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Helena Haaparanta: „Wenn du die Gabe hast, NUTZE SIE, und lass dich nicht von den Kerlen unterkriegen!“

Als wir zufällig der Sängerin von Crimfall und VALO (bzw. Ex-Tacere) vor ihrem Gastauftritt mit Fear of Domination beim heurigen Myötätuuli Rockfestival über den Weg liefen, konnten wir der Versuchung eines Interviews einfach nicht widerstehen. Hier verrät sie, wie sie zum Metal kam, was sie unter „Dienst am Kunden“ versteht, was sie traurig macht und wann ihr „feministischer Hahnenkamm“ anschwillt …

Zunächst einmal zu deiner Hauptband Crimfall – was läuft da so gerade?
Tja, wir bereiten unser drittes Album vor, wir haben da noch keinen Namen, aber Jakke hat schon einige Songs fertig, und das neue Material, soweit ich es bereits gehört habe, ist einfach irre. Ich meine, das 2. Album The Writ of Sword war schon eine massivere Fassung des ersten Albums As the Path Unfolds, und das dritte wird noch grösser und breiter klingen. Ich amüsiere mich schon, denn was kommt dann noch, wie massiv kann es noch werden (lacht). Wir haben auch einige östliche Folk-Einflüsse in diesem einen Demo-Song, der schon fertig ist, und nun suchen wir Leute, die mit uns an der Fertigstellung arbeiten wollen. Jakke komponiert und Mikko schreibt die Texte, wir wissen noch nicht, wann das 3. Album erscheint, aber es wird wohl 2013 sein, hoffentlich (lacht).


Beteiligst du dich auch am Songwriting oder am Schreiben der Texte?
Mikko Häkkinen – der andere Sänger, oder besser Growler – schreibt alle Texte, nur am ersten Album hab ich einen Song beigesteuert, Aubade, aber sonst macht das alles Mikko. Und Jaakke komponiert alles, dann werden die Arrangements gemeinsam gemacht, aber Jakke Viitala hat dabei immer das letzte Wort. Zum Beispiel, wenn unser Drummer seinen Senf dazugibt und Jakke „JAY!“ meint, ist es OK, aber wenn es nicht passt, wird Jakke vorschlagen, was anderes zu probieren, auf freundliche Weise. Ich bin mir noch nicht sicher, was wir auf dem neuen Album machen werden, aber beim letzten habe ich alle Gesangsmelodien selbst geschrieben. Jakke hatte einige Chöre im Kopf, ich hab die umgemodelt, um sie meiner Stimme anzupassen, aber sonst stammen die Gesangsmelodien von mir, plus einigen Chormelodien und die Harmonien der „Harmony Sisters“, die 12 Helenas „im Hintergrund“ (lacht). Keine Ahnung, welche Art von Chor wir diesmal haben werden, am ersten Album hatten wir ein paar Kerle, und die weiblichen Stimmen waren alle meine, vervielfältigt, und am 2. Album halfen uns ein Dutzend Leute aus – Freunde von mir, gute SängerInnen – und oben drauf nen Chor-Sound. Diesmal hoffen wir, vielleicht einen echten Chor zu finden, den wir auch nicht erst einschulen müssten. Aber ja, Jakke macht die meiste Arbeit als Komponist, definitiv.

Wie bist du eigentlich beim Metal gelandet, wie hat das Ganze angefangen?
Da müssen wir weit zurückgehen. Ich war schon immer ein Fan von Popmusik, und als ich14 oder 15 war, borgte ich mir diese CDs aus der Bücherei (in Finnland kann man sich von CDs, DVDs, Noten, Comics bis hin zu Werkzeug oder Skiern alles mögliche aus Bibliotheken leihen, Anm.d.Red.) ich glaube “Metalli-Liitto 2” – “Metal Gewerkschaft” – ein Sampler mit hauptsächlich Black Metal drauf, und ich war “WOW!” hin und weg. Mir hatte u.a. Hardrock schon immer gefallen, aber auch Musicals, Pop, 60er und 70er US Schlager, aber von diesem Zeitpunkt an hab ich Metal gehört und mehr Informationen gesammelt „was ist Metal eigentlich“? (lacht) Ja, ich war jung und enthusiastisch, und seitdem wollte ich in einer Metalband singen, und als ich 17 war, ergab sich diese Gelegenheit. Meine erste Band Dewian wurde mir durch einen gemeinsamen Freund vorgestellt; ich ging hin, sang ihnen was vor und ihre Reaktion war “wow cool – willkommen in der Band“. Unsere erste Probe fand an dem Tag statt, all das World Trade Center attackiert wurde – also ist das Datum, wann meine Karriere anfing, leicht zu merken (Gelächter).

Dewian haben nie ein Album herausgebracht, wir machten ein paar Demos, und ich war auch nicht die erste Sängerin bei ihnen, vorher gab es schon ein Mädel, das dann keine Zeit für die Band mehr hatte oder so. Danach kam Tacere, wo ich 4 oder 5 Jahre lang sang, und das war eine sehr gute Zeit, wo ich musikalisch gewachsen bin. Karri Knuuttila, der Hauptkomponist bei Tacere, war – und ist – ein grossartiger Komponist, so talentiert, und das war er schon in jungen Jahren. Ich wurde sehr von seiner Musik beeinflusst, und obwohl am Schluss die Chemie in der Band nicht mehr passte, hat mir die Musik viel gebracht und mich bei Stange gehalten. Und danach war es ein natürlicher Schritt, bei Crimfall einzusteigen, da Jakke mich ja durch Tacere kannte.


Welche Stimmausbildung hast du genossen, du spielst auch Keyboard – und noch ein weiteres Instrument?
Hauptsächlich Klavier – das war mein erstes Instrument, wofür ich auch Unterricht bekam, im Alter von 6 oder 7. Ich habe 10 Jahre klassisches Klavier gelernt mit verschiedenen Lehrern, und als ich 16 war, schlug ich die Richtung von klassischem Klavier zu klassischem Gesang ein. Ich besuchte das Sibelius Lyceum, wo ich die Chance für Gesangsunterricht erhielt, und habe mich dadurch in den klassischen Gesang verliebt. Ich hatte dort ziemlich gute Lehrer, und schon während dieser Zeit fand ich diese tolle Lehrerin Pirkko Törnqvist-Paakkanen – bei ihr habe ich mehrere Jahre lang klassischen Gesang studiert. Dann ging ich für ein Jahr ans Konservatorium in Joensuu, 2005 oder 2006, nur wurde es zu mühsam, jedes Wochenende 6h nach Helsinki zu fahren, zu Proben oder zu Gigs, also zog ich wieder zurück nach Helsinki und machte via Privatunterricht bei dieser Lehrerin weiter.

Dann passierte etwas – ich war ja nie eine ausschliesslich klassische Sängerin, sondern habe schon als Studentin alles mögliche gemacht, Rock, Metal, und auch in Bands gesungen – aber dann 2006 sah ich diese tolle finnische Band “FE80´s”, eine Coverband mit einer tollen Sängerin, die im Hevimesta Helsinki auftrat. Da hörte ich zum ersten Mal eine Sängerin, die Growls und kratzige Stimme einsetzt – einfach toll, sowas hatte ich vorher noch nie gehört, da ich mir Doro oder andere rauere weibliche Stimmen nicht anhörte. Und als ich aus 2m Entfernung hörte und sah, wie ein Mädel in meinem Alter sowas abzog, dachte ich nur „ja, das mache ich“. Das harte raue Singen und Growlen hab ich mir dann selbst beigebracht.
Und vor zirka einem Jahr habe ich meine Ausbildung am Pop und Jazz Conservatorium Helsinki abgeschlossen, wo ich von der wunderbaren Jazz-Lehrerin Sanne Orasmaa unterrichtet wurde. Sie brachte mir nicht nur Technik bei, sondern vorwiegend, wie man zu Leuten singt, wie man ihnen einen Song unter die Nase reibt (lacht) – wie man Songs aussucht und sie zu DEN EIGENEN Songs macht. Das habe ich also in den letzten 4 Jahren getan, und ja, das ist die Geschichte meiner Musikausbildung (lacht)

Jetzt zu Fragen zum Thema Women In Rock – warst du jemals in einer Situation, wo dir vorkam, dass es als Frau so viel schwerer ist, an der Front einer Metalband akzeptiert zu werden?
Hmm… als Dewian 2002 anfingen, gab es schon eine Reihe von Bands mit starken Frontfrauen, Nightwish, Within Temptation – Faves von mir. Ich glaube Evanescence kam später, aber es gab auch The Gathering mit Anneke – diese Band und Within Temptation haben mich stark beeinflusst. Und es fühlte sich sehr natürlich an, Dewians music war sehr poetisch, es gab Black Metal Elemente – wir waren sehr jung und noch nicht so versiert (lacht), aber wir machten diese Musik mit viel Liebe, sehr poetisch, und die weibliche Stimme passte gut dazu – daher war das nie ein Thema, dass ich eigentlich ein Mann sein sollte.

Allerdings, das hab ich während meiner gesamten Karriere gespürt – kann aber auch meine Natur sein: Ich tendiere dazu, mich zu isolieren, obwohl ich eine sehr umgängliche Person bin, ich komm mit jedem gut aus, ich liebe alle (lacht). Ich bin zugänglich und sozial und passe gut zu den Jungs. Trotzdem fühle ich mich manchmal als Aussenseiter, und das Gefühl hatte ich seit meiner ersten Band, in allen Gruppen, in denen ich war – auch im Pop Jazz Konservatioriu, wo wir alle möglichen Workshopbands hatten, mit 50s Rock, Finnish Oldies Goldies, Jazz, Latin, alles. Aber überall hatte ich dieses Aussenseiter-Gefühl. Keine Ahnung, ob das damit zu tun hat, dass ich eine Frau bin – vielleicht bin ich einfach so (Gelächter).

Da ich von weiter südlich bin, hatte ich immer den Eindruck, dass es in Skandinavien für Frauen viel einfacher ist, respektiert zu werden, egal wobei. Ich bin mir nicht sicher, ob das nun nur an den kulturellen Unterschieden liegt oder ob das stimmt – was meinst du?
Ich bin mir nicht sicher – ich war mal Au Pair in Südspanien, 4 Monate während des Gymnasiums, und mir ist sowas nicht aufgefallen. Aber das kann daran liegen, dass ich ja die Ausländerin war und daher interessant – aber in Finnland exisiert – ich will nun nicht den Ausdruck „starke feministische Bewegung“ verwenden… naja, für mich bedeutet Gleichwertigkeit der Geschlechter, und hier gibt es ja auch Probleme – aber Respekt ist ein starkes Wort. Ich glaube nicht, dass es was mit Geschlechtergleichheit zu tun hat, Respekt muss man sich einfach verdienen. Wovor ich gewarnt wurde, ehe wir auf Europatour gingen, war dass ich in Ländern wie Italien, Spanien oder weiter im Süden jedem meinen Status klarmachen, Sachen FORDERN und eventuell auch ein wenig als Diva auftreten muss, um mich zu behaupten. Aber sowas kam niemals vor, jeder war echt cool bei dieser Tour (lacht)

Da gibt es noch was, das Frauen in Bands passieren kann – dass sie für Freundin oder Gropie gehalten werden und nicht als jemand identifiziert, der in der Band arbeitet – ist dir schon sowas passiert?
In der Tat (lacht) ein Mitarbeiter bei einem Venue meinte „oh, du SINGST in der Band“ (Gelächter) und ich meinte, „Ja, hallo, ich bin Helena Haaparanta” – und dann wurde er ganz leise… Naja, ich versuche, dieses „Nur-Abhängen“ generell zu vermeiden, schleppe auch Equipment mit den Jungs und so. Klar bin ich schwächer als Jaakke oder Mikko, oder Janne (Jukarainen) und Miska (Sipiläinen) – aber was ich nur schaffe, mache ich, um als vollwertiges Bandmitglied zu gelten. Das ist nur natürlich, ich muss auch meiner Mutter danken, die mich so erzogen hat – wenn du siehst, dass was getan werden muss, dann tu es. Ich bin nun nicht so ein Workaholic wie meine Mutter, aber wenn ich sehe, dass was weggetragen werden muss, dann pack ich es und schlepp es weg; wenn ich jemanden sehe, der Hilfe braucht, dann helfe ich. Und ich glaube, das hat dazu beigetragen, Leuten klarzumachen, dass ich Teil der Crew, Teil der Band bin.


Kriegst du unterschiedliches Feedback von weiblichen und männlichen Fans, steht bei den Männern wirklich eher das Aussehen im Vordergrund?
Hmm… weibliche und männliche Fans mögen meine Stimmen. Das haben sie gemeinsam. Und weil meine Figur nicht unbedingt Barbie-mässig aussieht, überrascht es mich eigentlich, dass ich ganz selten Kritik an meinem Gewicht höre. Yeah, die Jungs mögen die Titten! (schallendes Gelächter) Und auch einige der Mädel. Aber, ja, die Mädchen sind für gewöhnlich etwas offener, da fällt mir ein Mädel aus Italien ein. Sie kam nach der Show zu mir, mit ihrer Mutter, sie weinte, so froh war sie, mich zu treffen und erzählte mir viel von sich und ihrem Metal-Lifestyle. Ich dachte nur “WOW”: Sie meinte, es wäre eine Ehre, mich zu treffen, für mich war das total surreal – noch nie war ein Kerl angekommen, so bescheiden, um mich zu bitten „schüttle die Hand meiner Mutter“ (Gelächter) Die kommen meist nur und klopfen mir auf die Schulter „tolle Stimme“…

Also behandeln dich die Jungs eher als Kumpel …
Ich denke ja, zumindest nachdem sie kurz mit mir sprachen, denn ich agiere so gar nicht als Diva – aus meiner Sicht natürlich (Gelächter). Ich meine, ich fühle mich wirklich geehrt von Fans, alles menschliche Wesen, die sich da versammeln, Geld ausgegeben haben für den Gig, gekommen sind um uns zu sehen, einfach toll. Ich sehe mich und die Musiker auf derselben Stufe wie die Fans – wenn nicht sogar darunter, denn wir dienen IHNEN, wir geben ihnen etwas, das sie geniessen können. Also ist das sowas wie Dienst am Kunden, gewissermassen (Gelächter) – ein künstlerischer…

Coole Definition (Gelächter) – du hast den Rock´n´Roll Lifestyle erwähnt – es gibt da die Theorie, dass es für Mädchen viel rebellischer ist, sich dem Rock/Metal zu verschreiben – was meinst du?
Hmmm… naja… rebellisch, keine Ahnung. Es ist ja bekannt, dass ich EINE MENGE TRINKE (Gelächter), und da hab ich meinen Ruf weg – ich glaube, dass einzige, was die Moonsorrow Jungs über mich wussten, ehe wir gemeinsam auf Tour gingen war, dass ich viel vertrage (Gelächter). Und ich hab auch jeden einzelnen von ihnen unter den Tisch gesoffen, war fast jede Nacht „der letzte Mohikaner“ bei der Party… (Gelächter)
Tja, ich glaube, das Problem ist – wenn beispielsweise ein R´n´R Musiker viel säuft, viele Mädels oder Groupies hat, ist er cool, „wow toller Kerl“. Aber wenn eine Frau, ein Mädchen, dasselbe tut… alle motzen schon über mein Trinken, dabei bin ich keine Alkoholikerin, ich hab´s im Griff, ich mach nur wirklich voll auf Party, wenn eine läuft… Mir wurde vor der Tour gesagt „vögle nicht rum“ – genau so, nicht als Befehl, aber mir wurde es nahegelegt – denn ich würde meinen Ruf verlieren. Daran hab ich mich auch gehalten, hab meinen Eid nicht gebrochen … Tatsache ist, sobald sich eine Frau so benimmt wie sich viele andere Kerle auf einer Tour benehmen, wird sie gleich als Schlampe abgestempelt. Das ist ein GROSSES Problem – WARUM ist es für Frauen anders als für Männer? Ich bin nicht scharf auf den R´n´R Lifestyle oder auf das, was die Jungs auf Tour so abziehen, also kein persönliches Problem für mich – aber es geht UMS PRINZIP.

Yeah, so ist es woanders auch – wenn eine Frau das tut, was die Männer tun, das verlangt, was die kriegen – es geht wieder um das Gleichheitsprinzip…
YEAH, da schwillt sofort mein feministischer Hahnenkamm, wenn ich mit so einer Einstellung konfrontiert werde. Aber, ja, was soll ich da machen, ich kann mich passiv-aggressiv zur Wehr setzen. Ich bin keine gute Rednerin, ich kann nicht Leute vom Gegenteil überzeugen, ich spreche lieber auf ruhige Art und stelle meinen Standpunkt klar und kann so vielleicht jemandes Meinung ändern. Ich stell mich nicht in vorderste Reihe und schreie um Frauenrechte. Nichts für mich, aber ich weiss zu schätzen, was andere da geleistet haben, denn wir brauchen auch solche Leute (lacht).


Tja, kleiner Themenschwenk – da Metal ja so Mainstream ist in Finnland heutzutage, was wäre denn was „Rebellisches“, deiner Meinung nach?
(lacht) Ich habe die Punk-Elemente in der Musik wahrgenommen, zum Beispiel bei jener Band, mit der ich beim MTR auftrat, Fear of Domination – obwohl die Musik selbst nicht so sehr Punk ist, jedoch ihr Stil und diese „leck mich“ Attitüde … und damit meine ich nicht, dass sie nicht die Leute zu schätzen wissen, die zu ihren Shows kommen. Macht einfach Spass zuzusehen, und vor ihnen spielte diese ausgesprochen alte (sorry guys!) und tolle Band Pelle Miljoona – die ich total liebe – und es war lustig die Gemeinsamkeiten zu sehen: Hier die 20jährigen, die so leidenschaftlich performen, und da die ebenso leidenschaftliche Show dieser – ÄLTEREN Herren (Gelächter) nein, “im Herzen Junggebliebenen” (Gelächter). Tja, die haben das seit 30-40 Jahren durchgezogen. Ich glaube, Punk ist etwas, das die Metalszene beeinflussen wird. Es gibt noch einen weiteren Aspekt, die Musikindustrie – die hat kein Geld, aus vielen Gründen, wir alle wissen warum, aber keinem ist bisher eine Lösung des Problems eingefallen. Tatsache ist, dass so eine grosse Produktion wie das neue Crimfall Album VIEL Geld braucht, viel mehr als z.B. eine dreiköpfige Punkband. Das ist der praktische Grund, warum der Garagensound wohl die Metalszene erobern wird.

Tja, sollen wir uns nochmal mit dem Feminismus befassen – manchmal frag ich mich ja, ob das Thema überhaupt noch relevant ist; wirkt es nicht schon lächerlich, weil´s nun eh schon etabliert wurde?
NATÜRLICH ist es relevant und wichtig, denn wenn du dir 5 deiner Metal-Lieblingsbands aussuchen kannst – falls du nicht ein totaler Fan von weiblichen Stimmen bist, wie viele von den 5 hätten eine Sängerin? Vielleicht, VIELLEICHT eine… also ist das noch immer eine Rarität. Ich hab bei diesem Heavy Metal Musical „Infernal“ letztes Jahr in Turku mitgemacht, als Turku die Kulturhauptstadt Europas war. Der Autor des Musicals, Mike Pohjola, meinte dass Heavy Metal etwas sehr Maskulines ist. Irgendwo hat er recht, und es ist seltsam. Ich hab mir schon überlegt, dass ich sehr leicht zu dem Punkt komme, wo ich dem Publikum sozusagen meine Eier zeige und wie ein Mann agiere.

Aber warum sollte ich das tun, warum kann ich nicht einfach mein weibliches Selbst sein und schön singen dürfen… Ich bin froh, dass ich auch das machen kann, denn Jakke komponiert auch diese sehr sanften netten Passagen – aber ja, das ist eine komplexe Angelegenheit. Und wenn wir gerade davon sprechen – ich nenne es nicht Kampf, sondern „starken Widerstand gegenüber schlechten Einstellungen“. Nicht attackieren, aber die Stellung halten, und das ist sehr wichtig, für mich und jede Frau. Ich habe sehr verstörende YouTube Videos gesehen, wo Frauen angeblich Chauvinisten und Anti-Feministen sind, das macht mich nicht mal wütend, sondern nur traurig. Da sagt eine Frau z.B., dass Frauen in der Küche bleiben und die Klappe halten sollen, und dass sie diesen Konservativen wählen wird, der ebenso denkt. Da vergisst sie nur, dass sie nicht mal wählen könnte, wenn nicht jemand vor langer Zeit sich dafür eingesetzt hätte! Darum geht das uns alle an, wir sollten uns dessen viel mehr bewusst sein. Da gehen sicher nicht gleich die Alarmsirenen los, und das ist im Metal kein Thema, aber wenn wir da nichts tun, wenn wir die weibliche Kunst einfach so abgeben… Und es ist leider Tatsache, dass Frauen sich schneller einschüchtern lassen. Wenn wir nicht die Stellung halten, dann wird es nicht so bleiben, sondern viel schlimmer werden, auch in der Metalszene.

Ja, Rechte sind schnell aufgegeben oder weggenommen, aber es ist viel schwieriger, Rechte zurückzubekommen…
Yeah, stimmt, und dieser Berufsstolz, den ich während meines Studiums am Pop und Jazz Konservatorium gesehne habe bei vielen Sängerinnen, das ist etwas, das ich auch gerne bei den Sängerinnen im Metal sehen würde. Da sollten die Mädels nicht nur am Bühnenrand stehen, bei ein paar Songs ein paar Teile singen und sonst nur hübsch aussehen, sondern wenn sie singen kann, dann kann sie auch die Bühne für sich beanspruchen, sie kann nach vorne gehen und einen Solo-Song verlangen. Wenn du die Gabe hast, NUTZE SIE, und lass dich nicht von den Kerlen unterkriegen! (Gelächter)

Tolles Statement – aber vielleicht zum Abschluss noch eine Frage: hast du eine absurde Tour- oder Konzertstory auf Lager für uns?
Absurde Tour- oder Konzertstory? Oh Mann … (denkt eine Weile nach) Da hätte ich Zeit zum Nachdenken gebraucht, denn es gibt SO VIELE … Ich denke mal an die letzte Tour … und das ist so gar nicht R´n´R, eventuell das nicht-traditionellste übers Touren überhaupt: Mein sogenanntes Tour-Überlebensidol Heri (Jornsen), der Sänger von Tyr, mit denen wir tourten – er hatte seine Gymnastikmatte dabei, und jeden einzelnen Tag dieser Tour, 5 Wochen lang, hat er mindestens 30min gejoggt und dann Fitness gemacht, Liegestütze, alles, jeden einzelnen Tag. An den Tagen, wo ich nicht zu schlimmen Kater hatte, hab ich viel Joga gemacht, aber längst nicht so enthusiastisch wie Heri. Das hat mich verblüfft, und das was das Absurdeste, das ich jemals auf einer Tour gesehen habe. Dass jemand tatsächlich auf seine Gesundheit achtet und das Leben geniesst, abseits von Saufen und Groupies – einfach fantastisch. Weil du ständig in Versuchung bist – es gibt jeden Tag irgendeine Party – und dann kann jemand trotzdem auf Körper und Geist achten – das verdient einfach Respekt.

Danke für dieses Interview!
Kiitos, kiitos (Gelächter)

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Klaudia Weber

Rücksichts- und gnadenlose Diktatorin, kniet vor mir! Anders gesagt: Chefredakteurin, Übersetzerin, Webseiten- und Anzeigenverwaltung, also "Mädchen für alles" - - - Schwerstens abhängig von Büchern (so ziemlich alles zwischen Herr der Ringe und Quantenphysik) und Musik, besonders von Metal finnischer Prägung. Weiters Malen, Zeichnen, Film, Theater... also könnt ihr mit einer vielseitigen Website rechnen. Mag.phil., zwei in 5 Jahren parallel abgeschlossene Vollstudien (English & American studies, Medienkommunikation) und stolz darauf, denn als Mädel aus einer Arbeiterfamilie in einem erzkonservativ-katholischen Land ging das nur dank Stipendium und etwas später im Leben als andere....