Interviews

Lost Society: „Wenn etwas gut klingt, dann muss es gute Musik sein“

Macht ja immer wieder Spass, eine Band zu treffen, deren Grosswerden man – wörtlich – 1:1 miterleben durfte. Mit dem neuen Album in den Startlöchern hat Frontmann Samy Elbanna ja einiges zu erzählen…

Die offensichtlichsten Fragen habe ich ja bereits bei der Listening Session gestellt – bis auf eine: Warum Braindead?

In den letzten paar Jahren kam immer wieder das Wort Brainded (hirntot) vor, bei Texten und oder allgemein bei Lost Society, es wurde fast wie ein Slogan für uns, oder geht Hand in Hand mit Lost Society. Lost Society und die Braindead Crew, und die Braindead Attitude, also war es eine natürliche Entscheidung für uns, das Album so zu benennen, was unserer Meinung nach für Lost Society steht – nämlich Braindead. Und eigentlich war es lustig, dass uns erst nach Abschluss der Aufnahmen und meiner Vocals auffiel, wie gut „Braindead“ beschreibt, was sich überall um uns herum so abspielt, in den sozialen Medien und so weiter – in gewisser Weise würde ich sagen, dass die Gesellschaft ziemlich hirntot geworden ist. Das Wort ist nun also sehr wichtig für uns (lacht).

Ich dachte da eigentlich auch an eure Bühnenshow … (Gelächter)

Man kann wohl sagen, dass wir in gewisser Weise hirntot sind, wenn wir auf die Bühne kommen und generell lassen wir weniger unsere Köpfe arbeiten, wenn wir Musik machen – wir lassen uns da eher vom Herz leiten.

Doch wie sich herausstellt, wurde dieser Slogan von einem Exodus Song und nicht von dem legendären Peter Jackson Horror & Gore-Film inspiriert, von dem Sami noch nie gehört hatte … also für all jene, die selbigen ebensowenig kennen: https://www.youtube.com/watch?v=F9SJP27mR1g

Wann wurde dir klar, dass du Musik machen, ein Musiker werden willst, was hat die Entscheidung ausgelöst, zu einem Instrument zu greifen?
Für mich kam die Entscheidung, dass die Musik meine Leidenschaft ist, im Grunde noch bevor ich ein Instrument berührte. Ich erinnere mich an den Moment wirklich deutlich, ich war sieben Jahre alt, also vor 13 Jahren. Mein großer Bruder, der vor mir angefangen hatte Metal zu hören, machte mir dieses Mixtape, ich spielte es ab, und der erste Song war Iron Maiden „The Prisoner“. Ein wirklich besonderer Song, der bei mir so viele Gefühle auslöst. Also dachte ich mir, dass es die coolste Sache der Welt sein müsste, wenn ich eines Tages Musik komponieren würde, die bei jemand anderen die gleiche Art von Gefühl auslösen könnte. Und das war mir wirklich wichtig. Und dann ein paar Jahre später, als mein Bruder eine Gitarre kaufte, war es diese brüderliche Rivalität – ich musste auch eine Gitarre kaufen, und dann habe ich einfach angefangen zu spielen, Tag und Nacht. Schnell hab ich gemerkt, dass dies mein Instrument ist, dass dies wirklich das ist, was ich tun möchte. Also im Grunde eine Kombination dieser beiden Dinge machte mir klar, dass Musik mein ganzes Leben und die Sache ist, die ich tun möchte.

Wie haben deine Eltern reagiert – haben sie dich unterstützt, dachten sie: „Das ist nur eine Phase“?
Das Gute daran ist, dass alle Eltern Lost Society sehr unterstützen, meine auch, und der erste Schock ist verständlich. „Ah OK, klar, er will ein Rockstar sein – es ist nur eine Phase.“ Aber ich glaube, in diesen Jahren, als wir ein paar Mal in Japan waren und Alben veröffentlichten, begannen sie zu verstehen, „OK, das ist ihm wirklich ernst, also hoffen wir das Beste.“ Sie haben uns super unterstützt und sie haben sich sehr über unseren Erfolg bisher gefreut.

int_lostsociet_16

Also, was, ist das Geheimnis eures Erfolges, als Band?
Ich würde sagen, dass unsere wirklich gute Arbeit
seinstellung schon immer unsere Stärke war, weil wir unsere Musik machen und im Grunde alles machen, so gut wie es uns nur möglich ist und wir fünf Mal pro Woche üben. Und vor einer Show trinken wir nicht. Wir wollen die Shows auch so gut wie möglich spielen. Und ich würde sagen, dass all dies ist ein wirklich wichtiger Teil von Lost Society ist und ein Grund, warum wir so weit gekommen sind.

Für mich eine ziemlich überraschende Aussage von einer so jungen Band; sonst kriegt man ja eher Geschichten von miesen Deals zu hören und dass Bands viel zu spät herausfinden, dass sie einen Rechtsanwalt benötigen, und so weiter… Als Österreicherin schien mir Finnland stets ein Sonderfall zu sein, eine Brutstätte für Spitzenklasse-Metal-Bands, und Sami kann das nur bestätigen:

Ich denke, wir haben echt Glück, dass wir in Finnland leben. Ich kenne die Musik-Kultur anderer Länder nicht, aber ich würde sagen, dass es in diesem Land am einfachsten ist, mit Musik den Durchbruch zu schaffen. Ich meine jetzt nicht Millionen von Alben zu verkaufen, sondern dass Leute einem zuhören. Und es ist wirklich toll! Wir traten zuerst in Jugendzentren auf, und anfangs kamen alle unsere Freunden zu unseren Shows. Dann fiel mir auf, dass dieses Dschungeltelefon echt funktioniert wenn jemand zu unserer Show kommt, erzählt er Freunden davon, die dann zu unserer nächsten Show kommen, und so vervielfacht sich das die ganze Zeit. Das ist das wirklich Erstaunliche an Finnland. Und wir hatten alle Chancen, trotz unseres Alters. Wir konnten in Jugendzentren auftreten und erhielten Sondergenehmigungen von Bars, um dort zu spielen. Und ich denke, dass uns dieses Land zu dem gemacht hat, was wir sind, und ich bin super dankbar dafür. Und natürlich wussten wir, dass es Hunderte von Bands allein in Finnland gibt, und dass du daher was Besonderes liefern musst. Aber wir nahmen uns das nie so zu Herzen oder liessen uns stressen, denn wir sind nur vier Jungs, die gern Metal spielen und wir sind irgendwie baff, wie weit wir damit gekommen sind. 

Wie hilfreich war der Kontakt mit älteren Kollegen, anderen finnischen Bands, mit denen ihr gespielt habt?
Vor unserem Plattenvertrag mit Nuclear Blast spielten wir ein paar Supportshows in unserer Heimatstadt (Jyväskylä) im Lutakko, dem besten Venue überhaupt (Gelächter). Wir spielten mit Impaled Nazarene – tolle Leute, und nach der Show plauderte deren Bassist Arki mit mir Backstage. Weil wir ein unsigned Band waren, sagte er mir diesen einen Satz, den ich nie vergessen werde: „Wenn ihr euren ersten Plattenvertrag bekommt, ist es nicht zwangsläufig der beste“. Und sechs Monate danach bekamen wir unseren ersten Deal, wir waren echt aufgeregt, aber wir nahmen uns Zeit zum Nachdenken, „ist das der beste Deal, den wir machen könnten?“ Und das war nicht der Fall, 2 Monate danach haben wir bei Nuclear Blast unterschrieben. So verdanke ich diesem Kerl eine ganze Menge.

Generell scheint das Verhältnis finnischer Bands untereinander ausgesprochen freundschaftlich zu sein, wie Sami beschreibt:

Es ist eine wirklich coole Sache – als ich 2010 Lost Society gründete, hatten wir diesen engen Freundeskreis und alle hatten eine Band. Einige spielten Punk-Rock, andere Rock’n Roll, und ich denke, es war wirklich cool, dass wir uns immer gegenseitig unterstützten. Wir besuchten gegenseitig unsere Shows, auch wenn es ein anderes Genre war, es gab es keinen Bullshit; wir haben uns immer gegenseitig geholfen, wo wir nur konnten. So etwas motiviert ungemein. Und es war cool, als wir den Plattenvertrag bekam, gab es keine Eifersucht, jeder freute sich für uns, was wirklich cool war. Und bevor wir bei Nuclear Blast unterschrieben, es gibt hier diese ”muusikoiden liitto” (Musikergewerkschaft, der Hrsg.) mit einem Anwalt, der sagen kann, was ein guter und was ein schlechter Deal ist, und das hilft ungemein. Wir bekamen Hilfe von einer Menge Leute, ehe wir irgendwelche Entscheidungen trafen.

int_lostsociety_16

Zurück zu dem neuen Album – ihr habt euren Stil ein wenig geändert. Habt ihr irgendwelchen Druck gespürt beim Schreiben des neuen Materials; was war dieses Mal anders?
Seit Fast Loud Death (2013)
muss unser Songwriting-Prozess völlig natürlich sein, es war bei uns schon immer so, dass wir Riffs und Songs schreiben, die uns gerade in den Sinn kommen in diesem Zeitraum. Und es war nicht anders mit Braindead. Wir haben uns nicht verabredet, „jetzt müssen wir ein langsames Album machen“, es ist einfach so passiert, dass unsere Songs ein wenig anders kamen, als das, was wir vorher gemacht haben. Und ich denke, es war eine wirklich willkommene Abwechslung in gewisser Weise, weil ich nicht möchte, dass wir dasselbe Album sechs Mal in unserer Karriere veröffentlichen. Ich denke, es ist wichtig für eine Band, sich zu entwickeln – nicht sich zu ändern, sondern weiterentwickeln. Und weil wir die Songs immer zusammen schreiben, kann man wirklich erkennen, dass wir unsere Horizonte erweitert haben. Wir können an einem Tag Pantera hören und Shakira am nächsten Tag (Gelächter) – denn du kannst nie wissen, was dich inspiriert. Der Songwriting-Prozess war genau gleich wie vorher, aber in vielerlei Hinsicht ausgereifter.

Also, wenn ich das richtig verstanden habe, dann geht ihr in den Proberaum und fangt an zu Jammen, und dann kommt plötzlich ein Song dabei raus
Um eine lange Geschichte kurz zu machen – JA (Gelächter). Es ist sehr wahrscheinlich, dass ich oder unser Gitarrist Arttu den Song beginnt, weil wir den Jungs einige Killer-Riff vorlegen, und wir müssen nicht einmal sagen, was zu tun ist, sie fangen sofort an zu spielen. Es ist cool, weil wir dadurch so viele verschiedene Möglichkeiten erörtern, den Song zu spielen. Aber dann ist es wie Telepathie wir wissen, was wir zu tun haben. Es ist wirklich schwer zu erklären, aber es ist wohl unsere Zusammenarbeit. Wir haben seit fast fünf Jahren gemeinsam gespielt, so dass wir wirklich wissen, wie man zusammenarbeitet. Vor allem Braindead war wohl der einfachste Songwriting-Prozess überhaupt bis jetzt, denn jeder weiß genau, wie der andere arbeitet.

Gibt es ein gemeinsames Thema, das die Texte verbindet?
Grundsätzlich gibt es zwei Hauptthemen auf dem Album – die ersten 2 Songs I Am The Antidote und Riot, dann Rage Me Up – das gemeinsame Thema ist im Grunde Rebellion gegen alles. I Am The Antidote – eine Nation folg
t blind einem Führer, Riot dreht sich um ”verpisst euch alle, wir gehen unseren eigenen Weg”, ebenso ”Rage me up”. Was viel mit dem Braindead Thema zu tun hat. Dann gibt es die andere Seite des Albums, eine Menge seltsamer Geschichten: Only My Death und Mad Torture – diese Horrorszenarien, über die ich nachdachte. Hangover Activator ist eine reiner Toursong, es geht darum, unterwegs zu sein, und Hollow Eyes geht zurück zum Braindead Thema, im Grunde eine Geschichte über diesen Typen, der sich am liebsten die Augen herausreißen wollte, weil er schon zuviel gesehen hat und nichts mehr sehen will. In vielerlei Hinsicht hat dieses Album viel mehr an Themen zu bieten als die vorangegangenen.

Du hast Horror erwähnt – was sonst inspiriert dich zum Schreiben von Texten?
Dieses Mal war
en es hauptsächlich meine Beobachtungen, was los ist in der Welt. Im vergangenen Winter, als ich den Großteil der Texte schrieb, herrschten gerade düstere Zeiten. Ich begann über einige Sachen nachzudenken; Ich weiß nicht, warum, aber ich notierte mir alles, in meinem Handy (Gelächter), und dann haben wir begonnen, Songs zu schreiben, und ich war wie „das ist genau dieser Song“ (Gelächter). All diese Songs und Themen, die Braindead Kultur, diese fast politischen Sachen passierten kurz vor unserer Studiozeit. Und es ist einfach eine Tatsache, dass die Welt ist gerade jetzt ziemlich am Arsch ist, und es ist das erste Mal, dass das tatsächlich spürbar wird, daher sind das nur meine Betrachtung dieser Tatsache.

Du hast ja schon Shakira erwähnt (Gelächter), gibt es noch etwas in deiner Musik-Sammlung, was eventuell etwas peinlich wäre zuzugeben?
Weisst du, ich bin schon lange über den Punkt hinaus, dass mir was peinlich ist – das neue Justin Bieber Album ist echt Killer (wildes Gelächter), zumindest ein paar der Songs, die ich hörte. Ich war einmal einer von denen, die sagten, „Ich kann nichts anderes hören ausser Metal.“ Aber es war einer der schönsten Tage in meinem Leben, als ich bemerkte, dass man auch was anderes anhören kann. Und wenn etwas gut klingt, dann muss es gute Musik sein.

int_lostsoc_16

Was ist die besondere Herausforderung dabei, Gitarre zu spielen und zugleich zu singen – muss man da was anpassen, damit du das auch spielen kannst, oder hat sich das von selbst entwickelt – und warum hast du damit anfangen?
Wie ich der Sänger von Lost Society wurde –
ganz einfach, wir konnten keinen Sänger finden, also musste ich den Job machen. Das ist die gleiche Geschichte wie bei James Hetfield – oder Ville Valo (Gelächter). Und im Grunde bereue ich es nicht. Lustigerweise, sogar bevor ich anfing zu singen, sagte ich der Band, dass ich derjenige sein will, der bei Auftritten zwischen den Songs spricht. Weil eine der Sachen, die ich immer geliebt habe ist, einfach nur zu unterhalten. Und das ist eines der Dinge, die ich am meisten bei Live-Shows genieße. Bruce Dickinson ist ein Vorbild für mich – der größte Frontmann überhaupt, es ist so erstaunlich, zu sehen, wie er die Menge anfeuert, und ich wollte schon immer dasselbe tun. Wie auch immer, wir haben immer zuerst die Musik gemacht und dann die Texte, und wenn wir üben, singe ich so gut wie nie, nur etwa einen Monat vor einer Tour fange ich an zu lernen, wie es geht. (Gelächter) Und es braucht einige Anpassungen und viel Üben, aber darauf steh ich. Besonders beim Braindead Album hab ich eine Menge Herausforderungen, die ich sehr langsam angehen musste, um zu sehen, wie ich die hinbiete, aber ich finde, Singen und Gitarrespielen zur gleichen Zeit ist einfach genial, ich liebe es!

Hast du mal über Stimmtraining nachgedacht, um deine Vocals weiter zu entwickeln?
Für mich ist es immer
schon wichtig gewesen, dass sich Menschen weiterentwickeln un viel üben. Ich hab für Gitarre nie irgendwelchen Unterricht gehabt, irgendwie bin ich immer dagegen gewesen. Es ist nichts falsch daran, Unterricht zu nehmen, aber es ist nichts für mich. Auf diesem Album ist es das erste Mal, dass ich ein bisschen mehr klaren Gesang biete, das ist ein völliges Neuland für mich. Ich will nicht ausschliessen, dass ich irgendwann auch Gesangtsunterricht nehme, um mir die richtige Technik anzueignen, denn ich hab auch das Growlen selbst durch Rumprobieren gelernt. Ich erinnere mich an das erste Mal nach einer 4-stündigen Probe begann ich Blut zu husten. Aber nach gewisser Zeit hat sich der Hals daran gewöhnt, und irgendwie kriegt man die Technik hin. Ich mag es, Sachen dadurch zu erlernen, indem ich sie einfach tue!

Schlussendlich eine richtig wichtige Frage – sollte Hollywood mal einen Film über die Band drehenwelcher Schauspieler sollte dich spielen? (Gelächter)
Holy Shit … (Gelächter) gut, es muss
einfach Russell Brand sein! (Gelächter)

Hmmmm, irgendjemand, der da nicht 100% zustimmen würde?

photos: K.Weber, Band

http://lostsocietyfinland.com/

www.facebook.com/lostsocietyfinland

www.youtube.com/lostsocietyfinland

www.twitter.com/lostsocietyfi

Klaudia Weber

Rücksichts- und gnadenlose Diktatorin, kniet vor mir! Anders gesagt: Chefredakteurin, Übersetzerin, Webseiten- und Anzeigenverwaltung, also "Mädchen für alles" - - - Schwerstens abhängig von Büchern (so ziemlich alles zwischen Herr der Ringe und Quantenphysik) und Musik, besonders von Metal finnischer Prägung. Weiters Malen, Zeichnen, Film, Theater... also könnt ihr mit einer vielseitigen Website rechnen. Mag.phil., zwei in 5 Jahren parallel abgeschlossene Vollstudien (English & American studies, Medienkommunikation) und stolz darauf, denn als Mädel aus einer Arbeiterfamilie in einem erzkonservativ-katholischen Land ging das nur dank Stipendium und etwas später im Leben als andere....

Schreibe einen Kommentar