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Insomnium: And Justice for All

Die Band ist gerade von der Tour mit Amorphis und Swallow The Sun nach Finnland zurückgekehrt, wo auch ein wahrlich triumphaler letzter Gig im Nosturi-Klub, Helsinki, für den krönenden Tourabschluss sorgte. Ungeachtet aller überstandenen Strapazen fand Insomnium-Gitarrist Ville Friman die Kraft, STALKER Rede und Antwort zu stehen…

Wie war die Tour?
Die Tour war echt erfolgreich, und wir hatten echt viel Spass, mit zwei so tollen Bands zu touren! Wir kannten die Jungs von Swallow the Sun ja schon, weil wir mit ihnen in den USA einige Monate lang unterwegs waren. Aber es war auch toll zu erleben, dass auch die Amorphis-Jungs ebenso „down to earth“ sind. Am wichtigsten war, dass die Shows echt gut liefen und wir immer tolles Publikums hatten, obwohl wir jeden Abend immer als erstes dran waren. Ich bin sicher, dass wir bei dieser Tour einige neue Fans gewonnen haben. Wir haben vorher nur mal drei Shows mit Satyricon gehabt, und das waren nicht die besten Shows oder das beste Publikum. Aber diesmal waren die Reaktionen wesentlich besser. Hoffentlich kriegen wir die Chance, auch wieder in der Zukunft mit Amorphis und Swallow the Sun zu touren, da wir echt toll miteinander auskamen. Alles in allem, es war die beste Tour, die wir je hatten.

Und wie geht´sonst?
Gut, etwas müde, viel zu tun. Ich studiere und mach grad meinen Doktor an der Universität, also bin ich mit meinem Forschungsprojekt beschäftigt. Hoffentlich bin ich nächstes Jahr fertig und hab meinen Doktortitel. Ich habe vor 1,5 Jahren meinen Magister gemacht, schloss das ab und fing fast gleichzeitig mit diesem Studium an, also hab ich viel zu tun. Ich mache auch das Lehramt, also eine Professur, und einen Uni-Job, damit ich später mal Biologie unterrichten könnte, das ist ohnehin mein Backup-Plan.

Wie steht es also mit der Band?
Wir haben versucht, das neue Album fertig zu kriegen, wir haben schon so viel Material und viele neue Riffs und Ideen, aber das Problem ist, dass wir seit einem Jahr keinen Proberaum mehr hatten, also können wir nur während der Gigs proben. Gut, dass wir so viele haben, also haben wir gar keine Zeit zum Proben.! Und wir haben immer so ziemlich dasselbe Set gespielt… aber jetzt haben wir einen Proberaum…

Hier in Jyväskylä?
Nein, in Joensuu, wir haben ihn gerade erst gekriegt. Zwei von uns leben nun dort, Ville und unser Schlagzeuger, also… Nilo zog nach Kuopio, zurück zu den Wurzeln, denn davor lebte Markus in Joensuu, Vanni und Nilo in Turku, und ich war viele Jahre hier, aber nun wird es einfacher.

Aleksi (Munter, Swallow The Sun) lebt ja auch in Jyväskylä, ist er also am neuen Album beteiligt?
Wir haben vereinbart, dass er ein paar Keyboard-Arrangements und Kompositionen beisteuert, aber ich und Nilo werden das meiste komponieren, wir haben Ideen für Melodien und Aleksi weiss einfach, wie du sie noch besser machen kannst, aber wir sind nicht sicher… Wir haben überlegt, den Keyboard-Anteil zu vergrößern, aber dann brauchen wir auch live immer einen Keyboarder oder müssen sowas wie Tapes aufnehmen, also… ich weiß nicht, hängt von den Songs ab, was besser funktioniert, Synths oder Keyboards…

Warum ist er kein festes Mitglied?
Er ist sehr beschäftigt, und auch wenn wir mehr für ihn zu spielen hätten… wir kennen einander schon so viele Jahre, und ihm gefällt es so, wie es ist, nicht so viel Verantwortung aber Spaß, also kann er sich auf Swallow The Sun konzentrieren.

Es macht ihm auf alle Fälle Spaß! Beim On The Rocks-Gig war er ja nicht offiziell dabei, also sah er euch nur zu, spielte „Luft-Keyboard“, headbanging, und um ein Haar rannte er zu euch auf die Bühne!
Ja, ja! (lacht) Er ist toll! Es ist etwas anders bei uns als bei Swallow The Sun, eine Abwechslung.

Wie weit seid ihr also mit dem neuen Material?
Ah, schwer zu sagen. Nilo hat in letzter Zeit nicht so viel geschrieben, er hat einen 1-Jahr alten Sohn, also ist er die meiste Zeit damit beschäftigt, sein Alltagsleben in den Griff zu kriegen, und er und seine Frau versuchen, die Uni abzuschließen… Und ich hatte viel zu tun, und wir hatten zwischendurch Shows, also gab es nicht viel Zeit. Aber ich habe ein paar Riffs und so in petto, es könnte ein etwa ruhigeres Album werden… es wird definitiv ein guter Nachfolger des vergangenen Albums, das ist sicher!

Wie schreibt ihr?
Wir schreiben die Songs, zuerst die Melodien und dann die Texte. Zuerst eine Art Basis, was der Refrain wird und was die Strophe und so, dann die Worte, wohin das ganze geht. Und die Texte bringen das Feeling, ich und Nilo schreiben sie, und jedesmal ist es anders. Beim letzten Album hat Nilo das meiste geschrieben. Und Ville Vanni hat auch immer was beigesteuert, ich hab damals hauptsächlich die Musik geschrieben.

Und es wird nie irgendwann mal finnische Texte geben?
Englisch klingt besser und ist auch besser im Ausland anzubringen als Finnisch. Mehr Leute können uns dann anhören. Ich glaube nur Mokoma – falls du die Band kennst – hat es mit finnischen Texten geschafft, aber für mich klingt das einfach lahm (!). Denn wenn du in Englisch denkst, gibt es mehr an Synonymen mit ähnlichen Bedeutungen und mehr Adjektive, mehr Worte, wie du Sachen beschreiben kannst. In Finnisch ist alles etwas beschränkter, es ist keine besonders reiche Sprache.

Also seid ihr auf die Massen ausgerichtet…
Vielleicht sind ja einige damit zufrieden, echt Underground zu sein mit 50 selbstgemachten Demos, aber das ist nichts für uns. Wir wollen bekannt sein, ins Ausland reisen, live spielen – das ist Spass! Obwohl Stress im Studio beim Aufnehmen oft nervt, macht Shows spielen, neue Orte besuchen und neue Leute treffen einfach Spass. Und ich hab schon aufgegeben daran zu glauben, dass wir jemals dafür bezahlt werden – da glaub ich haben wir einfach keine Chance, dass wir jemals unseren Lebensunterhalt damit bestreiten können, also müssen wir was anderes machen und Musik als unser zeitaufwendiges Hobby beibehalten, aber es gibt dir andererseits auch viel, also…

Also auf welchen Song seid ihr am meisten stolz?
Wir haben den perfekten Song noch nicht geschrieben, jeder Song hat seine eigenen Stärken und Schwächen, aber ich mag “Last Statement” vom letzten Album, denn es war der letzte, der fertig wurde und eine Menge Arbeit und Stress dahinter. Und als er endlich fertig war, war ich froh, dass es vorbei war. Das Feeling des Songs,der Text und die Melodie sind gut aufgebaut, besonders gegen Ende. Der technische Aspekt, die Riffs sind einfach und die akustischen Teile, einfach alles.

Worum geht es bei den Texten, was steckt dahinter?
Der Song enthält den zweiten Text, den ich für dises Album geschrieben habe, ich landete auf einer seltsamen Website mit den letzten Statements von zum Tode Verurteilten in den USA, also stammen die Texte direkt von diesen letzten Worten. Natürlich etwas poetischer, aber noch immer dieser Inhalt.

Wie kamst du auf so ein Thema?! Einfach per Zufall gegoogelt, oder hast du dir darüber Gedanken gemacht?
Ich hab woanders was darüber gelesen und es gab einen Link, dann landete ich dort und war neugierig, und das brachte mich zum Nachdenken. In jeder Person, ob Mörder oder die Tochter von jemandem, irgendwann hast du selbst Kinder, und auch wenn wir manchmal schlimme Dinge tun und dafür bestraft weren sollten, sind wir doch noch Menschen. Ich glaube, es geht im Endeffekt um Vergebung, denn wenn jemand zum Beispiel deinen besten Freund umbringt, ist es dann noch immer richtig, diesen Menschen, den Killer, ebenfalls umzubringen? Es geht um Gerechgitkeit. Und der Song ergreift nicht Partei für jemanden, sondern soll eher yum diskutieren anregen.

Wenn du darüber nachdenkst, kannst du alles rechtfertigen!
Ja, aber was kommt dabei heraus, wenn du den Mörder tötest, und Verfahren, die 10 Jahre dauern, dem vorausgehen, all die Ermittlungen, DNA Proben, und noch immer werden Leute zu Unrecht verurteilt, aufgrund von rassistischen oder ethnischen Vorurteilen … es ist ein sehr interessantes Thema, das zum Schreiben inspiriert. Das sind schwierige Fragen, auf die es keine Antwort gibt, jeder soll sich seine eigene Meinung bilden.

Schreibst du auch über persönliche Dinge, aus deiner eigenen Erfahrung?
Es gibt einiges, was nicht mir selbst passiert ist, aber wenn du über Liebe, Angst oder sowas schreibst, dann solltest du wissen, wie sich das anfühlt. Also mögen die Szenarien fiktiv sein, aber es geht immer um echte Gefühle und etwas, das dahinter steckt. Und Nilo hat die Texte von “In The Groves of Death” geschrieben, hat die Texte ins Englische übertragen, Nilo ist der Gebildetste von uns, der Kulturgeschichte studiert hat, also… ich lese viel, aber nicht Geschichte.

Was war die schlimmste Phase für Insomnium, denn euch gibt es ja schon eine Weile…
Ich glaube, das war nach der Aufnahme des zweiten Albums, es war ein langer und schwieriger Prozess und endete nicht so, wie wir es erwarteten, und danach passierte eigentlich nicht viel, wir hatten ein paar gigs, aber das wars. Nichts ging vorwärts und es war deprimierend, es dauerte, bis wir neue Songs hatten, und es schien, als wäre das zweite Album nicht das beste, was wir anzubieten hatten, meiner Meinung nach können wir es besser, endlich haben wir den neuen Proberaum und fingen mit neuen Songs an… vielleicht war das am schlimmsten. Du musst wohl hart arbeiten, ehe du auch was davon hast, so wie bei vielen Bands. Wir müssen eben am Ball bleiben und sollten nicht zu schnell aufgeben.

Und davon nicht finanziell abhängig zu sein, gibt euch vielleicht mehr kreative Freiheit…
Klar, und wir müssen nicht ständig CDs veröffentlichen, denn mit der Zeit macht sich das bei der Qualität der Musik bemerkbar. Und du hörst das an vielen Beispielen, es gibt schon so viele CDs auf der Welt, warum schlechte machen?

Aber ihr habt schon viel getourt, und ich hab einige nette Stories gehört, mit z.b. Satyricon…
(lacht) Ja! Die wollen wie Rockstars sein, und sie glauben, sie sind so berühmt… Wir haben oft auf ihre Kosten gelacht, denn es ist etwas peinlich, sich so zu benehmen, die Soundchecks zu spät machen, professionell scheinen wollen, aber du bist es nciht, und nichts klappt, sie wollten den Backstagebereich nicht teilen, und nahmen immer gleich zwei Räume! Und dann hatten sie Frost´s Probe-Drumkit, wo er zwei Stunden vor der Show mit dem Aufwärmen anfing, und wir hatten nichts ausser unserem Bus, wo es keinen Strom gab, also kalt und dunkel war, also “war es einfach toll”. Kleine aber sehr nervende Dinge. Und wenn du 4-6 Wochen zusammen bist… Sie waren schwierig, nur um schwierig zu sein, ohne Grund, einfach nur fürs Image. Aber so ist es, wenn du die erste Support Band bist. Und Satyr motzte die ganze Zeit nur, also bitte, sei ein echter Black Metal Kerl und keine Prinzessin auf der Erbse!

Wie steht es mit den Leuten in der Band untereinander?
Wir sind schon so lange zusammen, wir kennen uns sehr gut. Abgesehen davon verbringen wir nciht so viel Zeit zusammen, denn wir leben so weit voneinander entfernt… das hilft… aber wir wissen, wie wir uns nerven können…

Dann genauer gefragt, was ist das Lustigste an Nilo?
Nilo ist … (lacht) der schlimmste Typ im Alltagsleben, beim Sockenkaufen oder Essen machen ist er so technisch… er kann Bass spielen, aber wir witzeln nur darüber. Sein Vater ist auch so, und obwohl er Professor an der Uni Joensuu ist, kriegt er nichts praktisch gebacken, und Nilo hat das geerbt. Er kriegt das nicht hin, und wir ziehen ihn immer auf “Du schaffst es nicht, du schaffst es nicht…”

Was ist das Niedlichste an Markus?
(lacht) keine Ahnung, er ist ein richtiger Junggeselle, sehr dreckig und immer bereit, jetzt hat er endlich eine Frau gefunden und ist gerettet.

Was ist das Romantischte an Ville?
Nichts! Er war nur bei vielen Frauen sehr romantisch, wenn du weisst was ich meine (lacht)

Woher stammt Villes Spitzname “Godmisery” (Gottes Elend)?
(lacht) Wir dachten uns diesen Namen aus, da er früher in der Kriminalabteilung im Labor mit Leichen gearbeitet hat. Er ist forensischer Mediziner, stellt Todesursachen fest. Er schnitt Leichen zu Forschungszwecken auf, setzte dann alles wieder zusammen. Er hat an die 800 Autopsien gemacht! Jetzt hat er´s hinter sich und studiert, um Chirurg zu werden. Aber eigentlich haben wir ja für alle Spitznamen, und wir machten uns über all die sooo harten Black Metal-Spitznamen lustig, als wir uns welche ausdachten. Markus hat die meisten, 8 oder so. Nilo ist “Dead Symbol” (Todessymbol), ich bin “Reapered” (Niedergemäht) oder “Satanus”, Markus ist “Druid” oder “Sniffing Druid” (Schnüffelnder Druide), und auf Tour fiel uns noch “Necro-Sukram” ein, also Markus rückwärts, plus “Necro”, dann klingt es bösartiger (lacht)

Obwohl Aleksi kein festes Bandmitglied ist, was ist das Seltsamste an ihm?
Seine Haare, er ist wie ein Affe! Das Seltsamste ist, dass er ungefähr 30 Kilo schwerer war, als er jünger war, er sass die ganze Zeit nur vorm Computer, er war so ein Muffel! (lacht) Sieh dir mal sein Passfoto an, er hatte diese rechteckige Brille… (lacht) Ich glaube, er schämt sich dafür, aber sonst glaubst du kaum, wie sehr er sich verändert hat.

Und was ist das Nervigste an dir?
Dass ich ein wenig rechthaberisch bin und gerne alles unter Kontrolle habe, und ich necke Leute gern und gehe da manchmal etwas zu weit, also sind viele scharf darauf, mir in den Hintern zu treten!

Autor: Marina Sidyakina, transl. K. Weber, photos: Insomnium

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Reguläre GastmitarbeiterInnen u.a. Melanie Kircher, Tatjana Tattis Murschel, Grit Kabiersch, Marina Minkler, Maria Levin, Jasmine Frey, Nina Ratavaara, Elvira Visser, John Wisniewski