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Katatonia / Jonas Renkse: Ich möchte an Geister glauben

Katatonias Sänger Jonas von Angesicht zu Angesicht als Interviewpartner zu haben, ist ein rarer Luxus, ebenso wie seine Band live zu erleben. Dennoch ist Katatonia ein Jahrzehnt lang eine der wichtigsten Dark Metal Bands der Metalkultur geblieben, und noch immer von einem Hauch des Mysteriums umgeben… was passiert hier? Was ist dran an dieser Musik, die uns halb in eine Traumwelt versetzt, während die andere Hälfte in der nackten Realität bleibt? Es gibt viele Informationen darüber, was Herr Renske musikalisch so treibt, aber wer ist Jonas nun eigentlich und welche Art von Charakter erschafft das, was wir als Katatonia kennen?

Nur 2 Stunden vor dem heiss ersehnten Gig in Moskau hatte ich Gelegenheit für dieses Interview, und wusste nicht einmal, mit welchem Bandmitglied ich reden durfte. Es war überraschend auf Jonas zu treffen, was mich anfangs nervös machte, scheint er doch so wenig gesprächig und introvertiert, strahlt andererseits aber Frieden, Stabilität und Harmonie aus, was entwaffned und sogar naiv wirkt, denkt man an die brutale Industrie, der er angehört. Also, wer ist nun dieser Jonas?

Hi, wie gehts?
Gut, gut…

Du wirkst so ernst und konzentriert …
Echt? Nein… Wir haben gerade Soundcheck gemacht, hatten Dinner und hängen jetzt nur ab, warten uf den Gig.

Wie gefällt es euch in Russland?
Ähmmm… Wir waren schon 2005 hier, glaube ich, und es war eine tolle Erfahrung, viele Leute, ein sehr dankbares tolles Publikum. Wir haben uns darauf gefreut, wieder zu kommen, und nun sind wir endlich wieder hier.

Ihr hättet im Jänner hier spielen sollen, was war los?
Oh, wir kriegten unsere Visa nicht rechtzeitig, es war nur wegen dem Papierkram.

Also was war los in letzter Zeit mit der Band? Es war ja recht still um euch….
Yeah, es war ruhig um uns, wir haben ein paar Gigs gespielt, aber wir haben uns hauptsächlich aufs Musikschreiben fürs neue Album konzentriert. Das ist im Moment die Hauptsache. Also was wir machen ist, hier und da ein paar Gigs spielen, aber den Rest der Zeit verbringen wir damit, die Songs zusammenzustellen, um das neue Album so gut wie das vorhergehende zu machen.

Und wie weit seid ihr damit?
Schwer zu sagen, denn wir haben die 10 neuen Songs noch nicht ganz fertig, aber das Material fürs album ist fertig, und wir versuchen alles so perfekt wie möglich für Katatonias Musik hinzukriegen.

Was die Zeit betrifft, wie sieht es aus?
Äh, ich hoffe,dass nach der Studio-Zeit im Sommer das Album im Herbst fertig ist.

Und kannst du schon sagen, ob das neue Album auf derselben Linie des Vorgängers sein wird, oder experimentiert ihr mit etwas Neuem?
Ich würde sagen, es ist… wie.. (Pause) Es ist in etwa ähnlich wie das Vorgängeralbum, besonders Great Cold Distance, aber wir verwenden mehr Strukturen, Atmosphären, nicht mit mehr Synth-Elementen, sondern mit Heavy Edge. Ich hoffe, dass wir ein neues Set an Songs haben, die so gut sind wie die letzten oder sogar besser.

Wird es ein Konzeptalbum?
Nein. Nicht mehr als andere Alben. Es gibt ohnehin ein Konzept, da es immer um dieselben Themen geht, denn das ist der Stil, den wir haben, ohne durchgehende Geschichte.

In wlcher Stimmung schreibt ihr?
Ich versuche ständig Musik zu schreiben, also spielt das keine Role, aber ich bevorzuge es, entspannt zu sein. Ich mag es, in der Nacht zu schreiben, aber mit Familie ist das etwas schwierig, aber wenn ich wählen könnte, würde ich Musik in der Nacht schreiben – keine Störungen, nur kreativ sein, empfindsam gegenüber jenen Vibrationen, die da beim Nachdenken ankommen… Tja, so ist die Stimmung, wenn ich Nachts wach bin, aus freien Stücken.

Hast du Kinder?
Ja, ich habe 2 Kinder, was es sehr schwierig macht (lacht), sie sind nachts wacht. Aber ich glaube, wir haben diese Band nun schon so lange, also weiss ich, wie ich gute Musik schreiben kann, sogar mitten am Tag, und ich weiss, wie ich einen neuen Katatonia Song hinkriege, damit ich nicht zu abgelenkt bin, um mich zu konzentrieren, dreh ich das Licht ab, zünde eine Kerze an…

Glaubst du, dass Vater zu werden etwas in deiner Beziehung zur Musik verändert hat?
Nicht wirklich. Ich dachte daran, als ich das erste Mal Vater wurde, aber Musik ist so eine isolierte Angelegenheit für mich, also glaube ich nicht, dass es eine Rolle spielt, ob ich nun eines oder 10 oder gar keine Kinder hätte, denn Musik ist das, was ich mache wenn mir danach ist; und wenn ich dazu Zeit habe, dann denke ich an nichts anderes als an Musik.

Wie warst du als Kind?
Ich glaube ziemlich normal, vielleicht etwas schüchterner als andere Kinder. Ich zeichnete gerne, und das war mein grösstes interesse, lesen und zeichnen, in die Schule gehen… ich hatte eine schöne Kindheit, weisst du.

Glaubst du, dass deine eigene Kindheit und der Umgang deiner Eltern mit dir dich beeinflusst haben, welche Art von Vater du zu deinen eigenen Kindern bist?
Yeah, ich glaube schon. Meine Eltern haben meine Musik immer unterstützt, damit hab ich schon früh angefangen, mit 13, 14, und ich wollte Schlagzeug spielen, sie verschafften mir Schlagzeugstunden. Und als ich die Band gründete, fuhr mein Vater mich und das Equipment rum und so. Natürlich sind meine Kinder noch nicht in diesem Alter, aber ich kann mich selbst sehen, wie ich ebenso unterstützend wie meine Eltern bin, bei was meine Kinder auch immer tun wollen. Es muss ja nicht Musik sein, kann Sport sein oder sowas. Ich glaube es ist wichtig, sie zu ermutigen bei was auch immer sie interessiert und ihnen Freiheit verschafft.

Gibt es eine bestimmte Person, an die deine Texte gerichtet sind, oder basieren sie allgemein auf Lebenserfahrungen?
Sie sind ziemlich allgemein. Ich glaube früher,v or einigen Jahren, hatte ich bestimmte Personen im Auge, aber nun tendiere ich dazu, über unterschiedliche Gefühle zu schreiben, und manchmal werden diese durch eine Person dargestellt, die ich in die Texte einbringe, aber nicht immer… Es ist immer anders, es ist schwer zu sagen, ob es um eine bestimmte Person geht oder eine isolierte Begebenheit Es ist eine Mischung von allem. Denn wenn es Zeit wird, Texte zu schreiben, muss ich so viel wie möglich davon schaffen und dann die Dinge von einander trennen, probieren, was mit der Musik funktioniert, einen Reim finden, also ist es nicht wirklich wichtig, worum es geht.

Mein Lieblingssog ist “July” und ich fragte mich, wie du ihn geschrieben hast?
Ich dachte ein bestimmtes Erlebnis, das mir vor einigen Jahren passiert ist, und ich versuchte, das in einen Text einzubringen, das ist schwer, es in einer musikalischen Form umzusetzen und die Geschichte, die ich erzählen wollte, beizubehalten., also geht es um etwas, was vor Jahren passiert ist und das mir einfiel, als ich um Inspiration rang, um etwas zu schreiben, das zur Musik passte. Als ich mir die Musik anhörte, brauchte ich ein Thema, das dieselben Vibes wie die Musik hat, also musste ich mich erinnern und probieren, wie das klappte.

Und besonders die Zeile, “…how come you invited me too?” – so einfach, als ob du reden würdest, nichts verschleiertes. Es gibt nichts verdrehtes, metaphorisches und zu poetisches, das du in einem Wörterbuch oder Wikipeda nachschlagen musst, du schreibst es einfach, wie es ist!
Ich glaube, wir haben ständig versucht, die Texte immer einfacher zu machen, denn als wir damals anfingen, vor 20 Jahren oder so, war es schwierig, Texte zu schreiben, Worte zu finden, und ich wusste nicht einmal, worum es ging, aber mit jedem Album versuche ich einfacher und direkter zu sein, und die Zeile hier ist ein Ergebnis davon. Als ob du an einer bestimmten Person interessiert wärst und Hoffnungen hegst, dass diese Person auch an dir interessiert ist und dich einlädt… du weisst was ich meine? Und dann stellt sich raus, es war nicht so… und daher “how come you invited me too?” Einfach aber kraftvoll.

Auch gibt es einige einflussreiche Bands der ‘70er und ‘80er, die noch immer auftreten und CDs aufnehmen, wie etwa Sisters of Mercy, die gerade touren, aber die meisten ihrer Shows sind eher traurig… Und Katatonia ist eine einflussreiche Band in der modernen Alternative Music Geschichte, also wo seht ihr euch in 25 Jahren?
Anders war beim Sisters of Mercy Konzert in Stockholm letzte Woche, und er war auch sehr enttäuscht, also glaube ich, dass das auch ein gutes Zeichen für uns ist. Wir wollen keine Band sein, die nur wegen dem Geld auftritt; so lange wir glauben, wir können dem Publikum etwas bieten, dann wird uns das wohl weiter touren lassen. Ich will uns nicht das tun sehen, was uns Anders über dieses Konzert erzählt hat. Ich meine, ich will nicht, dass die Leute Katatonia als grimmige alte Männer, die nur wegen der Kohle weitermachen, sehen, also yeah, keep the fire.

Welches Konzert hast du dir letztens angesehen?
Ich geh nicht oft zu Konzerten… ich war bei Opeth in Stockholm, und davor… keine Ahnung, vielleicht Muse aus England, das war ein toller Gig. Aber das ist 6 Monate her…

Opeth sind gute Freunde von euch, könnt ihr da noch objektiv sein und ihnen ehrlich was sagen, wie etwa „heute wart ihr Scheisse“…
Die sind so eine gute Band, da wirst du nicht enttäuscht, weisst du? Ich kenne die Jungs sehr gut, aber das ist anders, als wenn wir z.b. gemeinsam auf Tour wären und sie jeden Tag sehen könnten, vom Rand der Bühne aus, das ist anders, aber bei diesem Gig war ich dabei wie alle anderen auch, ein Fan im Zuschauerraum, und das ist anders. Und zumindest bei Opeth bin ich jedesmal hin und weg, sie sind so gut, jeder in der Band weiss, was er tut und was sie gemeinsam geworden sind… also war ich auch nicht anders als jeder andere Fan, denn wenn du am Bühnenrand stehst, dann kannst du es auch geniessen, aber es ist eher – “hey, cheers guys!” [gestikuliert mit seiner Bierdose] – also ist es nicht dasselbe. Aber yeah, ich gehe nicht oft zu Konzerten, keine Ahnung, es sind mir immer zu viele Leute da oder so… (lacht)

Also magst du keinen grossen ausverkauften Events?
Nein, ich meine, ich war… ja, zu viele Leute.

Apropos Touring, ihr habt mit den Finnen Swallow the Sun zusammengearbeitet, wie gefällt euch deren Musik?
Ich finde, die ist toll und sie ähnelt dem, was wir vor einigen Jahren gemacht haben, sie haben ähnliche Ideen wie wir damals, und sie machen ihre Sache sehr gut. Und wir haben mit ihnen in Finnland gespielt und sie besser kennengelernt, sie fragten mich, ob ich ein paar Guest Vocals mache, und es war lustig, diese Herausforderung anzunehmen.

Und ihr wart mit ihnen auf US Tour…
Ja, wir gingen auch gemeinsam auf Tour. Das war auch lustig, wir hatten viel Spass, diese Jungs trinken echt viel! Und ihnen ging immer das Bier aus, und weil wir mehr Drinks auf unserem Rider hatten – und sie waren im Van und wir im Nightliner Bus – rief mich immer Sänger Mikko an und fragte, „hey, können wir euch Bier abkaufen?“ und wir „na klar, bedient euch“, und da war noch ne weitere finnische Band, Insomnium. Sie waren nicht wirklich mein Stil, aber sie waren gut. Es gab da schnellere melodische Sachen, eher so wie In Flames… aber allgemein gesagt, diese Finnen sind toll.

Hast du das neue My Dying Bride Album gehört?
Nein, hab ich nicht. Ich freue mich darauf, denn ich hab schon viel gutes gehört, ich hoffe, ich krieg bald eine CD.

Wie ist eure Beziehung mit dem Record Label, denn viele Künstler heutzutage kåmpfen ja mit offensichtlich unfairen Deals….
Yeah… ich glaube, wir haben eine ziemlich gute Beziehung mit unserem Label. Denn sie scheinen irgendwie ehrlich zu sein. Wir hatten andere Label und mit anderen Bands, wo wir mehr von dieser Gier gesehen haben, wenn das zu offensichtlich wird. Aber bei Peaceville scheint es sich um ein ehrliches Label zu handeln, das ziemlich offen mit dem Business umgeht und so… aber du weisst ja nie, ich meine, ich bin kein Experge, ich sehe nicht alles, was die machen, und wenn sie was abziehen, was uns nicht klar ist… wir sind ja nur Musiker, keine Anwälte oder Business-Leute.

Was glaubst du unterscheidet Business und Kunst?
Ich glaube, Kunst wird von Leuten gemacht,die ein absolut pures Interesse daran haben, und Business von Leuten, die gemerkt haben, dass sich mit Kunst Geld verdienen lässt, und sie wollen ein Stück von dem Kuchen. Aber genau wegen der Kreativität macht es für mich keinen Sinn, an Geld zu denken, wenn ich Musik schreibe, es ist nicht so, dass ich mich hinsetze und versuche, einen Song zu schreiben, der möglichst viel Geld bringt, denn alles was ich tun kann, ist einen Song zu schaffen, der so klingt wie ein Song von mir und den ich singen will. Ich glaube, dass generell Kunst und Business weit voneinander entfernt sind und es nicht gut ist, dass sie so eng verbunden sind, denn Leute wollen Kunst zu Geld machen. Natürlich wollen wir auch etwas Geld mit Kunst machen, aber wir denken nicht die ganze Zeit daran, deswegen sind wir nicht hier.

Kannst du einige Kommentare zu den anderen Bandmitgliedern abgeben? Wie etwa, was ist das Merkwürdigste an Mattias?
Oh… Das Merkwürdigste an ihm ist sein Haus, denn da spukt es!

Echt?! Das sollte einige Touristen mehr bringen…
Yeah. Er hat mir stundenlang Geschichten erzählt, dass sich Türen öffnen und eine Menge in dem Haus passiert. Er hat auch zwei Kinder und eine Frau, und ihnen passiert auch merkwürdiges. Das wärs zu ihm … (lacht)

Glaubst du an Geister?
Nein, aber ich möchte gerne daran glauben, also versuche ich Leute dazu zu kriegen, mir die Existenz von Geistern zu beweisen.

Was ist das lustigste an Daniel?
Da gibt es viel zu viel! Er ist … der verrückte in der Band, er schläft nie, spielt dauernd Streiche… also was sollte ich da sagen? Es gäbe viel zu viel zu erzählen.

Was ist das Süsseste an Fredrik?
Das Süsseste? Er ist ein guter Vater. Wenn er am Telefon ist, hör ich ihn mit seinen Töchtern sprechen, und er ist dabei ziemlich süss. Yeah, ich glaube, das ist das süsseste. Ich meine, es ist nicht süss, ein guter Vater zu sein, aber er scheint daran Spass zu haben.

Was ist das Nervigste an dir?
Ich glaube, die anderen würden sagen, dass ich lieber Schauspieler sein sollte als in einer Band zu spielen, denn ich mach immer diese kleinen Theatersachen, wie jemanden imitieren, und das nervt sie, denn ich rede mit verstellter Stimme und tue so, als ob ich jemand anders wäre, was mich dann auch nervt, aber ich kann irgendwie nicht damit aufhören…(lacht)

… denn die Stimmen in deinem Kopf zwingen dich dazu!
Ja. Ich schicke ihnen ständig e-mails, von meinen verschiedenen Persönlichkeiten (lacht)

Hast du jemals ernsthaft ans Schauspielern gedacht?
NEIN! Nein. Ich glaube nicht… aber eventuell, wenn die Band zerbricht, würde ich es vielleicht probieren. Ich hab sowas wie Theater gemacht, als ich ein Kind war, und das war toll, aber ich war etwas zu schüchtern, um es durchzuziehen, und jetzt hab ich mehr Bühnenerfahrung, also vielleicht…

Und was ist das Romantischte an Anders?
Emmm… ich glaube er ist sehr romantisch, er macht Romantisches… er ist zumindest romantischer als ich, das ist sicher. Er kauft seiner Freundin Geschenke, was mir nie einfallen würde, und so.

Als letzte Frage… was ist der Sinn des Lebens?
(lacht) Ich glaube… das ist eine Frage für gescheite Leute. Satan ist der Sinn des Lebens. (lacht)

Marina Sidyakina

GastmitarbeiterInnen / guest contributions

Reguläre GastmitarbeiterInnen u.a. Melanie Kircher, Tatjana Tattis Murschel, Grit Kabiersch, Marina Minkler, Maria Levin, Jasmine Frey, Nina Ratavaara, Elvira Visser, John Wisniewski