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Counting Hours: Die Kraft der Kreativität

Mit „The Wishing Tomb“ bringen die Finnen Counting Hours einen ganz starken Silberling unter die Leute, der von vielen Fans schon sehnlichst erwartet wurde und die kontinuierliche Weiterentwicklung der Band eindrucksvoll veranschaulicht. (Unsere Rezension HIER). Grund genug für ein Treffen mit Counting Hours, um in einem Gespräch mit den sympathischen Jungs nähere Einblicke in die Bandaktivitäten und vor allem in das neue Album zu bekommen. Sänger Ilpo, Drummer Sameli sowie Gitarrist und Songwriter Jarno standen uns Rede und Antwort …

Counting Hours gibt es seit 2015, wie seht ihr den Entwicklungsprozess von Counting Hours über die Jahre bis heute?
Ilpo: Die Band war eine Idee von Jarno und mir und sie entwickelte sich ziemlich schnell und natürlich zu einer vollen Band, als Tomi, Sameli und Make dazukamen. Vor einiger Zeit ist auch Pekka Loponen (bekannt von The Chant, Minutian and Aryokal, Anm.d.Red.) zu unserer Truppe gestoßen, der für die dritte Gitarre und die Backing Vocals zuständig ist. Für einen gewissen Zeitraum war Counting Hours eine Art Projekt im Schatten der anderen Bands der Mitglieder, aber spätestens als wir anfingen, Songs für das Debütalbum „The Will“ zu schreiben, hatten wir das Gefühl, dass Counting Hours zu einer eigenen Einheit geworden war. „The Wishing Tomb“ verstärkt dieses Gefühl noch weiter und ich denke, es gibt jetzt eine klare Identität in unserem Sound und wir haben uns weiterentwickelt. Die Verwundbarkeit und Düsternis ist gleich geblieben wie zu Beginn, aber das Ergebnis ist wesentlich fokussierter.

Beruhen eure Texte auf persönlichen Erfahrungen und was genau wollt ihr damit ausdrücken?
Ilpo: Ja, die Texte sind mehr oder weniger persönlich. Man kann sie als einen inneren Dialog beschreiben, wie man das Leben und seine Vergänglichkeit im Allgemeinen betrachtet. Wenn man älter wird, fängt man an, sich mit dem Konzept der Hoffnung unter den Sterblichen auseinanderzusetzen: Man fragt sich, ob es einfach nur ein verrückter Traum ist, oder ob der Tod einen wirklichen Übergang darstellt und man seinen Weg danach selbst bestimmen kann ….? Es gibt keine Antwort darauf, denn es ist ein Geheimnis, welches für uns Lebende auf ewig unergründbar sein wird.

Ilpo

Wie entsteht ein Counting Hours-Song? Gibt es eine spezielle Methode beim Songwriting?
Jarno: Nun … was eine spezielle Methode betrifft, dann haben wir tatsächlich eine. Es gibt eine Kraft, die dir den Antrieb gibt, gewisse Dinge auf kreative Art und Weise aus dir herauszuholen. Normalerweise ist es ein bestimmter Moment, in dem du diese Kraft spürst, die dir völlige Konzentration auf das verleiht, was du gerade tust. Woher diese Kraft auch immer kommt, es ist immer etwas Besonderes, denn von diesem Punkt aus formt das Nichts, die Leere tatsächlich etwas Konkretes.

Ihr habt in der Vergangenheit in bekannten finnischen Bands gespielt (Impaled Nazarene, Colosseum, Rapture, The Chant, Shape of Despair ….). Wie kam es zu Counting Hours und was war der ausschlaggebende Faktor für die Wahl des Musikgenres?
Ilpo: Am Anfang standen ein paar alte Songs von Jarno, die er für Rapture nach deren Debüt „Futile“ um die Jahrtausendwende geschrieben hatte, aber er trennte sich von der Band, ehe aus den Songs mehr als nur grobe Demoentwürfe wurden. Wir wollten bereits im Ansatz atmosphärischer sein und das in Kombination mit dem ursprünglichen Sound war letztendlich der Ausgangspunkt für den Stil von Counting Hours. Unser Debüt „The Will“ basiert zum Teil auf diesen älteren Ideen in Tracks wie „Buried In The White“ und „Saviour“. Die Grundlage für „The Wishing Tomb“ besteht ausschließlich aus Jarnos neueren Kompositionen, weshalb es einen natürlichen und klaren Fortschritt in unserem Sound gibt. All das ist aber definitiv keine bewusste Wahl eines Genres, es ist eher eine musikalische DNA, die wir alle in der Band teilen und die im Grunde selbstverständlich ist.

Jarno

Was beeinflusst euer Songwriting, neben euren musikalischen Vorlieben?
Jarno: Das kann so ziemlich jeder Moment im Leben sein, aus dem man seine Einflüsse gewinnen kann. Aber über nicht-musikalische Einflüsse zu sprechen, kann auch besonders schwer sein… meistens sind es die Natur oder aber auch Bilder und Zeichnungen; relativ übliche Quellen für verschiedene Stimmungen, die eine Grundlage für uns sein können.

Seid ihr die finnischen Katatonia?
Jarno: Mit allem Respekt in Bezug auf Katatonia, nein, haha. Ich denke, Rapture waren damals sogar noch näher dran. Nicht, dass wir etwas dagegen hätten, musikalisch so nah dran zu sein, aber es gibt doch einen großen Unterschied zwischen ihnen und uns.

Mit eurem Debütalbum „The Will“ habt ihr ein großes Ausrufezeichen im Death/Gothic-Genre gesetzt und euch einen Namen gemacht. Nun folgte am 23. Februar euer 2. Geniestreich, mit dem ihr einen weiteren Schritt nach vorne macht. Wie seht ihr das und wie war die Zeit im Studio bis zur Fertigstellung von „The Wishing Tomb“?
Jarno: Nun, wir versuchen, unsere Musik so ehrlich zu komponieren und zu arrangieren, wie wir nur können, außer wenn unser Produzent ins Spiel kommt und die Dinge durcheinander wirbelt, hah. Aber Spaß beiseite: Wir haben alle großen Respekt vor Jussi (Hämäläinen, Anm.d.Red.) und er macht einen sehr guten Job und gibt uns auch sehr gute Ratschläge, die uns weiterhelfen und voran bringen. Auf dem neuen Album haben wir einen ganz anderen Ansatz als auf dem ersten und wir sind selbst davon überzeugt, dass wir uns im gesamten Bereich der Musik weiterentwickelt haben. „The Wishing Tomb“ klingt mehr nach uns selbst und vielleicht auch ein bisschen reifer. Wir hatten eine genaue Vorstellung von unserer Arbeit im Studio und haben das auch sehr gut umsetzen können. So verging die Zeit ziemlich schnell und vor allem produktiv… auch wenn zwischen den eigentlichen Aufnahmetagen eine gewisse Zeitspanne lag. Alles in allem war es eine ziemlich entspannte Atmosphäre… Nur als wir die Gitarren an einem Wochenende aufnahmen, wir hatten etwas weniger zu essen und dafür ein paar nette Drinks, es blieb aber im Rahmen und artete nicht aus.

Sameli

Mit „Timeless Ones“ habt ihr euren Fans bereits einen Song vorab zur Verfügung gestellt. Wie waren die Reaktionen?
Sameli: Die Reaktionen waren ziemlich positiv und ermutigend, um es mal so zu sagen. Es scheint, dass die Leute schon seit einiger Zeit auf neue Musik von uns gewartet haben und sehr gespannt auf den neuen Song waren. Wir erhielten auch wirklich konstruktives Feedback, was sehr gut ist, denn normalerweise behalten es die Leute für sich und sagen nur positive Dinge. Wir respektieren jegliche Meinung und hören auch gerne die kritischen Kommentare. Allerdings hat dieses Feedback wohl keinen großen Einfluss auf das, was wir letztendlich tun, weil wir die Musik aus unserer eigenen Perspektive machen. Trotzdem ist es interessant zu hören, was die Leute sagen.

Gibt es Dinge, die ihr während des Aufnahmeprozesses bewusst anders gemacht habt als beim Vorgängeralbum „The Will“?
Sameli: Nicht viel. Wir sind ziemlich genau so vorgegangen wie damals. Eine Änderung war, dass wir den Produzenten Jussi Hämäläinen früher als beim Debütalbum hinzugezogen haben. Auf diese Weise hatte er mehr Einfluss auf die Songstrukturen und wir konnten das Material schon vor den Aufnahmen gemeinsam entwickeln. Als das meiste Material fertig war, nahm er an unseren Proben teil und teilte uns seine Ideen mit. Einige der Ideen hatten eine Wirkung auf uns, andere nicht. Ein Song, bei dem sein Einfluss bemerkenswert war, ist „Away I Flow“, die zweite Single von „The Wishing Tomb“. Die Songstruktur wurde auf seinen Vorschlag hin geändert, und als wir die weiterentwickelte Version spielten, wurde uns klar, dass der Song so noch mehr knallt.

Gibt es Songteile, die spontan im Studio entstanden sind, oder habt ihr ein striktes Aufnahmeverfahren?
Sameli: Wir versuchen, die Sachen fertig zu haben, bevor wir ins Studio gehen, also ist der Großteil der Musik im Voraus komponiert. Natürlich können während der Aufnahmen oder in der Nachbearbeitung Ideen auftauchen, die dann zu tatsächlichen Änderungen führen, Aber dieses Mal kann ich mich nicht daran erinnern, dass etwas Größeres während der Aufnahmephase entstanden ist oder geändert wurde.
Jarno: Es war in der Tat alles ziemlich gut im Voraus geplant. Ich denke, die Änderungen und Ideen kamen während der Aufnahme der Gesangslinien und zum Abschluss des Mix-Prozesses.

Wie wichtig ist der Zeitfaktor für euch, wenn ihr an neuem Songmaterial arbeitet? (CD-Veröffentlichung, Tournee etc)?
Jarno: Sehr wichtig denn wir schreiben ausschließlich die Songs für das Album und stellen diese fertig, bevor wir uns über alles Weitere Gedanken machen. Die Musik ist das Wichtigste und der Rest kommt danach. Für „The Wishing Tomb“ haben wir etwas spät mit den Arbeiten am Cover begonnen und mussten da noch etwas Gas geben, um nicht in Zeitverzug zu geraten.

Markus

Wie sieht die Promotion für „The Wishing Tomb“ aus? Ist eine Tournee geplant?
Sameli: Wir versuchen, so viele Gigs wie möglich zu spielen. Bis jetzt haben wir nur ein paar für die nächsten Monate geplant und es ist noch eine Menge Platz in unserem Kalender. Also an alle Organisatoren: Bitte nehmt direkt Kontakt mit uns auf !!

Seid ihr eine demokratische Band?
Sameli: Die meisten, wenn nicht gar alle Entscheidungen werden gemeinsam getroffen. Das hat den Vorteil, dass jeder seine Meinung zum Ausdruck bringen kann und die besten Ideen gesammelt werden. Es gibt Situationen, in denen wir uns nicht ganz einig sind, aber selbst dann versuchen wir, die beste Lösung zu finden. Wenn ein Kompromiss nötig ist, wird er auch gefunden. Das andere typische Modell, bei dem eine Person über fast alles entscheidet, wäre zwar schneller und irgendwie effektiver, würde aber auf lange Sicht die Kreativität der anderen Mitglieder einschränken. Hier gibt es also keine Tyrannen – wir arbeiten zusammen.

Auf „The Wishing Tomb“ klingt ihr gewohnt düster, aber man hat den Eindruck, dass ihr das Licht am Ende des Tunnels nie aus den Augen verliert. Was hat es damit auf sich?
Jarno: Wir haben vielleicht diese Art von Fixierung, um gleichzeitig dunklere und hellere Themen zu behandeln. Aber ich finde, dieses Licht im Tunnel ist ziemlich irreführend, denn eigentlich führt es einen nur in eine Richtung, noch weiter weg vom Leben.

Was haltet ihr von musikalischen Vergleichen oder der Verschmelzung von Genres? Das übliche Schubladendenken eben…. Mögt ihr das oder ist eure eigene Definition für euch entscheidend?
Sameli: Ich verstehe das schon. Ich denke, die Leute brauchen das, wenn sie die Musik anderen Leuten beschreiben müssen. Es ist ziemlich schwer, die Musik nur mit Worten zu beschreiben, und dann können Vergleiche sehr hilfreich sein. Unsere Musik lässt sich nicht so leicht in eine Schublade stecken, denke ich. Wir wissen auch gar nicht, welchem Genre wir eigentlich angehören. Normalerweise werden wir in die Schubladen Doom oder Death Doom gesteckt, aber das trifft es letztendlich nicht genau. Ich denke, dass unser Repertoire sehr vielseitig und einzigartig ist.

Tomi

Ist es nicht wertvoller, eine echte CD und ein Booklet mit Liedtexten in den Händen zu halten, im Vergleich zu den Möglichkeiten, welche die Online-Musikdienste bieten? Habt ihr als Musiker Angst, wegen dieses unpersönlichen Ansatzes nicht richtig verstanden zu werden?
Jarno: Auf jeden Fall. Ich selbst liebe Vinyl-Alben mehr, aber… entweder ist es das Alter oder die Angewohnheit/Fixierung, die Musik, die man liebt, physisch in den Händen zu halten, mit all dem richtigen Artwork und so…
Wie auch immer, physische Alben sind für mich als Hörer persönlicher und konkreter. Wenn ich mir digitale Versionen anhöre, ist es viel einfacher, irgendwo was anzuklicken und auch Lieder zu überspringen oder die Reihenfolge zu ändern. Es entsteht ein ziemliches Durcheinander, wenn es um die Art und Weise geht, wie Künstler Dinge zusammengestellt haben und daher können Konzepte unter Umständen nicht erkannt oder missverstanden werden. Aber natürlich hat alles seine Vor- und Nachteile. Für die heutige Welt könnte schnell und einfach die Antwort sein, mit der Folge, dass man dem Gesamtbild nicht viel Aufmerksamkeit schenkt.

Wie eingangs erwähnt – ihr habt ein neues Bandmitglied: In der Zukunft wird Counting Hours mit 3 Gitarristen spielen. Bitte erzähl uns mehr darüber.
Jarno: Wir haben uns lange mit Ilpo unterhalten, speziell über die Backing Vocals und dass es richtig gut für uns wäre, diese auch bei Live-Shows zu haben. Es gibt viele schöne Gesangsharmonien in unseren Songs und es wäre wirklich schade, sie live wegzulassen. Ilpo hatte Pekka schon vorher kontaktiert, aber es schien so, dass wir ihn noch ein bisschen überzeugen mussten, bis er letztendlich zusagte. Wir sind froh, dass er nun dabei ist, denn er ist auch ein sehr guter Gitarrist und wir haben jetzt eine noch reichhaltigere Klangwelt, wenn wir live spielen.

Wenn ihr in die Zukunft blickt, wo seht ihr Counting Hours in ein paar Jahren?
Sameli: Counting Hours ist keine Band, die sich viel mit der Zukunft auseinandersetzt. Wir machen unsere Musik und gehen eher abwartend an alles heran. Wenn man Pläne macht und sich Ziele setzt, besteht die Gefahr, dass man vergisst, warum man überhaupt in einer Band spielt. Also ist es besser, einfach weiter Musik zu machen, sich zurückzulehnen, die Fahrt zu genießen und dieses Gefühl zu transportieren. In ein paar Jahren würde ich gerne sehen, dass wir ein weiteres, neues Album herausgebracht haben, mit dem wir wieder zufrieden sind. Die Musik muss sich entwickeln, aber das ist ein langsamer Prozess. Es ist immer besser, mit den Füßen fest auf dem Boden zu bleiben und sich auf das zu konzentrieren, was man tatsächlich beeinflussen kann.

Es führt also kein Weg an „The Wishing Tomb“ vorbei und bestimmt werden Counting Hours auf den Bühnen Finnlands und hoffentlich auch im Rest von Europa ihre düsteren Klänge einem breiten Publikum präsentieren können. Verdient hätten es die Jungs allemal.
Daumen hoch für Counting Hours !!

Die Band:
Ilpo Paasela – vocals
Jarno Salomaa Petrushevski – electric & acoustic guitars
Tomi Ullgren – electric guitars
Markus Forsström – bass
Sameli Köykkä – drums
Pekka Loponen – third guitar and backing vocals

COUNTING HOURS online:
bandcamp
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Label Arduamusic

photos: Counting Hours

Hanzi Herrmann

hanzi@stalker-magazine.rocks ---- Festival- und Konzertberichte, Konzertfotos, Interviews