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Dornenreich: Musik ist die innigste Form der Kommunikation

In ihren 18 Jahren Bandgeschichte war es immer ein besonderes Erlebnis, diese Österreicher leibhaftig auf einer Bühne zu sehen. Und unlängst brachte Dornenreich das 8. Studioalbum namens „Freiheit“ heraus, womit auch gleich angekündigt wurde, dass sich die Band danach ein wenig rarer machen würde… Genug Gründe also, um den Band-Mastermind und Sänger/Gitarristen “Eviga” vor der Show in Köln zu treffen. Gesprächsthema: Die Musik. Das Leben. Alles.


Wie geht es dir?
Danke, ganz gut. Es klingt nicht so, weil meine Stimme krächzt, oder? Aber ich fühl mich gut.

Wie war eure Walpurgisnacht (April 30th)? Habt ihr etwas Besonderes gemacht?
Schlimmer hätte es nicht mehr sein können. Wir hatten Pech, es regnete die ganze Zeit, während der gesamten Show. Das war gut für die Atmosphäre, denn es gab jede Menge natürlichen Nebel. Wir spielten draussen, was ziemlich riskant war. Es war sehr kalt, also nicht so gut für uns, aber wir haben das beste daraus gemacht.

Und wie lief die Tour bisher?
Bisher wirklich gut, aber wir haben ja bis heute nur zwei Shows gespielt. Und im Klub in Stuttgart war es sehr gut, sehr intensiv, tolles Publikum.

Was macht für euch eine gute Show aus?
Ahm… Wenn wir ein geteiltes Set spielen, also akustisch und dann Metal, ist es immer besser, wenn die Bar des Venues nicht im selben Raum wie die Bühne ist. In Stuttgart gab es keine Bar, also blieb das Publikum während des akustischen Teils sehr sehr still. Das ist selten, ausser wenn du in einer Kirche spielst oder so, denn in eine Kirche gehen Leute in einer anderen Stimmung als zu einem Rock-Konzert. Auch hilft ein guter Soundcheck, denn wenn du nichts aus den Monitoren hörst… Und wir haben einen Geiger, es ist ein sehr schwieriges Instrument in Kombination mit einer Gitarre und einer verzerrten Gitarre, daher brauchen wir einen wirklich guten Soundcheck. Und dann noch die Energie, die zwischen uns und dem Publikum fliesst, macht einen grossen Unterschied. In Stuttgart war das auch etwas Besonderes.


Wie zufrieden seid ihr denn mit der neuen Veröffentlichung Freiheit?
Sehr sehr glücklich, aber ich bin eine sehr kritische Person. Freiheit ist jenes Album, das ich schon immer machen wollte, in vielfacher Hinsicht. Der Grossteil ist akustisch, aber es gibt Metal und Rock Elemente, und viele weitere Elemente, aber eben so, wie es das Gesamtbild verlangt. Nichts hier ist erzwungen, der Fokus liegt auf dem authentischen Sound eines akustischen Instruments, es gibt nichts Elektronisches. Auch wurde die Produktion wirklich gut, besonders was den Sound der Geige betrifft. Wir hatten diesmal eine 5. Saite auf der Geige, eine tiefe Saite, damit man mit einer Geige auch tiefe Töne hinbekommt, wie bei einem Cello. Das hat eine Menge zu unserer Bandbreite des Ausdrucks beigetragen, finde ich.

Inwieweit ist dieses Album ausgereifter im Vergleich zu euren früheren Veröffentlichungen?
Sehr ausgereift. Um ehrlich zu sein, ich finde, das ist unser bestes bisher. Ich meine, alle unsere Alben unterscheiden sich voneinander. Es gibt viel auf diesem Album Freiheit, das du entdecken kannst, auf lyrischer wie auf musikalischer Ebene. Und es bringt vieles auf den Punkt, was wir auf früheren Alben zu erforschen versuchten. Freiheit ist so etwas wie der hellere Zwilling des Vorgängers. Davor gab es nur einen akustischen Song, aber diesmal ist es umgekehrt, nur ein Song basiert auf Metal, mit den Schreien und so. Die Struktur dieses Albums ist etwas Besonderes.

Dieser vierte Song “Das Licht vertraut der Nacht” sticht wirklich raus!
Ja, denn nach den ersten drei Songs glaubst du zu wissen, was als nächstes kommt, aber dann kommt dieser dramatische Bruch. Das ist Absicht, das ist wie eine Welle, die hereinbricht. Wie eine Welle, die sich langsam erhebt und dann bricht, sich wieder aufbäumt … und so weiter, in den letzten drei Songs. Dieses Album ist wie ein Kreis. Der kleinste mögliche Kreis, eine Welle baut sich auf und bricht, was auch im Cover widergespiegelt wird. Die Metapher des Meeres, die Schwelle zwischen Tag und Nacht. Sonnenauf- und Sonnenuntergang zugleich, was klar wird, wenn du das Album in Händen hältst.


Was ist Freiheit für dich? Welche Art von Freiheit meinst du?
Die hat viele Aspekte. Wenn du in Zentraleuropa lebst, hast du viele Rechte und diese soziale Freiheit, die du nicht wirklich zu schätzen weisst. Es ist echter Luxus, diese Gedanken der inneren Freiheit zu haben und in einem Land zu leben, in dem du sicher bist. Also weiss ich, dass das Fundament, auf das wir aufbauen, nichts Selbstverständliches ist, sondern eine grosse Chance für uns, und ich spreche von der innere Freiheit. Denn das ist der Kern von allem. Die Gesellschaft ist aus Individuen zusammengesetzt, die ihre Enscheidungen bewusst treffen, oder auch nicht, und wenn du eine bestimmte Ebene des Bewusstseins erreicht hast, eine Freiheit in dir selbst, die Art, wie du dich selbst beurteilst, dann wird das auch in deinem äusseren Leben widergespiegelt. Aber es fängt mit den inneren Bedingungen und Mechanismen an, was in dir selbst vorgeht.

Wie hast du diesen Gedankengang erreicht?
Tja, die Band war viel unterwegs, und wir besuchten viele Länder, auch die im Osten. Da gibt es wirklich grosse Unterschiede! Ich lese viele Bücher über östliche Philosophie, keltische Spiritualität, ich mag die Denker und Leute, die über die Weltreligionen Bescheid wissen, es gibt schliesslich in all dem einen gemeinsamen Kern.
Es ist toll, den Blick von aussen zu haben, nicht von innen, nicht aus einem einzigen System, sondern von etwas Universellem, viel Ursprünglicherem, einem natürlichen Zugang zu Leben und Kunst, was für mich am Ende von allem liegt.

In dieser Hinsicht, was ist Musik für dich? Ist es Arbeit, ist es ein Lebensstil …?
Für mich ist das etwas sehr sehr Wesentliches, aber um ehrlich zu sein, es ist nicht das Beste für mich als Person. Es ist gut für die Band, aber ich will den Leuten wirklich etwas vermitteln. Ich mag es, auf der Bühne zu stehen, und ich mag es, eine gewisse Leidenschaft zum Ausdruck zu entwickeln. Musik ist die innigste Form der zwischenmenschlichen Kommunikation, denke ich. Es gibt so viele Aspekte dazu. Für mich ist es sehr wichtig, dass du dir eines gewissen Moments bewusst wirst. Dornenreich basiert auf einem sehr starken Moment, den wir in jedem Song aufbauen. Du wirst herausfinden, dass viele Teile auf sowas wie Gesten aufgebaut sind, die Musik und die Worte sind so miteinander verwoben, dass sie wie ein Bild werden. Das bedeutet mir viel, denn Musik überschreitet so viele Grenzen der Existenz. Musik, anders als andere Kunstformen wie Skulpturen und Gemälde, erschliesst sich über einen gewissen Zeitraum, wie ein Film oder ein Hörspiel. Also ist es etwas sehr Lebendiges. Es passiert im Bewusstsein der Zuhörer. Ich könnte stundenlang über dieses Thema reden!


Was kommt bei dir zuerst, die Musik oder die Worte?
Die Musik. Alles ist sehr intuitiv. Meistens ist der Albumtitel klar. Musik, basierend auf Intuition, wird lebendig, und dann höre ich mir die Musik immer und immer wieder an, und dann schreibe ich die Texte passend zu dem, was bereits vorhanden ist.

Ist “Freiheit” ein Konzeptalbum?
Ja, absolut. Es ist mir wichtig, dass jeder einzelne Song auch für sich alleine stehen kann. Auch die Texte sind wichtig und dass der Titel jedes Songs alleine eine gewisse Bedeutung vermittelt. Und der Titel sollte die Kernbotschaft aller Songs und Texte zusammenfassen. Und all die einzelnen Phrasen und Sätze an sich sollten etwas aussagen.

Also zum Beispiel der 7. Track, “Traumestraum”, da gibt es fast keine Texte, aber die Musik macht irgendwie den Titel deutlich.
Ja, du hast recht (lacht).

Und mein Gesamteindruck von “Freiheit”, als ich es mir anhörte, mit deinem Gesangsstil und der Musik, das war fast so wie bei einem Hörbuch!
Das stimmt” Ich bin ein grosser Bewunderer von Hörspielen und Hörbüchern, total! Man kann das sicher auf diesem Album hören. Und besonders beim dritten Song “Des Meeres Atmen”, wo das erste grosse Motiv auftaucht, wie eine sich aufbauende Welle, sehr bildhaft, meiner Meinung nach.

Es funktioniert in diesem Fall, dass die Musik mehr aussagt als die Worte, und dann spielt es keine Rolle, ob sich was reimt oder nicht …
Du hast recht. Ich glaube, dass unsere Texte viel zu bieten haben, wenn sich jemand dafür interessiert. Aber ich glaube auch, dass die Musik ganz alleine verstanden werden kann. Was natürlich wichtig ist, denn wir benutzen nur unsere Muttersprache Deutsch, die sehr bekannt ist, aber es ist nicht English. Es ist so wie bei Alcest zum Beispiel, sie singen nur in Französisch, und das scheint weltweit aber kein Problem zu sein.

Hast du schon erwogen, Soundtracks zu schreiben?
Ja. Das wäre eine grosse Herausforderung für uns, aber das machen wir im Grunde ja schon. Es wäre toll, das wirklich zu machen. Es ist schwierig, das in Gang zu kriegen, und wir wurden noch von niemanden aus der Filmszene angesprochen. Das wäre toll.

Ist Dornenreich dein Hauptberuf?
Künstlerisch gesprochen, ja. Ich arbeite auch mit Empyrium und bei Angizia, keine Ahnung, ob dir diese Band was sagt, sie wurde schon 1994 in Österreich gegründet, sehr ambitioniert, sehr theatralisch, ähnlich wie Devil Doll, falls du die kennst? Eine Kultband aus Slowenien. Bei dieser Band mach ich ein paar Vocals, und das klingt dann sogar noch mehr nach Hörbuch oder Hörspiel. Ich bin da der Erzähler. Was Empyrium betrifft, spiel ich Session-Live-Gitarre. Ansonsten ist Dornenreich mein Hauptprojekt.

Dornenreich gibt es schon seit 18 Jahren, seit 1996. Wenn du zurückblickst, wie bewertest du das, was du getan hast? Bereust du etwas?
Das ist eine sehr gute und fundierte Frage. Aber in gewisser Weise kommt sie zu früh. Denn wir sitzen hier und ich bin noch immer voll in der Band und in die Promotion des neuen Albums involviert, und es wird also in einem Jahr etwas klarer werden, wenn es wieder etwas ruhiger zugeht. Aber ja, was soll ich sagen? Es war eine lange Reise. Ich war 16, als ich anfing, die Band ist nun 18, also ist die Band älter als ich, als ich anfing! Und klar in gewisser Weise bin ich nun eine andere Person als damals 1996. Aber ich habe noch immer denselben Idealismus und dieselbe Leidenschaft für Musik. Und so muss es sein, sonst wäre ich nicht hier. Niemand hat mir gesagt, dass ich das machen soll oder diese lange Zeit anstreben soll , wir haben niemals Kompromisse gemacht. Ich glaube, dass viele Bands das sagen, oder vorgeben, dass sie das tun, aber in unserem Fall stimmt es. Es ist kein einfacher Weg, und in den letzten Jahren haben wir die Konsequenzen unserer Sturheit erfahren, gewissermassen, da wir einfach nicht den normalen Bedingungen und Herausforderungen des Musikbusiness nachgaben. Es ist auch ein grosses Privileg, dass wir so loyale Fans haben. Wir sind noch immer eine Undergroundband, aber besonders in den deutschsprachigen Ländern haben wir eine grosse Fanbasis, und in all den Jahren kamen diese Leute auch immer wieder zu unseren Konzerten. Sie zeigten uns wirklich, dass ihnen diese Band viel bedeutet. Ich glaube, es ist wichtig zu sehen, wer unser Publikum ist.

Bist du glücklich über diesen Undergroundstatus?
Ah ja… (lacht) Glücklich?! – Ja! Gewissermassen gibt es so viel Freiheit! Ich denke, alle Dinge im Leben haben zwei Seiten, das gilt auch für diesen Status. Unser Label Prophecy Productions ist uns sehr verbunden, sie haben ein starkes Profil, und ich mag auch ihren Namen sehr gern – Prophecy. Wir mögen auch die Leute dort, wir vertrauen einander, wir haben absolute Freiheit, künstlerisch gesprochen. Das ist eine rare Angelegenheit. Angefangen vom Coverartwork, der Songanordnung, allem. Wir haben keinen Druck, keine Zeitpläne, wenn wir uns entscheiden, die nächsten 5 Jahre kein Album zu machen, ist das für sie OK. Klar wäre es toll, ein grösseres Publikum zu erreichen. Denn der Input bleibt derselbe, ob du für 30 oder 300 oder 3000 Leute spielst. Dann allerdings wird die Intimität wegfallen. Dornenreich ist in kleinen Clubs am stärksten, bis ca 500 Leute. Dann kriegen wir all die Intensität rüber. Hast du nicht auch gefragt, ob ich was bedauere?


Ja, eine der Fragen. 18 Jahre Bandgeschichte sind eine lange Zeit …
Ja, ich bedauere die Tatsache, dass mir nicht klar war, welchen Einfluss es haben wird auf die Art, wie ich aufwuchs. Ich brachte mit 16 mein erstes Album heraus. Damals wusste ich nicht, dass es viel in meiner Jugend verändern wird. Damals war es nur toll, so eine Ehre, in einem echten Studio mein Album aufzunehmen. Aber es hat auch andere Aspekte, und manchmal kämpfe ich ziemlich damit, mit diesem gewissen Ungleichgewicht. Und so ist es noch immer. Wenn du dir dieses Album anhörst, wird ziemlich deutlich, dass ich eine gewisse Zone des Friedens gefunden habe, oder des Gleichgewichts, oder ein Fundament, aber ich glaube, es ist schwierig für mich, die zyklische Natur des Lebens zu akzeptieren. Das ist nach wie vor noch immer eines meiner Hauptthemen. Das erste Album hiess “Nicht um zu sterben”, was auf die Nichtakzeptanz der Vergänglichkeit des (irdischen) Lebens abzielt. Ich konnte den Gedanken nicht akzeptieren, dass wir alle eines Tages gehen müssen.

Du hast dich schon so früh mit solchen Gedanken befasst, mit 16?!
Ja, das hat auch einen sehr persönlichen Hintergrund. Ich war ein Einzelkind, keine Geschwister. Und ich musste mit einer Menge extremer Erfahrungen innerhalb der Familie fertig werden. Ich dachte viel darüber nach, wie mein Leben ohne Musik geworden wäre. Schliesslich hatte ich sehr viel Glück, diese Form des kreativen Ausdrucks zu haben.

Die Texte sind also sehr persönlich, oder ist auch noch Fiktives dabei?
Der Grossteil ist keine Fiktion. Es ist sehr persönlich, ja. Manchmal kämpfe ich mit der Tatsache, dass Kunst viele narzissistische Tendenzen hat und egozentrische Ansichten, aber das war nicht meine Absicht bei diesem Album. Jedoch dreht sich das Album viel um die Trennung von Selbst und Ego, all das, wieder subjektive Dinge, aber schliesslich ist es mir sehr wichtig, eine Atmosphäre zu schaffen, die fern solch egozentrischer Wahrnehmung des Lebens ist. Darum hat der letzte Song “Blume der Stille” keinen Text. Sowas kriegt man mit Worten schwer rüber. Ich mag es, Leute zu treffen, so wie wir nun hier sitzen, das ist toll. Denn manchmal sind die Themen, die ich behandle, sehr facettenreich und vieldimensional, und ich mag es darüber nachzudenken, was andere Leute darüber denken, was ich so sage.
http://flammentriebe.com/

Autor: Marina Minkler, transl. K.Weber, photos: band, M.Minkler

GastmitarbeiterInnen / guest contributions

Reguläre GastmitarbeiterInnen u.a. Melanie Kircher, Tatjana Tattis Murschel, Grit Kabiersch, Marina Minkler, Maria Levin, Jasmine Frey, Nina Ratavaara, Elvira Visser, John Wisniewski