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Helloween: Wieder fröhlich

Helloween haben in den letzten Jahre stets hochklassige Alben veröffentlicht. Auch das neue Album „Straight out of Hell“ stellt da keine Ausnahme dar. Grund genug, mit Sänger Andi Deris – der sich aufgrund eines ausgefallenen Fluges mit einem Tag Verspätung aus seiner Wahlheimat Tenriffa meldet – ein kleines Schwätzchen zu halten.

Euer neues Album „Straight out of Hell“ ist vor kurzem rausgekommen und ist prompt auf Platz 4 in die deutschen Charts eingestiegen. Zufrieden?
Na logisch! Es wäre ja auch unverschämt zu sagen, es geht noch 3 Plätze besser. Für eine Spartenmusik wie Heavy Metal ist das heutzutage auf jeden Fall schon supergeil.

Wo siehst du die Hauptunterschiede zu eurem Vorgängeralbum „7 Sinners“?
Wenn es einen Unterschied gibt, dann liegt der in der Songauswahl. Als alles auf dem Tisch lag, haben wir festgestellt, dass recht viele Songs mit so einem typischen „happy, happy Helloween“-Touch dabei waren. Markus (Großkopf, Bass) kam mit dem Titel dann um die Ecke. Das war mit einem Augenzwinkern auf den Dezember 2012 gedacht, in dem die Welt untergehen und nur ein paar überleben sollten. Die kämen dann direkt aus der Hölle, die armen Schweine. Die Idee hat Markus in einem Vollsuff mal vor sich hin gebrabbelt. Wir mussten tierisch darüber lachen und fanden es cool. Somit war der Titel geboren. Wir haben dann gesagt, dass wenn wir alle überleben, dann sollte das neue Album auch wirklich etwas positiver, etwas mehr „happy, happy Helloween“ sein. Ich glaube, dass wir das jetzt im Jahre 2013 auch mal wieder wagen können. In den letzten 10 Jahren durfte man ja nicht so auf „happy, happy“ machen. Die Metal Welt stand ja mehr so auf das Böse und Doomige. Das mussten wir dann natürlich auch ein wenig mitmachen, um nicht unterzugehen. Aber ich denke, dass es jetzt wieder an der Zeit ist, dass man es auch wieder etwas fröhlicher angehen darf.


Im Vorfeld der Veröffentlichung habt ihr das ja auch so ähnlich kommuniziert. Ich muss aber sagen, dass ich die von dir erwähnte Fröhlichkeit schon fast mit der Lupe suchen musste. Es gibt zwar den ein oder anderen fröhlicheren Song auf eurem neuen Album, aber der Großteil des Albums geht in puncto Brachialität in Richtung des Vorgängers „7 Sinners“, der für eure Verhältnisse ja ausgesprochen hart war.
Das ist schon richtig. Aber im Gegensatz zur „7 Sinners“ ist dieses Mal auch vieles mit einem Augenzwinkern dabei, und ich denke, dass man das auch spürt. Es sind gerade auch in den brutalen Heavy-Songs wieder diese typischen Kindermelodien eingezogen, und das ist wohl das, was die Leute mit „happy, happy Helloween“ meinen. Auf der „7 Sinners“ hatten wir zwar auch supergeile Hooks, die aber weniger süß waren. Viele empfinden das Resultat dann wohl als deutlich positiver. Ich persönlich wäre nie so weit gegangen zu sagen, dass „Straight out of Hell“ typisch „happy, happy“ ist.

Direkt auf dem Cover der neuen Scheibe springt einen der Kürbis mit seiner Gasmaske an. Warum braucht er die neuerdings?
Wir haben über das Thema Weltuntergang sinniert und überlegt, was wirklich passiert wenn 2012 die Welt untergeht. Vielleicht gibt es eine neue Eiszeit oder aber einen riesigen Vulkanausbruch, mit riesiger Hitzeentwicklung und alle werden vergast. Markus meinte, dass wenn dann alle untergehen und nur einige wenige überleben, dann brauchen die eh eine Gasmaske, um weiterleben zu können. So ist dann die ein oder andere Idee für das Cover entstanden.

Ein Song aus deiner Feder ist in mehrfacher Hinsicht herausragend: er ist der längste Song des Albums, hat eine ungewöhnliche Struktur, einen unaussprechlichen Namen und ist auch noch der erste Track des Albums. Die Rede ist von `Nabataea`, eurer ersten Single. Eine ungewöhnliche Wahl für eine Single, wie ich finde.
Die typischen Metal Single Hits gibt es ja eigentlich gar nicht mehr. Es geht eigentlich viel mehr darum, einen guten Eindruck vom Album zu vermitteln. Der Titel soll halt einen Querschnitt des Albums repräsentieren, und dazu schien `Nabataea`, trotz seiner mehr als 7 Minuten als geeignet. Ich habe den Titel dann für die Single auf 5:40 gekürzt und auch die Version hat gut funktioniert und war inhaltlich noch stimmig. Die Länge war uns dann letztendlich auch egal, denn der Song wird ja eh nicht im Radio gespielt, höchstens vielleicht mal in einem Metal Radio. Die Radios, die behaupten, dass ein Titel nicht länger als 3:40 sein darf, sind letztlich die, die so einen Titel sowieso nie spielen würden.

Kannst du die Geschichte hinter dem Song kurz erläutern?
Nabataea war lange Jahrtausende ein Mythos wie Atlantis. Anfang des 20. Jahrhunderts hat ein deutscher Archäologe das dann tatsächlich in der jordanische Wüste gefunden. Der hat einen jordanischen Kumpel, der ihm sagte, dass er was in der Wüste gefunden habe, was der Archäologe sich mal anschauen müsse, weil der Kumpel damit nichts anfangen konnte. Sie sind dann durch die Wüste gereist. Dabei handelt es sich um eine weiße Sandwüste. Inmitten der Wüste gibt es ein rotes Sandsteingebirge, in das nur eine einzige Passage hinein führt. Die Passage ist 1,30 breit und führt durch die Schluchten in die Mitte des Gebirges. Gegen Ende wird sie dann etwas breiter und schließlich steht man vor einer riesigen, in den Stein gemeißelten Kathedrale. Der Archäologe ist dann fast in Ohnmacht gefallen, denn was er dort gefunden hat, ist die sagenumwobene Hauptstadt Nabataeas. Somit wurde die Legende von Nabataea zur Realität. Das Großartige an dem Reich war, dass sie dort vor 3000 Jahren tatsächlich schon eine Demokratie hatten. Die hatten keine Sklaven und kein Militär und haben auch nie Kriege in andere Länder gebracht und lebten trotzdem sehr wohlhabend, da sie ein riesiges Handelsimperium aufgebaut hatten. Sie haben ihre Hauptstadt, die sehr geschickt gelegen ist, damals geheim gehalten. Geschickt deshalb, weil durch die jordanische Wüste eine wichtige Handelsroute führte und die Stadt gerade mal 30 km von dieser Route entfernt liegt. Des heißt, dass die Jungs aus Nabataea einfach diese bekannte Handelsroute beschreiten konnten und dann nur kurz rechts abbiegen mussten, um in ihre Stadt zu kommen.

Ein anderer Song aus deiner Feder, der ebenfalls etwas aus dem Rahmen fällt ist „Wann be God“. Der Song erinnert nicht zuletzt aufgrund seiner Instrumentierung sehr stark an Queen. Was schwebte dir beim Komponieren vor?
Ich hatte schon seit Jahren, seit Freddie Mercury von uns gegangen ist, den Plan, dass ich ihm mal einem Song widmen wollte, weil er einer der großartigsten Entertainer war. Mich hat er, so wie wahrscheinlich jeden anderen Sänger auch, oft und gerne beeinflusst. Er stand für, genauso wie Ronnie James Dio oder Rob Halford, als Gesanglehrer Pate. Wenn du in einer Band wie Helloween spielst, ist es gar nicht so einfach, einen Titel zu finden, dem du einem Queen-Sänger widmen kannst. Im Studio habe ich jetzt einen Fehler gemacht: ich dachte, dass im Demo zu `Wanna be God` irgendwo ein Fehler ist, weshalb ich die Drumsoli hören wollte. Ich hatte aus Versehen die Vocals aber auch dazu geschaltet und fand, dass es eigentlich sehr gut klingt, auch ohne Gitarren. Dann erst habe ich mir gedacht, dass es vom Aufbau her ähnlich wie ´We will Rock you´ werden könnte: Strophe, Refrain, Strophe, Refrain, Refrain und dann noch einen Gitarrenabgang, damit es wie `We will rock you` goes Helloween klingt. Die Jungs haben es gemocht, also haben wir es gemacht. Es wird sicherlich polarisieren, die einen werden es lieben, die anderen werden es hassen, aber es sind ja nur 2 Minuten, also scheiß drauf!


Auf eurem neuen Album findet man auch eine lupenreine Ballade. Ich müsste jetzt lange überlegen, bis mir überhaupt ein Album von euch mit einer Ballade einfällt. Warum eigentlich?
Die letzte müsste `Forever and one` auf der „Time of the Oath“ gewesen sein. Schon lange her auf jeden Fall, haha! Ja, warum eigentlich? Sascha (Gerstner, Gitarre) kam mit dem Ding um die Ecke und jeder fand es geil. Wir haben uns gedacht, dass zu einem positiven Vibe auch eine traurige Ballade gehört, also haben wir es genommen, haha! Ich finde, man kann so etwas auch mal wieder bringen. Die Mädels wollen ja auch was haben, haha!

Ihr hattet Alben in eurer Geschichte, sowie beispielsweise „The Dark Ride“ oder „7 Sinners“, die nicht bei allen euren Fans auf Gegenliebe gestoßen sind, weil sie nicht den typischen Helloween-Sound hatten. In wie fern ist es für euch überhaupt möglich, mal rechts oder links eures typischen Weges zu gehen, ohne gleiche irgendwelche Fans vor den Kopf zu stoßen und irgendwelche Erwartungshaltungen nicht zu erfüllen?
Das ist natürlich unmöglich, das wissen wir von vornherein. Aber unser Augenmerk ist auf die Zukunft gerichtet. Seit „The Dark Ride“ haben wir auch ganz viele junge Fans, was uns gezeigt hat, dass ein Überleben überhaupt nur möglich ist, wenn man diese auch dabei hat. Nur mit alten Fans kann man nicht überleben, was man auch damals gesehen hat, als die Jungs „Pink Bubbles go Ape“ und „Chameleon“ rausgebracht haben. Da gab es dann zu wenig alte Fans, als dass die Band davon hätte überleben können. In so fern stellt sich uns gar nicht die Frage, ob wir dem alten oder neuen Fans gefallen wollen. Egal in welche Richtung du gehst, irgendeinen Fehler machst du immer. Wir müssen nach vorne gucken und auch neue Fans bekommen, und das funktioniert nur, wenn man mit seinem Kopf nicht in den 80ern stecken bleibt, sondern frohen Mutes die 80er mit ins neue Jahrhundert nimmt und mit Neuem verbindet. Und das ist unser Weg. Es gibt genügend Beispiele für Bands, die in den 80ern stecken geblieben sind, ganz wenige Beispiele, bei denen es gut ging und ganz viele Beispiele, die nur noch von ihrem damaligem Erbe leben. Wir haben das Glück, dass wir mit Sascha einen recht jungen Gitarristen haben, und auch mein Sohn, der 21 ist, schleppt mir alles mögliche an, was neu ist. Dadurch habe ich schon supergeile, neue Bands gefunden. Wenn man sowas mit seinen Wurzeln verbindet, sollte es eigentlich klappen.

Wenn man sich eure Credits ansieht, fällt auf, dass einerseits jeder von euch Songs schreibt und es andererseits nicht die typische Rollenverteilung gibt: einer schreibt die Musik, der andere die Lyrics. Man gewinnt fast den Eindruck, dass jeder für sich seine Songs komplett fertig schreibt.
So ist das eigentlich nicht. Jeder versucht, ein Demo so gut wie möglich fertig zu kriegen, vielleicht fehlt mal der ein oder andere Part, aber versucht mit seinen Möglichkeiten, das Demo so gut wie möglich aufzunehmen. Wenn ich beispielsweise Gitarren aufnehme, sind das immer nur Demo-Aufnahmen und werden nie so gut und detailiert, wie wenn unsere Gitarristen das aufnehmen. Wenn Markus beispielsweise einen Song schreibt, ist vollkommen klar, dass da der Gesang auf der Strecke bleibt. Den muss ich dann gerade rücken, genauso wie die Jungs meine Gitarren gerade rücken müssen. Natürlich ist eine Songidee der wichtigste Teil, denn ohne Idee gibt es keinen Song, aber du brauchst schon eine richtige Band. Der Songschreiber hat dann vielleicht ein Schlagzeug programmiert oder sagt, was er sich konkret vorstellt. Die anderen schätzen dann ein, ob das klappen kann oder nicht – dafür sind wir lang genug im Geschäft. Glücklicherweise haben wir ja 4 Songschreiber in der Band, sodass wir am Ende abstimmen können, welche Songs dann tatsächlich auf das Album kommen. Vielleicht kommt dann noch mal der ein oder andere Song nachträglich dazu, damit das Album auch schlüssig ist und man es sich an einem Stück anhören kann. Unterm Strich nehmen wir den Ideengeber dann immer als Hauptsongschreiber, man darf sich aber nicht vorstellen, dass der alles macht.

In Kürze geht es ja wieder mit Gamma Ray auf Tour. Was können wir erwarten, gerade in Sachen Setlist?
Die Setlists von beiden Bands sind ziemlich umgekrempelt worden. Das heißt natürlich nicht, dass wir unsere Hits nicht spielen, denn sonst würden wir wahrscheinlich am hohen Lichtreck aufgeknüpft werden. Die Gamma Rays und auch wir haben aber super viele neue Sachen im Set. Wir werden mindestens 5 Songs von der neuen Platte spielen, wenn nicht sogar 6. Alle anderen haben wir auch so ziemlich ausgetauscht. Es wird von fast jeder Platte einen Song geben.

Vor einiger Zeit hat Danko Jones in einer Kolumne das „Neue-Sänger-Syndrom“ beschrieben. Dies besagt, dass wenn eine Metal Band ihren Sänger wechselt, der neue Sänger in Augen der Fans immer der „Neue“ bleiben und der alte Sänger immer der Originalsänger sein wird…
Haha, ist ja süß!

…Jetzt trifft diese Konstellation bei dir bzw. euch ja auch zu. Insofern würde mich interessieren, was du in diesem Punkt für Erfahrungen gemacht hast?
Das Problem haben ja sogar die ganz großen, beispielsweise Ron Woods von den Rolling Stones. Ich kann es aber verstehen. Für die Fans der ersten Stunde bin ich immer der neue Sänger, wobei ich weiß, dass auch Michael Kiske (der vorherige Helloween-Sänger) den Stress damals hatte. Das ist etwas was man nicht abschalten kann, aber ich bin da auch nicht böse drum. Ich kenne das ja selber von mir. Ein Sammy Hagar (ehemaliger Sänger von Van Halen) war beispielsweise für mich immer der neue Sänger, obwohl ich ihn gegen Ende sogar gesanglich viel geiler fand als David Lee Roth. Ich bin halt aufgewachsen mit den ersten 3 Van Halen und verbinde damit auch meine ersten Schweinereien im Sexuellen und meine ersten Vollsuffs. Insofern werden dass immer meine Lieblingsalben bleiben, und sowas kannst du einem Fan der ersten Stunde nicht wegnehmen.

In wie fern verfolgst du als alter Hase noch die deutsche Metalszene?
Ich kriege schon noch ein bisschen was mit, denn ich habe ja noch meine Kumpels drüben. Außerdem ist unser Management und auch unserer Proberaum in Karlsruhe. Ich kenne ein paar Newcomer-Bands, die ganz vielversprechend sind. Ob die es aber auch international schaffen werden, kann ich auch nicht sagen. Mir fällt da zum Beispiel Stereodrama ein. Das ist eine Rockband, in der der Neffe von meinem ersten Bassisten spielt. Die haben mich völlig verblüfft und ich fand die richtig erfrischend geil. Das ist zwar kein Metal, aber Hardrock. Es ist schön, was die Jungs für eine Professionalität an den Tag legen und ich denke, dass man von denen noch was hören könnte. Im Metalbereich fällt mir aus Deutschland recht wenig ein. Aus Spanien fällt mir eine Band ein, nämlich Esclavitude, was Sklaverei bedeutet. Leider haben es die Bands von den kanarischen Inseln immer doppelt schwer, weil halt keine Plattenfirma Lust hat, die Jungs ständig einzufliegen.

Dann verrate mir zum Abschluss doch noch deine derzeitigen Top 5!
Ich höre Brahms, quer durchs Beet, die neue Deftones, die ich saugeil finde. Dredg höre ich gerne, genauso wie Five Finger Deathpunch, auch wenn das gar nicht reinpasst, haha! Ich finde diese asoziale Ami-Mucke irgendwie witzig, haha! Und meine alten Best-of Kiss höre ich in letzter Zeit recht viel, zum Beispiel beim Joggen.

Möchtest du zum Abschluss noch was sagen?
Gib mal ein dickes Dankeschön für die Super-Chartplatzierung durch. Das ist richtig geil und wir haben fast einen Tag gebraucht, um wieder aus dem Delirium zu finden. Wir haben die gute Nachricht auf dem Metalcruiser erfahren und das Problem ist, dass man dort gratis saufen kann, haha! Dementsprechend haben wir natürlich gefeiert. Großartig!

Vielen Dank für das Gespräch!

www.helloween.org

Timo Pässler

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