Interviews

Die liebenswerten Bösewichte von Tomi Andersson

Unsere Feiertagswünsche in 2022 präsentierten euch den Hogfather und wir versprachen euch dieses Interview. Nunja, um genau zu sein, in der Terry Pratchett Story ist es ja der Tod, Death, der nur vorgibt, der Hogfather zu sein … und um noch genauer zu sein, wir sprachen in Wirklichkeit ja mit dem Mann hinter der Death/Hogfather Maske: Tomi Andersson. Einige von euch kennen ihn vielleicht als Sänger der finnischen Metalband Saatanan Marionetit. Heutzutage konzentrieren sich seine Auftritte auf ein nur ein klein wenig abweichendes musikalisches Genre – Oper. 🙂 Tomi erzählt uns, wie sich das alles ergab und warum es von Vorteil ist, wirklich früh zu Proben aufzutauchen. 

Soweit ich mich erinnere, hast du diesen bemerkenswerten Karriere- und Wohnsitzwechsel schon vor der Pandemie vollzogen?
Ja, ich bin nach Stockholm gezogen, um am Stockholmer Opernstudio zu studieren, das war 2018. Ich beschloss also, mich beruflich zu verändern, vom Barkeeper zum Opernsänger, sozusagen.

Du hattest auch diesen anderen Job bei der Saatanan Marionetit Band – was hat dich dazu inspiriert, das Genre – wirklich minimal – zu wechseln? 😉
(lacht) Ich habe nicht so sehr das Genre gewechselt, denn ich habe als Barkeeper und als Heavy-Metal-Musiker gearbeitet, und dann bin ich dazu übergegangen, in der Oper, im Theater UND im Heavy Metal zu arbeiten, also habe ich nur den Barkeeper hinter mir gelassen. Ich bin immer noch bei Saatanan Marionetit und beim Heavy Metal, alles ist gut!

Saatanan Marionetit bei der Night of Insanity 2014

Kannst du uns mehr über deinen Theaterhintergrund erzählen, den du damals im Bandinterview erwähnt hattest?
Ich studierte 2005, 2006 an der Musiktheaterschule in Helsinki – das war ein lustiges Jahr für mich, ich habe viele Freunde gefunden und herausgefunden, dass es wegen meiner wirklich tiefen Stimme nicht viele Rollen für mich in Musicals geben würde. Im Grunde würde ich eher Sprechrollen übernehmen. Also habe ich gleich danach mehr Operette und Sprechtheater und Kindertheater gemacht und die fiesen Schurkenrollen gespielt (lacht). Das hat auch viel Spaß gemacht, aber ich wollte immer noch mehr mit Musik machen, also habe ich mich der Heavy Metal-Welt zugewandt.

Apropos Bösewichte – ich weiß, dass du ein großer Skeletor-Fan bist. Wie kam es also dazu, dass du in der Hogfather-Produktion der FinnBrit Players eine Figur spielst, die ziemlich genau so aussieht?
Nun, ich habe auf Facebook gesehen, dass sie Hogfather aufführen würden, und ich bin ein großer Terry Pratchett-Fan, und ja, ich liebe Skeletor, er ist ein hinreißender Bösewicht. Was Hogfather betrifft – ich habe für die Rolle des Todes vorgesprochen, und der Regisseur sagte später, dass ich in dem Moment, als ich reinkam und „Hallo“ sagte, die Rolle hatte, weil meine Stimme so durch das Theater hallte! (Hört euch selbst Tomis Stimme an, wie er die Geschichte etwas ausführlicher erzählt – HIER!)

Was hat dich dazu inspiriert, dir die Oper auszusuchen?
Oh, ich muss sagen, dass ich da meiner Mutter sehr dankbar bin. Als ich 2017 als Barkeeper aufhörte, hatte ich plötzlich mehr Zeit, um abends etwas zu tun – vorher war ich abends immer auf der Arbeit und tagsüber habe ich geschlafen. Als ich dann Zeit hatte, was zu tun, schlug meine Mutter vor, dass ich Gesangsunterricht nehmen sollte, was ich auch tat. Und meine Gesangslehrerin meinte, wenn ich hart genug arbeite, könnte ich das tatsächlich als Beruf ausüben, also habe ich es einfach gemacht. Ein Jahr später habe ich mich an einigen Schulen beworben, und jetzt bin ich hier und singe Oper. (lacht)

Wie war es in Stockholm, und was hat dich zurück nach Helsinki gebracht?
Stockholm war wirklich toll, aber dort kannte ich anfangs niemanden. Ich konnte also in der Schule sein und den ganzen Tag lang studieren, von morgens bis abends, und alle möglichen Dinge erledigen, ich konnte mir also den Arsch abarbeiten, ohne von der Familie oder von Freunden gestört zu werden, die sich mit mir auf ein Bier treffen wollten – nichts davon, es gab nur Schule und Lernen, jeden Tag die ganze Woche, ab und zu einen freien Tag, sonst nichts. Und warum ich nach Helsinki zurückkam – im Grunde war es Heimweh. Meine Frau lebt hier und eine Fernbeziehung ist nicht so toll. Aber plötzlich hatte ich die Möglichkeit, mir was aus drei Schulen auszusuchen, zwei in Schweden, eine in Finnland, und zwar das Helsinki Konservatorium, also war es für mich sofort klar: „Ich komme zurück nach Helsinki!“

Kannst du uns mehr über deine Rollen und deine bisherigen Auftritte erzählen?
Oh, tja, das hat sich langsam entwickelt. An der Schule in Stockholm singt man im ersten Jahr in einem Chor und da war ich im Chor der „Die Zauberflöte“ und hatte auch eine kleine Sprechrolle in diesem Singspiel, die Rolle mit den meisten gesprochenen Zeilen. Der einzige Grund dafür war, dass ich der einzige war, der früh zu den Proben erschien – es hatte nichts mit meinen schauspielerischen Fähigkeiten zu tun. In meinem zweiten Jahr bekam ich die kleine Rolle des Don Bartolo in „Le nozze di Figaro“, der Hochzeit des Figaro, und das hat mir sehr viel Spaß gemacht. Das war zwar nicht meine Lieblingsoper, aber ich durfte eine sehr lustige Rolle spielen. Don Bartolo ist auch eine Rolle, die nichts mit der ursprünglichen Geschichte zu tun hat, sodass man eine gewisse Narrenfreiheit hat und unserem Regisseur hat es sehr gefallen. Und in meinem letzten dritten Jahr durfte ich die Rolle des Zoroastro in Händels „Orlando“ spielen. Das ist eine riesige Barockarie, eine Rolle mit vielen schwierigen Passagen, ich liebte diese Rolle also heiß. Sie gehört immer noch zu meinen Top 5 Opern, so gut ist sie, eine Geschichte mit Schwertern und Zaubern. Wer Conan der Barbar oder Excalibur mag, wird verstehen, warum Zoroastro eine meiner Traumrollen war!

Zurück in Helsinki, war meine erste professionelle Rolle im Chor der neuen Oper „Lisbeta“ auf den Åland-Inseln. Das Libretto stammt von Carina Karlsson und Ida Kronholm, komponiert ist sie von Karólína Eiríksdóttir und unsere Dirigentin war Anna-Maria Helsing. Ein reines Frauenteam, was ungewöhnlich ist in der Opernwelt, oder generell, wirklich, dass Frauen für alles rundum verantwortlich sind. Das Stück handelt von der Hexenverfolgung auf den Åland-Inseln im späten 17. Jahrhundert. Wer könnte die Geschichte besser erzählen als Carina Karlsson, die ein Buch darüber geschrieben hat – und dann durfte sie auch noch das Libretto für diese Oper schreiben. So toll, und ich durfte im Chor singen und war so stolz darauf, diese Gelegenheit zu bekommen.

Die Lustige Witwe – The Merry Widow

Im ersten Jahr am Konservatorium Helsinki bekam ich eine Rolle in der Produktion „Die Lustige Witwe“ – ich spielte den Bogdanowitsch, und es machte mir sehr viel Spaß. Wir arbeiteten mit dem Regisseur Markku Nenonen, ein Tänzer und Choreograph, also haben wir viel getanzt, uns bewegt, Action gemacht – und weil ich physisches Theater liebe, hat er mich machen lassen, was ich wollte. Als Bogdanowitsch fiel ich also die Treppe hinunter und war extrem betrunken, und er sagte: „Ja, das ist toll, mach weiter, mach weiter – aber keine Schwanzwitze mehr, davon gibt es genug in dem Stück“. Dann war ich bei den Opernfestspielen in Savonlinna im Chor für Tosca, Aida und Carmen, was bedeutete, dass ich morgens Proben und abends eine Aufführung hatte und in einem Zeitraum von 1,5 Monaten drei Opern auswendig lernen musste. Es war wirklich intensiv und großartig, und ich konnte mit einigen der talentiertesten Sänger der Welt zusammenarbeiten. Danach fühle ich mich nun mehr als gut gerüstet, um den nächsten Schritt zu wagen und 2023 ein paar Solosachen zu machen. Mal sehen, was daraus wird.

Gibt es noch andere Traumrollen, die du gerne spielen würdest?
Es gibt viele Traumrollen, Mefistofele von Arigo Boito ist eine, die ich auf jeden Fall machen möchte, und auch Hagen aus Wagners Götterdämmerung, einer der größten Bösewichte, die je in einem Drama auftauchen, wirklich. Normalerweise haben Leute, die Musik für eine Oper schreiben, einen eigenen Librettisten, aber Wagner hat immer darauf bestanden, das Libretto selbst zu schreiben, und beim Ring (der Nibelungen) bin ich so froh, dass er es selbst geschrieben hat, weil es so ein tolles Libretto ist. Die Charaktere sind brillant und mit vielen von ihnen kann man sich gut identifizieren und die Geschichte handelt von Habgier und Korruption und von Schwertern und Zauberei. Es ist einfach wunderschön!

Savonlinna

Du hast bereits einige Rollen erwähnt, die Singen in einer anderen Sprache erfordern – Deutsch, Italienisch, Französisch… was war die schwierigste Rolle und Sprache bisher?
Nun, Deutsch und Italienisch sind ziemlich einfach, Französisch ist ein bisschen schwierig – wenn man sich den Text anschaut, wie er geschrieben ist, wie zum Teufel spricht man das dann aus? Zum Glück hatte ich 2 Jahre Französisch gelernt, so dass ich es lesen konnte, aber es gibt immer noch diese Mikro-Nuancen, die höllisch schwierig sind, besonders für eine finnische Zunge. Und eine andere Sache, die ich außergewöhnlich fand, war das Singen auf Tschechisch, zum Beispiel wegen Smetana. Und dann muss man Tschechisch lernen – da gibt es Wörter mit 4 Konsonanten hintereinander (lacht). Ich hatte großes Glück, ich kannte eine Journalistin von einem tschechischen Heavy-Metal-Magazin, die mich mal interviewt hatte; ich habe sie kontaktiert und sie konnte mir den Text sogar rhythmisch vorlesen – da habe ich also quasi im Lotto gewonnen.

Was steht als Nächstes an?
Nach der Hogfather-Produktion werde ich nach Stockholm gehen und an „Herzog Blaubarts Burg“, Bela Bartok, arbeiten, nicht auf Ungarisch, sondern auf Schwedisch, was ziemlich ungewöhnlich ist, aber das wird sicher toll. Dann fahre ich nach Malmö, wo ich für die Rolle des Kerkermeisters in Tosca vorspreche, meine erste Solorolle als Profi beim Åland-Opernfestival im Sommer 2023 (Update: er hat die Rolle bekommen! Anm. d. Red.), und dann werde ich am Konservatorium in Helsinki meinen Abschluss machen und ganz offiziell, Schwarz auf Weiß, Musiker sein!

Letzte Frage: Was haben deiner Meinung nach Heavy Metal, Black Metal und Oper gemeinsam, abgesehen von der Schminke?
Nun, abgesehen vom Make-up… OK, der Hauptunterschied zwischen Oper und Heavy Metal – Oper ist eine Form des Musiktheaters und Heavy Metal nicht unbedingt, außer vielleicht bei Shows von King Diamond, Alice Cooper oder Avantasia. Aber die Gemeinsamkeiten – beide sind eine extreme Form der Darstellung von Gefühlen. Wenn es also ein Lied über Depressionen gibt, taucht man wirklich tief in sie ein. Und wenn es ein Lied über Liebe ist, taucht man wirklich tief ein – zum Beispiel bei Whitesnake. Es geht um die Liebe in ihren extremsten Formen und wirklich verschiedenen Formen. Und wenn es um Rache geht, ja, dann gibt dir Heavy Metal Rache, die dir wirklich ins Gesicht schlägt und es tut weh, das alles zu hören, aber man muss einfach zuhören. Das, würde ich sagen, haben diese beiden Kunstformen gemeinsam – Gefühle auf einer tiefen und extremen Ebene zu zeigen. Popmusik oder Musicals kratzen nur vorsichtig an der Oberfläche, wollen aber nicht, dass du dich danach schlecht fühlst – aber Oper und Heavy Metal sind Genres, die dir niemals ein Happy End versprechen oder sagen, dass alles gut wird. Das gibt es in der Welt von Heavy Metal und der Oper nicht.

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photos: Tomi Andersson, FinnBrit players, K. Weber

Klaudia Weber

Rücksichts- und gnadenlose Diktatorin, kniet vor mir! Anders gesagt: Chefredakteurin, Übersetzerin, Webseiten- und Anzeigenverwaltung, also "Mädchen für alles" - - - Schwerstens abhängig von Büchern (so ziemlich alles zwischen Herr der Ringe und Quantenphysik) und Musik, besonders von Metal finnischer Prägung. Weiters Malen, Zeichnen, Film, Theater... also könnt ihr mit einer vielseitigen Website rechnen. Mag.phil., zwei in 5 Jahren parallel abgeschlossene Vollstudien (English & American studies, Medienkommunikation) und stolz darauf, denn als Mädel aus einer Arbeiterfamilie in einem erzkonservativ-katholischen Land ging das nur dank Stipendium und etwas später im Leben als andere....