Dornenreich: Die schöne und schmerzvolle Weisheit der Natur
Zu den wenigen österreichischen Bands, die es in die Spitzenriege der internationalen dunklen Szene geschafft hat, zählen definitiv Dornenreich = das Duo Eviga und Inve. Seit 1996 liefern sie konsequent gute Alben ab, die sich ebenso konsequent einer Kategorisierung verweigern. Höchste Zeit also, dass STALKER Mastermind Eviga zu einem Plausch einlädt….
Als Exil-Österreicherin kenne ich euch ja schon etwas länger, seit eurer Metal-Phase, und eure CD „Her von Welken Nächten“ wird wohl immer einer meiner Klassiker bleiben. Jetzt seid ihr eher akustisch unterwegs, auch euer sechstes Album „In Luft geritzt“ (2008) beschränkt sich auf Gitarre, Geige, Percussion und Stimme – wie kam diese Entwicklung zustande?
Akustische Instrumente haben seit dem Beginn der Band eine wichtige Rolle für uns gespielt und es gab ja bereits auf unserem „Mein Flügelschlag“-Demo von 1997 einige rein akustische (Akustikgitarren-)Stücke. Auch auf „Her von welken Nächten“ finden sich ja drei Stücke, die auf akustischen Instrumenten aufbauen.
Die dynamischen Möglichkeiten, die akustische Instrumente bereithalten, sind fantastisch und es ist seit vielen, vielen Jahren ein Wunsch von mir gewesen, ein kraftvolles, mystisches, leidenschaftliches Album aufzunehmen, das direkt aus der „akustischen Quelle“ musikalischen Ausdrucks fließt.
Wie definierst du euren Stil? Ist Dornenreich noch immer Teil der Metal-Szene, oder eher Gothic – oder gibt es diese Trennlinien nicht mehr?
Ganz plakativ und subjektiv gesprochen, scheint es mir, als würde „Metal“ idealerweise für „Freiheit“ stehen und „Gothic“ für „Mystik“. Da wir mit Dornenreich unseren Visionen immer frei und authentisch Ausdruck verliehen und unser Ausdruck ein immer mystischer ist, sind wir – meines Erachtens – klar ein Teil der Metal-Szene wie der Gothic-Szene, wenngleich unsere Wurzeln tief im Sein an sich liegen.
Wie war die Erfahrung, in Helsinki zu spielen? Und welchen Eindruck habt ihr vom Künstler Sieben?
Es war eine erhebende Erfahrung, so gut aufgenommen zu werden in einer Stadt, wo wir noch nie zuvor waren, wie eben in Helsinki letztes Jahr. Und es war toll zu sehen, dass Tenhi jene enthusiastische Aufnahme fanden, die sie verdienen. Wir haben zwei bemerkenswerte Tage in Helsinki mit unseren Freunden Tenhi verbracht und auch Matt Howdens Performance genossen, denn er schien in seiner Ausdrucksweise völlig aufzugehen.
Eure Akustik-Show beim WGT vor ein paar Jahren war sehr spirituell. Glaubst du, dass Dornenreichs Musik live besser rüberkommt? Unplugged oder nicht?
Beide Seiten unserer aktuellen Ausdrucksweise haben besondere Qualitäten. Die “metallische” Seite bietet allen Beteiligten eine Art physische Ekstase und Intensität, wohingegen eine akustische Performance in der Lage ist, unglaublich intensive Momente der Intimität zwischen Musikern und Publikum zu erzeugen, was laut meiner Wahrnehmung eine grossartige Sache ist. Im Moment nehme ich an, dass wir zu rein akustischer Musik zurückkommen, nach unserem nächsten Album “Flammentriebe”.
Wie entwickelt ihr das Design und das Artwork?
Unser gesamtes Artwork beruht auf meinen anfänglichen Ideen. Meistens teile ich diese Ideen mit meinem Vater und einem Grafiker namens Lukasz Jaszak, die dann das gesamte Artwork von meinen her Ideen entwickeln, die versuchen, die grundsätzliche Message des Album-Titels visuell umzusetzen. Daher benutzen wir keine Arbeiten “von aussen”, sondern entwicklen selbst unser Artwork, exklusiv für Dornenreich.
Wie sind die Bandmitglieder ausserhalb von Dornenreich? Wie macht ihr das mit “elektrischem” Programm? Ist Gilvan (dr) dann wieder mit dabei, und noch weitere SessionmusikerInnen?
Ich bin nicht sicher, ob ich das richtig verstehe – aber wir sind ausserhalb der Band völlig andere menschliche Wesen. Innerhalb von Dornenreich ergänzen wir einander wirklich gut. Und richtig, Gilvan ist nun wieder Teil von Dornenreich, also besteht unser „Metal-Line-Up“ aus Gilvan, Inve und Eviga. Wir sind auf der Bühne nur zu dritt, wie wir es auch immer waren, abgesehen von dieser Summerbreeze-Show (DVD), wo wir von Schwadorf und Helm (Empyrium) mit Bassgitarre und Gesang unterstützt wurden.
Woran habt ihr seit “In Luft Geritzt” gearbeitet?
Wir haben an unserer ersten DVD “Nachtreisen” gearbeitet, die unlängst erschienen ist. Das war ein aufreibender Prozess, aber das Ergebnis ist wirklich etwas, womit wir zufrieden sein können. Diese DVD präsentiert beide Seiten von Dornenreich, mittels einer Metal-Show (Summerbreeze-Festival 2007) und einer Akustik-Performance (WGT 2007). Ausserdem sind wir mit unserem nächsten Album “Flammentriebe” beschäftigt, das wohl sehr dramatisch, intensiv und differenziert ausfallen wird, und viele werden es vermutlich unter “Black Metal” einordnen. Also wird dieses Album wohl eine Überraschung werden, nach dem völlig akustischen “In Luft geritzt”. Wir werden diese CD nächstes Jahr aufnehmen und dann im Frühjahr 2011 herausbringen, zu unserem 15-Jahr-Jubiläum.
Was inspiriert dich?
Es kann ganz einfach beantwortet werden – das Leben in all seinen Nuancen und Details. Alles kann inspirierend auf mich wirken. Meistens sind es die Zyklen und die (als solche interpretierten) Launen der Natur, die bei mir Gedanken und Emotionen auslösen und widerspiegeln. Also kann beispielsweise eine Katze, die meinen Weg auf ungewöhnliche Weise kreuzt, oder eine gute Unterhaltung derartige Schwingungen auslösen.
Wie schreibst und komponierst du?
Die musikalischen Themen beruhen auf Intuition. Sie kommen einfach, wenn ich die Gitarre nehme. Die Arrangements von Rhythmen und Harmonien werden bewusst und gemeinsam mit Inve und Gilvan erarbeitet.
Die Texte beruhen auf dem bildhaften und sehr emotionalen Charakter unserer Musik. Für gewöhnlich ziehe ich mich in die Stille zurück und höre mir die Musik, die wir aufgenommen haben, an, immer undimmer wieder, und nach und nach nehmen die Worte, Phrasen, mehrdeutigen Wortspiele und Scherze meiner Texte Gestalt an.
Texte – Wortspiele, Klang- und Lautmalereien, was inspiriert dich? Wie gehst du an ein Stück bei der Aufnahme heran? Denn in nem Kämmerchen eingeschlossen, nur mit Mikro & Kopfhörer, und dann heisst es „dasselbe bitte nochmal“ – da ist es doch wohl nicht so einfach, die Intensität in der Performance beizubehalten…
Eine Studio-Situation ist meistens künstlicher Natur, will meinen, selten in vertrauter Umgebung und zeitlich exakt anberaumt und das birgt immer wieder Schwierigkeiten für den fragilen künstlerischen Prozess und selbst wenn man sich alleine bei sich daheim vor einem Mikro einfindet und sich kein zeitliches Limit setzt (- genau das tat ich beim Großteil der Aufnahmen zu „Hexenwind“ und „Durch den Traum“ -), bleibt es schwierig, insbesondere für einen Menschen wie mich, der sich nie mit einem „1st take“ zufrieden geben kann …
In welcher Verfassung bist du, wenn du auf der Bühne stehst und spielst? Lang lang ist´s her, Innsbruck – ein Gig, wo ich dachte, Eviga wird in Zwangsjacke zur Bühne geschleift, für den Auftritt kurz mal freigelassen, aber danach gleich wieder in die Nichtraucher-Ausrüstung gesteckt & retour in die Anstalt …
Ich tendiere dazu, mich völlig in die emotionelle Essenz eines Songs zu versenken, wenn wir live spielen. Es ist sicherlich ein Zustand der Ekstaze – und manchmal werde ich abgelenkt, aber ich versuchte mein bestes, so nahe wie möglich bei meiner (innerlichen )Vision zu bleiben, wenn wir auftreten. Klarerweise gibt es auch äussere Umstände (Licht, Sound, Publikum), welche die Performance zu einem bestimmten Grad beeinflussen, und machmal entwichelt sich ein Konzert zu einem atemberaubenden Erlebnis, wo gegenseitig Energien ausgetauscht werden – und das ist dann wahrlich ein magischer Moment.
Prägende Momente in deinem Leben?
Die Bewusstwerdung der Vergänglichkeit. Die Entdeckung der fantastischen Möglichkeit, mittels eines Instruments meinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Die Entdeckung von Kunst und Natur und ihrer innigen Verflechtung. Der Abschied von geliebten Wesen.
Das einzigartige Gefühl, das bleibt, wenn man zum ersten Mal Schönes und Schmerzvolles als unveränderliche zwei Hälften seines menschlichen Lebens anzunehmen lernt.
Man kann behaupten, dass die meisten Bands heutzutage nach Rezepten vorgehen, dass es nicht so viele wirklich einzigartige und originelle Künstler gibt. Und dass Black Metal an sich schon ein Witz ist. Wie siehst du da Dornenreich, und dich selbst?
Wir versuchen einfach, uns authentisch und künstlerisch auszudrücken. Etwas, das intensiv, mystisch und zeitlos ist, etwas, das ehrlich auf der Freude und dem Leid im Leben beruht.
Was würdest du sonst noch gerne mit deiner Musik erreichen?
Ohne Zweifel haben wir bereits einige künstlerische Ausflüge genossen, aber die Essenz war ist und wird stets bleiben, dass wir unseren inneren Stimmen treu bleiben, dass wir unsere Integrität und Authentizität beibehalten.
In der Metalszene ist das Thema Religion ja eher kontroversiell, aber woran glaubst du, was ist dir heilig?
Die Weisheit der Natur sollte allen von uns heilig sein. Abgesehen davon glaube ich an die Unsterblichkeit der Seele und ich glaube an die Kunst, das Seelenvolle zu vermitteln.
Gibt es Unterschiede zwischen Österreich und dem Rest Europas, was die Szene, das Publikum betrifft?
In jüngster Vergangenheit sind mir keine gravierenden Unterscheide aufgefallen – und das ist meiner Meinung nach nicht unbedingt positiv. Es scheint sich die globalisierte Kulturverramschung bzw. Nivellierung langsam aber sicher auch im Metal-Underground durchzusetzen.
Ist es ein Segen oder Fluch, Österreicher zu sein?
Die Landschaft ist herrlich vielseitig und man lebt in Österreich vergleichsweise behütet und das ist das Schöne daran, Österreicher zu sein. Die konservative, obrigkeitshörige Mentalität vieler Mitbürger in diesem Land ist allerdings sehr unerfreulich.
Der beste / der schlimmste Gig, eine wüste Tourstory?
Zum Glück gab es in diesem Jahr nicht den einen besten Gig für uns, da wir viele, viele sehr intensive Konzerte durchleben durften, doch es gab gewiss den einen schlimmsten Gig, bei dem unser Tontechniker die gesamte Tonanlage neu verkabeln musste, da einfach alles unrund lief. Wenn man überpünktlich an einem Konzertort eintrifft, sich alles gut anlässt und man dann nach vielen Stunden immer noch zittern muss, ob die Tonanlage einen nicht komplett hängen lassen wird, ist das so unsagbar nervenaufreibend …
Zum Abschluss, was glaubst du, ist der Sinn des Lebens?
Es zu leben als einen vitalen Teil der Natur, anstatt Teil der Ausbeutung alles Lebens zu sein, was wir heutzutage alle tun, ohne es wirklich wahrzunehmen.
Danke für das Interview!
www.dornenreich.com
Autor: Marina Sidyakina + K. Weber, transl. K. Weber, photos: Dornenreich