Enslaved / Ne Obliviscaris / Brymir / Oddland / Oceans of Slumber
Zugegeben, der Titel könnte missverstanden werden – denn diese fünf Bands sind nicht gemeinsam aufgetreten – es handelt sich um zwei verschiedene Shows mit den Australiern Ne Obliviscaris, mal als Headliner (mit Brymir und Oddland in Helsinki) und mal als Support für Enslaved in Berlin (plus Oceans of Slumber). Für letzteren Gig hat Kathleen Gransalke das Wort:
15.10.2016, Lido, Berlin
Herzlich willkommen zum Interkontinentalen ProgFest mit Oceans of Slumber aus Houston, Texas, Amerika; Ne Obliviscaris aus Melbourne, Australien, und Enslaved aus Bergen, Norwegen, Europa. Heutige Station der gemeinsamen Europa-Tour: das Lido in Berlin, Kreuzberg.
Für Hauptstadtverhältnisse (und auch überhaupt) geht’s hier heute ziemlich zeitig los: 18 Uhr ist Einlass und die erste Band soll eine halbe Stunde später bereits auf der Bühne stehen. Die Diskokugel dreht sich und nicht nur das Bier in unserer Hand macht uns etwas schwindelig. Wir sind gespannt.
Unter anderem auch auf Oceans of Slumber, die erste Band des heutigen Abends. Wer sind sie, was spielen sie? Die Bühne betreten vier Jungs und, sehr zu unserer Überraschung, weil eher ungewöhnlich, auch eine Frau, Sängerin Cammie Gilbert.
Zu diesem Zeitpunkt ist die Zuschauermenge im Saal noch recht überschaubar, aber das hält die Band nicht davon ab, ihren oft ruhig beginnenden, sich dann aber zu epischen Prog-Hymnen auswachsenden Sound abzuliefern. Diese Band, obwohl es sie erst seit 2011 gibt, klingt absolut nicht wie eine Vorband, so professionell ist ihre Musik. Viele Elemente und Stile werden hier gemischt, so auch clean und growl Vocals (übernommen von Gitarrist Sean Gary). Die Band versteht es, mit ihrem theatralisch-getragenen Gesamtkonzept, die Zuschauer zu hypnotisieren. Allein Gilberts leicht unterkühltes Auftreten wirkt etwas unpassend. Aber vielleicht gehört das ja zum Konzept? Zum Abschluss gibt’s noch ein Cover: Nights in White Satin von The Moody Blues. Die nun schön etwas größere Menge singt inbrünstig mit.
Den weitesten Weg nach Berlin hatten wohl die Australier Ne Obliviscaris (wenn sie nicht vorher schon in Helsinki gewesen wären). Noch etwas tiefenentspannt von Oceans of Slumber, werden wir von dem Soundtsunami, der nun über uns hinwegbricht, doch etwas überrascht.
Ne Obliviscaris bieten alles auf, was geht: zwei Gitarren, Schlagzeug, Bass, eine Geige und zwei Sänger, die nicht unterschiedlicher sein könnten. Zum einen Xenoyr: ein mysteriös, grimmig aussehender Growler in schwarzer Montur. Ihm gegenüber steht Tim Charles, ein gut gelaunter Wonneproppen in Jeans und Pullover, der die clean Vocals übernimmt (und die Geige). Außer, dass es die volle Breitseite auf die Lauscher gibt, kurz unterbrochen von ein paar eingestreuten ruhigeren Passagen mit Geige, lässt sich anfangs nur erahnen, was die Band uns hier wirklich auftischt. Erst gegen Ende des Gigs (letzter Song) bessert sich der Sound und das Gehörte beginnt sich im auditorischen Cortex zu einem rockenden Ganzen zusammenzusetzen. Schade eigentlich und deshalb auch schwer einzuschätzen.
Der Hauptact des Abends, die alten Haudegen von Enslaved, haben wohl die längste Berufserfahrung aller Musiker an diesem Abend. Gegründet wurde die norwegische Band von Sänger Grutle Kjellson und Gitarrist Ivar Bjørnson 1991, als beide noch im zarten Teenageralter waren. Kjellson 13 und Bjørnson 17. Wer rechnen kann, erkennt, dass es die Band nun seit einem Viertel Jahrhundert gibt. Grund genug, diesen Bandgeburtstag mit einer Tour und einer Auswahl von Tracks aus allen Perioden der Schaffenszeit gebührend zu feiern. Gesagt getan. Schon die ersten Takte des Openers gehen sofort ins Ohr und die Mitwippmuskulutar beginnt unwillkürlich zu kontrahieren. Zugegebenermaßen hat die Rezensentin sich in ihrer eigenen Schaffenszeit noch nicht so viel mit den Norwegern beschäftigt. Was sie an diesem Abend hört, gefällt jedoch. Melodiös, melancholisch und heavy zugleich. Ein gut zusammengeschnürtes Gesamt-Paket, ausgeliefert von sympathischen Nordmännern, die heute Abend auch nochmal kurz die Bandgeschichte aufrollen und das ein oder andere Anekdötchen erzählen. Interessant auch, dass das Publikum im Lido im Durchschnitt wohl genau so alt ist wie die Band selbst. Nach einer Stunde Gig gibt’s noch Zugaben (zB das selten gespielte The Crossing) und dann ist der Abend auch schon vorbei. Wir schauen auf die Uhr. Es ist kurz nach 22 Uhr. Von wegen, Kreuzberger Nächte sind lang…
Oddland / Brymir / Ne Obliviscaris
Helsinki 12.10.2016, Nosturi – die Chefred. berichtet:
Oddland erwiesen sich als gut passend zum Hauptact mit ihren verfrickelten Klangwelten, dazu klare Stimme, mehrstimmige Chöre und gelegentlich auch Growls. Anfangs wirkte die Band – deren zweites Album vom Kollegen bereits hoch gelobt worden war – etwas zurückhaltend, oder angespannt, oder beides, wurde im Lauf der Show etwas lockerer. Und ja, die können auch gewaltig abrocken.
Dem Publikum wurde fürs pünktliche und zahlreiche Erscheinen (das Pit war schon zu diesem Zeitpunkt voll, und das an einem Mittwoch!) gleich mehrmals gedankt – und die Band dürfte mit diesem Gig auch einige Fans mehr gefunden haben – bei ruhigen Teilen hörten die Leute so aufmerksam zu, dass du eine Stecknadel fallen gehört hättest…
Bei Brymir hätte hingegen ein ganzer Kegelverein nicht gestört, von wegen ruhige Momente … Die sehen nicht nur so ein bisschen aus wie die Wikinger aus der TV Serie, sie scheinen sich auch vorgenommen zu haben, Nosturi in Schutt und Asche zu legen. Meine Fresse– alleine die brachiale Soundwand ihres Pagan Metal zog dir einen neuen Scheitel … Und dann noch diese hochenergetische Show …
Ich zog mich lieber nach hinten zurück, jedoch nicht weil die Band so zum Fürchten wäre… Im Gegenteil, die Jungs haben viel Spass auf der Bühne und das überträgt sich klarerweise auf die Menge. Ein Fan, der an diesem Tag Geburtstag hatte, kriegte sogar kurz ein Ständchen vorgetragen und Thus I Became Kronos vom aktuellen Slayer of Gods Album gewidmet.
Aber dann endlich, Ne Obliviscaris! Erstens kriegt man diese Australier nicht so oft zu Gesicht, und zweitens schon gar nicht als Headliner, wo die Fans mehr als nur 3 Songs in einem Supportslot zu hören kriegen. Was soll ich sagen – dass diese Band zum Niederknien genial ist, stand für mich ja schon fest, aber können sie den Spannungsbogen über eine längere Zeitspanne, sprich Headliner-Show, halten? Antwort: Ja. Barometer in Finnland, wie gut ne Band ist: gähnende Leere im Thekenbereich…
Faszinierend, wie sie diese komplexen, vielschichtigen Songs mit Black- / Death- / Grind- / Prog- / Pagan Metal / Alternative / Rock / Jazz Elementen (und inner Zugabe kam noch Flamenco-Feeling dazu) live dermassen präzise umsetzen! Zwischendrin dankte Clean Sänger/Geiger Tim immer wieder den Fans und betonte, dass sie nur dank deren Unterstützung touren oder Cds aufnehmen können – und ein neues Werk ist grad in Arbeit (mehr zum Crowdfunding HIER ). Von ganz hinten hab ich den Begeisterungslevel des ganzen Saals mitgekriegt – auch wenn Mitklatschen zur intellektuellen Herausforderung wurde, bis zum letzten Ton waren alle voll mit dabei. Die Bandmitglieder hatten sich nach dem letzten Song im Set noch nicht mal umgedreht, wurden schon ”Zugabe” Sprechchöre laut … Und auch nach selbiger hätten wir alle gerne noch mehr gehört… Die Band genoss die überschäumende Stimmung ebenso, Tim gleich mit ner Runde Crowdsurfing … Also, sollte euch dieser Act bisher noch völlig unbekannt sein, wird es hoch an der Zeit, diese Wissenslücke zu schliessen.
Fotos: K.Weber Fotogalerie HIER