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Dimmu Borgir / Enslaved / Sahg

In Helsinki herrscht kein Mangel an Rockclubs, aber das Kulttuuritalo zählt nicht zu diesen. Das Haus der Kultur, so die wörtliche Übersetzung des Namens, zählt zu den gelungeneren Schöpfungen von Alvar Aalto – Finnlands berühmtestem Architekten, dessen Sinn für Ästhetik leider starken Schwankungen unterworfen war – und wurde in den fünfziger Jahren gebaut, vermutlich im Hinblick auf klassische Konzerte. Mit seiner Kapazität von 2500 Personen muss es allerdings auch für Rock und Metal herhalten, wenn die betreffende Band zu groß ist für das Nosturi und zu klein für eines der Eisstadien. Dimmu Borgir sind vielleicht zu klein für letztere, auf alle Fälle waren sie jedoch zu groß für das restlos ausverkaufte Kulttuuritalo…


Aber mal von Anfang an – als da wäre Sahg, eine weitere norwegische Band, die mir allerdings völlig unbekannt war. Aus unerfindlichen Gründen Black Metal erwartend, war ich recht überrascht, als die Jungs mit einem Song loslegten, der zunächst an Black Sabbath und etwas später an Alice in Chains erinnerte. Beides auf positive Weise, und der gute Eindruck hielt auch für den Rest der Vorstellung an. Die atmosphärischen, melodischen Songs steigerten sich langsam mit einem sicheren Gespür für Dramaturgie, wobei mir besonders der (durchweg klare) Gesang und die Gitarrenarbeit gefielen. Schade, dass Sahg vor praktisch leeren Rängen spielen mussten – was wörtlich zu verstehen ist, da der Kulttuuritalo-Saal mit theaterähnlich aufsteigenden Sitzreihen ausgestattet ist, halbrund angeordnet um das Stehparkett vor der Bühne.

Die zweite Band des Abends war mein heimlicher Hauptact: Enslaved, deren vorletztes Album Vertebrae (2008) eine meiner absoluten Lieblingsscheiben überhaupt ist und diesen Herbst mit Axioma Ethica Odini einen in jeder Hinsicht würdigen Nachfolger erhalten hat. Das Startpaket bildeten die beiden Titelstücke: das instrumentale, als Intro dienende „Axioma“ und der Kracher „Ethica Odini“. Die klaren Gesangspassagen schienen aus dem Nichts zu kommen, da Herbrand Larsen samt seinen Keyboards in dichtesten Bühnennebel gehüllt war und es auch für den Rest der Show blieb.

Freilich wäre auch ohne Nebelmaschine nicht viel von ihm zu sehen gewesen, denn der Lichttechniker war eindeutig auf dem Energiespartrip. Sein Kollege am Mischpult schien auch nicht gerade seinen besten Tag zu haben, oder aber er kam schlicht und einfach nicht gegen den Tatbestand an, dass die Akustik des Saals nicht für diese Art von Musik ausgelegt ist. Leadsänger Grutle schien zu merken, dass von den Texten nicht viel zu verstehen war, jedenfalls malte er die „wheels of time“ im Refrain von „Raidho“ zusätzlich mit den Händen in die Luft. Glücklicherweise ging wenigstens Ice Dales Gitarrensolo in „Ground“ – in meinen Ohren eine der schönsten Passagen im Gesamtwerk der Band – nicht im Soundbrei unter, überhaupt war der ganze Song pure Magie. Und direkt gefolgt von „Beacon“, einem der Höhepunkte des neuen Albums. Leider reichte die Zeit nur für sieben Songs plus Intro, denn so sehr die drei alten Stücke „Fusion of Sense and Earth“, „Isa“ und „Allfadr Odhinn“ ihren Platz im Set verdient hatten, hätte ich doch liebend gerne mehr von den beiden neuesten Alben gehört.

Dimmu Borgir
Zu Klängen von Dio wurde danach die Bühne umgebaut, was recht flott ging, da die Deko sehr sparsam war im Vergleich zu Dimmus Tuska-Gig vor zwei Jahren. Shagrath selbst war natürlich theatralisch wie immer, wobei mehr Interaktion zwischen den Bandmitgliedern – insbesondere den regulären – dem Gesamteindruck gut getan hätte. Die Verstärkung in der hinteren Reihe war ohnehin auf ein reines Statistendasein beschränkt; wer auch immer die Tasten bediente, verbarg sein oder ihr Gesicht sogar den ganzen Gig über hinter einer Maske.

Die Show mag etwas blutarm gewesen sein, dafür wurde die Action vor der Bühne bald heftiger, als mir um meiner Gesundheit willen lieb war. Die betrunkene Truppe um mich herum, die schon bei Enslaved alle Umstehenden durch lautstarke Pöbeleien genervt hatte, demonstrierte nunmehr, dass es ihnen auch an Ellenbogen nicht mangelte. Die Ordner gaben sich alle Mühe, die Radauclique zu beruhigen, aber nachdem ich die ersten vier Songs von „Spellbound“ bis „Dimmu Borgir“ tapfer meinen Erste-Reihe-Mitte-Platz zu verteidigen versucht hatte, wurde es mir bei „Gateways“ zu viel, und ich kämpfte mich in den hinteren Stehplatzbereich durch. Wo die Situation leider auch nicht besser war; obwohl sich die Leute drängten wie die Sardinen in der Büchse, hielten einige es für nötig, einen Mosh- oder eher Pogopit zu starten. Zwischen diesem und der Barriere vor den Sitzplätzen eingequetscht, war mir ziemlich mulmig zumute, doch glücklicherweise gelang es mir, mich auf den Rang zu schmuggeln und einen freien Sitzplatz zu finden. Normalerweise nicht meine Wahl, doch so konnte ich mich wenigstens endlich auf die Musik konzentrieren. Die Songauswahl ließ nicht viel zu wünschen übrig, besonders das Ende des regulären Sets – „Blazing Monoliths Of Defiance“ gefolgt von “ Vredesbyrd“ – und die überraschend lange Zugabe, die unter anderem zwei meiner persönlichen Dimmu-Favoriten enthielt: „The Serpentine Offering“ und „Progenies Of The Great Apocalypse“.

Fazit: drei geile Bands mit hervorragendem Material – jede davon gerne möglichst bald wieder, aber bitte mit besserem Sound, mehr Licht und unter weniger klaustrophobischen Bedingungen!

Tina Solda

tina@stalker-magazine.rocks - Konzert- und Festivalberichte, Fotos, Interviews - - - Bevorzugte Musikrichtungen: melancholischer Death-, unkonventioneller Black-, melodischer Doom-, dramatischer Folk- und intelligenter Paganmetal (Schwerpunktregionen: Island, Finnland & Norwegen) - - - Sonstige Interessen: Gitarre, Bücher, Bier, Kino, Katzen.