Kuolemanlaakso: Lieder von Wasser und Feuer
Innerhalb von weniger als anderthalb Jahren haben Kuolemanlaakso es geschafft, zwei hervorragende Alben und eine ebenso empfehlenswerte EP herauszubringen. Zwei Wochen nach Veröffentlichung des neuen Albums Tulijoutsen präsentierte die Band das neue Material im Helsinkier On The Rocks erstmals live. Vor dem Soundcheck standen Gitarrist/Hauptsongschreiber Markus Laakso und Sänger Mikko Kotamäki Rede und Antwort.
Erstmal herzlichen Glückwunsch zum Knacken der finnischen Top 10! Habt ihr das erwartet?
ML: Danke!
MK: Danke, und nein, haben wir nicht erwartet!
ML: Das Timing der Veröffentlichung war diesmal besser, der Vorgänger ging im Weihnachtsgeschäft unter. Insofern dachten wir schon, dass diesmal eine höhere Platzierung drin sein könnte.
Wie hoch stieg das erste Album?
ML: In den offiziellen Charts kam es auf Platz 42. In der Hitparade von Rumba [wichtiges finnisches Musikmagazin] erreichten wir Platz 6.
Das neue ist direkt auf Platz zehn eingestiegen – vielleicht, weil es mehr eingängige Nummern enthält?
ML: Könnte sein, und natürlich ist die Band jetzt bekannter als zu Zeiten unseres Debüts. Mittlerweile haben wir ein festes Publikum, damals waren die Leute bestenfalls neugierig auf unseren Kram.
Letztes Jahr beim Tuska war ´ne Menge Volk da!
ML: Das war sehr genial! Bolt Thrower spielten zur gleichen Zeit, und wir hatten vorher unsere Zweifel, ob überhaupt jemand kommen würde, um uns zu sehen…
Ich würde sagen, ihr habt ein etwas anderes Publikum…
ML: Stimmt, die Älteren waren bei Bolt Thrower und die Jüngeren bei uns!
Markus, anscheinend ist das neue Album eher ein Gemeinschaftsprodukt und nicht mehr nur deine eigenen Songs?
ML: Ja, Bassist Usva und Gitarrist Kouta komponierten diesmal auch. Ich hatte die anderen von vorn herein darum gebeten, auch etwas beizutragen, und sie kamen mit wirklich guten Songs an. Der Platte hat´s gut getan, dass nicht nur meine Sachen drauf sind. „Verihaaksi“ zum Beispiel ist einer meiner Favoriten; der Text ist von mir, aber die Musik stammt von Usva, dem Bassisten, und es hat alle möglichen seltsamen Fingersätze, auf die ich nie gekommen wäre.
Spielt ihr den Song auch live?
ML: Haben wir vor!
Könnt ihr uns ein wenig über den Entstehungsprozess des Albums erzählen?
ML: Also, wir gingen buchstäblich in den Wald…
MK: :… und hatten einen Haufen Spaß! Ich bin ein eher fauler Mensch, dem es schwerfällt, sich zu konzentrieren, daher war es eine gute Lösung, die ganze Zeit am selben Ort zu sein. Morgens gab´s erstmal ein Bier und Frühstück, dann wurden ein, zwei Songs aufgenommen. Wenn wir genug davon hatten, wurde erstmal gekocht und gegessen. Nach zwei bis drei Stunden Pause bist du wieder in der Lage, dich zu konzentrieren.
ML: Zwischendurch gingen wir raus, um Holz zu hacken oder zu gucken, ob Fische in der Reuse waren.
MK: Wenn du den ganzen Tag in einem kleinen Raum mit Betonwänden verbringst, hast du die Aufnahmesessions ziemlich schnell satt.
ML: Dazu kommt, dass ich die Texte erst etwa zur Hälfte fertig hatte, als wir ins Studio gingen. Da Wälder in unserer Lyrik eine zentrale Rolle spielen, war es eine sehr inspirierende Umgebung. Es ist einfacher, unter Bäumen über den Wald zu schreiben als daheim in der Wohnung.
Der Song „Glastonburyn lehto“ ist komplett als Studio-Jam entstanden…?
ML: Genaugenommen in unserem Proberaum, als wir für einen Gig probten. Wir saßen in der Kaffee-Ecke, alle außer Mikko, machten Pause und tranken Bier und Rotwein. Kouta schnappte sich einen akustischen Bass und Usva, der normalerweise Bass spielt, nahm sich eine akustische Gitarre. Unser Schlagzeuger klatschte dazu auf seinen Schenkeln den Takt.
Beim Aufnehmen der Percussions habt ihr euch dann anscheinend im Laden an der Ecke eingedeckt? Auf der Innenhülle des Albums sind Couscous und Zuckertüte erwähnt…
ML: (lacht) Wir nahmen alles, was die Küche hergab! So ist die Nummer also entstanden – Usva spielte eine Melodie, begleitet von Kouta am Bass, ich schlug von Zeit zu Zeit einen Break vor und die Beats wurden einfach geklatscht. Damit stand das Fundament, und das Arrangement des Songs ließen wir erstmal bewusst offen. Eines Morgens standen Usva und ich dann früher auf die anderen und stellten fest, dass es an der Zeit war, das endgültige Arrangement festzulegen. Wir brauchten zwanzig Minuten dafür. Es war der letzte Song, für den Mikko die Gesangsspuren aufnahm, und obendrein der letzte Tag der Studiosessions. Am Morgen hatte das Stück immer noch keinen Text, also schrieb ich ihn etwas in Eile. Aber ich bin sehr zufrieden damit und würde sagen, dass es vielleicht unser zweitbester Text ist.
Er trifft die Stimmung des Songs ziemlich perfekt. Ich habe gelesen, dass die Moog-Spuren von Mikkos ehemaligem Bandkollegen Kasper Mårtenson beigetragen wurden – Barren Earth tragen Kuolemanlaakso den „Sängerklau“ anscheinend nicht nach?
ML: (lacht) Er war sofort bereit mitzumachen, ein sehr kooperativer Typ und ausgesprochen fähig. Ich kenne ihn nicht so gut, aber Mikko natürlich umso mehr. Er schickt uns seine erste Version und ich fragte ihn, ob er noch eine Kleinigkeit ändern könnte, und er sofort „so oft ihr wollt, bis ihr zufrieden seid!“
Du hast bereits die Bedeutung der Natur in deinen Texten erwähnt. Feuer und Wasser sind wiederkehrende Elemente…
ML: … bis hin zu Cover-Artwork und Albumtitel. Das war nicht im Voraus geplant gewesen, aber während der Aufnahmen stellte ich fest, dass sich die Stücke ganz klar in „Feuer“- und „Wasser“-Songs einteilen ließen. Ab da verfolgte ich die Thematik dann bewusst. „Tulijoutsen“ heißt soviel wie „Feuerschwan“ und assoziiert damit beide Elemente, und das Booklet ist in den Farben Rot und Blau gehalten. Jeder Song thematisiert entweder Feuer oder Wasser, außer „Aarnivalkea“, in dem beide vorkommen.
Sowohl „Aarnivalkea“ als auch der EP-Track „Kalmoskooppi“ spielen auf Aarni Koutas Gedicht „Tulijoutsen“ (1904) an…
ML: Ja, ich habe mich diesmal hauptsächlich von seiner Dichtung inspirieren lassen. Sie erinnert an urfinnische Zaubergesänge und ist in einem wunderschönen archaischen Stil gehalten, gespickt mit Worten, die man heute praktisch nicht mehr kennt. Ich habe mich bei Koutas Atmosphäre und Wortschatz bedient und vielleicht auch einige seiner Gedanken übernommen, obwohl die Texte an sich eher von anderen Quellen inspiriert sind und nicht einfach die Gedichte kopieren.
„Verihaaksi“ verbindet Koutas „Tuntemattomille merille“ mit einem historischen Ereignis – wie bist du auf die Idee gekommen?
ML: Das Stück stammt von Usva, und er beschrieb seine Vision dazu als ein gewaltiges Schiffswrack, das auf die Küste zutreibt. Ich hatte Koutas Buch gelesen und fand, dass dieses Gedicht auf die Beschreibung passt, aber zusätzlich habe ich mich im Internet über Geisterschiffe informiert und stieß auf die Geschichte der Ourang Medan [ein niederländisches Frachtschiff, das Berichten zufolge im Jahr 1947 mit einer Crew von Leichen steuerlos durchs Meer trieb] und dachte mir, dass sie genau dem entspricht, was der Song musikalisch ausdrückt. Also nahm ich diese Geschichte und gab ihr einen gewissen Kouta-Anstrich. Meiner Meinung ist es der beste Text, den ich für dieses Album geschrieben habe.
„Arpeni“ wiederum ist eine ganz persönliche Geschichte…
ML: Ja, ein Teil davon ist sehr persönlich. Der Refrain bezieht sich auf den Mythos von Näkki [böswilliger Wassergeist in der finnischen Mythologie], aber die Strophen handeln indirekt von meinem besten Freund, der vor ein paar Jahren ertrunken ist. Ein ziemlich heftiger Song – ich träume immer noch mindestens einmal im Monat von meinem Freund.
Mikko, wie fühlt es sich an, sehr persönliche Erfahrungen von jemand anders zu interpretieren?
MK: Hmm, ich weiß nicht recht…
ML: Zumindest packst du eine Menge Emotionen hinein.
MK: Also mein Einfühlungsvermögen hält sich in Grenzen, aber ich singe allemal lieber über reale Dinge anstatt, sagen wir mal, über Jesus… [beide lachen] Und Scheiße kann jedem passieren.
Ich erhielt im Voraus eine Promo-CD, aber als ich dann die Vinylscheibe kaufte, musste ich feststellen, dass ausgerechnet „Raadot raunioilla“ fehlt, das mir persönlich vom Text her besonders nahe geht. Warum habt ihr einen so wesentlichen Song fallengelassen?
MK: Der schwebte sogar in großer Gefahr, komplett im Mülleimer zu landen.
ML: Ja, wir überlegten ernsthaft, ihn gar nicht erst zu veröffentlichen. Aber dann haben wir das Arrangement ein bißchen gestrafft – genau genommen verwendeten wir mehr Zeit auf diesen Song als auf irgendeinen anderen, auch wegen den Keyboards – und am Ende wurde er doch ganz gut. Allerdings folgt er nicht dem Feuer/Wasser-Schema, sondern ist eher ein „Erde“-Song. Außerdem gehen Text und Musik nicht so gut Hand in Hand wie bei den übrigen Stücken, das war auch ein Grund, warum er weggelassen wurde. Aber dieser Song basiert auch auf realen Ereignissen: eines Tages kam ich da vorbei, wo ich als Kind gewohnt hatte, und musste feststellen, dass der benachbarte Wald bis auf den letzten Baum gefällt worden war!
Warum ist eigentlich die Songreihenfolge auf der LP ganz anders als auf der CD?
ML: Das ergab sich aus praktischen Gründen, denn die Songs sind so lang, und wir mussten sie irgendwie unterbringen. Die andere Alternative wäre gewesen, noch ein weiteres Lied fallenzulassen.
MK: Der Platz auf einer LP-Seite ist halt begrenzt…
ML: Ich glaube, das Limit liegt bei 26 Minuten.
Allemal eine bessere Lösung als das, was viele Labels heutzutage machen – das Material auf drei Seiten einer Doppel-LP verteilen und 5 Euro mehr dafür verlangen!
MK: Und umweltfreundlicher ist es auch!
Eure Vinyl-Veröffentlichungen sind auch wegen der tollen Cover ihr Geld wert…
ML: Da kann ich nur zustimmen!
Was mich zu der Frage bringt, warum das EP-Artwork von einem anderen Künstler ist als die beiden Alben…
ML: Das war eine Frage des Budgets! (lacht) Außerdem studiert unser Albencover-Künstler Maahy Muhsin zurzeit Kunst in Malaysia, war höllisch im Stress und unser Zeitrahmen war ziemlich knapp. Und EPs verkaufen sich nicht annähernd so gut wie komplette Alben. Wir brauchten ein gutes Motiv in möglichst kurzer Zeit, deswegen fragten wir einen Künstler aus unserem Bekanntenkreis, Markus Räisänen. Und er hat einen unglaublichen Job geleistet!
Es trifft die Feuer/Wasser-Dualität perfekt.
ML: Ja, von der Thematik her die EP quasi eine Schwesterveröffentlichung zum Album. Die Songs wurden natürlich auch während derselben Sessions aufgenommen.
Wer kam eigentlich darauf, für die EP einen Song von Juice [Leskinen (1950-2006), legendärer finnischer Singer/Songwriter] zu covern?
ML: ( lacht ) Nicht jeder war von der Idee anfangs so begeistert wie ich. Sie fing mit dem Namen des Songs an, der genausogut ein Titel von uns hätte sein können. Ich kenne die Stücke von Juice seit meiner Kindheit, und dieses ist ein Liebeslied, was ich selber nie schreiben würde – zumindest nicht für diese Band. Andererseits ist der Text ziemlich doomig, und ich fand, dass er überraschend gut zu unserer Band passt. Aber es bedurfte einiger Anstrengungen, bis die Nummer funktionierte, und ich musste erstmal ein komplettes Demo aufnehmen, weil einige Bandmitglieder anfangs gar nicht kapierten, was mir vorschwebte.
Wie war´s bei dir, Mikko – hast du´s kapiert?
MK: Nach einer Weile schon… Das Original kann ich mir persönlich nicht anhören, ich kann damit schlichtweg überhaupt nichts anfangen. Aber der Song hat einen verdammt geilen Text.
ML: Juice hat Text an dem neun Jahre lang gefeilt! Natürlich nicht jeden Tag, aber insgesamt über einen Zeitraum von neun Jahren.
MK: Unsere Version ist für viele Juice-Fans wahrscheinlich ein ziemlich unverdaulicher Brocken. Aber es macht Spaß, Debatten darüber zu wecken, ob man sowas musikalisch machen darf.
ML: Naja, wir haben es einfach gemacht! Wir packten es auf die EP, und es war keine weitere Provokation erforderlich. Meiner Meinung nach klingt es wie Kuolemanlaakso und nicht wie Juice.
Markus, würdest du Juice zu deinen Einflüssen zählen? Immerhin war er einer der ersten Rock-Songschreiber, die intelligente finnische Texte produzierten.
ML: Ja, ich mag ihn sehr. Er war auch einer der ersten Künstler, die ich live gesehen habe, 1986 auf dem Marktplatz von Kuopio. Tarot hatten gerade „Spell of Iron“ veröffentlicht und es war mein erstes Metal-Konzert, aber sie traten eigentlich als Vorgruppe für Juice auf. Er kam Strumpfhosen auf die Bühne, mit einer weiteren Strumpfhose auf dem Kopf, und war ziemlich betrunken. Ein unvergesslicher Auftritt!
Wo wir gerade von Juice sprechen, der auch als Übersetzer bekannt war, und ich aus eigener Erfahrung weiß, wie schwierig es sein kann, Poesie in einer anderen Sprache wiederzugeben – wie fühlt es für dich an, deine eigenen Texte für die Album-Booklets ins Englische zu übersetzen?
ML: Das ist eine ziemliche Herausforderung, weil ich oft Wörter verwende, für die es gar keine englische Entsprechung gibt. Und selbst wenn eine solche existiert, ist es immer noch schwierig, den poetischen Rhythmus auf Englisch einigermaßen zu rekonstruieren. Normalerweise brauche ich aber nicht sehr lange dafür – mein Englisch ist ziemlich fließend, denn habe zwei Jahre in den USA gelebt und ein halbes in Kanada, zuerst zog ich nach San Diego in Kalifornien und später nach Toronto.
Ich finde die Übersetzungen ziemlich gut, und natürlich sind sie für ausländische Fans eine große Hilfe. Vertreibt Svart Records eure Alben auch außerhalb von Finnland?
ML: Ja, und das neue Album wird im Ausland noch um einiges besser beworben als das erste. Wir haben Agenturen in den USA, Deutschland, Großbritannien und Finnland. Ich weiß nicht, wie gut sich die Scheibe im Ausland verkauft, aber zumindest gab es viel Echo in den Medien, vor allem in Deutschland und den USA.
Wie aktiv sind eure jeweiligen anderen Bands im Moment?
ML: Chaosweaver ist nicht begraben, aber aktiv waren wir seit dem zweiten Album nicht mehr. Es war ein sehr anstrengender Prozess, der eineinhalb Jahre dauerte, und danach war erstmal keine Energie mehr für diese Art von Material übrig. Und seither hat Kuolemanlaakso in ziemlich rascher Folge Platten aufgenommen.
Wie steht´s um Swallow The Sun?
MK: Wir bringen ein neues Album raus… wenn wir es denn mal fertigkriegen. Ein Teil davon steht bereits, aber lassen uns diesmal nicht hetzen. Nach all den Jahren ist es ein Wunder, dass der ganze verdammte Band immer noch zusammen ist (lacht). Das Business hat uns roh behandelt!
Zurück in die Gegenwart – was erwartet ihr von der Show heute Abend?
ML: Schwer zu sagen, aber ich denke, es werden eine ganze Menge Leute da sein – ich habe gehört, dass [Headliner] Metsatöll meist in vollen Sälen spielen. Aber was die Musik angeht… die erste Band, soweit ich sie auf youtube angecheckt habe, spielt Grunge à la Alice In Chains, dann sind wir dran und danach Metsatöll, also jedesmal ein anderer Stil. Ich bin gespannt, welchen Empfang uns die Metsatöll-Fans bereiten, und wie viele Leute speziell wegen uns da sind. Wir werden sehen!
Ihr seid für Nummirock bestätigt – tretet ihr diesen Sommer auch auf anderen Festivals auf, und wie sehen eure sonstigen Zukunftspläne aus?
ML: Ich weiß noch nicht, welche Shows und Festivals geplant sind, abgesehen von denen, die unsere Booking-Agentur uns schon gemailt hat, aber ich hoffe, es sind auch andere als Nummirock dabei. Wir spielen jetzt ein paar Clubgigs, aber ich habe keine Ahnung, was danach kommt. Hoffentlich ein paar Gigs im Herbst. Der Plan für das nächste Jahr ist, es ein bißchen langsamer anzugehen, aber wir haben auch schon wieder angefangen, neues Material zu schreiben.
MK: Wir haben so wenig Gigs gespielt, insofern…
ML: …hatten wir Zeit, Songs zu schreiben. Wenn wir nicht auf die Bühne kommen, nehmen wir eben ein neues Album auf!
Bandwebsite: kuolemanlaakso.net