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Paradise Lost: „Im Bus aufräumen ist ’ne undankbare Aufgabe!“

Englands Gothic-Doom-Legenden Paradise Lost veröffentlichen am 1. September 2017 ihr 15. Studioalbum Medusa, gefolgt von einer mehr als sechswöchigen Europatour im Herbst. Bei einer Stippvisite Helsinki beantworteten Sänger Nick Holmes, Gitarrist Greg Mackintosh und Schlagzeuger Waltteri Väyrynen über einem Bierchen oder zweien unsere Fragen zur derzeitigen Inkarnation von Paradise Lost, Album und Tourplänen sowie zu häuslichen Tätigkeiten im Tourbus.

Wir durften schonmal in euer neues Album Medusa reinhören, und unser erster Eindruck ist, dass ihr – im Gegensatz beispielsweise zu Opeth – in den letzen Jahren härter geworden seid. Ihr gehört offensichtlich nicht zu den Leuten, die mit zunehmendem Alter milder werden?

Greg: Nein, wir werden mürrischer und ungeduldiger. Das ist es. Ich denke mal, das richtet sich immer danach, wie du gerade drauf bist. Wenn wir anfangen, ein Album zu schreiben, spielt nur das eine Rolle, was uns gerade zu der Zeit interessiert oder begeistert. Wenn das im Moment eher härtere Sachen sind, dann ist das eben so.

Ich erinnere mich noch gut daran, was für ein Schock es war, als ihr plötzlich mit diesem Depeche Mode-Sound ankamt, wobei ich persönlich diese Alben absolut liebe.

Greg: Das ist ja mittlerweile 30 Jahre her, man geht halt im Leben durch diverse Phasen. Für eine Band wie uns mit mittlerweile 15 Alben ist es nur gut, wenn diese Alben eine gewisse Vielfalt aufweisen. Manche Leute werden die neue Scheibe lieben, andere werden sie hassen, aber das soll uns recht sein. Abwechslung tut gut. Immer dasselbe ist schließlich langweilig. Das wär wie Fließbandarbeit.

So im Alltag scheint ihr ziemlich lustig drauf zu sein, dagegen zelebriert eure Musik eher nordische Schwermut…

Nick: Wir haben gerade ein paar Drinks intus, aber das ist nicht nur deswegen! Wir mögen schwermütige Mucke und schwermütige Filme und schwermütige Literatur und so weiter, aber in Wirklichkeit lieben wir es, das Leben zu genießen und ordentlich Spaß zu haben. Das ist’s, worauf es ankommt.

Würdest du sagen, dass deine Musik das Ventil für deine miesepetrige Seite ist, das dir hilft, im wirklichen Leben besser klarzukommen?

Nick: Nicht für mich persönlich, denn manchmal kann ich wirklich mürrisch sein. Das Leben hat seine Höhen und Tiefen, da läuft nicht immer alles glatt. Für mich ist Musik eine Art Eskapismus. Ich liebe Musik, aber ich halte sie vom Alltag getrennt. Es macht immer Spaß, Musik zu machen, und es hält dich jung im Herzen, wenn auch nicht im Gesicht.

Ihr habt euch zwar nie öffentlich dazu geäußert, aber in euren Songs ist Religion immer wieder ein Thema. Hat sich eure Einstellung dazu im Laufe der Jahre verändert?

Greg: Nein, ich hasse sie seit meiner Kindheit.

Nick: Nein, überhaupt nicht, eigentlich etwas langweilig… Ich weiß von Leuten, die als „wiedergeborene Christen“ daherkommen, was ich ziemlich gestört finde. Ich kenne ein Mädel, dem das widerfahren ist, die wollte auf einmal nichts mehr von ihren Freunden wissen und hat ihr ganzes Leben umgekrempelt. Also ich weiß nicht, für mich ist sowas einfach nur krank.

Greg: Das ist wirklich ’ne Form von Geisteskrankheit. Wenn ein Einzelner so’n Zeug glauben täte, würde man ihn wegsperren. Aber weil’s alle tun, ist es in Ordnung.

Ihr scheint mit gewisser Regelmäßigkeit den Drummer zu wechseln. Wodurch erklärt sich dieser Verschleiß?

Nick: Wir hatten fünf, also Waltteri ist der fünfte. Aber im Zeitraum von 30 Jahren.

Greg: Wenn der erste gut genug gewesen wäre, dann säße er wohl immer noch am Schlagzeug. Er ist immer noch ein guter Freund von uns, weißt du. Der zweite hat den Verstand verloren, der fand tatsächlich zu Gott. Der dritte, Jeff, kriegte drei Kinder innerhalb von sehr kurzer Zeit. Er hatte keine Kinder, als er sich der Band anschloss, aber dann kamen in kurzem Abstand gleich drei. Das ist ein guter Grund, aufzuhören.

Nick: Das war ein anstrengender Sommer für ihn… Und dann kam Adrian.

Greg: Adrian ist Profidrummer. Das ist sein Vollzeitjob. Eine Band braucht ab und zu eine Auszei, um ein neues Album zu komponieren, und er muss sich in der Zeit anderswo nach Arbeit umsehen. Deswegen hat er eine Million ungeborener Bands!

Wo habt ihr eigentlich Waltteri gefunden?

Greg: Im Internet.


Auf Tinder?

Nick: Nee, auf Grindr, haha!

Waltteri, wie ist deine bisherige Erfahrung mit Paradise Lost?

Waltteri: Fantastisch! Das ist für mich wie ein Traum, der wahr geworden ist – mit meinen Idolen zu spielen.

Nick: Ach Gott!

Waltteri: Nee, echt jetzt! Ich bin Fan, seit ich fünf Jahre alt war, denn meine Mutter steht auf Metal!

Nick: Sie ist jünger als wir. Das ist ganz schön krass.

Darf ich das so verstehen, dass du dich mit deinem Adoptivsohn Waltteri gut verstehst?

Nick: Aber ja doch, er ist klasse! Sinn für Humor ist für uns sehr wichtig, und nicht jeder kapiert den unseren. Aber er rafft alles. Und das ist wirklich wichtig. Ganz abgesehen davon ist er ein genialer Drummer.

Also bleibt er dabei?

Nick: Oh ja, hoffentlich!

Falls ihr heute 20 Jahre alt wärt und vor der Frage stündet, eine Band zu gründen, würdet ihr es wieder tun?

Greg: Absolut. Es ist immer noch meine größte Leidenschaft und nach wie vor mein Hobby. Ich hab Spaß dran! Ist doch super, wenn du von deinem Hobby leben kannst. Wer würde das nicht wollen? Ich meine, ist doch keine Frage! Klar gibt’s gute Tage und schlechte. An manchen Tagen hast du wenig Lust, fünf Stunden an irgendeinem Flughafen abzuhängen oder in einem stinkenden Bus aufzuwachen. Aber die meiste Zeit ist es geil.

Nick, was für einen Einfluss hat dein Nebenjob als Live-Sänger von Bloodbath auf Paradise Lost?

Das ist so ’ne Rückkehr in die alten Death-Metal-Tage. Diese Jungs sind ein ziemlich besessen davon. Wenn du bei denen bist, läuft nichts anderes als Death Metal, nonstop. Das steckt einfach an, da kannste nix machen! Das hat ganz offensichtlich auch den Gesang auf unserem neuen Album beeinflusst. Aber genauso haben wir auch selber angefangen, da kommen die ganzen lustigen Erinnerungen an die alten Zeiten wieder hoch. Das ist immer noch echt und ungekünstelt. Wie wenn du deine alte Jacke wieder anziehst und merkst, dass sie immer noch passt. Also ich denke, es ist positiv, mit neuen Leuten zu spielen, eine gute Sache, die Spaß macht. Aber Paradise Lost ist und bleibt mein Lebensinhalt. Der Rest läuft unter nette Abwechslung am Rande.

Und Greg – wären Paradise Lost vielleicht sogar noch härter, wenn es Vallenfyre nicht gäbe?

Nein, Vallenfyre ist wie eine Rückblende zu den Tagen und der Musik vor meiner Zeit mit Paradise Lost. Das wurzelt so in der Zeit Anfang bis Mitte der achtziger Jahre und allem, was ich damals so hörte. Du kannst halt nicht sämtliche deiner Einflüsse in einem einzigen Projekt unterbringen, das wäre vermutlich zu verwirrend. Vallenfyre war eine Idee, die ich jahrelang mit mir rumschleppte, ohne was daraus zu machen. Dann zündete es auf einmal und ich legte einfach los. Ich denke, es war wirklich gut für mich im Hinblick auf Paradise Lost, denn es hat mir geholfen, klarer zu sehen, was Paradise Lost im Kern für mich bedeutet, und mich gezielt darauf zu konzentrieren. Also denke ich, es ist eine gute Sache.

Macht es euch noch Spaß, auf Tour zu gehen? So monatelang Tag für Tag mit einer Truppe miefender Typen im selben Bus…

Greg: Sooo schlimm ist der Mief auch wieder nicht…

Nick: Hängt von den Leuten im Bus ab, um ehrlich zu sein.

Greg: Ich toure lieber im Bus als mit dem Flugzeug. Wenn du fliegst, weißt du nie, wann die nächste Mahlzeit ist und wann du zum Schlafen kommst. Im Tourbus kannst du den ganzen Tag pennen, wenn du willst. Der einzige Nachteil ist die mangelnde Privatsphäre. Ich habe gerne meine Ruhe und die einzige Möglichkeit, in so einem Bus für dich alleine zu sein, besteht darin, den Vorhang deiner Schlafkoje zuzuziehen.

Nick: Es sind die kleinen Dinge. Wenn alles im Bus funktioniert, einschließlich der Klimaanlage, und er nicht gerade rappelvoll ist, halten sich die Hygieneprobleme in erträglichen Grenzen. Aber in der Lounge im Untergeschoss sind die Leute ohne Ende am Saufen, dementsprechend chaotisch sieht es dann auch aus. Und ich kann Chaos nicht ertragen. Bei mir zuhause ist alles blitzsauber, deswegen bin ich auch im Bus ständig am Aufräumen. Ist natürlich ’ne undankbare Aufgabe, denn es kümmert niemanden. Aber ich hab‘ einfach das Bedürfnis und ich mache es jeden Tag, weil ich das Gefühl habe, ich muss die Dosen loswerden, um ein bisschen Nüchternheit in das System zu kriegen. Bringt natürlich nicht viel, aber ich räume trotzdem auf.

Greg: Da ist dieser Kerl in einer Band, der es nie schafft, in die Toilette zu pinkeln. Du gehst nach ihm aufs Klo und die Pisse schwappt dir entgegen – auf dem Boden und überall, bloß nicht in der Schüssel. Keine Ahnung, wie der das anstellt. Der muss mit ’nem Sprinklersystem ausgerüstet sein.

Nick: Ist keiner aus unserer Band, sondern ein Freund von uns. Soviel sei klargestellt!

Werden zu den bisher bestätigten Daten der kommenden Europatour noch ein paar hinzukommen?

Nick: Das hier ist erst die Vorankündigung. Ich bin sicher, dass es noch mehr werden.

Greg: Wir haben das Album vor kurzem erst fertiggekriegt und direkt mit der Promotion angefangen. Wenn du die Promotion startest, musst du ein paar Tourdaten veröffentlichen, also haben wir das gemacht. Da sind aber noch Lücken, die gefüllt werden wollen.

Könnt ihr uns zum Schluss noch verraten, was jeweils euer Lieblingssong vom neuen Album ist?

Greg: Ich würde sagen, der erste, „Fearless Sky“. Es ist ein kleiner Sieg für mich, denn wir haben nie wirklich geplant, ein so langes Stück zu schreiben. Die Tatsache, dass es achteinhalb Minuten lang ist und einem trotzdem beim Hören nicht so lange vorkommt, freut mich besonders. Dass es uns gelungen ist, so viel in ein Lied zu packen, quasi den gesamten Back-Katalog von Paradise Lost in einem einzigen Song unterzubringen, und dass es trotzdem funktioniert. So schreibst du lange Songs, ohne dass sie langweilig werden. Es gibt nichts, was wir aus dieser Nummer herausnehmen könnten. Da fließt einfach alles perfekt zusammen – ich bin wirklich stolz und zufrieden.

Nick: Für mich dann wohl „Medusa“, weil „Fearless Sky“ schon vergeben ist. Also ich würde sagen „Medusa“, weil es auch sehr episch und sehr melancholisch ist. Ich finde, es ist ein sehr trauriges Lied. Du kannst es hören und dabei in eine Kerze starren und darüber nachdenken, wie beschissen die Dinge sind.

Waltteri: Für mich auch der Opener „Fearless Sky“. Er fasst die Geschichte der Band so gut zusammen. Da ist alles mit drin, Cleangesang und Gregs Melodien und bleischwere Riffs.

Interview: Christina Dimitrova, Foto: Tina Solda

Tina Solda

tina@stalker-magazine.rocks - Konzert- und Festivalberichte, Fotos, Interviews - - - Bevorzugte Musikrichtungen: melancholischer Death-, unkonventioneller Black-, melodischer Doom-, dramatischer Folk- und intelligenter Paganmetal (Schwerpunktregionen: Island, Finnland & Norwegen) - - - Sonstige Interessen: Gitarre, Bücher, Bier, Kino, Katzen.