Zwischenfall zeigte, müssen wir uns darauf gefasst machen, dass Dinge jederzeit explodieren können. Das Problem ist, dass die Kirche hier sehr stark ist und viele Aspekte des Alltagslebens kontrolliert. Genauso wie andere Religionen, die mit unserem sektiererischen politischen System dicht verwoben sind. Und der Journalismus im Libanon ist auf einem verachtenswert niedrigen Niveau, für gewöhnlich werden ”Hexenjagden” durch frei erfundene Medienmeldungen angezettelt. Und leider sind für gewöhnlich die Leute im Libanon nicht gut unterrichtet, sind sehr religiös und glauben alles, was in Zeitungen geschrieben wird oder was ihre geistlichen Führer ihnen weismachen.
Aber wir haben andererseits diesen kleinen Anteil an Freiheit, oder Halb-Freiheit. Wenn die Kirche, die Moschee, die Journalisten und die Regierung zu beschäftigt sind, ihre feudalen Konflikte auszutragen, vergessen sie uns. Es gibt neuerdings viele Metal-Konzerte, nur leider nicht mehr mit so viel Publikum wie damals. 1997 wurde in Beirut ein grosses Rockfestival abgehalten, wurde allerdings als Rock-Konzert bezeichnet … und tja, es gab keinen Grund, da andere Namen auszudenken :P, es war ein reines Metal-Festival mit 15 Bands aus der Umgebung, und 1998 hatten wir die zweite Auflage mit zirka 20 Metalbands. Es kamen zwischen 100 und 1800 Leute, und dann 2001 hatten wir unser erstes regelmässig stattfindendes Metalfestival namens Rock Nation, wo wir bis zu 2500 Besucher hatten. Rock Nation wurde jährlich veranstaltet, von 2001 bis 2008, jedoch nicht in 2002. Weiters hatten wir andere grosse Events, organisiert von RockRing, einer örtlichen Rock und Metal Promotion Firma, und das waren Back To The Roots und Summer Fusion. Summer Fusion 2009 versammelte rund 2000 Zuschauer, und 2010 zirka 1700, wurde dann aber eingestellt. Zwischen 2011 und 2015 hatten wir nur ein grosses Metalfestival namens Beirut Rock Festival, das zwei Mal stattfand, und wo To Die For, Anathema, Moonspell und Katatonia im Libanon auftraten. Das Problem ist, dass die meisten wichtigen Metal-Versammlungsorte geschlossen wurden; ich schloss mein Metalpub, das ich seit 2006 betrieben hatte, und das Venue, wo die meisten unserer Gigs stattfanden, wurde dem Erdboden gleichgemacht und in einen Parkplatz verwandelt. Auf diese Weise ist die Szene kleinweise geschrumpft.
Summer Fusion wurde 2015 neu aufgelegt, woran leider nur 300 Leute teilnahmen. Aber wenigstens werden Gigs veranstaltet, auf nahezu monatlicher Basis. Metal ist Underground in dem Sinne, dass es keine Mainstream-Musik ist, wir haben keine Verbreitung via Radio oder TV und keiner würde eine Metalveranstaltung sponsern, die stecken lieber Geld in Psytrance oder Electronica Events. Aber das war es auch schon, wir sind nicht Underground in dem Sinn, dass wir uns verstecken müssen. Zumindest nicht mehr. Wie lange noch bis zur nächsten Hexenjagd? Das weiss niemand so genau.
Hassan Kheder: Ich war nicht dabei, als die Metalszene in Saudi-Arabien lebendig war, ich war noch zu jung. Anfang der 2000er gab es den Höhepunkt der Saudi Metal Szene, denn da konnte man einige Konzerte weiter draussen in der Wüste veranstalten, ohne dass die Behörden was mitkriegten. Es durften keine Tickets verkauft werden, also waren es keine richtigen Gigs, einfach nur Treffen weit abseits der Städte, von denen nur die Metalheads was wussten, und es waren Gratiskonzerte, also echt Underground. Das letzte erfolgreiche Konzert fand 2007 statt. Aber die Organisatoren machten 2 Fehler, sie verkauften Tickets und es war ein gemischtes Event, also mit Männern und Frauen, was verboten ist. Daher schlug die Religionspolizei zu und verhaftete jeden, den sie nur zu fassen kriegten. Die Leute wurden der Hexerei und der Teufelsanbetung angeklagt. Soviel ich weiss, wurde niemand hingerichtet, aber viele blieben viele Jahre lang hinter schwedischen Gardinen. Das war das letzte Event in Saudi-Arabien ausserhalb abgeschotteter Wohnanlagen.
Ist es in eurem Land am schlimmsten, oder gibt es in Nachbarstaaten noch Schlimmeres?
Bassem Deaïbess: Wie gesagt, verglichen mit anderen Ländern im Mittleren Osten, abgesehen von Dubai in den Vereinten Emiraten, sind wir viel besser dran. Zumindest werden wir nicht dafür umgebracht, Metalheads zu sein, so wie in Saudi-Arabien, im Iran und im Irak. Und leider steht die grosse ägyptische Metalszene stets unter Aufsicht der Polizei, und die Anschuldigungen der Teufelsanbetung hören nie auf. Abgesehen von gelegentlichem Misstrauen der Polizei und kurzen Verhören an Kontrollpunkten sowie einigen wenigen Hasspredigten in Schulen oder Andachtsorten hatten wir keine gröberen Zwischenfälle seit 2012.
Und obwohl es kein Gesetz gegen Teufelsanbetung gibt und unsere Verfassung im Prinzip Religionsfreiheit gewährt – ungeachtet der vorherrschenden libanesischen Mentalität – betrifft das allerdings nur jene genehmigten 18 Sekten im Land, von denen du dann eine wählen kannst. Atheist zu sein, wird hier nicht akzeptiert und auch wenn du Atheist bist, musst du dich als Angehöriger einer bestimmten Religion registrieren lassen. Wir haben kein zivilstaatliches Recht, das von den religiösen Gerichtshöfen unabhängig ist. Daher ist Satanismus nicht illegal, aber Blasphemie ist illegal und strafbar unter herrschendem Recht. Daher sind Metalheads, Goths, Hippies und Leute, die ”verdächtig” aussehen, ständig unter Beobachtung wegen Blasphemie oder Beleidigung der Religion. Ausserdem werden wir verdächtigt, drogensüchtig zu sein; wir werden ständig von der Polizei auf der Strasse aufgehalten und nach Drogen durchsucht!!! Wenn du einen Anzug trägst, wirst du nie gefilzt. Also gibt es immer wieder Spannungen, aber derzeit werden wir in Ruhe gelassen.
Hassan Kheder: Ich finde, Saudi-Arabien ist unter den schlimmsten, was Metal betrifft. Da es dort keine Konzerte gibt, versuchen alle aktiven Bands wie etwa Creative Waste ausserhalb des Landes aufzutreten, sie bezahlen eine Menge Geld und sind in Schwierigkeiten, nur um das zu ermöglichen. Und sie sind ausgezeichnete Musiker, haben sich alles selbst beigebracht, was bei vielen Musikern in Saudi-Arabien der Fall ist, da es sonst in diesem Land nichts Interessantes zu tun gibt für Metalheads. Viele dieser Bands verbringen viel Zeit zu Hause damit, ihre Kunstfertigkeit zu perfektionieren.
Wie steht es denn mit weiblichen Metalfans – das muss ja wohl ein grosser Tabubruch sein… oder gibt es überhaupt Rock / Metalmusikerinnen bei euch?
Bassem Deaïbess: Natürlich gibt es Rock/Metalmusikerinnen hier, wie etwa BandAge, ein Rock/Metal Act, den es seit 10 Jahren gibt, mit Frontfrau Nathalie Jeha, hauptsächlich eine Coverband, aber eine der populärsten. Ausserdem ist Frau Jeha extrem aktiv in sowohl der Rock- als auch der Metalszene. Wir haben auch diese Band namens EPIC, eine Hard Rock Band mit Frontfrau Tanya Rizkala. Wir haben Zix, eine Heavy Metal Band mit Frontfrau Maya Khairalla, einer unglaublichen Metalsängerin, nur haben deren Wege sich gerade getrennt; Zix hat noch immer eine Sängerin, und Maya ist weiterhin aktiv in der Szene. Wir haben auch die Growlerin Paula Wihbe, sie ist auch Metal Radio DJ und in der Szene sehr aktiv. Es gibt hier eine Menge Musikerinnen, Schlagzeugerinnen, Gitarristinnen, Bassistinnen etc… also im Gegensatz zu anderen Szenen gibt es hier bei Metalevents ebenso viele Frauen wie Männer, was auch der Fall war, als die Szene florierte, und es trifft auch heute noch zu. Und nun gibt es hier zwei Bands ausschliesslich mit Musikerinnen, eine nennt sich IKLIL und spielt Rock, die andere ist Slave To Sirens und ist eine Metalband.
Hassan Kheder: Es gab eine weibliche Saudi-Rockband namens The AccoLade VIDEO HIER. Aber diese Frauen müssen ihre Identitäten geheimhalten, um nicht in Schwierigkeiten zu kommen, also habe ich keine Ahnung, wer sie sind. Und sie sind nicht mehr aktiv. Aber es gibt einige Saudi Musikerinnen, die ich kenne, aber keine spielt wirklich in einer Band oder probiert eine zu gründen, sie spielen nur als Hobby.
…im Gegensatz zu anderen Szenen gibt es hier bei Metalevents ebenso viele Frauen wie Männer
Habt ihr mit euren Familien überworfen, weil ihr Metalheads seid, oder werdet ihr von euren Familien unterstützt?
Bassem Deaïbess: Hängt davon ab, jedoch hatte ich als Teenager meinen Anteil an Streitereien mit meiner Familie, was darauf hinauslief, dass ”mein Hobby nicht meine Studien beeinflussen sollte” Ich bin gesegnet mit der vollen Unterstützung meiner Eltern und meiner Familie, sie verstehen, dass das wichtig ist für mich und sie sehen die Kunst und wissen mein Talent zu schätzen. Einige Eltern hier stellen sich gegen ihre Kinder, wenn sie Metalfans oder MetalmusikerInnen sind, also müssen diese Leute das wohl oder übel geheimhalten, aber ich habe selten gehört, dass jemand die Verbindung zur Familie abbrechen musste, um MetalmusikerIn sein zu können.
Hassan Kheder: Glücklicherweise unterstützen mich meine Eltern, und mein Dad hat mir mein Schlagzeug gekauft. Aber mir ist klar, dass solche Eltern in Saudi-Arabien in der Minderheit sind.
Ist es schwierig für euch, in eurer Heimat aufzutreten, müsst ihr Gigs selbst organisieren? Was sind die grössten Herausforderungen dabei, das Equipment oder gesetzliche Auflagen (z.B. keine Genehmigung für ein Venue und so)?
Bassem Deaïbess: Es wurde immer schwieriger, ein geeignetes Venue zu finden. Und die Erfahrung eines Konzerts im Libanon ist selten eine gute, da es einen akuten Mangel an brauchbaren Soundleuten gibt. Aber davon abgesehen haben wir hier regelmässig Gigs, in der Vergangenheit hatten wir noch viele mehr, und auch mehr Auswahl bei den Venues. Bis 2010 hatten wir zwei grosse Clubs im Libanon, wo es regelmässig Metalshows gab: den Nova Club, der gelegentlich Metal-Events veranstaltete, und Cherry’s Pub, hauptsächlich ein Metal-Club, welcher mir gehörte. Und wir hatten ein Venue, wo wir immer einen Saal mieten konnten, namens Tantra. Leider nimmt Nova keine Metalgigs mehr an und Cherry’s musste 2009 schliessen, und Tantra wurde 2010 abgerissen. Wir finden noch immer Venues für kleine Gigs, obwohl diese selten geeignet für eine Metalatmosphäre sind. Und wir haben einige offene Plätze, wo wir grössere Sachen veranstalten können. In Clubs brauchen wir keine Genehmigung, bei öffentlichen Plätzen hängt es vom Ort ab – wenn es ein Badestrand ist, kriegen wir keine, wenn es ein Theater oder ein bestimmtes Gebäude mit einem grossen Hof ist, dann erhalten wir von der Gemeinde eine Genehmigung für eine ”Party/Show”. Wir müssen nicht genau definieren, welche Musik gespielt wird, im Libanon ist es einfacher, eine Genehmigung zu kriegen als in Ägypten, und du brauchst weniger Papierkram und Produzenten wie etwa in Dubai.
Wir haben einige kleinere Organisationen, die Konzerte veranstalten, wie etwa RockRing und Metal-Bell, und Metal-Bell ist auch derzeit unser wichtigstes libanesisches Rock und Metal Webzine. Wir haben auch unabhängige Organisationen im Entertainment Biz, die Metalheads gehören, wie YM Events, die daher einige Metalevents unterstützen und organisieren. Wir haben eine grosse Entertainmentfirma namens 2U2C, gegründet von Jyad El Murr, dem Inhaber von NRJ radio, der selbst ein Rocker ist. 2U2C organisiert u.a. Rock und Metal Events wie Beirut Rock Festival. Aber nun passiert es häufiger, dass Bands ihre eigenen Events selbst organisieren. In der Vergangenheit gab es stets eine Person, die ihre Zeit dafür widmete, aber nun stehen die Bands vor dem Problem, dass es kaum Events gibt und sie machen ihre eigenen kleinen Gigs. Was das Equipment betrifft, wir haben einige Musikläden, aber die Auswahl dort ist extrem begrenzt.
Hassan Kheder: Es gibt niemanden mehr, der gewillt ist, das Risiko einzugehen und ein Event in Saudi-Arabien zu organisieren, nach dem Horror des 2007 Konzerts. Saudi Metalheads sind in der Tat total frustriert und verstört wegen ihrer Gesellschaft und Kultur. Sie versuchen nur zu überleben. Ziemlich deprimierende Scheisse.
Könnt ihr beschreiben, wie ”ein typischer Tag für die Band in der Heimatstadt” aussieht? Wie oft probt ihr, wo, musstet ihr euch selbst einen Proberaum / Studio bauen?
Bassem Deaïbess: Ein typischer Tag wäre, dass wir uns beim Proberaumstudio treffen, wir proben, wir hören auf, dann verbringen wir eine Stunde und unterhalten uns, sei es was die Band betrifft oder auch nicht. Eine Menge unser Kommunikation läuft über soziale Medien und besonders Whatsapp, auch wenn es nicht die Band betrifft; wir bleiben so in Kontakt, denn unsere Privatleben ausserhalb der Band sind sehr unterschriedlich, einige von uns sind verheiratet, einige sind noch immer an der Universität, und einige haben Jobs, die sie hassen!
In den 90ern hat Blaakyum ein eigenes Proberaum-Studio gebaut, da wir einen kleinen Teil eines grossen Kellers kriegten in einem Haus, das dem Vater unseres Drummers gehörte. Wir hatten primitive Proberäume, meinst bloss ein leerer Raum mit schrecklicher Akustik und schlechter Lüftung. Aber heute sind Proberaum-Studios allgemein in Gebrauch, besonders in grösseren Städten wie Beirut, Zahle und Tripolis, und in Touristenstädten wie Jounieh, Byblos und Batroun.
Was mir auffiel, sind eure ”politischen” Texte und klaren Statements – hierzulande äussern sich Metalbands selten direkt zu politischen / sozialen Anliegen, sondern verpacken diese eher in dystopische Zukunfts-Szenarien oder in Horrorgeschichten aus der Vergangenheit. Wie nehmt ihr die westliche Metalszene wahr – in Finnland wurde diese Mainstream und hat vielleicht auch anderswo etwas von diesem ”revolutionären Touch” verloren?
Bassem Deaïbess: Ja, wir haben das wahrgenommen. Darum ist es unser Anliegen, überall in Europa wo wir spielen, die Metalheads daran zu erinnern, wieviel Glück sie haben, nicht so viele Probleme überwinden zu müssen wie wir, und wir fordern sie auf zu bedenken, dass alles sich ziemlich schnell ändern kann, da wir ja gerade jetzt immense politische Veränderungen sehen, besonders in Europa und den USA. Diese Veränderungen machen uns Angst, dieser Aufstieg all jener fanatischen und rassistischen Nationalisten, es scheint, die ganze Welt befindet sich in einem Zustand der Regression. Europa war ein Ort, der für uns den Glauben an die Menschlichkeit repräsentierte und irgendwann fühlte es sich so an, als würde das verloren gehen. Nicht alle Bands haben ihren revolutionären Touch verloren, Bands wie Kreator, Nuclear Assault und Megadeth sind noch immer ziemlich politisch und haben ebenfalls klare Botschaften. Aber durch unsere Erfahrungen Europa und besonders Finnland haben wir bemerkt, dass Metalheads gerne ungefilterte und ungeschminkte politische Botschaften hören, sie identifizieren sich damit. Ich glaube, dass Metalheads die ersten sind, die den Schlag konservativer Politik spüren werden, die sich wieder in Europa einschleicht. Politisch korrekt zu sein war nie ein Metal-Angelegenheit, und es gibt nichts, das wir mehr geniessen als politisch extrem UNkorrekt zu sein
Diese Veränderungen machen uns Angst, dieser Aufstieg all jener fanatischen und rassistischen Nationalisten … ich glaube, dass Metalheads die ersten sind, die den Schlag konservativer Politik spüren werden, die sich wieder in Europa einschleicht.
Was macht euch eher Sorgen betreffend der (nahen) Zukunft, eine Terrortruppe wie IS oder eine Person wie Donald Trump, oder was ganz anderes?
Bassem Deaïbess: Ich sehe sowohl ISIS als auch Donald Trump als eine Gefahr für unsere Freiheit, erstere wegen Terror, der zweite wegen Idiotie, Bigotterie und völliger Losgelöstheit von der Realität. Immerhin ohne Typen wie Trump und ähnlich schreckliche US Politiker hätten wir auch keine Al Qaida und IS. Aber was mir am meisten Angst einjagt ist die Rückkehr der Konservativen in Europa. All diese Schuldzuweisungen Flüchtlingen gegenüber und diese Rassentrennung, die hier geschaffen wird, diese Politik der Paranoia und diese Industrie der Angst, die in der politischen Szene neuerdings vorherrscht, ist beängstigend, gelinde gesagt.
Wir sahen das erste Beispiel mit dem Brexit. Wir sehen zu, wie sich grossartige und moderne Nationen selbst in den Fuss schiessen… oder in den Kopf vielmehr. Trotz aller Probleme und einem gewissen Mass an Korruption und unzureichender Führungsqualitäten hat die EU etwas Schönes, und vielleicht scheint das einigen unwichtig zu sein, aber ich persönlich sehe es als einen grossen Schritt vorwärts in der Geschichte der Menschheit – die Abschaffung von Grenzen! Diese Idee, dass ein Mensch das Recht hat, von seinem Zuhause, sagen wir Paris, zum Haus eines Freundes in Warschau zu fahren, ohne Grenzen zu passieren, hat etwas … Unglaubliches. Vielleicht weil ich in einem Land lebe, wo ein Visa kriegen ein langwieriger und demütigender Prozess ist! Aber ich habe immer von einer Welt ohne Grenzen geträumt… vielleicht bin ich naiv.
Rabih Deaïbess: Donald Trump.
Wenn ihr Präsidenten eures Landes wärt und alles ändern könntet, was würdet ihr als erstes verändern?
Bassem Deaïbess: Ich würde die religiösen Institutionen besteuern. Und es illegal machen, Religion öffentlich zu praktizieren. Und obwohl du danach nicht gefragt hast, der nächste und wichtigste Schritt wäre eine Totalreform unseres Erziehungssystems: die Schaffung einer unabhängigen technokratischen nationalen Organisation, die unsere Schulgesetze in die Hand nimmt und sie von der Regierung und den religiösen Institutionen trennt. JA keine katholischen oder muslimischen Schulen mehr, wenn du deinen Koran oder deine Bibel studieren willst, dann geh zu deinem geistlichen Führer, nicht in eine Schule.
Rabih Deaïbess: Die Religion aus der Politik verbannen.
Hassan Kheder: Saudi-Arabien ist ein Land mit vielen Ressourcen und Verbindungen, aber sie versuchen, sich in die wissenschaftliche Richtung zu entwickeln, während sie völlig die künstlerischen Ausdrucksformen limitieren oder unterdrücken. Für mich ist das scheinheilig, denn so wie ich es sehe, gehört beides zusammen. Also wäre das erste, was ich tun würde, wäre jeder einzelnen Person Freiheit zu geben, Männern und Frauen, um sich künstlerisch auszudrücken.
Welcher Stereotyp der westlichen Kultur fiel euch als total stimmig auf, und welcher Stereotyp von anderen eurer Kultur gegenüber ging euch am meisten auf die Nerven?
Bassem Deaïbess: Ich habe gemerkt, obwohl ich daran niemals zweifelte, dass die westliche Kultur generell eine individualistische Kultur ist. Und das gefällt mir ungemein.
Und was Stereotype gegenüber dem Libanon betrifft… hmm.
Was anderes als denken, dass es im Libanon eine Wüste gibt? Hmm… die Vorstellung, dass der Libanon ein muslimisches Land ist; es scheint schwierig zu sein für die Leute im Westen zu merken, dass Mittlerer Osten nicht ”Islam” bedeutet. Und das ist extrem nervig.
Rabih Deaïbess: Was Stereotype über den Libanon angeht: die Tatsache, dass die Leute denken, wir lebten in einer Wüste und dass wir keine Smartphones haben (Gelächter)
Ihr habt schon mal im Ausland gespielt (Metalcamp etc) – habt ihr da eine lustige oder abartige Story auf Lager?
Bassem Deaïbess: 2012 organisierten wir selbst unsere Tour in Europa, was bedeutet, dass wir einfach Flugtickets kauften und dann in Europa nach der Ankunft per Zug oder öffentliche Verkehrsmittel von Venue zu Venue zogen, unser Gepäck und unsere Instrumente stets im Schlepptau. Wir reisten von Slowenien in die Slowakei und kamen spät am Bahnhof Ljubljana an, welcher geschlossen war, so konnten wir nicht den gesamten Trip buchen. Wir erfuhren von Leuten am Bahnsteig, dass wir einfach in den Zug einsteigen und dort das Ticket kaufen konnten, solange wir wussten, welchen Zug wir nehmen müssten. Glücklicherweise hatten wir den Routenplan als Ausdruck und wussten daher welcher Zug. Wir stiegen in den ersten Zug von Slowenien Richtung Slowakei ein, was uns durch Österreich und Tschechien führte. Die ersten beiden Wechsel funktionierten problemlos, abgesehen davon, dass wir immer schnell sein mussten mit unserem Kram und den richtigen Bahnsteig finden, ehe der Zug abfuhr. Bei der dritten Verbindung hatten wir nur 5 Minuten Zeit zwischen Ankunft und Abfahrt, fragten daher schnell jemanden, der uns den Zug zeigte und meinte, wir sollten uns beeilen, weil der gleich abfährt. Das Gepäck und die Instrumente alleine brauchten schon 5 Minuten, um nur vom einen Zug zum nächsten transportiert zu werden. Daher hatten wir es eilig. Wir hatten Glück und schafften es und setzten uns hin. Der Schaffner kam und wir wollten es so machen wie davor, erklärten dass wir keine Tickets hatten aber nun hier im Zug welche kaufen wollten. Der Schaffner meinte, dass wir hier keine Tickets kaufen könnten und jeder von uns 60 Euro Strafe zahlen müsste. Das waren schlechte Neuigkeiten, da wir nicht so viel Geld dabei hatten, nur gerade so viel, um die Tour zu Ende zu bringen und wieder nach Hause zu kommen.
Unser Schlagzeuger meinte, dass wir das mit den Tickets ja vorher auch so gemacht hätten, und der Schaffner antwortete, das war in Slowenien, das wäre Österreich und das wäre anders hier. Das war unser erster Schock, denn es war das erste Mal in unseren Leben, dass wir eine Landesgrenze überschritten, ohne eine Grenzkontrolle wahrzunehmen – wir hatten keine Ahnung, dass wir uns nun in einem anderen Land befanden, das war so surreal. Nach dem ersten Schock verhandelten wir mit ihm, um die Strafe zu umgehen, da wir nicht so viel Geld hätten; dass wir Touristen wären und das nicht gewusst hätten, was wir nun tun sollten. Da meinte er, wir sollten beim nächsten Halt die Tickets für den Trip kaufen gehen – und als der Halt kam, meinte er, wir könnten aussteigen, wir hätten eine Minute Zeit. EINE MINUTE!!!
Das war nicht genug, an einem völlig unbekannten Ort, und ich sollte noch erwähnen, dass wir keine Züge haben im Libanon, also war das meine erste Erfahrung mit Zugreisen, was bedeutete, dass ich mich erstmal orientieren und einen Schaffner suchen musste, oder einen Schalter, wo ich erstmal erklären musste, wo wir hinwollten – und dann hatte ich keine Ahnung, ob es nicht eine Sprachbarriere gäbe, würden die Englisch verstehen, und geht sich das aus mit Tickets kaufen und wieder zurück zum Zug in einer Minute? Es dauerte ja oft schon 5-8 Minuten, nur von einem Zug zum nächsten umzusteigen. Also meinte ich, die Zeit reichte nicht, aber er bestand darauf, dass ich aussteige, und unser Drummer meinte, dass wir nun nicht unser gesamtes Gepäck ausladen würden, aber er würde die Türe blockieren, damit sie nicht schliesst.
Das könnte typisch Libanon-Kultur sein, denn wir sind daran gewohnt, dass wir Umwege finden müssen, Methoden, das System zu umgehen. Daher dachte der Drummer, dass Zugtüren nicht schliessen, wenn du die Hand raus hältst, und dass Züge nicht wegfahren können, wenn nicht alle Türen geschlossen sind, und dass er mir so mehr Zeit verschaffen könnte. Ich war dagegen, aber wir hatten keine Zeit mehr, also sprang ich raus und rannte los zum Schalter. Aber weniger als 15 Sekunden später hörte ich, wie der Zug wegfährt!! Ich dreh mich um und sehe das lange Gesicht des Schlagzeugers, der auf die Tür deutet! Die Türe hatte sich geschlossen und er hatte nichts dagegen tun können.
Nun gab es folgendes Problem, ich hatte das ganze Geld – und sie hatten alle Telefone. Also blieben sie ohne Geld zurück, und ich hatte keine Möglichkeit, sie zu kontaktieren.
Das war der stressigste Augenblick der gesamten Tour für mich. Ich setzte mich einfach hin und hatte keine Ahnung, was ich tun sollte. Bis ein netter Österreicher seine Hilfe und mir sein Telefon anbot, das Problem hier war nur, dass es sich um einen internationalen Anruf handelte, und es gab keine Roaming-Möglichkeit! Also tat ich das einzige, was mir möglich war, ich rief die Freundin (nun Ehefrau) des Drummers an und bat sie, wenn er sie anriefe ihm zu sagen, dass sie alle an jenem Bahnhof bleiben sollten, wo sie auch ausgestiegen wären, und ich würde sie finden. Dann kaufte ich ein Ticket zur nächsten Station, in der Annahme, dass ich mich von Station zu Station vorarbeiten würde, bis ich meine Band wieder fände. Ich nahm den nächsten Zug zur nächsten Station, war total genervt und verzweifelt.
Als ich dort ankam und mich umblickte, sah ich sie alle mit dem Gepäck und den Instrumenten. Ich war völlig fertig. Und sie? SIE ALLE LACHTEN SICH VERDAMMT NOCHMAL KAPUTT, hatten Spass dabei zu warten, bis ich auftauchte! Sie drehten Videos, machten Witze und blödelten rum. Sie liefen auf mich zu, umarmten mich – aber nur um mich zu veräppeln. Sie hatten meine Nachricht erhalten und warteten auf mich.
Ich vermute, das war euer allererster Gig in Finnland. Wie kam es dazu, wie gefiel euch Tuska, die Metalfans, die Bevölkerung, das finnische Essen und die Lebensweise? Was war der grösste Kulturschock (meiner war ”Salmiakki”, finnische Lakritzbonbons)?
Bassem Deaïbess: OH JA, dieses Salmiakki war wirklich seltsam. Für mich war es die Tatsache, dass Metal Mainstream ist. Ich kann es noch immer nicht ganz fassen, dass Metal normal ist in einem ganzen Land, das ist wie im Himmel. Das beste daran ist, dass es sich noch immer so verdammt Metal anfühlt, da man ja ansonsten annimmt, dass der Mainstream Status was daran ändern würde. Die Finnen kennen ihren Metal gut. Und was anderes kam eher als geografischer Schock, nicht als Kulturschock: die Tatsache, dass die Sonne nie untergeht! Das war etwas unangenehm, da ich zuviel Sonne an sich schon nicht mag. Aber dann überlegte ich: im Winter gibt es also dann kaum Sonnenlicht? Das klang theoretisch ja wie im Himmel, aber ich habe keine Ahnung, wie sich das auf mich auswirken würde, wenn ich hier leben müsste.
Wir kamen durch Toni Törrönen nach Finnland. Wir trafen ihn in Wacken, da er der Finnish Metal Battle Organisator und Juror war, und er war beeindruckt von der Tatsache, dass wir aus dem Libanon stammen und war so nett, uns nach Finnland einzuladen.
Ich liebte Tuska total, die Tatsache, dass alle Bühnen so nahe aneinander waren und wir nicht meilenweit laufen mussten, um von einer zur anderen zu gelangen. Die Tatsache, dass die Zeitpläne so abgestimmt waren, dass wir keine Band versäumen mussten, die hohe Qualität der Organisation, der nette geräumige Backstagebereich, die extrem freundliche Crew. Die nettesten Leute, die man kennenlernen kann. Die Metalheads waren so freundlich und nett. Die Fans waren unglaublich, wir haben uns selten so willkommen gefühlt. Das finnische Publikum kennt sich super aus. Ich weiss nicht genau, was es ist, aber sie bringen es einfach auf den Punkt.
Rabih Deaïbess: Um ehrlich zu sein, ich fühlte mich in Finnland wohler als zu Hause, die Leute hier sind so herzlich und so voller Metal, und ich liebte es.
Was ich an Finnland mag ist, dass JEDER hier Metal respektiert, egal ob die Leute es selbst hören oder nicht, und ja, diese Bonbons waren schrecklich :p
Hassan Kheder: Ich bin noch immer wie gelähmt und kann es kaum glauben, ich hätte mir nie gedacht, dass ich jemals bei so einem Event spielen UND einige meiner Lieblingsbans live sehen könnte, so wie Cattle Decapitation und Behemoth und Gojira… Finnland war absolut schön, es war mein erster Trip nach Europa überhaupt.
Bassem Deaibess: Ich glaube, Hassan hat den Kulturschock, den er erdulden musste, ziemlich gut verkraftet – er hat sein ganzes Leben in Saudi-Arabien verbracht, war kurz in den USA, kam dann in den Libanon und dann findet er sich plötzlich bei einem grossen Metalfestival, nicht nur als Zuschauer, sondern tritt dort auch auf. Ich glaube, das kommt von seiner an sich ruhigen Natur und regelmässigen Meditationsübungen. (ROTFL!! die Chefred)
Was kommt in naher Zukunft auf euch zu – eine Tour, ein neues Album? Wie kommen die Leute an eure Platten?
Bassem Deaïbess: Wir werden als Support von Onslaught, Mors Principium Est und No Return auf deren The Thrash Mercenaries Tour in Europa unterwegs sein DETAILS HIER. Wir haben auch schon ein paar Riffs und Melodien für das nächste Album auf Lager, es gibt schon einen fertigen Song und 3 weitere, die fast fertig sind.
Fans können unsere Alben über Online-Läden wie iTune, Amazon.com, Spotify und einige weitere Online-Plattformen erhalten. Um eine physische CD zu bekommen – wir werden ein paar mitnehmen, wenn wir auf Tour gehen.
Zum Abschluss – was wäre denn eine Interview-Frage, die ihr gerne beantworten würdet, die aber nie gestellt wird?
Rabih Deaïbess: Wie glaubst du wird Metal in 30 Jahren aussehen?
Ich finde, das ist mir wichtig, denn die grossen Bands werden aufhören und viele Genres haben keine Nachfolger zu so grossen Namen wie Iron Maiden; die Thrash-Szene, die Heavy Metal Szene – ich glaube, wir sollten uns da nach den zukünftigen grossen Namen umsehen.
http://www.blaakyum.com/
Photos: Band, Wojtek Dobrogojski & Paweł Wygoda – Fotoszot(y)
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