Lost Society listening party, Sonic Pump Studios Helsinki, 20.11.2015
Eine gewisse Spannung liegt in der Luft – klarerweise hauptsächlich im Umfeld der Band: alle schnieke zurechtgemacht für den Anlass, sind die Jungs aus Jyväskylä neugierig auf die ersten Reaktionen auf das neue Album. Aber auch die Journalisten scheinen es kaum erwarten zu können, was Finnlands Thrash-Nachwuchs Lost Society am dritten Album (VÖ 12. Feber 2016) so alles auffahren lässt.
Smalltalk, und ein gewisses aktuelles Thema lässt sich im Plausch mit dem Kollegen aus Frankreich einfach nicht vermeiden. Wir einigen uns darauf, “diese Arschlöcher nicht gewinnen zu lassen”… und dann können wir endlich die heiligen Hallen des legendären Sonic Pump Aufnahmestudios betreten, um uns „Braindead“ anzuhören.
„Braindead“ ist keineswegs hirntot.
„I am the antidote“ lässt dir mit Sicherheit die Kinnlade runterklappen. Besonders bei jenen, welche die ersten beiden Alben kennen und/oder die Band live gesehen haben. Weniger Speed, mehr Groove, ich würd da sogar Vergleiche mit Power Metal bemühen… nicht falsch verstehen, das ist ein positiver Richtungswechsel. Diese Jungs zeigen, was sie puncto Songwriting draufhaben. Ohrwurm. Toller glasklarer Sound, der die filigrane Gitarrenarbeit hervorhebt.
„Riot“, aggressiver als der Vorgänger, dürfte eher dem nahekommen, was ihr von der Band erwartet habt; präzises Riffing Marke Pantera, kranke Soli, dennoch auch hier ein Schritt in Richtung Komplexität.
„Mad Torture“ – und ich kann mir ein breites Grinsen nicht vverkneifen. Zunächst mal brettern sie los, wie du sie kennst und liebst – so schön respektlos mitten in die Fresse, aber dann geht es wieder in Richtung Groove, die typischen Strophe – Refrain – Strophe – Refrain Songstrukturen hinter sich lassend, etwas komplexer. Hervorragend, eventuell schon mein persönlicher Fave auf diesem Album.
„Hollow Eyes“ gibt ein weiteres Beispiel ab, wie diese Jungs all die Thrash Klassiker aufgesogen, umgewandelt und zu ihrem ureigenen Ding gemacht haben. Mitten drin sogar ein „Heavy Metal Walzer“ als Verbeugung zu Testament. Hatte ich schon die tolle Gitarrenarbeit erwähnt?
„Rage me Up“ klingt so, als könnte er den vorhergehenden Alben entsprungen sein – energiegeladen, mitten in die Fresse, ein Refrain gleich zum Mitbrüllen – aber dann doch wieder ausgefeiltere Teile mittendrin, eventuell nur um mal kurz die Hörer zu verwirren, denn dann wirst du gleich wieder mit abgedrehter Thrash Power niedergewalzt.
„Hangover Activator“ setzt die Hochgeschwindigkeitsattacke fort, erinnert mich ein wenig an Metallicas Motorbreath. Gnadenlose Riffs sägen sich ins Hirn, Soli lassen die Fingerkuppen dampfen. Diverse kleine Spielereien bringen mich fast zum laut Loslachen…
„Only My Death Is Certain“ legt zwar Marke Metallica Schwarzes Album los, aber doch kein Druck auf Tränendrüsen, sondern erneut eine komplexe Mischung von Thrash und Power Metal, schnellere und groovende Teile wechseln, und drüber eine Melodie, getragen von einer klaren, fast sehnsüchtig klingenden Gitarre, das ganze noch veredelt mit einem eingängigen Refrain. Noch ein Beispiel, wie toll die Jungs ihr Songwriting weiterentwickelt haben.
… und weil die nächsten beiden Tracks eigentlich als Bonus und eventuell sogar als Überraschung gedacht sind, belasse ich es mal bei diesen Kommentaren…
Danach scheint die Band schon etwas lockerer drauf zu sein, was wohl auch an den in er Zwischenzeit konsumierten Erfrischungen liegen könnte… “Gar nicht das, was wir erwartet haben”, sind sich die Journalisten einig. Und das ist positiv gemeint. Dem Stil treu bleiben (Thrash), aber sich dennoch weiterentwickeln, das haben sie auf alle Fälle geschafft. Oder wie ich es dann im Gespräch mit Samy Elbanna formulierte: „Ihr seid erwachsen geworden!“
Samy beschreibt den Aufnahmeprozess von Braindead, das dritte Album, das sie im Sonic Pump mit Nino Laurenne aufnahmen (Mastering von Svante Forsbäck), als „die wohl lustigste Session, die wir jemals hatten“.
Vor einigen Jahren noch selbst „nur“ Fans gewesen, lassen die Jungs sich noch den Enthusiasmus anmerken, wenn sie so gut wie alle ihre Idole treffen, und noch besser, auf denselben Festival-Bühnen spielen können. „Hellfest war wohl die tollste Erfahrung meines Lebens”, meint Samy und erinnert sich an das Gefühl, vor so viel Publikum zu stehen, obwohl sie schon so früh um 11h auftraten. Und bald werden sie mit Anthrax in der Hartwall Arena spielen und da hoffentlich Gelegenheit haben, sich auch mit ihnen unterhalten zu können, “denn beim Tuska Festival, bei dem wir beide auftraten, hatten sie keine Zeit.”
Als ich das Gespräch auf diese unglaubliche Energie, die sie sowohl auf Tonträger als auch Live ausstrahlen, brachte, erklärte Samy das mit “Energie, die in beide Richtungen läuft, wir kriegen die vom Publikum, und das ist etwas, wofür ich lebe.”
Und ein Statement, mit dem sich so ein Beitrag perfekt beenden lässt: “Wir nehmen nichts als selbstverständlich hin,” meint Samy. “Wir haben verdammt viel Glück”.