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The Chant: ”Tragödien sind niemals aus der Mode gekommen”

Länger als eine Dekade haben The Chant sich nicht wirklich mit den Lady Gagas dieser Welt um ein Plätzchen im Rampenlicht geprügelt… So wie eine geheime Quelle in einem verzauberten Wald haben diese zurückhaltenden 7 Finnen es lieber vorgezogen, beständig und unerschöpflich brillante (natürlich melancholische) Musik hervorzubringen. Scheinbar hat es nun ihr drittes Album A Healing Place geschafft, dass sie nun auch im Ausland etwas mehr wahrgenommen werden. Sänger Ilpo Paasela erzählt uns mehr…


The Healing Place ist eure dritte Platte – wie waren die Reaktionen bisher, was Fans und Medien betrifft?
Die Reaktionen waren hauptsächlich begeistert, aber klarerweise ist so eine total auf Atmosphäre ausgerichtete Musik nicht jedermanns Sache.

Wie würdet ihr den Unterschied zu den beiden Vorgängeralben beschreiben? Wie hat sich euer Stil entwickelt, wo liegen eure musikalischen Wurzeln und Einflüsse?
Ich glaube, das neue Album A Healing Place-album ist eine natürliche Weiterentwicklung des Vorgängers This Is The World We Know (2010). Bei beiden findet sich im Kern eine sehr verträumte und atmosphärische Stimmung, aber bei A Healing Place verbreitet sich der Sound auf nahezu kinematografische Ebene. Die Atmosphäre an sich wurde der Schlüssel zum Ganzen und nun gehen die einzelnen Songs ineinander über.
Das Ziel ist, eine dem Träumen sehr ähnliche Erfahrung zu erzeugen. Im Gegensatz dazu enthält unser Debüt Ghostlines (2008) viel mehr von diesem klassischen Melodic Metal Vibe, aber auch einige Momente, welche diese neue Phase eingeleitet haben.

Unsere Wurzeln liegen im atmosphärischen Sound und im Melodic Metal, in jeder Ausrichtung, aber langsam hat sich der Metal-Aspekt verabschiedet und nun ist es eher Atmospheric Rock – oder wie man auch das Ganze nennen will. Nicht wichtig. Die Einflüsse kamen aus so vielen Richtungen und nicht nur aus der Musik, also ist es schwierig, da nur ein paar zu nennen. Aber ja, es gibt Elemente, die wir mit Bands wie Porcupine Tree und Anathema gemeinsam haben, und diese Bands werden auch oft erwähnt, wenn über uns was geschrieben wird.

Melancholie scheint ja ein typisches Phänomen in der finnischen Musik zu sein – was denkt ihr darüber, ist das nur eine verdrehte Wahrnehmung oder zählt Melancholie wirklich zu den finnischen Markenzeichen?
Es gibt hier ganz unterschiedliche Arten von Musik, so wie anderswo auch, aber vielleicht hat der melancholische Aspekt einfach den grössten Exotenbonus anderswo. Es ist nicht einfach zu beschreiben, woher das eigentlich kommt. Es gibt diese Klischees, es sei unsere Kultur oder die langen Winter, aber ich glaube, das Ganze ist viel tiefschürfender. Es ist eine Art Seelenzustand, der dieses Land schon seit hunderten von Jahren prägt, in Volksmusik, in den Künsten und so weiter.
Tragödien sind niemals aus der Mode gekommen. Ich kann nun nicht behaupten, dass ich diese Art zu denken für jeden Augenblick aufrecht erhalten will, aber bei unserer Musik ist es einfach ein natürlicher Bestandteil.

Wie entstehen eure Musik und Texte, ist es Teamwork, wovon lasst ihr euch inspirieren?
Bei A Healing Place hat unser Gitarrist Jussi alle Songs komponiert, Mari (Keyboards) und ich verfassten alle Texte. Jedoch sind die Arrangements immer Angelegenheit der gesamten Band und die machen wir im Proberaum oder spätestens dann im Studio. Die Inspiration kommt von überall, Kunst oder Begebenheiten im täglichen Leben. Es gibt keine Einschränkungen. Du kannst dich nicht immer daran erinnern, woher es kommt, und das ist das Schöne daran.

Welche anderen Projekte haben denn die einzelnen Bandmitglieder so? (Weil das ist ja meistens bei finnischen Bands der Fall :D) Die Zusammenarbeit mit Hanging Garden und Rapture wird ja auch auf eurer Website erwähnt.
Ich glaube, das sind die einzigen Nebenprojekte derzeit, und ich bin mir nicht mal sicher, ob Rapture derzeit aktiv ist.

Welche Geschichte steckt hinter A Healing place – und was ist für dich persönlich ein Ort der Heilung, wie sieht der aus?
Um so einen Ort der Heilung zu erreichen, muss man viel Persönliches opfern und ganz unten sein, ehe man die Dinge wirklich klar sieht. Das ist meine persönliche Grundeinstellung, aber was das Album betrifft, kann der Ausdruck heilsamer Ort unterschiedliche Bedeutung haben, und da spielen auch die Erfahrungen und Interpretationen der Hörer mit. Wir wollen für individuelle Interpretation Platz lassen und die Texte nicht näher erklären. Das ist die beste Möglichkeit, um am meisten aus dem Album zu schöpfen.

Es scheint, dass Prog Metal in den letzten Jahren populärer wurde, siehst du das auch so, hab ich da den richtigen Eindruck?
Ja, ich glaube du hast recht. Das Bedürfnis, ein Album genauer zu studieren und nicht jedes einzelne Element beim ersten Hören verstehen zu müssen, ist gewachsen. Man mus da reinwachsen, und das ist der Schlüssel zur progressiven Musik, meiner Meinung nach. Allerdings muss ich anmerken, dass ich eher jene progressive Musik mag, die im Prinzip emotional ist und nicht technisch.

HANGING GARDEN - Will You Share This Ending With Me (official video)

Obwohl Metal in Finnland ziemlich Mainstream wurde, scheint es nun etwas bergab zu gehen – Festivals werden abgesagt, Bands kriegen weniger Geld für Gigs, die Publikumszahlen gehen zurück – und dann auch noch die Probleme der Musikindustrie an sich… wie wirkt sich das auf deine Band aus? Glaubst du, dass es noch schlimmer wird, habt ihr da eine Strategie, um damit umzugehen?
Ich glaube nicht, dass das Auswirkungen auf uns hatte, denn The Chant hat nicht wirklich kommerziellen Erfolg erzielt. Wir haben sowas auch nie wirklich erwartet, also gibt es auch von nirgendwo finanziellen Druck. Wir entwickeln uns einfach weiter als Band, und hoffentlich werden mehr Leute unsere Musik entdecken, aber das ist nicht wirklich eine Voraussetzung für unsere Existenz. Aber ja, es ist die Kombination von Problemen, dass immer weniger Platten verkauft werden und immer mehr Bands versuchen zu überleben, in dem sie so viel wie möglich touren. Und gleichzeitig hat sich das Angebot dermassen erweitert, dass es nicht mehr genug Publikum für alle gibt.

Was erhofft ihr euch für die Zukunft, jetzt, wo ihr eine neue Plattenfirma habt, was wollt ihr mit eurer Musik bzw mit der Band erreichen?
Wegen des neuen Deals mit Lifeforce Records ist dieses Album das erste, das weltweit erschienen ist. Wir sind deswegen ganz aus dem Häuschen, dass unsere Musik nun weitere Kreise ziehen kann. Aber wie bereits erwähnt, das einzige, was wir wirklich tun müssen, ist uns weiter zu entwickeln. Und für gewöhnlich zieht das dann auch mehr Leute an.

Sieben Bandmitglieder sind ganz schön viel – gibt es da nicht oft Schwierigkeiten, bei Proben und Gigs? Denn kleine Clubs und noch kleinere Bühnen sind da sicher problematisch… habt ihr denn eine diesbezügliche Geschichte auf Lager?
Ja, ganz offensichtlich ist das der Fall! Fast jedesmal fehlt jemand bei der Probe, aber wir haben uns daran gewöhnt. Ich fürchte, ich kann hier keine coolen Stories von Tourneen erzählen 😉

Da die meisten MusikerInnen nicht vom Musikmachen alleine leben können, was macht ihr denn ”nebenbei” so?
Wir haben alle Zivilberufe, also kommt fast das ganze Geld von daher.

Was steht denn in nächster Zeit an, Konzerte, eine Tour ?
In nächster Zeit spielen wir Gigs in Finnland und verfolgen mal, wie A Healing Place anderswo ankommt.
Danach sind wir ein bisschen weiser.

”Famous last words” für die STALKER Leserschaft?
Danke für alles. Kauft Platten und geht zu Konzerten!

http://www.thechant.net/

Klaudia Weber

Rücksichts- und gnadenlose Diktatorin, kniet vor mir! Anders gesagt: Chefredakteurin, Übersetzerin, Webseiten- und Anzeigenverwaltung, also "Mädchen für alles" - - - Schwerstens abhängig von Büchern (so ziemlich alles zwischen Herr der Ringe und Quantenphysik) und Musik, besonders von Metal finnischer Prägung. Weiters Malen, Zeichnen, Film, Theater... also könnt ihr mit einer vielseitigen Website rechnen. Mag.phil., zwei in 5 Jahren parallel abgeschlossene Vollstudien (English & American studies, Medienkommunikation) und stolz darauf, denn als Mädel aus einer Arbeiterfamilie in einem erzkonservativ-katholischen Land ging das nur dank Stipendium und etwas später im Leben als andere....