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Graveyard Party 4

30.4.-1.5.2010 Gloria Club Helsinki

Während andere Leute ausgelassen Vappu, den finnischen Fasching feiern, zieht es uns an diesem Vorabend des 1. Mai doch eher auf die etwas düstere Graveyard Party im Gloria. Luftballons gibt´s hier zwar auch, aber diese sind dem Anlass entsprechend in dezentem schwarz gehalten und Requisiten wie ein echter Sarg, von einem Priester zur Verfügung gestellt, steht auch schon für alle Fälle auf der Bühne parat – supi, dann kann´s ja losgehen.

Freitag, 30.4.2010
Das tut’s auch gleich mit ner Menge Nebel, der zur Abwechslung mal in die Zuschauer geblasen wird und nicht auf die Bühne. Warum auch eigentlich nicht? Und als wäre der Nebel nicht schon genug, blasen Black Light Discipline den Trauergästen gleichzeitig ihre harten, aber sehr zugänglichen Industrialbeats um die Ohren. Die Band hat es irgendwie geschafft, genau die goldene Mitte aus Elektro, Metal und Rock zu finden, Respekt! Live klingen sie aber doch noch eine Spur metalliger als auf Platte und eh man sich´s versieht, ist man schon dabei, sich fröhlich und beschwingt in den Mai zu tanzen! Da braucht man auch eigentlich keine Gogo Girls, die zur visuellen Untermalung einiger Songs auf die Bühne berufen werden. Weitaus interessanter sind da, zumindest für mich, schon die Slipknot-ähnlichen Anwandlungen mit zwei extra Percussionisten am Anfang und Ende des Sets.

Die vorgetragenen Songs stammen logischerweise zum Großteil vom Debütalbum „Empire“, aber es gab auch schon neues, viel versprechend klingendes Material zu hören, wie die aktuelle Single „Aggressor“ und zum Abschluss das Placebo Cover „Bitter End“. Und tatsächlich wäre es fast zu nem richtig bitteren Ende der Grabesparty gekommen, denn ein schon recht mitgenommen wirkender Gast stand auf einmal auf der Bühne – und Sekunden später lag er vor selbiger. Dort blieb er dann auch minutenlang regungslos liegen, und erst herbeigeeilte Sanitäter brachten den jungen Mann wieder auf die wackeligen Beine und dann hoffentlich ins Krankenhaus. Alles noch mal gut ausgegangen!

Kurz darauf stimulierten Neuroactive aus Tampere, Finnland den Hörnerv der Anwesenden weiter und zwar mit Synthpopmucke Marke Depeche Mode. Der Sehnerv allerdings konnte sich erst mal wieder etwas erholen, denn mehr als ein Mann, ein Computer und ein Mikrophon gab´s auf der Bühne nicht zu sehen. (KG)

Apropos Sehnerv: die vielen liebevollen Details im Party-Drumherum stachen in denselben Die Organisatoren hatten sich einiges angetan mit Bühnen- und Raumgestaltung, und im oberen Stock konntest du auch ein stilgerechtes Erinnerungsfoto (im Sarg) anfertigen lassen – Kompliment! (Set-Designer für nen Vampirfilm gesucht? Die Ausrichtung eines „Wild Weddings“? Heuert diese Jungs an…) Durch den bereits erwähnten Unfall gab es zwar ne ca. halbstündige Verzögerung, ansonsten funktionierte der Programmablauf an beiden Tagen reibungslos.

Vor den Live-Acts und zwischendrin sorgten bekannte DJs wie Will Power für den stilgerechten Sound von einem Pult auf der Bühne aus. Die Hosts Bobo´s Loco Carneval waren auch eine Nummer für sich. Betonung auf Loco – diese freundlichen und sympathischen Herren dürften keine schmerzempfindlichen Körperzellen besitzen, so wie die mit Tackern und Spritzen rumspielen…

Pünktlich zu Diary Of Dreams füllte sich der Saal, einige schienen wirklich nur wegen diesem Act erschienen zu sein.

Immerhin kann man diese Band, 1989 gegründet, als eine Institution in der Elektronik/Gothic Szene bezeichnen. Tja, bin zwar kein Experte, aber ich würde sie aufgrund der Stil- und Soundverwandtschaft zu Sisters Of Mercy oder The Cure am ehesten in der Dark Wave-Ecke ansiedeln. Dazu haben die Deutschen noch unverschämte Ohrwürmer im Angebot, wie etwa den Einstiegssong „The Wedding“, den sogar ich kannte! Sänger Adrian Hates beeindruckte mit Stimme, sympathischer Ausstrahlung – und schlichtem Outfit. Nach ca. 1,5 h Show mit Hits wie „Menschfeind“ wollte das begeisterte Publikum trotzdem so vehement mehr, dass die Band gleich 2x für Zugaben auf die Bühne kam.

Der weibliche britische DJ The Ting brachte nach dieser Dosis Melancholie wieder richtig Partystimmung auf mit derbe Techno-Beats, die voll in die Beine fuhren. Wer da noch nicht vor Erschöpfung und/oder Alkoholüberdosis zusammengebrochen war, oder bereits auf dem Heimweg (wie ich), konnte noch abschliessend mit DJ Alek Szahala abfeiern. (KW)

Samstag 1. Mai 2010
Nach einem kalten, verregneten Picknick und einem überraschenden Blick auf die untergehende Sonne, tauchten wir auch am zweiten Abend der Graveyard Party in die Dunkelheit ein. An der Garderobe bekam ich noch die letzten Töne von ErilaZ mit.

Doch dann sorgten auch schon die Finnen Throes of Dawn für richtige Friedhofsstimmung, die ihr neues Album „The Great Fleet of Echoes“ von vorn bis hinten durchspielten. Sehr viel Nebel waberte über die Bühne und den Sarg hinweg und kroch langsam in mich hinein. Dabei transportierte er langsamen, traurigen, dunklen Klar-Gesang, begleitet von kraftvoll-düsteren Gitarren und Bässen und untermalt mit melancholischen Synthi-Melodien wie ein Echo aus der Dunkelheit.

Knapp eine Stunde später wurde ich daran erinnert, dass ich noch am Leben und schmerzempfindlich bin. GP-Organisator DJ Proteus wurde mit Hilfe von Papierfetzen angekündigt, die sich die Hosts ins Gesicht und auf den Bauch tackerten. Vielleicht sollte so auch nur eine Variante zur Schließung von Sargdeckeln demonstriert werden? Der hämmernde Sound, gepaart mit den harten Bässen und Rhythmen aufgelegt von DJ Proteus wäre sicher auch eine Alternative. Auf jeden Fall kam wieder Leben in die Masse zappelnde Leiber auf der Tanzfläche. Auch der DJ selbst sorgte für Stimmung hinter seinem Pult.

Hanzel Und Gretyl aus den USA machten sich dann daran, auch die letzten Toten wiederzuerwecken. Vas und Kaizer von Loopy spielten unglaublich lauten, kraftvoll, hämmernden Sound. Dazu kamen beeindruckend tiefe Growls von Vas. Nach einer Weile fing ich an mir Gedanken zu machen, wie viele Tage sie wohl nach dem Gig heiser wäre. Doch dann wurde plötzlich „Ein Prosit der Gemütlichkeit“ eingespielt. Während wir oben nur mitschunkeln konnten, verteilte Kaizer Bier and die erste Reihe. Nach „Eins, zwei, drei, Prost, Kippis“ ging es frisch gestärkt weiter.

Die Crew am Rand hatte alle Hände voll zu tun, die umgeworfenen Mikroständer wiederaufzustellen. Die Texte – sofern sie nicht in den Bässen untergingen – waren relativ einfach, zum Teil wurden auch deutsche Wörter benutzt. Das Publikum grölte ordentlich mit. Nur einer nicht, neben mir schlief tatsächlich jemand ein. Seine Eltern hatten ihm wohl zu oft Hänsel und Gretel als Gute-Nacht-Geschichte vorgelesen.

Nach diesem Gig mussten offensichtlich auch noch einige andere ins Bett und versuchten die letzten regulären Busse des Abends zu bekommen. Der harte Rest musste sich auch noch etwas in Geduld üben, da Turmion Kätilöt aus Kuopio aufgrund eines technischen Problems erst verspätet gegen 2 Uhr anfangen konnten.

Und auch dann ging es noch nicht gleich zur Sache. Zum Anfüttern wurde gut gebauter Typ – oberkörperfrei – auf die Bühne geholt, der seinen Rücken als Dartscheibe zur Verfügung stellte. Das war das Geburtstagsgeschenk von Turmion Kätilöt an ihn. Passend zu der Tatsache, dass die Dartpfeile in seinem Rücken stecken blieben, ging es mit „Verta ja lihaa“ (Fleisch und Blut) los. Auch im weiteren Verlauf rockten sie die Menge. Unter anderem wurde auch die neue Single gespielt. Allerdings mussten wir wirklich fast bis zum Schluss warten, bis Sänger Spellgoth endlich sein Latex-Oberteil auszog. Sofort wurde er aufgefordert, auch den Rest auszuziehen, doch er zierte sich erst noch eine Weile mit der Begründung, er hätte doch nichts zu zeigen. Nach einer Bierdusche in die Hose, war er dann aber doch feucht genug, diese ebenfalls fallen zu lassen.

Zum Abschluss fand sich auch noch ein Freiwilliger aus dem Publikum, der die nähere Bekanntschaft mit MC Raakka Pee und seiner Peitsche schließen wollte. Auch wenn ich froh war, bei dieser Band nicht in der ersten Reihe zu stehen, war es das beste Konzert des Abends.

Nach einem Drink zu den Klängen von aQi & Shades verabschiedeten wir uns in den grauenden Morgen. (GK)

Kathleen Gransalke (KG), Grit Kabiersch (GK), Klaudia Weber (KW)

Contributors

Klaudia Weber

Rücksichts- und gnadenlose Diktatorin, kniet vor mir! Anders gesagt: Chefredakteurin, Übersetzerin, Webseiten- und Anzeigenverwaltung, also "Mädchen für alles" - - - Schwerstens abhängig von Büchern (so ziemlich alles zwischen Herr der Ringe und Quantenphysik) und Musik, besonders von Metal finnischer Prägung. Weiters Malen, Zeichnen, Film, Theater... also könnt ihr mit einer vielseitigen Website rechnen. Mag.phil., zwei in 5 Jahren parallel abgeschlossene Vollstudien (English & American studies, Medienkommunikation) und stolz darauf, denn als Mädel aus einer Arbeiterfamilie in einem erzkonservativ-katholischen Land ging das nur dank Stipendium und etwas später im Leben als andere....