Interviews

Tom Werman, Produzent: “Gute Band – keine Songs”

Tom Werman, geboren 1945 in Boston, USA, ist ein legendärer amerikanischer Produzent, der für viele ebenso legendäre Hardrock- und Heavy-Metal-Alben verantwortlich zeichnet. Zu seinen Entdeckungen als A&R-Manager für Epic Records gehören unter anderem Boston, Cheap Trick, REO Speedwagon und Ted Nugent.

Wie kam ich damals 1970 als A&R-Mann für Epic Records zur Musikproduktion?
Als ich Ted Nugent unter Vertrag nahm (hier geht es nicht um Politik), war ich nicht besonders überzeugt von den Fähigkeiten des Produzenten oder was seine Sichtweise hinsichtlich Rock & Roll betraf. Ich musste Ted als meine Investition schützen, weil ich das Gefühl hatte, dass ich zu dieser Zeit einen erfolgreichen Act unter Vertrag nehmen musste. Es war fünf Jahre her, dass ich REO Speedwagon unter Vertrag genommen hatte, und obwohl ihre Karriere florierte, brauchte ich einen weiteren Hit, um meinen Job als A&R-Mann zu sichern. Ich begann, viel Zeit im Studio mit Ted und Lew Futterman zu verbringen – das war Mann, der eigentlich Teds Produktionsvertrag besaß (und folglich das Recht hatte, selbst als Produzent zu agieren). Ich brachte so viele Ideen in die Produktion ein, dass Ted und Lew schließlich meinten, meine Beiträge seien es wert, mich auf der LP als Koproduzenten zu erwähnen. Die Platte erreichte in kurzer Zeit Platinstatus, und bingo – ich war ein Produzent.

Details über die Produktion von Ted Nugents erstem Album
Ted kam ins Studio und hatte jede Note für jedes Instrument in seinem Kopf. Er dirigierte im Grunde alle Bandmitglieder und sagte ihnen, was sie spielen sollten. Ich war eher „Qualitätskontrolle“ als Produzent. Es war ein sehr preiswertes Album, das in nur wenigen Wochen aufgenommen wurde. „Stranglehold“ war eine großartige Erfahrung für mich und der erste Song, den ich jemals abgemischt habe.
Lew machte den ersten Mix, aber ich fand ihn enttäuschend und ging nach Atlanta, um meinen eigenen Mix zu machen. Damals hatten wir nur drei Outboard-Geräte, mit denen wir den Klang der Instrumente oder der Stimme verändern oder beeinflussen konnten, und ich hatte die Idee, ein paar Sachen rückwärts aufzunehmen, was wir dann auch umsetzten. Ted war von dem Album begeistert und meinte, dass es ihm sehr gut gefiel, was wir mit „Stranglehold“ gemacht hatten, jedoch sollte ich mir nie wieder solche Freiheiten mit seinen Songs nehmen, ohne vorher seine Zustimmung einzuholen.

Was war das erste Album, das ich ganz alleine produziert habe?
Nach der Koproduktion der ersten LP von Ted Nugent folgte bald darauf mein erstes Soloprojekt als Produzent. Ich nahm Cheap Trick unter Vertrag und produzierte ihre zweite LP „In Color“ – und schon war ich im Rennen. „In Color“ von Cheap Trick wurde vom Rolling Stone Magazin zum „Album des Jahres“ gekürt. Die Aufnahmen erfolgten in Los Angeles und meine Erfahrungen dort überzeugten mich davon, von New York wegzuziehen, weil die Unterhaltungsindustrie in L.A. einfach Spitzenklasse und es so praktisch war, dort Platten zu machen.

Ich produzierte 5 Alben mit Ted, 3 mit Cheap Trick und 5 mit meinem nächsten Vertragspartner, Molly Hatchet, und alle Platten wurden entweder mit Gold oder Platin ausgezeichnet. Dann verließ ich Epic Records (1982, Anm. d. Red.), war kurzzeitig A&R Leiter bei Elektra und wurde dann unabhängiger Produzent.

„Die durch die Lappen gingen“
Werman produzierte insgesamt 23 Gold- und Platin-Alben, darunter zum Beispiel Blue Öyster Cult, Mother’s Finest, Molly Hatchet, Mötley Crüe, Twisted Sister, Jeff Beck, Stryper, L.A. Guns und Poison.
Er entdeckte auch einige Acts, welche die Plattenfirma jedoch nicht unter Vertrag nehmen wollte – und das wahrscheinlich bis heute bereut:

Ich hatte eine Gruppe namens Wicked Lester unter Vertrag, eine Popgruppe mit eingängigen Melodien und vielen Harmonien – aber sie löste sich auf, bevor wir die Platte veröffentlichen konnten. Paul Stanley und Gene Simmons hatten diese Band geleitet und beschlossen, eine andere musikalische Richtung einzuschlagen. Sie gründeten eine neue dreiköpfige Gruppe (mit Peter Criss), und ich nahm meinen Chef, den Leiter der A&R-Abteilung, zu einem privaten Showcase in einem Proberaum mit, wo sie ein kurzes Set spielten. Ich wollte sie unter Vertrag nehmen, aber er verstand ihre Ideen überhaupt nicht, also lehnte er ab.

Anm.d.Red: Falls dir die Namen dieser Musiker nichts sagen – sie wurden kurz danach ein Quartett namens…

Danach habe ich versucht, Rush unter Vertrag zu nehmen, aber die Geschäftsabteilung von CBS Records meinte, sie wollten einen zu hohen Vorschuss (75.000 Dollar für einen Vertrag über zwei Alben!), also hat das nicht geklappt.

Nachdem ich das Lynyrd Skynyrd-Demo gehört hatte, flog ich nach Macon, Georgia, um sie live zu sehen, und später nahm ich meinen Chef mit zu einem ihrer Konzerte in Nashville. Sie spielten ein Set, das auch „Free Bird“ enthielt, und sein Kommentar danach war: „Gute Band – keine Songs“.
Diese drei Bands haben über 100 Millionen Platten verkauft.

Die Produktion der L.A. Guns Platte
Ehrlich gesagt erinnere ich mich kaum an dieses Projekt. Damals gab ich meinem Techniker und einem dritten Mitglied unseres Teams die Chance, für die Hälfte des Albums als „Line Producer“ zu fungieren. Tracii Guns war ein hervorragender Gitarrist, und das Album wurde schließlich mit Platin ausgezeichnet, aber das ist schon lange her, und es war ein ziemlich geradliniges Projekt. Mein Techniker Duane Baron und unser Freund John Purdell produzierten „What Happened to Jane“, das im Radio ziemlich erfolgreich war, und ich habe meinen Lieblingssong auf diesem Album, „Rip and Tear“, aufgenommen.

Werman zog sich 2001 aus dem Musikgeschäft zurück und leitete, gemeinsam mit seiner Frau Suky die Stonover Farm, ein „Luxus-Bed-and-Breakfast“ in Lenox, Massachusetts, für die nächsten 20 Jahre, ehe er sich dann auch von dieser Tätigkeit zurückzog. Im September 2023 begann er damit, seine Memoiren zu schreiben, die nun unter dem Titel „Turn It Up! My Time Making Hit Records In The Glory Days Of Rock Music“ erhältlich sind.

Warum habe ich das Buch geschrieben?
Vor ein paar Jahren wurde ich darum gebeten, Podcasts zu machen, deren Anzahl wuchs und einer davon wurde 150.000 Mal angeklickt. Da wurde mir klar, dass es ein wachsendes Interesse an „Classic Rock“ in einer breiten Altersgruppe gab. Dann schrieb ich 18 Episoden über meine Anfänge in der Plattenindustrie für einen Blog namens „Popdose“, und das wurde zur Vorlage für das Buch. Ich schrieb mehr über Begebenheiten, an die ich mich erinnerte, zum Beispiel darüber, wie wir Bands entdeckten und wie die Musikproduktion in dieser Zeit ablief, und fügte diese Teile chronologisch in den Blogtext ein. Ich habe nie länger als 20 Minuten am Stück geschrieben, und manchmal habe ich einen Monat lang nichts geschrieben. Im Laufe von drei Jahren nahm das Buch Gestalt an, und ich hatte das Glück, schon bald einen Agenten und einen Verlag zu finden, nachdem ich meinen Buchvorschlag mit den Kapitelzusammenfassungen verschickt hatte.

Bin ich ein Fan von Heavy-Metal-Musik?
Eigentlich bin ich ein Pop-Fan. Ich bevorzuge akustische Gitarren und viele Gesangsharmonien. The Eagles ist eine meiner Lieblingsbands. Iron Maiden, Slayer oder Black Sabbath kannte ich nicht, aber The Who habe ich geliebt. Ich glaube, mein Erfolg mit Hit-Singles war darauf zurückzuführen, dass ich die Pop-Elemente eines Songs betonte und ihn so für das Radio „akzeptabel“ machte. Eine Hit-Single konnte ein paar Millionen Alben verkaufen. Viele der Bands, mit denen ich gearbeitet habe, hätten es wahrscheinlich lieber etwas gröber und rauer gehabt, aber sie hätten dann nicht diese Radio-Hits gehabt – vor allem die „Power-Balladen“ wie „Home Sweet Home“ oder „Every Rose Has its Thorn“.

Interview: John Wisniewski
Fotos: MusicRadar, MusicBusinessWorldwide (S/W), Amazon (Buch- & Albumcovers)

GastmitarbeiterInnen / guest contributions

Reguläre GastmitarbeiterInnen u.a. Melanie Kircher, Tatjana Tattis Murschel, Grit Kabiersch, Marina Minkler, Maria Levin, Jasmine Frey, Nina Ratavaara, Elvira Visser, John Wisniewski