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Otto Dix in Hamburg

OTTO DIX, nicht nur Russlands bekannteste Gothicband, sondern als erste auch auf Solotour durch Deutschland, gab – neben Chemnitz, Leverkusen, München, Dresden und Berlin – auch in Hamburg eine Show in dem eher ungewöhnlichen Club Catonium . Ungewöhnlich deshalb, weil an diesem Ort die Freunde der Fetisch- und BDSM-Kultur ihren Phantasien und Obsessionen der dunkleren Art einen Spielplatz bieten können.


Doch an diesem Abend kamen die Gäste nicht wegen bizarrer Spiele, sondern wegen bizarrer Musik. Ins Ambiente passend – phantasievoll, elegisch, elektronisch, ein wenig exotisch und nicht normal. Für manche vielleicht noch schwer zu überwinden – dieser Grat hinüber in östliche Sphären des Gemüts und das auch noch auf russisch gesungen.

Gesungen von einer der ungewöhnlichen Stimmen unserer Zeit, vom Countertenor Michael Draw, der nicht nur seine Stimme, sondern auch die Show als ein zusammenhängendes Gemälde begreift. In Japan würde man vielleicht Visual Kei dazu sagen; in Europa ist es ein Rollenspiel, aus der Persönlichkeit geboren, mit der Musik verschmolzen, als Show im Zusammenspiel von Gesang mit tänzerischer Interpretation und Pantomime geboten.

Wieder einmal zeigten Otto Dix ihre Begabung, von der ersten Note an die Gäste durch eine fesselnde Atmosphäre in ihr musikalisches Seelentheater zu locken. Videoanimationen geisterten im Hintergrund, ein Lasergerät warf seine Lichtbündel durch den Raum, Marie Slip entlockte seiner Elektronik das schwermütig orchestrale Pathos, welches schon auf den CDs seinen eigenen, schwer mit anderen Klängen zu vergleichenden Kosmos entwickelt.

Dazu strich Peter Voronov rockend und schmelzend, expressiv und lyrisch seine elektrische Geige. Mittendrin auch noch ein Solo wie es sonst in bester Tradition von Leadgitarristen geboten wird und diesem sehr ähnlich ist. Mit üblichem Geigenspiel hat das nicht mehr viel zu tun. Voronov genießt es augenscheinlich, seine herkömmlichen, akademischen Strukturen zu verlassen.

Das Konzert fand zwar ein sehr interessiertes, aber nicht sonderlich zahlenstarkes Publikum. Das mag an verschiedenen Faktoren gelegen haben: ein Donnerstag. Ein bislang weniger bekannter und nicht sehr zentral gelegener Club. Und die signifikante Schwierigkeit seitens deutscher Bevölkerung, sich in slawischer Mentalität zurecht zu finden. Vor 100 Jahren hatten es östliche Komponisten leichter, im Westen Gehör zu finden. Doch in unseren Tagen ist mehr denn je die englische Sprache so stark in der Musik integriert, dass es einer Gehirnwäsche gleich kommt, wie wenig Akzeptanz in Deutschland gegenüber anderen Sprachen aufgebracht wird.

Otto Dix provozieren in Russland durch ihr Erscheinungsbild und ihre Texte. In Deutschland provozieren sie dadurch, dass sie aus Russland kommen und russisch singen. Und das ist gut so. Es gibt Grenzen, die man nicht überschreiten sollte, aber die Begrenzung, ausschließlich mentale Strukturen westlicher Art und Zivilisation im Kopf zuzulassen gehört sicher zu denen, die man überwinden könnte.

Andreas Torneberg

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