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Ruisrock 2005

Wie jedes Jahr findet im idyllischen Ruissalo in Turku eines der ältesten Rockspektakel statt: Ruisrock! Und auch dieses Jahr sind dem Ruf dorthin insgesamt 71.000 Pilger gefolgt. Doch dieses Jahr gibt’s obendrauf noch was zu feiern, nämlich 35jähriges Jubiläum! Und daher gibt’s diesmal satte 3, anstatt der üblichen 2 Tage Musik, bis die Ohren qualmen, mit einem Aufgebot and Bands, dass einem Augen und Ohren übergehen. (MK)

Interaktive Fotogalerie am Ende des Texts


Foto: Kata

FREITAG

FANTOMAS

Am ersten Festivaltag versucht der Regen sogleich die gesamte Veranstaltung lahm zu legen, indem er jedem Besucher eine Ganzkörperdusche frei Haus liefert. Glücklicherweise lächelt die Sonne zwischen den Wolken hervor, als Fantomas die Bühne entern. Keine Frage, Mike Patton ist ein talentierter Musiker und ein gut aussehender Kerl, aber man könnte sich fragen, ob sein „Therapy-Projekt“ genauso erfolgreich wäre, wenn niemand zuvor von Patton gehört hätte. Der Ex-Faith No More Frontmann hat sich einen ungewöhnlichen Spielplatz namens Fantomas für sich und andere bekannte Freunde gesucht, darunter Buzz Osborne von den Melvins und Dave Lombardo von Slayer, um Musik in einer anderen Art und Weise zu erleben. Aus welchem Grund auch immer haben sie ein paar ziemlich fanatische Fans, aber es gibt auch jene, die mit diesem Geklapper und Gebimmel vermischt mit unglaublichen Geräuschen, die Patton mit seiner Stimme erzeugt, und gesteigert durch Sampler und harte Gitarren, nicht viel anfangen können. Heute Abend können die Festivalbesucher anstatt des Slayer-Drummers übrigens eine andere Schlagzeug-Legende bewundern: Terry Bozzio. Fantomas ist definitiv eine der schrägsten Bands der Welt. (Kata)

CHILDREN OF BODOM


Foto: Melanie Haack

Eine der wenigen Freitagsshows ist die von Children Of Bodom. Kontinuierliches Touren hat diese Gruppe zur Crème de la Crème der finnischen Metal-Szene erhoben. Frontmann Alexi Laiho droht dem Publikum damit, ein Britney Spears Cover zu spielen, aber stattdessen gibt es dann doch „In Your Face“ vom neuen Album „Are You Dead Yet?“ zu hören. (Ihr solltet Euch COB´s aktuelle EP mit einem Britney-Cover anhören!) Ihr Set beinhaltet ein Bündel Songs von „Hate Crew Deathroll”, aber sie servieren uns auch einige Spezialitäten. Laut Alexi ist dies das erste Konzert in Finnland, bei dem sie „Knuckleduster“ spielen. Neu ist auch ein cooles amerikanisches Auto auf der Bühne. Irgendwie erinnert die Bühnendeko ein wenig an Broadway-Shows. Und jeder, der bereits eine gesehen hat, weiß, dass dies ein Kompliment ist. Dummerweise will uns auch die Natur eine eigene kleine Performance bieten, die sich „Heavy Metal Thunder“ nennt. Aber die Jungs spielen dennoch unter strömendem Regen und gefährlich nahen Blitzen weiter. Gut gemacht, COB! (Kata)

RAMMSTEIN

Die Headliner des Abends, Rammstein, wissen ebenfalls, wie man eine richtige Show auf die Beine stellt. Sie könnten uns ein ordentliches musikalisches Erlebnis präsentieren, indem sie einfach nur spielen, aber das ist diesen Deutschen Männern nicht genug. Sie wollen die perfekte Show. Die Bühne – eine Spezialbestellung aus Russland – ist gefüllt mit Utensilien von nicht weniger als 16 Trucks, darunter brennende Mikrophone und ein Kochtopf für Menschen. Im Laufe der Jahre haben Rammstein viele Hits herausgebracht und wir hören sie alle – „Mein Teil“, „Sehnsucht“, „Reise Reise“, „Du Hast“, „Amerika“ und „Rammstein“, um nur einige zu nennen. (Kata)


Foto: Melanie Kircher

SAMSTAG

Der Festplatz füllt sich am frühen Nachmittag recht zögerlich, und wie bei den trinkfesten Finnen nicht anders zu erwarten, herrscht ein wenig Katerstimmung. (MK)

SONATA ARCTICA


Foto: Melanie Kircher

Dennoch, als Sonata Arctica spielen, wird schon wieder kräftig gemoscht, und der Platz vor der Bühne ist doch einigermassen gepackt. Während ”Blinded No More” reisst am Bass eine Saite, doch dadurch lässt sich Marko nicht im geringsten beirren, und zupft munter weiter, während Techniker den Schaden beheben. Zu hören gibt’s wie nicht anders erwarten ein episches Feuerwerk à la Sonata, mit u. a. ”Victoria’s Secret”, ”Shamandalie” und natürlich ”Don’t Say A Word”. (MK)

TERÄSBETONI


Foto: Melanie Kircher

Im Anschluss gibt’s ”Stahlbeton” – Teräsbetoni sind am Start! Obwohl ich mir immer noch nicht ganz sicher bin, ob dies hier ein Scherz oder purer Ernst sein soll, die Jungs haben in Suomi eingeschlagen wie eine Granate, und wirklich alles abgeräumt! Nun macht sich der Trupp auf, Deutschland zu erobern, und spielt sogar bei Wacken. Vergleich? Unvergleichlich! Einfach selbst erleben. Sie werden oft auch die ”Finnischen Manowar” genannt werden. Auch wenn die Texte finnisch sind, die Musik macht allemal gute Laune und animiert zum Moschen bis der Arzt kommt. In der ersten Reihe stehn ein paar Mädels mit einem Schild ”Hosen runter!” Ob ihnen dafür das Lied ”Orjatar” (Sklavin) gewidmet wurde? Natürlich gibt’s auch den Durchbruchs-Hit ”Taivas Lyö Tulta” (Der Himmel speit Feuer) zu hören, den das Publikum Wort für Wort mitsingt. (MK)

SENTENCED


Foto: Melanie Kircher

Im Anschluss daran kommt eine Band, auf die ich mich persönlich sehr gefreut habe, da ich sie noch nie live erleben durfte: Sentenced! Zum Intro, welches wie ein Beerdigungssong klingt, wird ein Sarg reingetragen und auf der Bühne abgestellt. Passend dazu ist der Opener ”Excuse Me While I Kill Myself”. Weiter geht’s dann mit Songs vom aktuellen – und leider letzten Sentenced Album ”The Funeral Album”, wie ”May Today Become The Day” und ”Everfrost”. Ein wenig enttäuscht bin ich trotzdem, denn es fehlt ein wenig der Enthusiasmus auf der Bühne. Die Band scheint in der Tat des Tourens müde zu sein, und vor allem Sänger Ville Laihiala widmet sich auf der Bühne mit Vorliebe dem Alk, den er besser als einen Orgasmus findet. Na dann Prost! Der Sarg wird wieder rausgetragen, eine Zugabe gibt’s nicht. Der Meute gefällts dennoch, und auch ich kann ansonsten nicht meckern. (MK)

HEVI KARAOKE


Foto: Kata

Bevor’s mit Mucke weitergeht, dreh ich eine Runde über den Platz, und es gibt auch diesmal nichts, was es nicht gibt, für jeden etwas dabei, was auch immer das Herz begehrt. Man kann sich rundfuttern, neu einkleiden, baden, Bungee-springen, und wenn einem dann noch nicht schlecht genug geht, noch bei Hevi Karaoke (Ja, man schreibt dies hier wirklich so!) eine Runde trällern gehen. Hier bin ich jetzt, jedoch nur zum geniessen und berichten, der Platz soll ja nicht leer werden 😉 Das Ganze hat sich hier zu einem echten Boom entwickelt, und der Trupp ist hier mit einer professionellen Bühne und Leinwand vertreten. Der Andrang der Sänger ist gross, die Wartezeit ist bis zu 2 Stunden. Aber wieder einmal staune ich, wie gut doch Otto-Normal hier singen kann. (MK)

NEGATIVE


Foto: Melanie Kircher

Negative haben diesmal endlich einen späteren Spieltermin am Abend, und lassen sich bezüglich Bühnendeko und Darbietung absolut nicht lumpen. Die ersten Reihen sind wieder mal fest in weiblicher Hand, aber auch sonst ist der Platz zum Bersten voll. Die Drums stehen auf einem Podest, und rechts und links davon führt eine rosengesäumte Rampe hoch, mit einer Art Brücke hinter den Drums. Hier turnt ein absolut energiegeladener Jonne rum, flirtet und witzelt mit dem Publikum. Und schon der Opener ”L.A. Feeding Fire” kracht voll los. Neben Songs wie die kürzlich in Deutschland veröffentlichte Single ”The Moment Of Our Love”, ”Bleeding”, ”Still Alive”, ”Frozen To Lose It All” gibt’s diesmal zu meiner grossen Freude auch ein aufpoliertes Demo, ”God Likes Your Style”, das vom Stil her sehr an Nirvana erinnert. Als Zugabe gibt’s ”Until You’re Mine”, aber obwohl Sentenced auch vor Ort sind, leider ohne Duettpartner Ville Laihiala… (MK)

69 EYES


Foto: Melanie Kircher

Dann wird’s Zeit, die Sonnenbrille auszupacken und die Lederjacke anzuziehen: The 69 Eyes sind im Anmarsch! Obwohl die Knaben mittlerweile wohl in ihren Helloween-Skelett-Lederjacken festgewachsen scheinen – über Geschmack lässt sich ja bekanntlich streiten – ist die Stimmung gut. Anfangs ist das Mikro etwas leise, aber der Fehler wird im Laufe des Konzerts behoben. Vorwiegend gibt’s Songs vom Album ”Devils” wie eben der Titelsong, ”Feel Berlin” oder ”Lost Boys”, aber auch ältere Songs wie ”Gothic Girl”, ”Brandon Lee” oder meinen Lieblingssong ”Framed in Blood”. Täusche ich mich, oder scheint auch das Publikum eher zu diesen Klassikern der Eyes abzugehen…? (MK)

MOKOMA

Bevor ich zu meinem grossen ”Finale” des Abends gehe, nämlich HIM, mache ich einen kurzen Stop bei Mokoma. Hier kommen auch die etwas Hartgesotteneren unter uns auf ihre Kosten. Vocals sind in Finnisch, aber das macht nix: bei dieser Art Growls könnte es wohl auch chinesisch rückwärts sein, die Stimmung stimmt trotzdem. Aus einem mir unerklärlichen Grund schreit jedoch immer einer ”PARANOOOIIID!!”, auf fast jedem Konzert. Hat einer ’ne Erklärung für mich??? (MK)

THE SOUNDTRACK OF OUR LIVES


Foto: Kata

Die schwedischen Psychedelic-Rocker The Soundtrack Of Our Lives sind nicht unbedingt die Lieblinge der großen Zuschauermenge oder die Leute ziehen es einfach vor, in der Sonne am Wasser zu liegen. Die Fläche vor der Bühne ist nicht einmal zur Hälfte gefüllt, aber in der ersten Reihe schwingen Die-Hard-Fans die schwedische Flagge, während Sänger Ebbot Lundberg wie in einem Gospelkonzert predigt. Der Auftritt bekommt noch mehr biblische Aspekte, als Ebbot während der Zugabe von der Bühne springt und zum See läuft, um sich selbst zu taufen – oder vielleicht war ihm auch einfach nur heiß. (Kata)

HIM


Foto: Melanie Kircher

Wohl einer der am meisten erwarteten Auftritte des Festivals, besonders da die Knaben ja kaum noch in ihrer Heimat Finnland auftreten. Zunächst aber stehen Bam Margera nebst diesmal sogar Eltern auf der Bühne. Frag nur ich mich, was der jedes mal dabei will oder soll? Na egal, nun geht es auch schon los, und ein breit grinsender und ziemlich gut gelaunter Ville Valo legt los, ”She’ll be right here in my arms…” Der Menge tobt, und der Boden BEBT, und zwar nicht nur bildlich gesprochen, sondern tatsächlich. Kann eine Insel untergehen? Direkt danach folgt ”Join Me”, und eine ganze Reihe anderer Hits wie ”Your Sweet 666”, ”Wicked Game”, ”Soul On Fire” und ”It’s All Tears”. Endlich kommt das langersehnte neue Stück, ”Vampire Heart”. Zwar nichts aussergewöhnliches, jedoch ziemlich HIM und eingängig. Zugabe gibt’s auch hier keine, aber die Anwesenden sind auch so zufrieden, und verfolgt das Feuerwerk, das den heutigen Tag abschliesst. (MK)


Foto: Melanie Kircher

Ich schliesse mich dem allgemeinen ”Zombiewalk” an, dem etwa 2 km langen Trott in einer Karawane erschöpfter Festivalbesucher, die entlang dem nebeligen Ufer wieder richtung Festland zieht… Erschöpft, aber glücklich! (MK)

SONNTAG

HANOI ROCKS


Foto: Kata

Die finnischen Glam Rock Veteranen von Hanoi Rocks kreieren auf der Bühne eine Art ungewolltes Chaos – besonders von Seiten des Sängers Mike Monroe. Er rennt herum und klettert das Bühnengerüst wie ein Wahnsinniger hoch und schreit “fucking motherfuckers” zwischen den Songs. Gitarrist Andy McCoy, der normalerweise der Meister des Troubles ist, scheint dieses Mal ruhig und friedlich zu sein. Alte Klassiker wie „Don´t You Ever Leave Me” und „Tragedy” sind das Rückgrat ihrer Set List. Sie versuchen sogar, ihre Spielzeit zu verlängern, aber irgendwer Backstage hatte genug und drehte ihnen den Strom inmitten eines Songs ab. Ihr Abschiedskonzert war 1985. Warum sind sie jetzt hier? (Kata)


Foto: Melanie Kircher

Eigentlich hätte ich mir gerne beides angesehen, Flogging Molly und Within Temptation, aber leider spielen die beiden Bands fast zeitgleich. Also fiel die Entscheidung auf Within Temptation, und ich stoppe nur kurz am Vorbeimarsch dorthin bei Flogging Molly, um einen Eindruck zu erhaschen. (MK)

FLOGGING MOLLY

Flogging Molly spielen eine Art ”Irish Metal”, mit den klassischen Fiddels und Akkordeon, dazu E-Gitarren. Eine äusserst interessante Mischung.

Zwischendurch entdecke ich einen ”Kollegen” im Baum! Auf der Jagd nach dem perfekten Foto? Das nenne ich Passion! Da kann ich dank erstklassiger Unsportlichkeit nicht mithalten… (MK)

WITHIN TEMPTATION


Foto: Melanie Kircher

Within Temptation haben ein bombastisches Bühnenbild, mit 2 grossen Engeln und Säulen mit Elbenschrift. Sharon trägt ein weisses, fast Brautkleid-ähnliches Kleid, und fegt von einem Ende der Bühne zum anderen. Ihr Gesang wird von krachendem Feuerwerk und speienden Flammen des Pyrotechnikers untermalt. Das Set geht durch alle Alben der Holländer, wie u. A. ”I’ll Be On My Way”, ”Stand My Ground”, ”The Dance”, die wunderschöne Ballade ”Angels”, ”Memories” und natürlich ”Mother Earth”. Ein absolutes Meisterwerk nach dem anderen, das die Leute für eine Weile in eine andere Welt entführt. Sharon bedankt sich mit einem ”Kiitos” (Danke) bei dem Publikum, und erntet Applaus und Jubel im Gegenzug. (MK)

THE HELLACOPTERS


Foto: Melanie Kircher

Auf die Hellacopters ist immer Verlass. Sie starten mit “Gotta Get Some Action” und ja – das ist es, was wir wollen und auch bekommen. Auch wenn sie auf dem aktuellen Album „Rock And Roll Is Dead“ ihren Kurs auf einen etwas erwachseneren Weg à la Grandpa Rock gebracht haben, rocken die Musiker immer noch recht kräftig. Ihre Bühnenmanöver sind zwar ausdruckslos, aber es geht um die Musik bei diesem Auftritt. Wenn die Band ihre Set-List erstellt, hat sie mittlerweile wahrscheinlich eine schwierige Aufgabe zu lösen, da einfach eine Menge guter Songs zur Auswahl stehen. Auf der heutigen Liste sind unter anderem „Toys And Flavors”, „Everything´s On TV”, „By The Grace of God” und „Soulseller”. Widersprüchlich zu ihrem aktuellen Albumtitel halten die Hellacopters Rock´n Roll am Leben! (Kata)

THE HIVES

Der immer lustige The Hives-Sänger Pelle Almqvist macht seinem Namen alle Ehre. Pelle bedeutet Clown auf Finnisch. Der Frontmann amüsiert sich selbst und belustigt das Publikum, indem er finnische Schimpfwörter ruft und eigene neue finnische Wörter kreiert. Zwischen seinen Witzen ist es aber auch möglich, einige der besten musikalischen Ergüsse dieser schwedischen Punkrocker zu hören, unter anderem „Main Offender“, „Hate To Say I Told You So“ und „A.K.A. I-D-I-O-T“. Wie immer, wenn man eine gute Zeit hat, ist alles zu schnell vorüber. So ist es auch mit diesem Konzert, das wie ein Express-Zug vorbei rast. Selbst wenn man ihre Musik nicht mag, sind die The Hives-Gigs alleine wegen der hyperaktiven Performance von Pelle wert, gesehen zu werden. (Kata)

Die Veranstalter haben sich zu ihrem Jubiläum wirklich nicht lumpen lassen, wie schon eingangs erwähnt, und somit gibt’s von mir satte 9 Hirsche! See you 2006! (MK)

text & photos: Melanie Kircher, Katri-Kata-Kari

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GastmitarbeiterInnen / guest contributions

Reguläre GastmitarbeiterInnen u.a. Melanie Kircher, Tatjana Tattis Murschel, Grit Kabiersch, Marina Minkler, Maria Levin, Jasmine Frey, Nina Ratavaara, Elvira Visser, John Wisniewski

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