Interviews

Feline & Strange: Jeder Mensch hat eine Geschichte

In diesem ausführlichen Interview könnt ihr wirklich so gut wie alles über Feline & Strange erfahren – viel Spaß bei der Lektüre!

Hallo Feline, ich freue mich darüber, dass wir chatten können! Für all jene, die euch nicht kennen, stell dich und deine Band bitte kurz vor. 🙂
Wir sind Feline & Strange und spielen Dark Cabaret. Was das ist? Eine brechtische Theaterversion von Postpunk und New Wave, die Punkattitüde und Elektrosound mit barocker und klassischer Musik, einer Unmenge an Bedeutungsebenen und absolut gar keinem Sarkasmus kombiniert.

Ich kenne dich von deinem Sound her, aber auch eure Visuals und die Shows. Wie kommst du auf all die Konzepte und Ideen?
In meinem Kopf entsteht üblicherweise alles gleichzeitig, manchmal sind sofort Klang, Text, Bilder da und ich muss nur noch die Leerstellen füllen. Ich bin ein Theatermensch und habe Musik oder Worte nie als etwas Separates betrachtet, sondern denke sie immer als Teil eines Gesamtkunstwerks, für das ich jedes Werkzeug nutze, das mir zur Verfügung steht, um das Ergebnis größer und besser und beeindruckender zu machen.

Was ist eure Botschaft, was hoffst du dem Publikum mitzugeben von euren Performances?
Dass es so etwas wie einfach und eindeutig nicht gibt. Nicht in der Kunst und nicht im Leben. Alles hat viele Implikationen, Konnotationen, Verbindungen ins (kollektive) Unterbewußte. Jeder Mensch hat eine Geschichte. Jedes Wort ist eine Tür zu einer Welt der Gedanken.

Du hast unlängst ein Buch herausgebracht. Was ist das für ein Buch, wann hast du es geschrieben und worum geht es? Wie kamst du auf die Idee und wo kann man das Buch kaufen?
Es heißt DAS PUPPENHAUS/THE DOLL´S HOUSE! Es ist ein Roman, sehr psychologischer Gothic Horror, aber auch sehr philosophisch. Ich habe (natürlich) im 1. Lockdown daran zu schreiben begonnen, inspiriert von einer EP, an der zusammen zu arbeiten wiederum Mishkin Fitzgerald (UK; birdeatsbaby, Veil) mir vorschlug, die dann noch Sit Kitty Sit (USA) ins Boot holte. Mishkin schickte mir eine Songidee und ich hatte sofort dieses Puppenhaus in meinem Kopf, mit der dysfunktionalen Puppenfamilie darin, die es niemals verlassen können. Ich musste nur noch herausfinden warum. Das hat 2 Jahre und 900 Seiten gedauert, die jetzt als Trilogie erscheinen, und ich bin verdammt stolz auf den vielschichtigen Plot, der durch Dekaden und Realitäten verwoben ist.
Passend dazu habe ich nicht nur eine, sondern sechs KünstlerInnen um Illustrationenn und Typographie gebeten. Das Resultat ist wirklich umwerfend schön und unheimlich, auch wenn ich das selber sage.
Der erste Band erschien auf Deutsch am 3. November 23 auf Edition Outbird. Die englische Übersetzung ist beinahe fertig und wird in 2024 auf Tenebrous Texts veröffentlicht.

Gibt es auch einen Soundtrack zum Buch?
Aber sowas von! Ich habe die ursprüngliche EP mit einigen exklusiven Songs und Remixes von feline&strange, birdeatsbaby, Sit Kitty Sit, Kurt “Pyrolator” Dahlke, Spinne am Abend und Christian von Aster sowie Hörbuchtracks auf deutsch und englisch zu einem Audio-Companion zusammengefasst.

Wenn das Buch verfilmt wäre, wie würde das aussehen?
Ich stelle es mir eher als eine Netflix-Serie vor! Es gibt so viele Realitätsebenen, ich sehe da jede Episode in einem anderen Look, aus einer anderen Perspektive. Oh das wäre PERFEKT! (beginnt in ein Notizbuch zu kritzeln)

Wirst du Lesungen des Buchs oder Teilen davon in kommende Performances einbauen?
Das tue ich schon! Das Buch begann mit Musik, also performe ich etwas davon in den meisten Lese-Shows. Umgekehrt liebe ich es, Texte in meine Akustikkonzerte einzubauen. Und ich habe schon einige Shows auf die Bühne gebracht mit Hilfe anderer wunderbarer KünstlerInnen (Stimmgewalt, Isa Theobald, M.Kruppe, Benjamin Schmidt, Luci van Org, Christian von Aster, Amandara M. Schulzke, Simona Turini, Claudia Rapp, Tangoth…), die man eher Musiktheater nennen sollte als Konzert oder szenische Lesung: chorisches Lesen, vertanzte Worte, Schauspielszenen verwoben mit meiner Musik und der von anderen. Ich werde definitiv mehr davon machen!

Was sind deine weiteren künstlerischen Ambitionen?
Ich mache eine Menge bildhafter Kunst, elektronisch und in Papierform. Ich liebe es, mit traditionellen Verpackungen von Worten und Musik zu experimentieren, auch um das unnötige Plastik und die Schadstoffe loszuwerden, aber ebenso, weil Menschen gern schöne Dinge anfassen und lieb haben. Ich auch. Und natürlich wird immer Theater dabei sein, und Oper. Ich liebe es zu inszenieren und habe so einige Ideen in meinem Kopf, die irgendwann auf der Bühne landen werden.

Was machst du zur Zeit musikalisch?
Ich arbeite an einem neuen Album für Ende 2024! Arbeitstitel: CULT.. Einige der Songs sind schon als Singles erschienen. Es wird trotzdem wieder ein Konzeptalbum. Es sind immer Konzeptalben! Ich liebe Geschichten! Dieses wird den Faden aufnehmen, der mit TRIGGER WARNING (2020) begonnen hat und sich auch durch KUNST FORDERT OPFER (2022) webt, insbesondere dessen Hauptbestandteil REQUIEM. Ich erschaffe eine Reihe von, sagen wir, Idolen. Du kannst auch Archetypen dazu sagen, oder Göttinnen, wie du willst. Sie verkörpern moderne und unsterbliche menschliche Werte, Nöte und Sorgen, aber sie ersetzen auch solche, die ich als veraltet betrachte. Oder erneuern diese Bilder.

Sind neue Videos geplant oder würdest du gerne welche machen?
SPIDER QUEEN wird das nächste sein. Ich werde dafür mit der wunderbaren Tänzerin Sherry Ceylan zusammenarbeiten, die schon im Livevideo zu sehen ist. Und wir drehen auf dem leeren Dachboden, der das Artwork meines Buchs durchzieht. Alles gehört zusammen 🙂

Wenn du einen neuen Videoclip machen könntest ohne Einschränkungen, wie würde das aussehen?
I AM AN ICEBERG braucht ein Video! Ich halte das immer noch für einen der besten Songs, die ich je geschrieben habe. Dieses Video muss absolut verstandverzwirbelnd sein. Tatsächlich habe ich schon ein Skript und sogar schon einige Spezialaufnahmen gesammelt, aber mehrere Versuche, den Hauptteil zu drehen, sind gescheitert. Ich muss einen Teil davon unter Wasser filmen, was schwerer zu realisieren ist als ich dachte. Niemand will mich ihren Pool nutzen lassen, damit ich darin eine Ertrinken-Szene drehen kann. Ich frage mich warum.

Feline Lang (Teaser): DAS PUPPENHAUS - Band 1

In welchem Umfang spielt die Band zur Zeit eine Rolle in deinem Leben?
80%, wenn man Social Media und Papierkram mitzählt, aber das umfasst natürlich auch das Buch, so richtig trennen kann man das nicht. Die Kunst selbst, eher 10%, da ich hauptsächlich das promoten muss, was schon da ist; ich hoffe wirklich, dass das in den nächsten Monaten wieder zu 50/50 zurückschwingt zwischen Werbung/Management und Kunst machen.

Du gehst ja nicht auf Tournee, aber wann und wo können wir euch wieder live sehen?
Wir sind eine kleine Band und werden gern kurzfristig gebucht. Wir haben eine neue Bookingagentur, Laetitium, und hoffen, dass sich die Dinge dadurch in Richtung langfristigeren Planens entwickeln. Aber ehrlich, während wir von einer Apokalypse zur nächsten hüpfen, wer will da schon langfristig planen? All unsere Shows sind immer auf unserer Homepage, und ich empfehle dringend, unseren monatlichen Newsletter zu abonnieren, denn Social Media verarschen einen gern hinsichtlich des Timings. Wir haben keine Grenzen, wo wir spielen können und würden; wir haben in vielen europäischen Ländern gespielt, im UK, den USA, und waren vor der Pandemie gerade bei der Planung einer Japan-Tour, die hoffentlich irgendwann noch stattfindet.

Welche Art von Konzerten spielt ihr generell lieber, kleine Clubshows, Open Air, und warum?
Ich bevorzuge es, wenn die Leute mir zusehen können und verstehen, was ich da tue. Ich bin ausgebildete Opernsängerin, daher ist meine ideale Bühne ein richtiges Theater mit 500-2000 Sitzen und einer gut beleuchteten Bühne. Aber ich LIEBE es auch, wenn ihr zu meinem Zeug tanzt, deshalb habe ich auch viel Spaß in Punk-Clubs. Was ich hasse, ist Rauch. Und was ich nicht mag, ist, im Tageslicht zu spielen: ich bin eine Kreatur der Nacht und außerdem braucht Theater Licht, und Licht gibt es nur da, wo vorher Dunkelheit herrschte. Aber ehrlich, ich liebe es zu performen. Stell mich irgendwo hin, gib mir ein Mikro und ich bin glücklich.

Bei welchen Konzerten nahmst du als Publikum teil und welchen Eindruck hattest du davon? 
Letztes Wochenende habe ich auf der “Occulture Conference” zum ersten Mal mein neues Soloprogramm CULT gespielt. Das war ein grandioses Wochenende, nicht nur weil ich selber klasse war 🙂 sondern weil das Publikum in diesem speziellen Kontext von Okkultismus und Spiritualität meine Performance und die aller anderen Acts verdammt ernst nahm, genau wie ich selbst, und sehr erfreut über all die vielen Ebenen an Bedeutung und Konnotoation, wie eben auch in einem Ritual oder einem okkulten Text. Ich habe so viele andere Performances gesehen wie ich konnte, und dabei am meisten die genossen, die, wie ich auch, neue Dinge ausprobierten für dieses sehr offene Publikum, einige der Acts hatten noch nicht einmal Namen, aber erwähnen möchte ich Giek_1 mit einem hochintellektuellen und verdammt witzigen Ein-Personen-Musical über die hermetischen Prinzipien und Growler, die singende menopausale Vulva aka Mutter Gottes, die mich mit ihrem Witz und ihrer Warmherzigkeit tatsächlich zum Weinen gebracht hat. Ich habe Künstler* zum ersten Mal zusammenarbeiten sehen/hören, roh und kantig, aber voller Aufbruchsgeist. Und ich habe (on – und offstage) eine Seltenheit seit der Pandemie sehr genossen, ein hoch professionelles und sehr aufmerksames Technikteam, die für perfekt klaren und immersiven Sound sorgten. Die meisten Leute neigen dazu, schlechten Sound zu akzeptieren, was eine Schande ist, da unsere Technologie heute so viel besser und bezahlbarer ist als je zuvor.

Mit wem würdest du gerne in der aktuellen Musikindustrie zusammenarbeiten?
Ich habe schon mit einigen meiner Held*en gearbeitet… Brian Viglione (Dresden Dolls) natürlich, der auf 4 unserer Alben spielt. Kurt “Pyrolator” Dahlke (Fehlfarben, Der Plan) hat mehrere meiner Songs geremixed. Stimmgewalt Choir (Dark A capella) haben auf “Requiem” gesungen. Und natürlich meine Freundin Mishkin Fitzgerald (birdeatsbaby, Veil) mit der ich unzählige Kollabs gemacht habe, angefangen mit “Cassandra´s Twin”. Ich habe gerade eine Kooperation mit Jochen Arbeit (Einstürzende Neubauten) begonnen. Noch auf dieser Wunschliste sind Anne Clark und Anna Domino. Ich würde gern mehr mit anderen Producern arbeiten, für Remixes oder ganz neue Projekte. Es ist lustig, dass meine Songs schon von Techno- und sogar Hip Hop Produzenten geremixt wurden, aber noch nie von jemandem aus dem EBM-Bereich. Das wäre toll! Ich habe keine Namen im Kopf, ich bin sowieso offen für jede Musik- und Stilrichtung und außerdem verdammt neugierig!

Du lebst in Berlin und dein Instagram lässt vermuten, dass deine Shows wirklich bemerkenswert sind. Wie schätzt du die alternative Szene in Berlin ein, wie ist dein Publikum und findest du, dass du ausreichend gesehen und gehört wirst?
Berlin hat immer noch den Vorteil, billiger als die meisten deutschen Städte zu sein, und auch wenn die Legende langsam einschläft und es schwierig ist, eine Wohnung zu finden, kommen immer noch ständig Leute aus der ganzen Welt nach Berlin, was ich liebe! Ich habe schon mit Menschen aus etwa 20 Ländern allein in Berlin zusammengearbeitet und die Bühne geteilt. Dasselbe gilt für das Publikum. Ich liebe es übrigens auch, dass in WWBerlin die Landessprache optional ist, was es leicht macht, sich hier anzusiedeln. Der Nachteil daran, dass die Stadt billig und von Künstler*n aller Art überlaufen ist, ist, dass man hier fast nie bezahlt wird für einen Auftritt. Die Leute jammern, wenn sie Eintritt bezahlen sollen, und kommen gar nicht erst, erst recht wenn er über 10 Euro liegt, nicht einmal, wenn man dafür 3 Bands und eine Party kriegt. Das macht es umgekehrt schwierig für uns, unsere Arbeit selbst wertzuschätzen. Das habe ich auf Tour realisiert und ebenso jetzt beim Einstieg in den Literaturmarkt. Als Berliner Musiker* kämpfst du ständig um Selbstbewusstsein und Anerkennung, mehr als an irgendeinem anderen Ort oder in einem anderen Beruf, den ich ausprobiert habe.

Wie siehst du die Alternative Szene heute im Allgemeinen? Was sollte es mehr (oder weniger) geben?
Mehr Venues, die ordentlich geführt und städtisch gefördert werden. Mehr Akzeptanz durch die lokalen Gemeinschaften. Mehr Anerkennung durch das Publikum, sowohl für Künstler* als auch für Venues – letztere zu beschädigen kostet diese Geld, das sie auch Künstler*n geben könnten, zum Beispiel. Mehr Respekt für die außerordentlich harte Arbeit, die für Kunst und Venues geleistet werden muss – wir selbst vergessen ja ständig, durch wieviel Scheiße wir täglich waten müssen und halten das für normal, wie Geburtsschmerz, oder wir würden alle an irgendeinem Punkt ganz damit aufhören. Auch mehr Respekt von Venues gegenüber Künstler*n – nicht generell, aber manche Orte geben dir das Gefühl, du störst eher und bist nicht etwa das eine Ding, das Leute und ihr Geld in den Laden bringt, sondern eher ein Bettler*. Mehr Bereitschaft im Publikum, Neues zu erleben, anstatt immer dasselbe wiedergekaut zu bekommen, gleich aussehend, gleich klingend.

Vom künstlerischen Standpunkt aus, welchen Traum möchtest du in deiner Karriere schlussendlich verwirklichen, damit du im hohen Alter zurückblicken und sagen kannst „hab ich ein tolles Leben gehabt“? 🙂
Das kann ich ja jetzt schon sagen, und das ist das beste Ziel, das man im Leben haben kann. Mein Traum ist es, die ständige existenzielle Angst loszuwerden, damit ich all die unglaublichen Dinge in meinem Leben auch genießen kann, genau dann, wenn ich sie tue und erlebe. Ich arbeite dran. ADHS-Medikamente helfen sehr dabei. Andererseits ist es diese Angst, die mich antreibt, Kunst zu machen. Und das ist großartig.

In diesem Sinne, was glaubst du ist der Sinn des Lebens, für dich?
Weisere Leute als ich haben das schon benannt. Ich versuche, nach Kants kategorischem Imperativ zu leben: Bei allem was du tust, frage dich selbst: dient es dem Fortkommen der Menschheit? Und ich füge hinzu, als meinen persönlichen Imperativ ohne irgendeine Ausnahme, den hippokratischen Imperativ: Füg niemandem Schaden zu. Abgesehen davon, das Leben ist kurz, hab soviel Spaß und Liebe wie du kriegen und geben kannst.

Auf deinen Social Media Seiten stellst du fest, dass Kunst nicht politisch sein kann. Was meinst du damit und was sollte Kunst deiner Meinung nach sein?
Tatsächlich sage ich ständig, dass Kunst nicht NICHT politisch sein kann. #HowCanArtNotBePolitical? Schon die einfache Handlung, mich selbst auf eine Bühne zu stellen, eine mittelalte Frau mit Neurodivergenzen, und meine Stimme zu erheben (und mich gelegentlich auszuziehen), ist politisch, so lange es Orte in dieser Welt gibt (und die gibt es, zu viele davon!), wo mir genau das verboten wäre und mit Gefängnis oder Tod bestraft würde. Einfach dadurch, dass ich tue, was ich will und mich keinem Plan unterordne oder es im Stillen privat tue, bin ich politisch. Kunst machen bedeutet, mein Denken der Öffentlichkeit zu präsentieren. Also wie kann das nicht politisch sein? Wenn ich eine Blume male, ist es politisch, denn ich sage damit, dass ich Blumen liebe und Menschen, die Blumen töten, schlimm sind. (Andere Ebenen wie die bei Georgia McKeefe lass ich mal gleich ganz weg.) Wenn ich ein Gedicht laut lese, dass schon 1000 Jahre alt ist, ist das politisch, denn ich sage damit, dass Worte stark sind und Regimes überdauern. Wenn ich auf einer Bühne stehe und absolut nichts tue, ist es politisch, denn es könnte bedeuten, dass ich mich fürchte etwas zu tun aus Angst vor Repressalien. Es könnte, denn Kunst hat nie nur eine flache einfache Bedeutung, sondern sie zwingt dich dazu, deine eigene zu finden. Und schon das, das Dich-Denken-Machen, ist politisch. Sogar bei eskapistischer Unterhaltung, denn ich könnte damit auch sagen: denk lieber nicht, ob du das magst oder nicht.

Was sagst du jenen, die meinen, dass Kunst (Musik?) frei von Politik sein soll?
Dass es gar keinen Weg gibt, egal wie abstrakt, Kunst ohne Politik zu machen. Es ist überhaupt nicht möglich zu kommunizieren ohne politische Implikationen. Und was die Motivation angeht – wir sehen täglich die Wirkung von Vorurteilen, die durch politische oder religiöse Agenden (was ein und dasselbe ist, wenn du mich fragst, denn Religion mit einer Agenda IST Politik) gefärbt wurden. So ein Bias wird über Emotionen gebildet und kann, wissenschaftlich erwiesen, nicht durch Fakten verändert werden. Kurz gesagt, die Wissenschaft kann Menschen nur auf emotionaler Basis erreichen, wenn diese schon erwarten, was die Wissenschaft ihnen bestätigt und damit Hoffnung schafft – oder Furcht. Um die Menschheit gegen ihren erbitterten Widerstand aus der offenbar weltweiten Pubertät zu zerren (schließlich sind wir alle von Selbstanalyse besessen, gehen unnötige Risiken ein, wetteifern ununterbrochen, glauben nichts, was uns “die Großen” erzählen, und fürchten uns vor Titten), müssen wir den gefährlichen und mühevollen Weg dorthin, der weit über solche Agenden hinausführt, auf emotionaler Ebene kommunizieren. Nur Kunst kann das. Und tut es, schon in der Unterhaltung. Aber sie kann so viel mehr erreichen. Auch abstrakte Kunst. Besonders abstrakte Kunst. Sie kann Menschen lehren, über das nachzudenken, was sie wahrnehmen. Aktiv wahrzunehmen. Unter die Oberfläche zu schauen. Die Künstler* hinter der Kunst zu sehen, die Sprecher* hinter der Rede, zu realisieren, dass auch diese Persönlichkeiten haben und eine Agenda, um dann, erst dann, in der Lage zu sein, zu entscheiden, ob sie diese Agenda mögen oder nicht. Und genau das braucht die Menschheit, meiner bescheidenen Meinung nach.

Was inspiriert dich, woher kommen deine Ideen?
Überallher! Ich habe keinen konkreten kreativen Prozess. Ich fange einfach an zu arbeiten, sobald sie auftauchen. Ich hatte noch nie einen Schreibblock oder Angst vor dem leeren Blatt. Wahrscheinlich weil ich schon als Kind gelernt habe, dass du eine Menge Scheiße produzieren musst, bevor du etwas Ordentliches erschaffst. Das ist ja auch so ein Mythos über Kunst. Sie kommt nicht aus dem Nichts. Sie kommt aus Jahren harter Arbeit. Das gilt auch für Wunderkinder. Wenn ich also etwas erschaffen will und weiß nicht, was ich aussagen will, fange ich einfach an. Ich male einen Strich oder schreibe einen Satz über das, was vor mir auf dem Tisch zu sehen ist, oder einfach “Ich weiß nicht, was ich heute schreiben soll.” Und dann mache ich von da an weiter. Ich kritzele, bis ich das Bild sehe, das ich zeichnen will. – Der Satz eben ist übrigens auch in meinem Buch drin, das jetzt 900 Seiten stark ist.

Wie läuft dein kreativer Prozess ab, wie schreibst du?
Auch da gibt´s keine Regeln. Am einfachsten geht es aber in der Gesellschaft Fremder. Am Laptop im Café, wenn richtig was los ist, oder im Zug. Besonders im Zug, denn da muss ich eine bestimmte Zeit füllen und mich auf nichts anderes konzentrieren. Aber meinen Roman habe ich hauptsächlich während der Pandemie geschrieben, also funktioniert es auch, wenn ich mich zuhause hinsetze und sage “Ich werde jetzt schreiben”. NaNoWriMo funktioniert super für mich, zum Beispiel. Insbesondere wenn ich noch nicht weiß, worüber ich schreiben will. Mit Musik ist es genauso. Wenn ich nicht weiß, wo ich anfangen kann, baue ich erstmal Sounds, und Beats, und werfe die zusammen, oder ich übe Klavier, bis eine Sequenz mir auffällt.

Wo liegen deine derzeitigen künstlerischen Einflüsse?
Alles. Ich versuche stetig zu lauschen, und zuzusehen, und zu analysieren, alles, was mir nahe kommt. In diesem Fall ist meine ADHS sehr hilfreich! Ich reagiere auch auf die Politik, natürlich, wie alle auf ihre eigene Weise. Ich schreibe über meinen inneren Aufruhr und meine Furcht, und darüber, was ich sehe und höre. Ich versuche zu erraten, wie jemand einen bestimmten Sound gebaut hat, und versuche das nachzuahmen und von dort aus weiterzugehen. Ich höre jemanden auf der Straße eine Opernarie summen. Ich sehe Herbstblätter fallen. Alles kann ein Lied werden oder ein Gedicht.

Welchen musikalischen Hintergrund hast du eigentlich?
Meine Eltern sind klassische Musiker. Mein Vater ist ein Klavier-Nerd, er hat an der Hochschule historische Tasteninstrumente gelehrt und ein Buch darüber geschrieben. Meine Mutter spielt Harfe, komponiert und arrangiert. Beide sind hervorragende Pädagogen. Meine Mutter schreibt und illustriert außerdem noch Bücher und spielt Comedy. Genau wie ich bleibt sie einfach nie stehen! Das hat mir den massiven Vorteil gebracht, nicht nur einfach alles ausprobieren zu können in meinem Leben ohne jeden Vorbehalt, sondern auch, von Anfang an zu lernen, was es heißt, Musiker* und Freiberufler* zu sein. Es war immer normal für mich, dass auch am Wochenende, im Urlaub und abends gearbeitet wird. Ebenso, dass ein selbständiges Einkommen niemals stetig und sicher ist und du für stetige Ausgaben eine weitere Einkommensquelle brauchst, wie einen Day Job, Schüler* oder eine Miete. Und dass es eine echte Leistung ist, die Steuererklärung zu machen. Dass Ruhm nicht von selber kommt. Und dass Kunst Arbeit von dir verlangt, bevor sie Befriedigung zurückgibt.
Und sie haben mich gelehrt, dass all das möglich ist, und das es das wert ist.
Sie sind sehr stolz auf mich, und das ist das Beste, was Eltern ihren Kindern geben können.

Hast du sowas wie eine Theaterausbildung?
Sowas von! Nachdem ich mit 14 entschieden hatte, doch nicht Geigerin zu werden – ich spiele noch und werde das auch in der kommenden Saison wieder auf der Bühne tun, aber ich wollte mein Leben nicht als Musikschullehrerin verbringen – habe ich die gleiche Intensität in Theater gesteckt. Ich nahm Unterricht, spielte, gründete etliche Ensembles in der Schulzeit, dann ging ich nach Leipzig, um Theaterwissenschaft zu studieren, und dann ans Leipziger Theater, wo ich mich durch alle Abteilungen von Technik bis Bühne gearbeitet habe, bevor ich in Berlin Schauspiel studiert habe. Ich habe 19 Inszenierungen von Sprech- und Musiktheaterstücken mit mehreren Truppen auf die Bühne gebracht, allein mein Ensemble canteatro spielte 7 davon von Carmen bis La Cenerentola in Kammer/Rock-Arrangements und meiner eigenen Textfassung, und dazu noch 2 Stücke, die ich selber konzipiert habe. Ich spiele immer noch Theater; mein Highlight der letzten paar Jahre war mein Engagement an der Berliner Schaubühne, die ich für eins der weltbesten Theater halte. Dieses Projekt wurde übrigens auch politisch; wir haben zwei Wochen in Paris gastiert, direkt nach den Anschlägen waren wir die erste Show, die wieder öffnete. Alle im Theatre de la Ville haben an diesem Abend geweint.

Irgendwelche Songs, die etwas Besonderes für dich sind, und wenn ja, inwieweit?
Der erwähnte, I AM AN ICEBERG. Er fiel einfach in meinen Kopf, ich weiß nicht wie und warum. Näher bin ich noch nie herangekommen, zu beschreiben, wie mein Hirn in meinen finstersten Momenten von innen aussieht. REQUIEM halte ich – Gedicht, Lied und Video – für mein bisher reifstes und am weitesten entwickeltes Werk. FINALLY war der erste Song, der wie ICEBERG fix und fertig in meinen Kopf fiel, und ich denke immer noch, er beschreibt den Schmerz einer endenden Beziehung, auch erwachsen und beiderseitig, perfekt.

Was machen deine Bandmitglieder abseits der Band, was zur Musikalität und zum Künstlerischen beiträgt?
Wir leiten zusammen ein Musikproduktionshaus. Dieses Projekt aufzubauen hat zwar einen großen Teil an Zeit und Energie von der Bandarbeit abgezogen, aber es gibt auch eine Menge zurück: wir haben unseren perfekten Arbeitsort, wo wir die Regeln machen 🙂 und es zahlt, natürlich, unsere eigene Miete. Außerdem hat Christoph ein Solarkraftwerk gebaut, um das Zentrum emissionsfrei zu machen, und arbeitet noch an weiteren Energieprojekten und erfindet sogar welche. Ich habe zwar keine Ahnung, was er da tut, aber er sagt, unsere Musik gibt ihm die Kraft, das alles zu rocken, und vielleicht ist das mein kleiner Beitrag, um die Welt zu retten.

Was denkst du über die Rolle des Internets in der heutigen Musikindustrie?
Es ist großartig. Jeder Mensch kann veröffentlichen, und auch überhaupt erstmal rausfinden, wie man etwas kreiert. Wir können mit Musiker*n in der ganzen Welt zusammenarbeiten, ohne reisen zu müssen. Sogar mit denen, die zuhause nicht auftreten dürfen. Wir können streamen für Publikum, das nicht reisen kann oder es sich nicht leisten kann. Wir können fast in Echtzeit kommunizieren, sogar gemeinsam produzieren. Und wir können natürlich unseren Kram anpreisen, und das kostet uns am Anfang erstmal gar nichts (im Gegensatz zum Versand von Demotapes oder gar -platten).
Das heißt nicht, dass die Option für alle es nicht schwerer macht, zu tun, was wir tun 🙂 das Becken wird immer voller und es gibt massenweise Haie.
Unendliche Möglichkeiten zur Vermarktung zu haben, bedeutet ja auch, dass du mindestens einen erdrückenden Berg davon tatsächlich benutzen musst, um sichtbar zu sein.
Es ist anstrengend und wundervoll.

Du bist sehr aktiv in Sachen Social Media. Was denkst du über deren Rolle in unseren Leben heute?
Oh, danke… ich habe ständig das Gefühl nicht genug zu tun, nicht einmal, wenn ein Reel die 1-Million-Marke knackt. Es ist die absolute Essenz des kapitalistischen Wachstumsmythos – ich investiere fast alles Geld, das ich verdiene, wieder hier, und alle Zeit, die ich erübrigen kann. Ich hasse es, von dieser Maschinerie bestimmt zu werden, diesem verrotteten System, aber ich habe keine Alternative parat. Was ich daran aber liebe, ist eben, dass es den Beginn einer Kunstkarriere einfach und gratis macht; noch vor ein paar Jahren musste man teures Equipment kaufen, Demotapes machen und physische Briefe schreiben. Diese Tage sind für immer vorbei, und das ist großartig. Aber die Algorithmen sind programmiert, alles gleich Aussehende/Klingende zu bevorzugen und dich zu zwingen, da mitzumachen, wenn du gesehen werden willst. Am lautesten und simpelsten zu brüllen. Zu provozieren, aber nicht Nachdenken, sondern blinden Hass. Und das halte ich für eine der größten Gefahren für die gesamte Gesellschaft.

Was können Fans und Follower tun, um dich zu unterstützen?
Außer meinen Kram zu kaufen und zu streamen? Helft mir auf Social Media! Schickt mir alle Videos, die ihr von uns während der Shows und drumherum macht (und MACHT welche, bitte!). Teilt meine Werke, auch alte Sachen. Packt meine Songs in eure Playlisten. Schreibt Reviews. Verschenkt mein Zeug zu Geburtstagen.
Wer echt aktiv was tun will – ich habe ein Patreon-Konto. Das ist nicht nur eine Plattform, auf der ich alles teile, was ich mache, den ganzen Prozess, die Songs von den ersten Entwürfen an, neue Ideen und Dinge hinter den Kulissen, sondern das ist auch ein sicherer Kommunikationsraum für all eure Sorgen, Inspirationen und um eure eigene Kunst zu teilen. Es wäre nicht das erste Mal, dass ich einen Song über eure Ängste schreibe, die im Patreon-Chat diskutiert werden, oder dass wir gemeinsam Kunst machen.

Was möchtest du sonst noch mit uns teilen? 🙂
Hab keine Angst. Angst ist der große Zerstörer. Wirf dich dem Neuen und Unbekannten in die Arme. Es wird dir Spaß machen.

Feline & Strange im Netz:
Bandwebsite
youtube.com/@felineandstrange
instagram.com/felineandstrange
puppenhaus-buch.de

Interview: Marina Minkler, Fotos: Merlin J Noack, Feline Lang

GastmitarbeiterInnen / guest contributions

Reguläre GastmitarbeiterInnen u.a. Melanie Kircher, Tatjana Tattis Murschel, Grit Kabiersch, Marina Minkler, Maria Levin, Jasmine Frey, Nina Ratavaara, Elvira Visser, John Wisniewski