Graveyard Party 5
12.-13.11.2010 Helsinki, Tampere
Nach einer harten Arbeitswoche und trüb-depressiven Novemberwetter passte es stimmungvoll ausgezeichnet, den Freitagabend auf der Graveyard Party – schon die fünfte – ausklingen zu lassen, und zwar in
Helsinki, Gloria Club.
Während DJ Sickboy auflegte, hatte ich Zeit genug die Bühne und die bis ins Detail ausgestaltete Bühne zu inspizieren. Natürlich gab es einen Sarg, Grabsteine dienten als Boxenverkleidung, links und rechts hingen Bilder vom Sensemann und daneben Bildschirme, auf denen man sich Tipps holen konnte, wie man am besten ein Date mit ihm ausmachen kann, z.B. indem man sich mit der Bohrmaschine in den Kopf bohrt.
Eben jener Sensemann kam auch persönlich vorbei und sperrte ein kleines Häschen in einen Käfig mitten auf der Bühne, von wo aus es sich den Gig von The Closed ansehen konnte. Der Frontsänger Carl-Sofia Belzer alias Toni Valha dürfte von Black Light Discipline bekannt sein. Neu für mich war, dass ihm auch kurze Schottenröckchen stehen. Leider versteckte er seine Beine in einer schwarzen Hose. Genial war auch das Alice-im-Wunderland Kleid mit wunderhübschen Puffärmeln von Gitarrist/in Ada von Flesh. Die Musik erinnerte stark an ein durchgeknalltes Comic: schneller Wechsel zwischen stampfendem Bass, und schrägen Stimmen. Der Schlagzeuger legte sich mächtig ins Zeug, um dann kurz Pause für ein gruseliges Heulen zu machen.
Zwischendurch zeigten The Closed und der Sensemann dem eingesperrten Häschen den richtigen Umgang mit der Sense. Ansonsten schien es jedoch am Stockholm-Syndrom zu leiden. Trotz offen gelassener Käfigtür schnupperte es höchstens mal nach draußen.
Vor der Bühne war leider noch nicht viel los. Die Leute, die relaxt um den Sarg herum kampierten, sprangen mit den ersten Tönen auf, die Proteus auflegte. Der harte Metal-Techno sorgte für gute Stimmung, die sich von der heißen Performance hinterm Pult schnell auf die Tanzfläche übertrug, die sich langsam füllte.
Die Fläche vor der Bühne war endgültig rappelvoll, als Hanzel und Gretyl die Bühne betraten. Wer wusste, was ihn erwartete, kämpfte sich bis zum Bühnenrand vor. Nicht um einen Blick auf Kaizer von Loopy oder Vas Kallas durch den dichten Nebel zu erhaschen. Auch die Musik war laut und fühlbar durch die harten, stampfenden Bässe und Vas‘ rauer Stimme.
Nein, es waren Texte wie „Eins, zwei, drei, Schnaps macht frei“, die große Erwartungen weckten. Diese wurden nach einigen Songs erfüllt, als Oktoberfestmucke „Bier her“ eingespielt wurde und Kaizer Bierdosen an die ersten Reihen verteilte. Die Stimmung war super, die Leute gingen mit und trugen Kaizer am Ende auf Händen.
Kurz vor zwei leerte sich das Gloria doch um einiges. Aber jedem, der sich für den letzten kostenlosen Nachtbus und gegen die nächste Band 2 Times Terror entschieden hat, soll gesagt sein, dass er echt was verpasst hat. 2 Times Terror ist eine Art „Best-of-Finnish-Metal“-Band, die unter anderem ihre Mitglieder von Turmion Kätilöt rekrutierte. Das war Musik und Bühnenshow, eine wahre „Metalorgy“, deutlich anzumerken. Neben stampfendem Industrial-Metal und zwei männlichen (Sprech)Sängern konnte 2 Times Terror noch mit weiblichen Vocals von HC CSD aufwarten. Obwohl um ca. die Hälfte dezimiert, war das Publikum umso enthusiastischer.
Die letzten verbliebenen ca. zwei Dutzend und das letzte Häuflein Aktiver auf der Tanzfläche wurden dann noch bis zur Sperrstunde von DJ Zynthexia unterhalten.
Ich muss sagen, es war wieder eine geniale Party. Einen letzten Hauch von Friedhof habe ich dann noch auf der Heimfahrt gespürt. Die Busfahrerin konnte sich offensichtlich nicht zur Formel 1 qualifizieren – lag vermutlich an ihrer Bremstechnik – und fristete ihr Dasein nun im Nachtbus.
Grit Kabiersch
Tampere, Tulliklubi:
„Hanzel und Gretyl“, diesen Namen hört man dieser Tage ziemlich oft und wenn die Amerikaner nach gerade mal einem halben Jahr wieder die lange Reise nach Finnland auf sich nehmen, dann kann man selbst auch mal den vergleichsweise kurzen Abstecher von Helsinki nach Tampere wagen, um dem Phänomen „Hanzel und Gretyl“ auf den Grund zu gehen. Leider dauert es fast vier Stunden ab Veranstaltungsbeginn, bis die Headliner die Bühne entern werden. Es findet zwar ein durchgängiges Rahmenprogramm statt, doch wenn man wie ich mit EBM so gut wie gar nichts am Hut hat, dann ist man auf einem EBM-Festival wie der „Graveyard Party 5“ eher falsch aufgehoben. Diejenigen , die dem EBM aber zugetan sind, können sich zunächst über die DJ-Sets von Will Power und Proteus und dazwischen die erste Live-Darbietung von Erilaz freuen. Mir persönlich ist es musikalisch einfach zu eintönig; so scheint beinahe jeder dritte Song von Rammstein zu stammen und generell gilt wohl: Stampfende Beats, deutsche Texte – und fertig ist der EBM-Track!
Auch die Performance von Erilaz ist bis auf einen lustig herumspringenden Keyboarder mit Gasmaske alles andere als unterhaltend und Soundeinspielungen wie The Prodigy`s „Firestarter“ alles andere als kreativ.
Interessant wird der Abend erst, als Black Light Discipline die Bühne betreten. Bekleidet mit weißen Hemden – damit all das Schwarzlicht, welches heute im „Tulliklubi“ leuchtet, auch schön zur Geltung kommt – lockt die Band um Frontmann Toni Valha nun all die heute anwesenden Metaller vor die Bühne und präsentiert mit Songs wie „Tides“ eben einen Mix aus Metal und Electro. Endlich gibt`s Gitarren! Und apropos „Gitarre“: An dieser feiert Joonas Pulkkinen heute seine Live-Premiere bei Black Light Discipline, nachdem der bisherige Gitarrist Antti Salo die Band erst kürzlich verlassen hatte. Ansonsten bleibt festzuhalten, dass bei Black Light Discipline jemand am Mikro ist, der auch wirklich singen kann, was man gerade nach den vorangegangenen Darbietungen sehr zu schätzen weiß…
Und dann ist es endlich soweit: Die sagenumwobenen Hanzel und Gretyl erobern die Bühne – und das mittlerweile recht volle „Tulliklubi“! Und wenn man gerade wie ich der Eintönigkeit des EBM nicht viel abgewinnen kann, dann erscheinen einem Hanzel und Gretyl wie ein Geschenk.
Denn von einem Adler auf dem Helm, Pilotenbrille und Lederhosen über diverse eindeutige Symbole aus der deutschen Geschichte bis hin zu den teils deutschen Texten, die anderen EBM-Stücken in nichts nachstehen, aber noch mit Einspielungen wie „Bier her, Bier her… Oder ich fall` um!“ garniert werden, lassen Kaizer Von Loopy (Gesang und Gitarre) und Vas Kallas (Gesang und Bass) wirklich kein Klischee aus. Zum genannten Einspieler füllt Kaizer Von Loopy die Konzertbesucher höchstpersönlich mit Jägermeister ab, denn Bier – allerdings finnisches von „Koff“ und kein deutsches! – verteilt er eh während des gesamten Gigs. Auch die Hymne der DDR gibt es zu hören, doch nichts toppt heute die enorme Bühnenpräsenz von Frau Vas Kallas. Mir persönlich hat die Performance zu „Number 1 In Deutschland“ aus ihrem aktuellen Album „2012: Zwanzig Zwölf“ am besten gefallen und insgesamt bleibt festzuhalten, dass sich der Trip von Helsinki nach Tampere gelohnt hat, um Hanzel und Gretyl einmal Live zu sehen, denn man kann sich zwar auch Live-Mitschnitte auf youtube angucken, aber Hanzel und Gretyl sind definitiv ein Live-Act, denn man auch wirklich Live sehen muss, denn die Atmosphäre, die während ihrer Gigs versprüht wird, lässt sich nur schwerlich über den PC-Monitor transportieren.
Bevor es wieder mit „normalem“ EBM in Form eines DJ-Sets von Zynthexia weitergeht, treten wir die Heimreise nach Helsinki an und entdecken beim Verlassen des „Tulliklubi“ noch Vas Kallas am Merchandising-Stand. Also hatte Kaizer Von Loopy im Interview mit STALKER doch Recht und Vas Kallas ist besessen davon? *grins*
www.myspace.com/theclosedspace
www.djproteus.com
www.erilaz.net
www.bld.fi
www.2timesterror.com
www.hanzelundgretyl.com
www.myspace.com/zynthexia
photos: Klaudia Weber, Stefanie Singh
Text: Grit Kabiersch, Stefanie Singh
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