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Reykjavík Metalfest 2019

Vor drei Jahren erblickte im Herzen der isländischen Hauptstadt ein neues Festival das Licht der Welt. Unter dem Namen Reykjavík Deathfest begann als bescheidene eintägige Veranstaltung mit einem halben Dutzend Bands, expandierte jedoch von Jahr zu Jahr. Bis 2018 war die Party zu einem dreitägigen Event mit Acts aus drei Kontinenten herangewachsen, und für die diesjährige Ausgabe beschlossen die VeranstalterInnen, auch die Auswahl an Genres zu erweitern. Um der Diversifikation Rechnung zu tragen, wurde der Name in Reykjavík Metalfest geändert. Was im Laufe der Zeit nicht gewachsen ist, ist die Venue: Gaukurinn, ein traditionsreicher, aber ziemlich kleiner Club im Obergeschoss eines alten Hauses mitten im Zentrum. Schweiß und intime Atmosphäre garantiert!

Wie zum Beweis seiner Wurzeltreue startete das Festival am Donnerstagabend mit Hubris, die schon auf dem ersten und zweiten Deathfest gespielt hatten. Als Nebenprojekt der prominenten Schwarzmetaller Auðn, welche die Festivitäten zwei Nächte später abschließen sollten, lieferten sie auch ein gutes Beispiel für die engen Bande innerhalb der isländischen Metalszene und die Vielseitigkeit vieler ihrer Mitglieder. Und traten bei der Gelegenheit ordentlich Arsch.


Hubris

Almyrkvi nahmen mit ihrem intergalaktische Sphären beschwörenden Black Metal das Tempo ein wenig zurück. Der Name der Band bedeutet soviel wie Totalfinsternis, doch es war wohl kaum ihre Schuld, dass das Verhalten meiner Kamera während ihres Sets in ebendiese Richtung ging. Das Gerät hatte schon bei Hubris ein bisschen gesponnen und produzierte im weiteren Verlauf des Wochenendes trotz mehrerer Factory-Resets mehr Frust als brauchbare Bilder. Zur allgemeinen Illustration habe ich diesem Bericht trotzdem ein paar schummrige Fotos beigefügt, bitte jedoch um Nachsicht bezüglich der offensichtlichen Qualitätsmängel.


Almyrkvi

Unter den Bands des ersten Abends hatte ich mich vorab am meisten auf Almyrkvi gefreut, aber auf Dauer waren sie leider ein wenig zu statisch, um mich durchgehend auf Trab zu halten. Für Abwechslung war jedoch gesorgt, denn als nächstes waren die Grindcore-Veteranen Forgarður Helvítis an der Reihe und es dauerte nicht lange, bis der Moshpit in Gang kam. Rasant, ungeschliffen und mit einer gesunden Portion Aggression versetzten sie dem Abend die nötige Portion Punk, und besonders die Power von Sänger Siggi war mitreißend.


Forgarður Helvítis

Zum Abschluss des Abends gab es eine Show der besonderen Art: Potentiam, die den Black Metal nach Island brachten, lange bevor „Icelandic Black Metal“ zu einem international bekannten Markenzeichen wurde, spielten ihr Debüt Bálsýn komplett von vorne bis hinten. Anlass war das 20. Jubiläum dieses Szeneklassikers, und es handelte sich um den ersten Auftritt der Band seit mehr als einem halben Jahrzehnt. Vielleicht keine Reunion im engeren Sinne – soweit ich weiß, haben sich Potentiam nie offiziell aufgelöst und ein neues Album ist seit langer Zeit in Arbeit, aber die beiden Bandleader Eldur und Forn waren in den letzten Jahren vorwiegend mit Katla bzw. Kontinuum beschäftigt – aber definitiv das erste Mal, dass dieses Album komplett live gespielt wurde. Klingt immer noch gut, und durch den deklarativen Cleangesang hätte es sich auch ganz ohne Legendenstatus vom Rest des Abends abgehoben.


Potentiam

Auch der zweite Tag begann kontrastreich, beginnend mit dem Uptempo-Death von Psyclosarin aus den USA und dem meditativen Black Metal der einheimischen Combo Andavald. Letztere entsprachen eigentlich eher meinem Geschmack, aber erstere machten trotzdem mehr Spaß. Allerdings sah ich von beiden nicht allzu viel, was in erster Linie auf akuten Kohldampf zurückzuführen war. Nicht, dass dieser Umstand ein logistisches Problem dargestellt hätte, denn in einer Ecke des Clubs befindet sich ein Minirestaurant namens Veganæs. Da der Laden schon ziemlich voll war, dauerte mein Sandwich eine Weile und der von meinem Kumpel bestellte Burger sogar noch etwas länger, aber das Warten lohnte sich auf alle Fälle. Lecker und reichlich!


Andavald

Überhaupt war es eine gute Idee, vor den nächsten beiden Bands ein bisschen Energie zu tanken. Die erste davon war Beneath, deren Set insofern außergewöhnlich war, dass ihr heutiger Sänger Benedikt verhindert war und von seinem Vorgänger Gísli vertreten wurde. Dieser zählt zum Organisationsteam des Festivals, was ein Grund dafür gewesen sein mag, warum Beneath als nahezu einzige Band mit ordentlicher Bühnenbeleuchtung gesegnet war. Sogar meine halbinvalide Kamera kriegte ein paar anständige Aufnahmen von ihnen hin, zumindest nach der soundsovielten Rücksetzung auf die Fabrikeinstellungen. Das Licht reichte sogar für einen guten Blick auf die drei Sechssaiter, womit auch Bassist Maddi gemeint ist. Der übrigens ebenfalls an diesem Wochenende Doppelschicht fuhr, denn er stand auch am Vorabend mit Forgarður Helvítis auf der Bühne.


Beneath

Dem Wochenende mangelte es auch sonst nicht an Höhepunkten, aber mein ganz persönlicher Favorit war Hamferð. Ich bin seit dem vor etwa sechs Jahren veröffentlichten Debüt ein Fan dieser Band, hatte sie aber nur zweimal zuvor live erlebt. Jón Aldará dürfte der beste Sänger sein, den ich je gehört habe, und obwohl ich ihn öfter mit seiner anderen Band Barren Earth gesehen habe, ist Hamferð sein eigentliches Element. Meine Sorge, ob es eine gute Idee wäre, ihren langsamen Doom Metal direkt auf das Tech-Death-Bombardement von Beneath folgen zu lassen, war zum Glück unbegründet – Hamferð griffen die Intensität auf, die bereits in der Luft lag, und reicherten sie mit einer Tiefgründigkeit und Melancholie an, die das Publikum vom ersten Ton an in seinen Bann zog. Während der leisen Passagen, beispielsweise in „Frosthvarv“, hätte man eine Stecknadel auf den Boden fallen gehört, obwohl die Bude voll war und das Bier in Strömen floss.


Hamferð

Als nächstes standen Benighted aus Frankreich auf der Bühne, die das Tempo wieder erhöhten und ebenfalls hervorragend ankamen. Ich selbst musste an diesem Punkt allerdings eine Pause einlegen und frische Luft schnappen. Naja, frisch ist relativ, der Balkon ist Raucherzone. Aber es war zumindest nicht ganz so heiß wie drinnen und sogar möglich, sich in normaler Lautstärke zu unterhalten. Und da wir uns praktischerweise in Island befanden, gab es auch nicht die aus meiner finnischen Heimat leider allzu bekannten Einschränkungen hinsichtlich des Alkoholkonsums im Raucherbereich. Takk fyrir.

Apropos Finnland, von dort kam auch der nächste Act (plus, wie sich herausstellte, ein paar andere Fans im Raum). Als ich Demilich das letzte Mal vor zwei Jahren in Helsinki sah, war der Laden noch kleiner gewesen und keine Chance für mich, in die Nähe der Bühne zu gelangen, dafür stand ich diesmal in der ersten Reihe. Kriegte zwar gelegentlich aus dem Moshpit heraus einen Ellbogen in den Rücken, aber das gehört dazu. Ähnlich wie Potentiam hatten auch Demilich ein Jubiläum zu feiern, mit dem kleinen Unterschied, dass das betreffende Album noch älter ist und das einzige, das die Deathgrind-Truppe aus Kuopio jemals veröffentlicht hat. In den 25 Jahren seit dem Erscheinen von Nespithe haben Demilich sich mehrmals getrennt und wieder zusammengerauft, klangen aber frisch wie in alten Zeiten, soll heißen wie frisch aus der Gruft. Sofern Antti Bomans Stimme diese Gruft jemals verlassen haben sollte.


Demilich

Der Headliner am Freitag war Sinmara, die vor kurzem ein hervorragendes neues Album namens Hvísl stjarnanna veröffentlicht haben. Auch auf diese Band hatte ich mich sehr gefreut, aber als sie weit nach Mitternacht auf die Bühne kamen, war ich so hundemüde, dass ich nicht mehr in der Lage war, mich ernsthaft zu konzentrieren. Stattdessen ließ ich mich einfach von der Musik durchströmen und willenlos in andere Sphären transportieren. Was von den Herren Komponisten wahrscheinlich durchaus beabsichtigt war.

Am Samstag war Gaukurinn einer der wenigen Orte im ganzen Land, an denen kein Fernseher lief, ansonsten schienen Eurovision und insbesondere Islands Kandidaten Hatari (die in der Metalszene Anerkennung genießen und bei dem mir ansonsten vollkommen egalen Liederwettbewerb einen äußerst markanten Eindruck hinterließen) an diesem Wochenende allgegenwärtig zu sein. Sogar die Haltestellenankündigungen im Bus waren zum Teil aufs Thema des Tages abgestimmt gewesen, ganz zu schweigen davon, dass im Supermarkt BDSM-Accessoires zusammen mit Snacks und Getränken feilgeboten wurden. Manche Länder verstehen eindeutig mehr vom Partymarketing als andere, jedenfalls kann ich mich nicht daran erinnern, dass seinerzeit in finnischen Lebensmittelläden Lordi-Masken verkauft worden wären…

Zurück zum Reykjavík Metalfest, dessen letzter Abend mit Heift begann. Diese boten eine rotzig-aggressiven Black Metal im Schnelldurchgang und ich hätte sie mir durchaus länger anhören können, aber da sie gerade erst eine EP auf Bandcamp veröffentlicht haben, war schlicht kein weiteres Material verfügbar.


Heift

Damim waren mir völlig unbekannt, aber auch nicht wirklich mein Geschmack. Besonders der Gesang ging mir ziemlich bald auf die Nerven. Dagegen waren Whoredom Rife genau das Richtige für mich. Hatte ich zwar auch noch nie zuvor gesehen und war auch nicht dazu gekommen, sie vor dem Wochenende einmal anzutesten, aber die fünf Norweger präsentierten unerbittlichen und kompromisslosen Black Metal der besten heidnischen Tradition. Muss mich mal näher mit ihnen beschäftigen und wäre durchaus geneigt, sie im Herbst auf ihrer Baltikum-Tour mit Behemoth zu erwischen.


Whoredom Rife

Während Svart Crown legte ich eine Pause ein, aber danach kam mit Svartidauði ein weiterer Favorit auf die Bühne. Ihr dieses Frühjahr erschienenes Album Revelations of the Red Sword war in letzter Zeit Dauergast auf meinem Plattenteller und live können sie auch einiges. Zugegebenermaßen wirkt ihre Mucke ähnlich entspannend auf mich wie die von Sinmara, deswegen war ich ganz froh, dass sie nicht so ebenso spät auftraten. Aber war es im Grunde genommen gar nicht falsch, an dieser Stelle einen etwas ruhigeren Zwischengang einzulegen, denn als nächstes waren Napalm Death an der Reihe.


Svartidauði

Es war leicht surreal, die britischen Grindcore-Götter auf so einer winzigen Bühne zu sehen, aber der Stimmung war das nur zuträglich. Der Gig selbst war nicht der einzige Termin während ihres Besuchs, denn tags drauf wurde der Film Slave to the Grind in einem lokalen Kino gezeigt, und Shane Embury stand bei der Gelegenheit Fans Rede und Antwort. Leider hatte ich selber zuviel anderes auf meiner Liste, um das Rahmenprogramm des Festivals anzuchecken, aber geboten wurde einiges: Filme, Podiumsdiskussionen, eine Fotoausstellung und eine Führung durch die musikalisch relevanten Sehenswürdigkeiten von Reykjavík. Wer darüber nachdenken sollte, am Reykjavík Metalfest 2020 teilzunehmen, aber nicht weiß, was er oder sie mit dem Rest des Wochenendes anfangen soll, möge unbesorgt sein – es gibt auch nächstes Jahr sicher wieder genug zu tun!


Napalm Death

Soweit ich es erkennen konnte, waren am Wochenende nicht nur die Fans in besten Händen, sondern auch die Bands. Eines der am härtesten arbeitenden Crewmitglieder war mit Sicherheit Aðalsteinn Magnússon, der an allen drei Abenden sowohl auf als auch der Bühne nach dem Rechten sah und ganz nebenher selber mit drei Gruppen auftrat: Hubris, Heift und zum krönenden Abschluss auch noch Auðn. Kann durchaus sein, dass ihnen der Headliner-Slot auch aus organisatorischen Gründen zugeteilt wurde, aber verdient war die Ehre auf alle Fälle. Der poetische, unter die Haut gehende Black Metal ihrer beiden Alben hat sie zu einem der prominentesten Botschafter der Szene gemacht und in den letzten zwei Jahren waren sie in ganz Europa unterwegs. Mit ihrer dramatischen Liveshow bildeten sie die perfekte Klimax für dieses vielseitige und gleichzeitig kompakte, ausgesprochen sympathische und höchst empfehlenswerte kleine Festival.


Auðn

Tina Solda

tina@stalker-magazine.rocks - Konzert- und Festivalberichte, Fotos, Interviews - - - Bevorzugte Musikrichtungen: melancholischer Death-, unkonventioneller Black-, melodischer Doom-, dramatischer Folk- und intelligenter Paganmetal (Schwerpunktregionen: Island, Finnland & Norwegen) - - - Sonstige Interessen: Gitarre, Bücher, Bier, Kino, Katzen.