ArchivInterviews

Rammstein: Eigene Grenzen Sprengen

Ohne größere Provokationen und Skandale in der Presse zu bleiben ist aber in der heutigen Zeit ein ziemlich schwieriges Unterfangen. Im Normalfall klappt das pro Jahr maximal einmal – nämlich, wenn das neue Album rauskommt. Rammstein, die dieses Jahr schon mit „Reise, Reise“ wieder alle Aufmerksamkeit auf sich zogen, reichte das dieses Jahr jedoch nicht. „Rosenrot“ heißt ihre Antwort und neuestes Machwerk. Grund genug uns wieder mit ihrem Keyboarder, Flake Lorenz, an einen Tisch zu setzen.

Was ist für dich das besondere an dem neuen Album, was war besonders wichtig?
Bei dem Album sind die musikalischen Grenzen noch mehr gelockert worden als sonst; wir haben viele Sachen ausprobiert, die davor noch streng verboten waren. Zwischenspiele, Taktwechseln. Ich weiß nicht, ob man das gehört hat, Zerstören ist von der Struktur her völlig untypisch, so was haben wir vorher noch nie gemacht.

Was heißt verboten, was habt ihr Euch da auferlegt?
Na ja, das hat sich so ergeben, das war auch das, was Rammstein ausgemacht hat; dass es immer sehr gerade war, und sehr diszipliniert.

Und wie kam es dann jetzt zu dieser Veränderung, hat sich das so entwickelt oder ergeben, oder hat jemand den Kick gehabt und gesagt, das probieren wir jetzt mal?
Wir wollten einfach nicht mehr Titel mache, die es so oder ähnlich schon gibt. Dafür kann man sich ja auch unsere ersten Platten anhören. Man hat ja auch an sich selber den Anspruch, noch mal was anderes zu machen.

Geht Ihr auf Tour, und wenn ja, wann?
Nein, wir wissen im Moment noch nicht wie wir das machen. Wir haben ja gerade schon in den letzten Monaten lange getourt. Früher sind wir aller 2-3 Jahre auf Tour gegangen – die Leute waren da und interessiert, sie haben sich gefreut, dass wir vorbeikamen! und Wenn wir jetzt wieder auf Tour gehen würden, wäre es so, als wären wir gestern erst da gewesen. Das ist ein bisschen so, als esse man zwei Eisbeine hintereinander; das erste schmeckt sehr gut, feine Sache, und dann muss man erst mal eine Pause machen, damit man wieder Appetit darauf kriegt.

Einige der Titel auf dem neuen Album waren ja schon bei der Produktion des vorherigen entstanden, welche Stücke waren das?
Zerstören, Ein Lied, Rosenrot, Feuer und Wasser und Wo bist Du.

Das ist beinahe die Hälfte; habt Ihr die bei der vergangenen Show auch schon gespielt?
Nein, das einzige, was wir von den neuen Liedern schon gespielt haben ist Benzin.

Bei Benzin ist mir aufgefallen, gerade auch durch die Wortwiederholung und der Endung auf –in, also Kokain, Heroin, Ephedrin, dass Benzin hier klingt wie eine Droge. Gewalt als Rausch ist ja nicht unbekannt, kann Gewalt auch zur Sucht werden?
Ja, gewissermaßen, in dem Sinne, dass Benzin wirklich ein Kraftstoff ist und wie Blut durch die Adern fließt. Ich finde die Metapher einfach gut. ich stelle mir da ein entfesseltes Monster vor, das heiß ist und eine Spur des Feuers hinterlässt. Das ist natürlich gewalttätig, und eine Sucht ist es natürlich auch. Also Feuer und Gewalt, das ist ja fast untrennbar.

An dieser Stelle mal grundsätzlich gefragt, wie entsteht ein Song bei Euch; gibt es zuerst den Text oder zuerst die Musik, oder wird das parallel entwickelt?
Wir haben immer zuerst die Musik. Dann geben wir diese Till und der hört sich das ganz oft hintereinander an. Wenn er im Proberaum dabeisitzen würde, würde er Kopfschmerzen kriegen. Was interessiert ihn auch das Gedudel, wenn wir da überlegen und tüfteln, das muss er sich ja nicht anhören. Wenn Till dabei sitzt, und wir uns über die musikalischen Sachen unterhalten interessiert ihn das nicht so sehr. Jetzt geht er in so eine Art kleines Ministudio, da hört er sich dann die fertige Musik an und macht Vorschläge, was ihm dazu einfällt. Dann singt er da drauf, im Mehrspurverfahren. Inzwischen will er nicht mal mehr dabei sein, wenn wir uns seine Textideen anhören. Er sagt, das ist wie eine Gerichtsverhandlung mit nackig ausziehen, dann gucken alle und ihm wird schon schlecht, wenn die Leute dann zu Boden schauen. Er geht also weg, wir hören uns seine Ideen an und diskutieren darüber. Irgendjemand ruft ihn dann an und sagt ihm, das Grundthema gefällt uns, aber hier, dieser Refrain ist irgendwie Unfug, das passt da nicht rein, oder so.

Wird ausgelost wer ihn anruft?
Ja, und dann versucht er etwas Neues oder es passiert halt nicht. Und In manchen Fällen sagt er natürlich, ich habe hier diesen Text, der würde gut draufpassen, aber dann brauche ich hier einen doppelten Refrain und die Strophe müsste härter oder sanfter werden. Dann ändern wir das natürlich auch für ihn. Irgendwann kommt der wunderschöne Tag an dem wir uns zusammenfinden im Proberaum. Also Wenn alles so weit gediehen ist, dass man eine gemeinsame Richtung hat, dann proben wir alle gemeinsam.

Also im Prinzip herrscht eine klare Arbeitsteilung?
Ja, das hat sich schon bei dem letzten Album so ergeben. Es funktioniert sehr gut so, weil es schnell geht.

Wie seid ihr auf die Idee mit dem Duett mit Sharleen Spiteri (Texas) gekommen?
Ich glaube, das war eine Idee von Till und Richard.

Mir ging es bei der Frage grundsätzlich darum, wieso überhaupt ein Gastauftritt auf dem Album ist, wie ihr da zusammengekommen seid?
Ja, eine Frauenstimme ist in dem Song wichtig, das merkt man ja.

Okay, machen wir weiter mit Te Quiero Puta. Ich habe irgendwo mal gelesen, Ihr (bzw. Eure Musik) wäret humorlos; dieser Vorwurf wird Euch jetzt sicher nicht mehr gemacht. Bei der Vorführung mussten am Anfang des Songs eigentlich alle Anwesenden grinsen. Wie kam es zu diesem Song?
Till verbringt viel Zeit in Costa Rica und hat aus seinen Urlauben Musik mitgebracht. Auf der letzten Tour haben wir uns diese CDs vor den Konzerten Backstage immer angehört. Einfach um uns für das Konzert locker zu machen. Till wollte Spanisch lernen und wir haben uns mit der Zeit so daran gewöhnt, dass wir auch mitgesungen haben. Ein Freund hat uns die Texte irgendwann angefangen zu übersetzen und wir stellten fest, die singen die ganze Zeit von Schweinereinen.

Ja, soviel habe ich mitbekommen, ich kann eigentlich kein Spanisch aber so ein paar Schlüsselvokabeln waren dann doch eindeutig zu identifizieren…
In allen Liedern geht es eigentlich ausnahmslos um die böse Sex-Sache. Das lustige ist, dass das von alten, ehrwürdigen Bands gespielt wird, also nicht nur von irgendwelchen jugendlichen Punks, sondern auch vom Buna Vista Sozial Club. Diese alten Männer singen auch nur vom poppen! La Cantera heißt die Kerze, also kannst du dir denken, was mit entfache meine Kerze gemeint ist…

Und Puta heißt Hure, oder?
Ja. Till hat im Prinzip gesagt, das kann ich auch, und hat einen Text gemacht, der so in sich natürlich schlüssig ist – aber auch sehr lustig und nicht geizt mit Anzüglichkeiten. Wir haben uns von lateinamerikanischer Seite den Text auch absegnen lassen, der ist wirklich – zumindest grammatikalisch – in Ordnung.

Autor: Anja Röbekamp, Photos: hfr., Translation: Kathleen Gransalke

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