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Katatonia / Alcest / Junius

Noch vor wenigen Jahren fingen Gigs in Helsinki grundsätzlich spät an – so spät, dass der Entscheidungszwang zwischen Zugabe und letzter Bahn eher die Regel war als die Ausnahme. Glücklicherweise haben sich die Zeiten geändert, aber heute tritt dafür gelegentlich das umgekehrte Problem auf. Beim hier geschilderten Gig im Circus beispielsweise spielte die erste der drei Bands ein wenig zu früh für meinen Zeitplan. Ich kannte Junius zwar vorher nicht, aber die am Merchstand ausliegenden Alben sahen interessant genug aus, um nachträglich einmal reinzuhören: angenehm melodischer Progrock, an sich nicht weiter spektakulär, aber durchaus zur softeren Seite den beiden übrigen Bands passend.


 
Auf Alcest dagegen hatte ich mich schon im Voraus gefreut, zumal nach ihrem betörenden Tuska-Auftritt im Sommer. Die Club-Umgebung unterstrich die hypnotischen Qualitäten der Franzosen noch besser, trotz des Soundbreis und der daraus folgenden weitgehenden Unhörbarkeit des Gesangs. Das letztere Problem herrschte beim Hauptact glücklicherweise nicht mehr. Eine Wohltat war auch, dass der Laden diesmal nicht so rammelvoll war wie bei meinen bisherigen Besuchen. Ganz ohne Unpässlichkeiten ging der Abend jedoch nicht vonstatten: während „Les voyages de l´âme“, stellte ich Symptome einer beginnenden Migräne fest, und weil das Hinsetzen in einer ruhigen Ecke leider nichts brachte, musste ich mir den Rest von Alcest schenken, um frische Luft zu schnappen und mir etwas zu essen zu holen.

Dies half immerhin, und als ich zu Katatonia wieder hineinging, fühlte ich mich soweit wieder in Ordnung. Trotzdem war ich etwas besorgt ob des weiteren Abendverlaufs; darüber hinaus waren meine Erwartungen an den Gig eh nicht besonders hoch, da das neue Album Dead End Kings trotz mehrfachen Hörens einfach nicht hatte zünden wollen. Die Voraussetzungen für das Konzert waren insofern suboptimal, und für Frustration sorgte obendrein die Tatsache, dass die ersten gesungenen Worte „In the weak light…“ zumindest vom fotografischen Standpunkt her programmatisch zu sein schienen. Aber ein gesunder Pessimismus ist der Vater mancher positiven Überraschung, und spätestens „My Twin“ machte klar, dass Katatonia zumindest live in keinster Weise schwächeln. Das rockige „Burn the Remembrance“ wurde durch die darauffolgende Ballade „Racing Heart“ kontrastiert, während der die ganze Bühne in rosa Licht gebadet war.

Danach kam ein weiterer neuer Song, „Lethean“, der nicht nur vom „neuen“ Gitarristen Per Eriksson mitkomponiert war, sondern diesem auch zwei hinterteiltretende Solospots offerierte. „Teargas“ und „Strained“ stammten aus der Zeit um die Jahrtausendwende und repräsentierten somit Katatonias klassische Phase, aber es war das relativ neue „The Longest Year“, das mit einer Prise Growl überraschte – wenn auch nur für die Frage „How cold is the sun?“. Bei „Soil´s Song“ rotierten die Köpfe sowohl auf der Bühne als auch im Publikum, wohingegen „Omerta“ der Moment für brüderliche Umarmungen zwischen Renske und seinen Mitstreitern war. „Sweet Nurse“ bestach wieder durch ein schönes Gitarrensolo, diesmal von Anders Nyström. Der einzige leichte Durchhänger des Sets war „New Night“, bei dem auch die Synchronisation mit den vom Band kommenden Zusatzspuren nicht so ganz zu klappen schien, aber der Publikumsfavorit „July“ bügelte den Schwachpunkt umgehend wieder aus. Technische Probleme gab es danach nochmal beim letzten Song „Day And The Shade“; von Per war auf einmal nichts mehr zu hören und er verließ die Bühne bereits vor dem Outro. Zur Zugabe war er aber wieder dabei, und es gab noch drei weitere Songs zu hören, deren furioses Finale „Leaders“ bildete. Der letzte Katatonia-Gig in Helsinki vor einem Jahr war von der Songauswahl her spektakulärer gewesen (Last Fair Deal Gone Down in voller Länge plus eine weitere gute Stunde Greatest-Hits-Programm), aber für mich persönlich war das Feeling diesmal trotzdem besser – auch aus Dankbarkeit dafür, dass besagte Migräne mich für den Rest des Abends in Ruhe ließ. Katatonias Musik ist eine gewisse heilende Wirkung nicht abzusprechen…

 
Setliste:
The Parting
Buildings
Deliberation
My Twin
Burn the Remembrance
The Racing Heart
Lethean
Teargas
Strained
The Longest Year
Soil´s Song
Omerta
Sweet Nurse
Deadhouse
New Night
July
Day and Then the Shade
Zugabe:
Dead Letters
Forsaker
Leaders

Tina Solda

tina@stalker-magazine.rocks - Konzert- und Festivalberichte, Fotos, Interviews - - - Bevorzugte Musikrichtungen: melancholischer Death-, unkonventioneller Black-, melodischer Doom-, dramatischer Folk- und intelligenter Paganmetal (Schwerpunktregionen: Island, Finnland & Norwegen) - - - Sonstige Interessen: Gitarre, Bücher, Bier, Kino, Katzen.